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Atapuerca – Burgos

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Am Morgen des 23.05.2011 sollte es von Atapuerca bis nach Burgos 20,8 km gehen. Bevor wir uns auf den Weg machten, wurden jetzt nicht nur die Füße mit Hirschtalg getätschelt, wie üblich wieder der Rucksack eingepackt, sondern auch noch ein Tütchen Magnesium gezogen. Die Bäckerei, Panaderia las Cuevas, hatten wir schon am Vortag besucht, hier könne man gut Frühstücken. Stimmte. Nachdem man sich durch den Dschungel der Rucksäcke vor der Eingangstür gezwängt hatte, betrat man einen Ort der köstlichen Gerüche. Zwei nette junge Frauen in weißen Schürzen bedienten die hungrigen Pilger. Wir bestellen, ach schon wieder, Bocadillo con jamón und erhielten nicht wirklich belegte Brötchen, es waren zwei ca. 30 cm lange und 8 cm hohe dick mit Schinken belegte Brote. Fein, so war auch gleich die Zwischenmahlzeit geklärt.

Es war angenehm kühl und der Hochnebel hielt die Sonne in Zaum. Die erste Strecke zur Matagrande Hochebene, ich möchte damit andeuten, dass es 2,1 km bergauf ging, liefen wir durch Wald und der Boden bestand aus grasbewachsenen größeren Steinen. Wolfgangs Bein erzählte keine Krankengeschichten, alles war gut. Fast oben angekommen liefen wir an einer mit Stacheldraht eingezäunten Schafweide vorbei. Überall lag Fell herum, vor mir auf dem Weg liegt ein kleines schwarz-weiß geflecktes Bein, an der Seite vor dem Zaun liegt ein heller Hund, alle Viere von sich gestreckt. Ich war geschockt, überlegte, was kann es hier nur für große bösartige Tiere geben, die hier so ein Massaker veranstaltet hatten. Kann sich ein Hund nicht besser wehren als ein Mensch. Hoffentlich sehen es die anderen nicht, sie haben alle Hunde.

Kurz vor der Hochebene rasten Millionen winzige Tröpfchen auf mich zu, ich muss unbedingt später nachsehen, was auf den Magnesiumtütchen steht. Liegt es an den Drops? Oder dass man heute nicht über Schottergestein walzte, ohne größere Anstrengungen erreichten wir die Matagrande Hochebene. Hier oben gab es über uns keine Wolken mehr. Wär auch ein blödes Foto für den Japaner, der sich von Wolfgang am mit Steinen umlegten Gipfelkreuz knipsen ließ. Der Dunst lag jetzt über dem Tal, in weiter Entfernung sah man nur die Flügel von Windkrafträdern, als wenn sie Watte durchmischen würden.

Mache am Kreuz von Wuschi das zweite Stelzfoto, der Fotograf brauchte ja auch Beweise, dass er gelaufen war. Der Japaner hatte sich aus einem Hackenporsche und seinem Rucksack eine Konstruktion gebaut. Bei Bedarf konnte er sein Gepäck auch ziehen. Wer in Dänemark mit Kleinkind und Schirmbuggy (mit auch so hübschen kleinen Rädern) Urlaub gemacht hatte, weiß, das kann nicht wirklich funktionieren, es sei denn, man ist wild darauf eine Tonne Kies oder Schotter vor oder hinter sich herzuschieben.

Es ging nun steil bergab, der Nebel zog sich mehr und mehr zurück und gab den Blick auf den nächsten Ort Cardeňuela de Ríopico frei. Die Steine wurden wieder zu Schotter, die Wege hatten meist eine Breite von 1,5 bis 2 m. Oft war eine Spur von ca. 30 cm (eine Bocadillobreite) steinfrei gelaufen, die man natürlich auch nutzte. Meine Befürchtung war zwar, dass über Nacht neue Steinchen auf den Wegen verteilt wurden. Es war ja schließlich ein Pilgerweg und kein Spazierweg.

Zügig erreichten wir den Ort für unser ausgedehntes Päuschen. Da auch die Blondies hier Station machten, wurden gleich zwei Zigaretten geraucht, schlechter Einfluss. Bei der schlankeren Blondie quetschte sich eine riesige Beule, war wohl das Knie, aus ihrer Beinbandage. Mit Buen camino zogen wir weiter Richtung Burgos.

Wir pilgerten ziemlich entspannt weiter bis wir unter einer Brücke hindurch, über eine Brücke und damit die Autobahn überquerten. Man konnte schon mal einen Blick nach Burgos werfen. Die ganze Zeit waren Pilger vor oder hinter uns. Es sollte um den Flughafen herum gehen. Alle Läufer bogen links ab, wir nicht, der Pfeil zeigte die Richtung geradeaus. Wir wanderten an der Landstraße um den Flughafen herum. Weit und breit keine Menschenseele, sonst hatte man ja selten die Möglichkeit alleine zu pilgern, aber diesmal gab es so ein – hä? - Gefühl. Hier stimmte doch irgendetwas nicht, das Flughafengelände nahm kein Ende.

Am Horizont tauchte nicht nur eine Brücke, sondern auch etwas Helles und Rotes auf ihr auf. Ich beobachtete, wo die Punkte sich hinbewegten, sie hoben sich dann gut von den dunkelgrünen Wiesen durch die sie liefen ab. Wir legten dann einen Schlag zu, um zu verfolgen, wo sie abblieben. Wir hatten den Vorort Villafria und das Pilgerpärchen, die sich gerade bei einem Spanier nach dem Bus der nach Burgos hineinfährt erkundigten, erreicht. Mit einem verschmitzten Lächeln und Handzeichen, forderte uns der kleine ältere Pilger auf, ihnen zu folgen.

Wir landeten an der Busstation vor einer Kirche. Bis zur Abfahrt dauerte es noch 20 Minuten. Wir suchten ein Schattenplätzchen immer mit Blick auf die Bushaltestelle, denn durch das Industriegebiet von Burgos wollten wir nicht laufen. Die Kirche, ich durfte nur einen Blick durch die geschlossenen Gitterstäbe werfen, war mit einem Storchennest an der Spitze belegt. Vielleicht bauen sie ja ihre Nester nicht wegen der guten Aussicht, sondern weil das vibrierende Gefühl im Bauch, wenn die Glocken – sie hatte Fünf davon - bimmeln, so eierfördernd ist.

Da kamen auch die Blondies, das Knie sah noch schlimmer aus, angelaufen und auch der Bus. Es war ein Linienbus, der alle 100 Meter hielt. Wenn ich wissen wollte, ob wir schon aussteigen mussten, brauchte ich mich nur zu dem älteren Pilgerpärchen, es waren Franzosen, umdrehen. Er machte mir durch absenken der Handflächen vor dem Bauch klar, dass wir noch nicht aussteigen sollten. Wir fuhren an vielen Pilgern vorbei. Na und.

Fuhren bis zur Endstation und landete im Centrum von Burgos, überquerten die Brücke über den Río Arlanzón. Dort bot sich uns gleich ein **Hostal das Hotel Espana an, die Blondies stiefelten hinein und wir hinterher. Die Frage nach freien Zimmern und dem Preis wurde mit ja und Kostenpunkt 50,-- € geklärt. Das ging aber mal schnell. Die Zimmer seien aber noch nicht fertig. Machte nix, den wir hatten einen größeren Einkaufszettel.

Diclofinac, eine Bandage für Wolfgangs Bein und Briefmarken für den ersten Postkartenschwung mussten unbedingt besorgt werden. Mein Koffein Haushalt war auf die Grenze des Erträglichen abgesunken. Gegenüber des Hotels ist das Teatro Principal mit Café im weitläufigen Paseo (Park) del Espanóla. Bei der Bestellung im Café, sah innen sehr schnieke aus, schaute ich vor der Theke nach unten. Auf dem Fußboden lagen überall leere Zuckertütchen, muss ein Ritual sein, das ich noch nicht kannte. Nach dem Genuss von Cerveza (Bier) und Latte konnte unsere Shoppingtour beginnen.

Ein grünleuchtendes Kreuz bedeutet hier Apotheke. Erste Apotheke. Ich ziehe meinen Zettel mit dem notierten Namen – Diclofinac – heraus. Der Apotheker kommt mit einer Pillenpackung. Ich öffne Sie, es sind keine Kapseln, sondern kleine beige Pillen. Ich schüttelte den Kopf, das wäre nicht richtig, es müssten dunkelrote Kapseln sein, deutete mit den Fingern 1,5 cm an, außerdem hießen die Pillen Diclofenaco. Nein, die wollte ich nicht, lass mir hier doch nicht irgendein Medikament andrehen. Wolfgang bestellte nun eine Bandage, packte sie aus, zog sie einmal in die Breite, probierte sie an und meinte: Passt. Ich kenn ja seine ”strammen“ Waden, würde eher sagen, passt nicht.

Inzwischen war es bereits 14.00 Uhr und das Zimmer war wohl fertig. Zurück im Hostal schnappten wir uns den Schlüssel, warfen uns die Rucksäcke über und zwängten uns in den schlank gebauten Fahrstuhl. Die Fliege blieb draußen, sie hatte im Fahrstuhl keinen Platz mehr gehabt. Wir liefen den langen Flur zu unserem Zimmer.

Das Hotel muss früher – viel früher – sehr exquisite gewesen sein. Als es noch Etagenbadezimmer gab. Man hatte aus dem begehbaren Schrank ein Badezimmer gefertigt. Irgendwo musste die Feuchtigkeit des Duschdunstes bleiben, hier versammelte sie sich an der Decke und gedachte nicht diesen Platz zu verlassen, es war eher die Jahreshauptversammlung der Deutsche Bank Aktionäre, eine schwarze Sippe. Die Wäsche trocken zu bekommen wird ein ”kleines“ Problem. Die Fenster bildeten einen Halbkreis, hatten davor eine balkonähnliche Eisenverzierung, nur leider fehlte der Balkon dazu. Wir hätten uns im Theater erkundigen können, ob sie zurzeit ein modernes Stück aufführen. Dann hätten wir ja unsere Höschen zur Schau stellen können. Ziehen sich ja in den meisten Stücken sowieso aus. Statt der Theaterplakate unsere Wäsche, wenn`s an die Wäsche geht.

Das Zimmer hatte eine großzügige Fläche, breite Betten, ein Sessel, ein Sekretär mit Stuhl und ein Schrank überfüllten nicht den Raum. Suppa, genug Platz zum ”Auspacken“. Nach dem Duschen drapierten wir unsere nassen Kleidungsstücke an diversen von der Wand abstehenden Badezimmergegenständen, sodass sie so wenig ”Feindberührung“ wie möglich hatten. Die Fenster sahen von außen ja nett aus, bei näherer Betrachtung musste man erkennen, dass Eisenfensterrahmen nicht so eisern durchhalten. Der Rost wechselte sich mit grünen Stellen ab, könnte ehemals Farbe gewesen sein oder ich hoffte, dass es alte Farbe war. Nein, ich prüfte es lieber nicht nach. Der verranzte Teppichboden passte zum Rest.

Unser Einkaufszettel musste noch verkürzt werden und wir verließen unser ”Nest“. Die Post lag auf der anderen Seite des Flusses. Wir landeten in einem riesigen Saal mit ca. 20 nummerierten Schaltern. Über den Schaltern leuchteten Hinweise, wir waren irritiert, holländisches Hightech, überall Blinkerblinker. Eine Anzeige wechselte die Zahl, aha, die musste etwas bedeuten. Ganz klar, Nummernvergabe, hier musste irgendwo ein Apparat stehen. Hatte ich erwähnt, dass wir nur popelige Briefmarken holen wollten? Wir fanden im Entree einen Automaten, ich drückte das Feld, von dem man annehmen könnte, dass es sich um Postwertzeichen handelte. Mit einer empfangenen Nummer in der Hand gingen wir zurück in den saalartigen Raum. Zügig wurde unsere Nummer mit der Angabe des Schalters angezeigt. Ich hatte eine Postkarte mit, zeigte auf das Briefmarkenfeld und sagte once (11). Sie nahm mir die Postkarte aus der Hand, holt umständlich eine Mappe aus einer Schublade, schaute sich interessiert die zur Auswahl stehenden Marken an, vielleicht kannte sie die noch nicht und klebte nach dem sie sich entschieden hatte, eine Schmetterlingsmarke auf die Karte und nannte den Preis. Stur wiederholte ich noch mal once por favor. Sie rückte dann doch noch zehn weitere Briefmarken aus der Mappe. Ob Postmitarbeiter überall gleich sind?

Wir benötigten auch noch Bares und neben der Post gab es auch die Deutsche Bank, wie sinnig, mit einem Automaten, der von der Straße nicht beobachtet werden konnte. Als wir in einem anderen Ort uns Geld gezogen hatten, durften wir nicht mehr als 300,-- € abheben. Die Deutsche Bank war großzügiger, wir bekamen sogar 600,00 €. Die folgenden Tage ging es durch kleinere Orte und die einzige Bank die sie haben wird eine Sitzbank sein.

Zurück im Centrum beäugten wir, welche Apotheke denn nun kompetent sein könnte. Es gab ja auch welche mit rotem Kreuz, hinein ins Vergnügen. Der nächste Apotheker sah in seinem Computer nach dem Medikament, nein, das würde es nicht geben. Er wollte mir partout auch solche kleinen beigen Pillen andrehen. Sind wir hier auf dem Basar? Ab in die Nächste. Nun hatten wir eine Frau Apothekerin, ich beschreibe zu dem Namen Diclofinac auch die Größe und Farbe. Sie kommt mit einer Packung, ich öffnete sie, siehste, es waren dunkelrote Kapseln. Ach und Magnesium brauchte ich auch noch, sie schaute mich verwirrt an, holte dann noch eine dunkelgrüne Röhre mit Tabletten, Magnogene. Wir zahlten für die Pillen sage und schreibe 2,85 € und zogen ab.

Auf der Plaza Mayor, in jeder Stadt und auch im kleinsten Ort wurde der Name für einen Platz vergeben, hatten sich junge Leute versammelt und Plakate ausgehängt. Wir mussten nur noch zweimal um die Ecke und landeten vor der Kathedrale von Burgos. Bevor wir austrockneten wollten wir doch lieber Getränke zu uns nehmen. Mein allerbester Mann brachte nicht nur Cerveza, sondern auch eine Schale Tapas mit. Eingelegter Pulpo mit in Rauten geschnittenen Paprika. Eine kleine Gaumenfreude zwischendurch. Ich holte die Pillenpackungen aus der Tüte und überprüfte unseren Einkauf. Das Röllchen Magnogene, klar und deutlich stand da Magnésico. OK, meine gewünschten dunkelroten Kapseln, Notosil cásulas, was stand denn auf dieser Packung – oh – Metamizol Magnésico. Fein, nun hatten wir für den Rest des Caminos genügend Magnesium aber nix für schmerzendes Bein.

Wir freuten uns, als Josef zu uns stieß, sich auch für die gleichen Tapas entschied und ein Bierchen mit uns trank. Er verstand nicht, dass wir Diclofinac nicht bekamen. Josef und ich sahen mitleidig auf Wolfgangs Bein. Ich erzählte Josef, dass ich im Vorbeigehen auf einem Stellplakat einer Bar Ossobuco gelesen hätte. So schön in Rotwein geschmort, oh ja, meinte Josef, mit Zwiebeln, ich fügte noch rote Paprika hinzu. Dabei schauten wir unentwegt auf Wolfgangs stramme Wade. Ungehalten meinte Wuschi, wir sollten doch den Förster holen. Josef und ich sahen uns an und wir brachen in einen exzessiven Lachkrampf aus, bis die Tränen kullerten. Zum Verständnis, eine Magersüchtige würde Wolfgangs Wadenumfang bei ihrer Taille nicht dulden.

Die beiden Witwen, die wir zuvor getroffen hatten, setzten sich auch zu uns an den Tisch. Tief in den letzten Gehirnwindungen fällt mir ein, dass die mit den halblangen Haaren Marianne und die andere mit den dunkelroten Haaren Carola heißt. Sie kamen noch mit den Rucksäcken beladen und suchten noch eine Unterkunft. Die beiden fröhlichen Frauen kommen aus Aachen. Eine hatte halblanges mittelblondes Haar und einen ausgeprägte breiten Mund, der sich auch gerne bewegte, zwischendurch fuhr beim Sprechen des Öfteren die Zunge über die kräftigen Lippen. Burgos sei ihre letzte Station, den nächsten Tag wollten sie irgendwie durch Spanien nach Frankreich, um von dort aus mit ihrem Auto zurück nach Hause zu fahren. Wir erzählten ihnen, ein Bus würde bis nach Bilbao fahren, von dort fuhr die Bahn bis nach Frankreich. Die Idee gefällt ihnen. Die Aachenerin mit den kürzeren rötlichen Haaren blieb mit dem Gepäck bei uns sitzen. Die Zweite wollte eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Sie bevorzugten Refugien im Kloster oder in der einfachsten Herberge.

Eine Holländerin kam an den Tisch, das üppige Gesäß steckte in einer beigen Shorts, eine Krickelbluse im Delfterkachelmuster flatterte darüber, sie erkundigte sich, ob die Aachenerinnen schon die Seiten kopiert hätten. Die Frau mit den rötlichen Haaren klärte uns auf. Die Holländerin hatte ihren Reiseführer verloren und sie versprachen ihr, dass sie den von den beiden bekommen würde. Nur benötigten sie noch einige Seiten aus dem Reiseführer für ihre Heimreise. Wollten die entsprechenden Seiten aus dem Outdoor reißen, das gefiel aber der Krickelbluse nicht.

Marianne kam gut gelaunt zurück an den Tisch, sie hatte ein Zimmer in einer privaten Herberge ergattert. Am späten Nachmittag noch etwas Günstiges zu finden wäre pures Glück. Wir beschlossen uns um 19.00 Uhr wieder auf der Playa de Santa Maria, vor der Kathedrale mit Josef und den Aachenerinnen zu treffen. Als Carola ihren Rucksack schultern wollte, war sie entsetzt, ihre Jakobsmuschel hing in zwei Teile zerbrochen am Band. Sie war sehr traurig, es wäre eine besondere Muschel, stimmt, statt des üblichen Weiß schimmerte diese Muschel perlmuttartig violett. Sie hatte diese Jakobsmuschel geschenkt bekommen und man sollte auch nur mit einer Geschenkten laufen. Bedröppelt zogen die Zwei zur Unterkunft.

Die Brünetties kamen um die Ecke, sie wollten eine Stadtrundfahrt machen und fragten, ob Josef und wir nicht mit wollen. Durch unsere Medikamenten- und Posttortur kannten wir ja schon die Stadt und Josef wollte seine Augen noch ausruhen, die Fahrt hätte auch bis nach 19.00 Uhr gedauert. Schade, die Brünetties waren auch angenehme Begleiter ¡Buen camino! Mädels, auch sie reisten den nächsten Tag ab.

Es war sehr stickig in der Stadt und wir trollten uns in die Kathedrale, ein Muss in Burgos, ein Ort wo es nicht nur kühl war, sondern man sich auch prima verlaufen konnte. Hier ein Raum, dort ein Winkelchen. Schnell war die Orientierung verloren. Meine Augen suchten Kerzen, sie haben keine gefunden, nur diese blöden Elektrokästchen. Nö, die wollte ich nicht füttern. Ich schaute mir Orgeln ja gerne an, solange sie nicht gequält werden, die in der Kathedrale von Burgos hat nicht nur hoch gebaute Pfeifen, sondern wie Posaunen aussehende ”Querflöten“. Es fehlten nur die Engel dahinter und für mich waren sie auch zu hoch angebracht.

Nach dem Besuch der Kathedrale schnell noch ins Hotel, um unsere Einkäufe in unserem ”Salon“ abzulegen. Zweimal gingen wir über la Plaza Mayor, es strömten immer mehr junge Leute zusammen, sie demonstrierten gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für gerechtere Bezahlung. Der Ausgang der Wahl in der Region Burgos hatte sie auf die Straße getrieben. Wir trafen die Aachenerinnen auf dem Platz, sie wirkten sehr abgehetzt und waren auf der Suche nach einem Laden, wo sie die benötigten Seiten aus dem Führer kopieren könnten. Wir schlenderten zur Kathedrale und suchten uns einen Platz auf der Mauer im durch Bäume gespendeten Schatten. Während wir auf die anderen warteten, sah ich in einiger Entfernung die Delfter Kachel hin und her huschen. Es war wohl der Tag des Suchens, die einen suchten einen Copy-Shop, die andere suchte die, die den Copy-Shop suchten.

Josef kam und setzte sich zu uns, wir suchten nicht, wir warteten. Dann kamen die beiden Aachenerinnen. Duschen hätten sie sich schenken können, sie landeten völlig genervt bei uns an. Kein einziger Laden würde Fotokopien anfertigen, nun müssten sie eben alles abschreiben, was sie noch als Hinweise für die Rückfahrt benötigten. Gesagt, getan. Sie schrieben das Wichtige aus dem Führer ab. In der Ferne tauchte die Holländerin auf, Marianne schon halb auf dem Weg zu ihr, um ihr den Outdoor zu bringen, bemerkte noch, sie werde die Kachelbluse fragen, ob sie mit zum Essen kommen möchte. Drei Köpfe schütteln sich energisch, man konnte es auch als – ach nö - ansehen, Marianne sah es leider nicht. Sie flitzte zur Holländerin und auch wieder zurück, nein, sie kommt nicht mit. Hörbares Ausatmen der Erleichterung von uns.

Wenn man sich in einer größeren Stadt aufhält, ist der Ort der Pilgerspeisung schwieriger. In den Dörfern kein Problem, eine Bar, ein Pilgermenu fertig, keine weitere Diskussion. Wir streiften hungrig durch die Gassen. Mit den Worten: „Ich frag mal“, entschwand Marianne wieder. Carola meinte, sie würde jetzt einen Apotheker fragen. Das wäre mein allerletzter Einfall, ausgerechnet einen Apotheker. Es dauerte und dauerte, sie kam nicht zurück. „Na, vielleicht hat sie sich ja wieder in den Apotheker verliebt, denn könnte es noch ein Weilchen dauern“, bemerkte Carola. Sie kam mit einem Zettel in der Hand zurück, nannte das Restaurant. Auf die Frage wo das Lokal den wäre konnte sie aber leider nicht antworten.

Wir schauten uns weiter um, meinten bei einer Bar, mit eingedeckter Terrasse im Schatten, das sieht doch gut aus und nahmen Platz. Einige Tische entfernt saß auch unser ”Erstpilgerpärchen“, hatte sie schon vermisst. Schnell hatten wir uns über das – wer und was – entschieden. Die Mädels warfen sich gegenseitig die Erzählbälle zu. Nachdem sie sich bei dem Trauerseminar kennengelernt hatten beschlossen sie gemeinsam über den Jakobsweg zu pilgern. Angefangen hatten sie 2006 und sind durch Frankreich gelaufen. Oft wäre ihnen stundenlang kein Mensch begegnet. Marianne meinte sie würde aber immer von ihrem Mann begleitet, öffnete ihre Tasche und zog ein im Silberrahmen gefasstes Kleinformatfoto heraus. Auf dem Bild lachte fröhlich ein bebarteter grauhaariger Mann. Er war Maler und musste seine Heimat Persien nach dem Umsturz verlassen. Sie hatten früher immer viele ausländische Künstler zu Gast in ihrer Wohnung. Sie warf noch einen zärtlichen Blick auf das Bild und steckte es wieder ein.

Josef erzählte dann seine Geschichte und war untröstlich. Ich möchte sein Erlebtes hier nicht erzählen. Ich glaube, er möchte es nicht. Für mich ist Josef von Beginn an ein ganz besonders liebenswerter Mensch, aus ihm strahlt so viel menschliche Wärme und ich möchte ihn nicht verletzen. Vielleicht waren auch die mitgeteilten Schicksalsschläge der anderen ein Wink an uns, mit dem eigenen kostbaren Leben sorgsamer umzugehen. Man sollte öfter innehalten und begreifen, was das wirkliche Glück ist.

Jeder an unserem Tisch schien sich einige Minuten seinen Gedanken zu überlassen. Der Wein und das Wasser wurden gebracht. Der Wein lockte uns aus der Reserve und lockerte die Zunge. Mit ihr fuhr Marianne dann auch wieder fleißig über die breiten Lippen.

Carola und Marianne pilgerten seit 2006 immer jeweils 14 Tage im Frühjahr und Herbst. Als sie durch Frankreich liefen, hörten sie neben dem Weg ein zartes Maunzen. Sie sahen im hohen Gras nach, was denn dieses Geräusch verursachte. Dort hätte ein nur ein paar Tage altes Kätzchen gesessen. Eine kleine weiße Miezekatze mit schwarzem Schwanz, die Ohren hatten auch schwarze Spitzen. Carola hätte dann aus ihrem umgebundenen Frotteehandtuch eine Tasche geformt und das Kätzchen so getragen. Im nächsten Ort wurde dann Aptamil (geht auch für menschliche Säuglinge)und eine Puppennuckelflasche mit Liebesperlen gekauft. Die Liebesperlen wurden mit der Babynahrung ausgetauscht und die Mieze gefüttert.

Die Beiden versuchten bei den am Weg liegenden Bauernhöfen das Kätzchen unterzubringen. Keiner wollte Mieze, sie gaben aber die Empfehlung es beim Tierheim zu versuchen. Ja – ja, das kannten sie, hatte die Miezekatze erst eine Pfote im Tierheim, dann war´s das auch mit der Katze, das wollten sie auf keinen Fall. Was nun, in Herbergen sind mitgebrachte Tiere nicht erlaubt. Sie kauften eine Bauchtasche, legten die Tasche mit ”Tinas-Ladys“ aus. Fütterten die Mieze, bevor sie zum Übernachten in die Albergue gingen und hofften, dass das Kätzchen die Nacht über hübsch ruhig ist.

Sie sind tagelang unentdeckt zu dritt durch Frankreich gewandert. Somit war das Kätzchen eigentlich die jüngste Pilgerin. Jetzt ist die Katze 1 ½ Jahre und lebt bei Carola. Sie kramte ihre Kamera hervor und zeigte uns Bilder von der Samtpfote, auch die Bilder von der Zeit, als sie noch in Frankreich ein Kätzchen war, konnten wir auf dem Display betrachten. Wir kamen auf leidende Tiere zu sprechen, aufgeregt fällt mir dazu der Hund bei der Schafherde vor der Matagrande Hochebene ein. Carola und Marianne sagten aber, sie wären zu dem Hund gegangen und er hätte schläfrig geblinzelt. Na ja, selbst der beste Hütehund kann wohl nicht bei jedem der zahlreichen Pilger anschlagen – oder er war vom Bellen müde, weil dauernd jemand vorbeilatschte. Da sie auch Hundebesitzer sind, will ich mal glauben, dass dem Hund nichts passiert war.

Josef erzählte, er hätte heute eine junge Frau wiedergetroffen. Sie war Deutsche, lebte schon seit Jahren in England und war mit Ihrem Sohn auf dem Camino. Sie lief nicht, sondern sie rannte eher. Ich beschreibe die Frau und ihren ca. 10 Jahre alten Sohn. Genau, die meinte er, sagte Josef. Genau, es war die junge Frau, die so ”nett“ unseren Frühstückstisch in Puente la Reina umdekoriert hatte. Auch an uns war die Frau, ihren Sohn hinter sich her zerrend, in einem Affenzahn vorbeigehastet. Josef berichtete, die junge Frau erzählte ihm, dass sie nur wenige Tage Zeit hätte, aber nun mit Schmerzen zum Arzt gegangen sei. Der stellte fest, dass eine Ader in ihrer Kniekehle gerissen ist und hat sie zu drei Tagen Pausen verdonnert. Tja, der Camino ist eben doch keine Rennpiste. Pah, nun war sie auch nicht schneller als wir.

Die Mädels meinten, dass sie im Juni noch nach Hamburg reisen wollten. Natürlich gaben Wolfgang und ich noch Tipps mit auf den Weg. Nachdem uns viel einfiel, notierte ich auf einem Minizettel die wichtigsten Punkte, Fähre 62, aussteigen Dockland, rechts um die Ecke lecker Fisch essen – bloß nicht linksseitig, dort ist das teure Fischereihafen-Restaurant – wieder auf die Fähre 62, Oevelgönne - Finkenwerder.

Gut, dass es zum Essen Wein und Wasser gab, so konnten wir unsere Gaumen mit dem Wein betäuben. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir lange nicht so schlecht gegessen hatten. Wir gaben Carola noch eine Jakobsmuschel, die wir besorgt hatten. Sie sollte im Herbst nicht ohne geschenkter Muschel ihren Weg fortsetzen. Es wurde bereits dunkel und wir beschlossen aufzubrechen. Nach herzlichen Umarmungen trennten sich unsere Wege.

Wir gingen wieder über den Plaza Mayor, dort war die Zahl der Demonstranten erheblich angewachsen, sie riefen ihren Unmut, durch Sprechchöre unterstützt, über den Platz. Vier Polizisten, ich wiederhole, vier Polizisten standen gelangweilt daneben. Nicht wie bei uns, wo 200 Demonstranten gegenüber von 200 Polizisten stehen und jeder nur auf den Knüppel oder den geworfenen Stein wartet. Die Polizisten trugen auch nur ganz normale Uniformhemden und –hosen. Könnte es sein, dass es hier noch so etwas wie gegenseitigen Respekt gibt?

Am Hotel angelangt, taperten wir die Treppen in den 3. Stock hinauf. Wir gingen auch am Restaurant im 1. Stock vorbei, hier fand eine Feier statt. Der Lärmpegel der beteiligten Kinder schlug uns entgegen. Dachte noch, gut, dass unser Zimmer weiter oben ist. Sah mir gerade die Internetseiten des Hotels an: An Ihren angenehmen und gemütlichen Aufenthalt denkend, renovieren wir ständig die Atmosphäre der verschiedenen Räume. Vielleicht sollten sie nicht die Atmosphäre, sondern die Zimmer renovieren. Das Hotel wurde 1937 eröffnet. Alles klar! Weiter im Internet über den Saal: (Originaltext)Am Anfang, der Saal bot den Touristen und Gästen sehr schöne und lange Abendveranstaltungen als das Fernsehen noch nicht existierte. Heutzutage gibt es nicht mehr, aber der Saal bleibt ein ruhiges Zimmer für nette Unterhaltungen sowie eine leutselige Ecke, um ruhig zu bleiben.

Es war für uns schon ungewöhliche 22.30 Uhr, als wir endlich im Bett lagen. Die Entfernung vom 1. zum 3. Stock ist nicht wirklich weit. Der Schall wabberte durch unsere persönliche ”Atmosphäre“, sooft ich versuchte meine Augenlider in Schlafposition zu bringen, riss der Lärm sie wieder in die Höhe, die blöden Ohren schalteten auch nicht ab. Mensch, es war Montag, gibt es hier keine Schule? Müssen die Kinder nicht langsam mal ins Bett? Doch - oh yeah – oder nein, sie gingen nicht ins Bett – sie trampelten krakeelend in den 3. Stock – hallo, da waren wir doch schon – rannten über den Flur, rissen Türen auf, knallten sie wieder zu, trampelten kreischend zurück, gackerten und das Spiel fing von vorne an. Vor Ärger flatterten nun meine Augenlider, ja hätte ich das von dem Saal vorher gelesen, vielleicht hätte ich ja auch die Ecke um ruhig zu bleiben gefunden. Später klappten irgendwann meine erschöpften Augenlider zu.

Mails von Marge

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