Читать книгу Mails von Marge - Margrit Lange - Страница 16

Hornillos del Camino - Castrojeriz

Оглавление

Das Handy brummte zur richtigen Zeit. Es erfolgte das “bärige“ Packritual, den blasenfreien Füßen wurde mit Hirschtalg gehuldigt. Die Magnesiumdrops wurden eingeworfen, nun kam noch das Abwürgen des Ossobuco mit dem Gummistrumpf dazu. Wir waren bereit zum Frühstück. Na wo waren denn unsere Frühstartpilger? Im Restaurant zum Frühstück waren sie jedenfalls nicht. Wir bekamen zum Abschied auch noch ein reichhaltiges Frühstück serviert. Verspätet trotteten die Beiden an, prima so konnten wir in Ruhe ohne Eile ausgiebig essen.

Im Dunkeln wurden unsere Habseligkeiten und wir vier Pilger in das Auto unseres Gastgebers geladen und ab ging es zurück nach Hornillos del Camino. Wir wurden an der Albergue ausgeladen und mit einem ¡Buen camino! verabschiedet. Nicht nur der Bushaltestellenpapierkorb quoll über, nein, der ganze Platz vor der Herberge sah versifft aus. Die Prinzessin vermisste die Erbse nicht.

Endlich konnten wir unsere Kuschelfleecejacken wieder tragen, unsere Rucksäcke schultern und ab ging die Post von Hornillos del Camino nach Castrojeriz 20,8 km. Die Spitzen der ersten Sonnenstrahlen lugten hinter den Hügeln hervor. Da wir in die westliche Richtung gingen, sahen unsere Schatten wie Stelzenfiguren aus. Wir fielen in unseren üblichen Paarlauf und genossen die Kühle des frühen Morgens. Es waren schon viele Pilger unterwegs, leider auch welche mit orangenen Tüchern. Munter brabbelnd liefen sie hinter uns. Vor der Abzweigung zur Quelle San Bol dachte ich, abbiegen, los biegen, Mensch, biegt doch endlich ab. Was für eine Kraft doch Gedanken haben konnten, die Truppe bog zur Quelle ab.

27.07.2011 Allitsche meine Neuspanierin, zu dumm, um E-Mails zu lesen, zu reagieren, einen Retourantrag an uns zu senden. Ich fürchte, ich muss mich noch intensiver mit ihr auseinandersetzen. Ich werde jetzt ein Unternehmen gründen, mache ganz viel Werbung, setze unerfahrene Mitarbeiter an einen E-Mail Server. Im Programm gibt es vorgefertigte Antworten und wenn keine passt, reagiert man eben nicht. Ob sich der Kunde ärgert, interessiert mich nicht. Dann rufen sie eben weiter an oder mailen. Ich kaufe dann weitere Unternehmen dazu, sodass ich noch mehr Menschen mit Unfähigkeit beglücken kann. Später wenn ich noch ärgerlicher bin, ruf ich bei Alice an. Zurück zum Camino.

Vor uns auf der Schotterpiste hatte sich ein Schwarm kleiner strahlend blauer Schmetterlinge niedergelassen. Sie flogen auf und davon, als wir vorbeirauschten. Fangen mochte ich sie bestimmt nicht, denn sie waren von einem Kothaufen gestartet. So wunderschön anzusehen, aber leider eine verschissene Ernährungskette. Wir überholten, nur um es nachhaltiger anzumerken, wir überholten zwei junge Koreanerinnen, sie waren sehr schlank und gingen schwerfällig. Als wir mit ¡Buen camino! an ihnen vorbeizogen, strahlten uns zwei Augenpaare bei der Antwort an. Die eine Koreanerin trug eine graue Jogginghose und rosa Leinenturnschuhe von Puma. Sie musste sehr stark abgenommen haben. Das Stück der Hose, das sonst ihren Po zieren sollte, schlabberte um die Oberschenkel, die aber auch nicht ausgeprägt waren. Sie schlich gepäcklos voran, ihre Freundin trug zwei Rucksäcke, einen auf dem Rücken und den anderen vor den Bauch geschnallt. Das nenn ich Freundschaft. Ich war ja nur verheiratet, da trägt man seinen Rucksack selber. Die Koreaner waren in den Herbergen nicht so beliebt. Ihre Kochkünste erzeugten intensivste fremdländische Gerüche, die auch die Nacht in der Albergue verbrachten. Und die anderen Pilger rümpften ihre Nasen, obwohl Frikadellen Gerüche mag auch nicht jeder.

Der Ire, den wir in Puente la Reina kennengelernt hatten, wurde ab Burgos von seiner Frau begleitet. Eine fröhliche, hellhäutige Rothaarige, sie hatte auch allen Grund, heiter über den Camino zu laufen. Von Lasten befreit tippelte sie neben ihm her, sie trug keinen Stab keine Stick´s und ihr Handtäschchen war auch daheim geblieben. Er ertrug alles, hüpfelte aber nicht mehr so mit seinem Pilgerstab die Anstiege hinauf. Ihn plagte die Ehelast. Gepäckmäßig freute er sich bestimmt auf León, dann würde seine Frau wieder abreisen.

Die ersten Kilometer wurden immer locker abgestiefelt, so konnten meine Augen rumtrödeln und die Gedanken abschweifen. Auch auf Pilgerreise gehen. Hier faszinierte mich eine Frau besonders. Sie trug einen hellen Hut und dazu einen türkisen Anzug aus weichem Stoff. Meine Augen folgten ihren Körperbewegungen. Ihr Kopf und die Beine hatten einen anderen Rhythmus als der üppige Körper. Pendelte der Körper nach links bewegte sich der Kopf mit den Beinen nach rechts. Mir tat mein Hals nur vom Hinsehen weh. Aber auch sie lachte zufrieden, als wir grüßend an ihr vorbeiliefen. Vor uns pilgerte ein Paar, das überwiegend getrennt lief. Sie wanderte ein Stück voraus, setzte sich und machte eine Pause. Er schien bei jedem Schritt nachzudenken, ob und wie er ihn setzten sollte. Er lief ruhig, gelassen im immer gleichen Tempo. So schritt er an seiner Frau vorbei und beachtete sie nicht, er ging einfach weiter. Ob er ihr Gepäck nicht tragen wollte?

29.07.2011 Neues von Allitsche, nach einem Telefonat, in dem ich Home TV, also die Fernseh-Flatrate gekündigt hatte, erhielt ich eine E-Mail mit Anhang (vom 28.07.2011). Wunschgemäß werden wir den Zugang zu den privaten Free-TV Kanälen für ihre Fernseh-Flatrate am 27.07.2011 wieder deaktivieren.

Die Fernseh-Flatrate können Sie über den Receiver auch weiterhin nutzen. Kann ich nihicht!!! Der Receiver ist doch kapuhutt. Und zusätzliche Sender hatte ich auch nicht bestellt!! Dafür habe ich immer noch keinen Rücksendeschein für den defekten Receiver. Die Werbeaussage von Alice im Internet: Alle reden von Service. Wir handeln. Versprochen. Überzeugen Sie sich! Lach - ist vielleicht auch dort ein Fehler unterlaufen, müsste es nicht heißen: Wir handeln nicht. Zurück nach Spanien.

Nach 11 km pausierten wir in dem in einer Senke liegenden Ort Hontanas. Schon lange zierten unsere Jacken die Rucksäcke. Kein Wölkchen ließ sich blicken und die Sonne hatte wieder sämtliche Heizstäbe angeschaltet. Die üblichen Rastrituale, Café con leche, Bocadillo, wurden im Schatten einer Bar vollzogen. Wuschi trank durch den schlechten holländischen Einfluss immer noch Coca-Cola. Leider dauerte der Aufenthalt der orangenen Tücher in San Bol nicht lange, auch sie besuchten dieses Café. So sehr sie sich auch bemühten, hier war nichts mit Stühle rücken. Wir liefen lieber gestärkt weiter.

Am Ende des Ortes Hontanas stand ein Reisebus. Er war in eine fischig stinkende Urinadewolke eingehüllt. Damit die Fahrgäste während der Weiterfahrt für die Benutzung des WC abgestraft wurden, standen die Türen weit auf. Auch der restliche Businhalt war hier ausgekippt worden. Vor uns gingen zwei Frauen und einige Meter voraus zwei Männer. Die blonde Frau trug heute blassblau mit Glitzerglitzersteinchen und leichtes Schuhwerk an den Füßen. Die Dunkelhaarige trug nicht nur ein orangenes T-Shirt, sondern auch ihr Handy am Ohr. Aha, Österreicher oder wohl eher Wiener. Es wurde ins Handy gebrüllt, fast so als würde sie mit der S-Bahn durch Hamburg fahren. Bittgoarschee, Schorschi, mei der Max, mei woan der Max vor Tür ansitzt, ja eh, Schorschi. Schorschi mir laufe oan Stückl auf dem Jakobsweg. Bla-bla-bla, wir ziehen vorbei und hatten schnell die beiden Männer erreicht.

Der mit einem orangenen Achselshirt Bekleidete, aus dem spargelige Arme heraushingen, trug eine weiße schlabberige Badeshorts und eine silbern glänzende Badetasche über der Schulter. Seine Säbelbeine steckten in weißen Billigkunststoffschuhen und rundeten das Bild ab. Sein Begleiter trug auch ein orangenes T-Shirt, war aber sonst nicht augenauffällig. Wir Paarläufer gingen an ihnen vorbei. Die Wiener hängten sich an unser Tempo und quatschten. So als wenn wir sie an der Leine führten, folgten sie uns in einem sieben Meter Abstand. Der Weg verlief eben, man könnte zur Ruhe kommen und die Gegend genießen. Wenn, wenn man nicht von zwei Labertaschen verfolgt würde. Wiener Schmäh? Ich mag diesen Dialekt nicht. Prinzessin trat auf Erbse, oder auf zwei Erbsen, orangene Erbsen. Nach einer halben Stunde fühlte ich, wie mein ganzer Körper sich in eine Pershing Rakete verwandelte. Ich pustete an der glimmenden Zündschnur. Zwecklos, ich wurde gezündet und ging ab. Ich drehte mich wutentbrannt um und grölte: „Einfach mal die Fresse halten. Man, wir sind hier auf dem Jakobsweg, da kann man auch mal ruhig sein und sich auf die Natur einlassen.” Badetasche meinte nur: „Geht doch schneller.”

Die Wiener Würstchen lassen sich ein Stück zurückfallen und wisperten nur noch. Schon während der Explosion tat mir mein Ausbruch leid, da war es aber schon zu spät. Später im Bus werden die Beiden erzählt haben, dass pilgern wohl doch nichts mit Gelassenheit und Friedlichkeit zu tun hat. Pah!

Wir stiefelten an einer ca. 30-jährigen Frau vorbei, sie lief schwer atmend nach vorne gebeugt. Ich fragte, ob sie Hilfe brauche. Mit leidendem Blick antwortete sie, nein, alles wäre in Ordnung. Jeder presste hier auf dem Camino seine allerletzten Reserven aus dem Körper, sogenannte Grenzerfahrungen. Die Erbsenprinzessin hatte es nur mit den Ohren, die hörten zu gut. Ein Vogel saß auf dem Weg. Seine gelben Bauchfedern und seine grünen Flügel waren gesprenkelt. Einer erzählte später es wäre ein Bienenfresser gewesen, das stimmte aber nicht. Im Internet versuchte ich den Vogel zu finden. Es könnte eventuelle ein Girlitz gewesen sein. So plötzlich, wie er dort saß, war er auch schon wieder entflogen. Schade, dass Wolfgang den Fotoapparat nicht zur Hand hatte, er hatte den Vogel noch nicht mal gesehen. Oder hatte nur ich einen Vogel?

Auf dem Camino hatte ich schon meine Irritationen. Während ich lief, hörte ich aus dem Randstreifen des Feldes, ein glucksendes Piepen. Es blieb in der gleichen Lautstärke und begleitete mich. Blieb ich stehen, hörte es auf, ging ich weiter, begann auch wieder die Feldrandmelodie. Nein – nein, es waren nicht die Würstchen, das war während einer anderen Etappe. Ich weiß aber nicht mehr, wo das war.

Auf der rechten Seite des Weges war das Korn schon sehr hoch gewachsen. Ein leichter Wind bewegte das Getreide. Wie von einer Hand gestreichelt, bog sich das Korn leicht zur Seite und wurde zu silbrigen Wellen, die über ein grünes Meer rollten. Nun mussten wir leider diesen bezaubernden Weg verlassen. Es ging nun 1,7 km auf einer Landstraße entlang. Kurz nachdem wir auf die Allee gelangten, trafen wir die Pusteblume aus Isar wieder. Sie hatte hier auf einer Plastikplane, direkt an der stark befahrenen Straße, ihre Pilgerrast verbracht. Verstanden wir nicht, vielleicht brauchte sie das Brummen der vorbeidonnernden Motoren. Denn rücksichtsvoll fuhr hier keiner.

Wir schnackten mit der Frau noch ein paar Sätze, da kamen die Wiener vorbei. Die Badetasche entschuldigte sich bei mir. Hm – hätte ich mich nicht entschuldigen müssen? Aber sie stiegen ja gleich in ihren Miefbus und wir würden sie nicht mehr treffen. Die französische Pilgerin (Burgosbus) konnte ich von Weitem erkennen. Sie trug einen Stick, an den ausgestreckten Armen haltend hinter dem Körper und die helle um die Hüften geschlungene Jacke tanzte dazu von links nach rechts. Wir machten uns auf dem Seitenstreifen so schlank wie möglich, damit wir nicht eine unfreiwillige Autofahrt unter den entgegenkommenden Autos mitmachen mussten.

Wir hatten die Ruine des Klosters San Antón erreicht. Ein Teil der Ruine war ein ca. 30 Meter hohes Halbrund. In einer Vertiefung dieser Mauer stand eine vierzig cm kleine Jakobuspilgerfigur. Eine Steinplatte, auf einem Sockel liegend, wurde durch eine große Kerze und Öllämpchen verziert. Davor stand ein Ghettoblaster und spielte klassische Musik. Seltsamerweise wirkte die Szenerie, trotzt Ghettoblaster, auf mich sinnlich.

Die Ruinen des Klosters San Antón bestanden aus mehreren Teilen, sodass sie einen großen Platz einrahmten. Es gab Bänke, zwei Tische mit Plastikstühlen und der Boden war mit Heu und Kiesel abgestreut. Oh man, wer saß denn dort, unsere Chevalier´s. Sie machten uns mit Handzeichen klar, dass wir uns zu Ihnen an den Tisch setzen sollten. Der Weißhaarige hatte wie immer ein blütenweißes Halstuch umgelegt. Sie hatten ihre Leckereien ausgebreitet, Bananen, Käse, Nüsse und Brot. Ihre Füße hatten sie nicht von den Stiefeln befreit. Vielleicht war das Thema Blasen mittlerweile für sie erledigt. Dann holte der Weißhaarige Becher aus dem Rucksack und eine Wasserflasche. Im Gegensatz zu unserem durchsichtigen und klaren Wasser, war ihr Wasser in einer grünen Flasche und dunkel. Nun kannte ich auch das Geheimnis ihrer guten Laune. Man tausche Wasser mit Wein. Die französische Lust zu leben. Sie boten uns Wein an, aber wir lehnten lachend ab. Mensch, dann wäre ich ja gleich betüddelt gewesen. Wir blieben lieber bei Bananen und Wasser.

Französisch empfinde ich als klangvolle Sprache, höre ich gerne, aber verstehen tu ich nix. Wolfgang versucht es mit englisch, aber da sind die beiden halt echte Franzosen, da geht mal gar nix. Ein büsschen französisch bin ich auch, kann auch nur eine Sprache. Wieso macht das bei Franzosen nichts aus, aber bei mir? Ungerecht. Ich mag die beiden Fröhlichen, es ist bestimmt nicht nur der Wein. Dann versuchten wir uns noch mit Gebärden zu verständigen. Die Chevalier´s wollten auch bis Santiago de Compostela laufen. Der Weingeist, aus der grünen Flasche, wird sie als “höhere“ Instanz begleiten. Mit dem üblichen Pilgerspruch verließen wir die Beiden und machten uns auf, die gedehnten Restkilometer abzustiefeln.

Unterwegs trafen wir den Lockenkopf, mit der mütterlichen Ärztin, aus Atapuerca. Ich erzähle ihm von unserem Desaster, dass es in Burgos kein Diclofinac gab. Er sagte, die heißen doch Diclofenac und zog dabei eine Pillenpackung mit kleinen, beigen Pillen aus der Hosentasche. Hm – Apotheker – hm – haben aber auch immer Recht. Das nächste Mal werde ich einen Apotheker fragen, wo man denn gut essen könnte.

Es ging weiter auf der Landstraße, bis wir endlich abbogen und in Castrojeriz einzogen. Am Ortsanfang sahen wir Sonnenschirme und Stühle. Aha, eine Albergue mit Bar. Wir wanderten vorbei. Lasen noch im Pilgerführer nach, dass Gästezimmer in der improvisierten Touristeninfo im Rathaus erfragt werden könnten. Leider stand dort auch der Hinweis “unsicher“. Nun waren wir verunsichert. Vor uns befand sich der Campingplatz und der hatte sein Tor weit geöffnet.

Wir nahmen die Einladung an. Innerhalb des riesigen Areals verlief ein Sandweg hinab zu den Campingplätzen. An den unter Bäumen stehenden Wohnmobilen und sonstigen Campinganhängern vorbei, an einer Halle in denen sich die Pilgergemeinschaftsunterkünfte befanden entlang, gingen wir zu einem größeren Gebäude. Hier war die Anmeldung, eine Bar, ein Minisupermarkt und Restaurant. Wir fragten nach Zimmern (eigentlich eine witzige Frage nicht?), sie hätten noch einen Bungalow frei. Wir nickten artig mit dem Kopf, als er uns fragt, ob wir den nehmen wollen. Es würde uns gleich jemand hinbringen. Ein Mitarbeiter fuhr uns mit dem Auto zu dem Bungalow. Es war genau der Weg, den wir zu Fuß hinab gelaufen waren.

Oben angekommen schaute ich mich suchend um, nach Bungalows. Hier nennen sich Bauwagen Bungalow, wusste ich auch noch nicht. Auf einer großen Wiese standen vier Bungalows. Stühle und Tische waren auch vor den Unterkünften vorhanden. Wir stiegen, mit dem Schlüssel bewaffnet, die drei Stufen hinauf und öffneten die Tür. Es gab nicht nur eine Küche mit Wohn- und Essecke, ein WC, ein Bad, sondern auch zwei Schlafräume. Es war alles vorhanden, trotzdem strahlte diese Zweckmäßigkeit eine gewisse Kälte aus. Aber genug Raum, um überall die Utensilien zu verteilen. Damit wir auf dem Weg nicht versifften, folgte wie üblich der Körperreinigung auch das Wäschewaschen. Schaute aus dem Fenster und entdeckte am Ende der Wiese Leinen zum Aufhängen. Leider war das Gras auch um die Wäscheleinen wadenhoch. Ich machte Ballettübungen, auf Zehenspitzen fummelte ich die Wäsche mit Sicherheitsnadeln an die Leine. Warum im Spitzentanz? Ganz einfach, ich hasse Zecken wie die Pest.

Nun wollten wir noch im Haupthaus etwas trinken. Wir gingen den Abhang wieder hinunter und an den Wohnmobilen vorbei. Davor und daneben saßen die Camper. Missbilligende Blicke folgten uns den Weg entlang. Wir störten ihre Ruhe, wobei viele von ihnen bald mehr Ruhe haben werden, als sie möchten. Und zum Vorbeischweben fehlte uns der Flugschein, den hatten wir wegen Übergewichts nicht erhalten. Meine Augen inspizierten das Haupthaus mit Restaurant. Die Erinnerung an die Albergue von Belorado, besonders an die Hähnchenkeule, beschäftigte meine Gedanken. Nö, essen möchte ich hier nicht. Wir setzten uns mit den Getränken auf die Terrasse. Ich bekam als Strafe für meine Hühnergedanken Plörrkaffee. Meine Blase drückte urplötzlich auf: Müssen. So blieb mir nichts anderes übrig, als das kleine Häuschen mit WC-Schild, das neben der Terrasse stand, aufzusuchen. Ein luftiges Gebäude, für die Luftzirkulation gab es zwischen Mauer und Dach gewerkefreien Raum. Also offen. Luftzirkulation hatte nichts mit geruchsfrei zu tun, so fanden die Insekten blind ihren Camino. Es waren viele auf der Insektenpilgerautobahn unterwegs und hatten hier ihr Etappenziel erreicht.

Durch die leckere Rast unserer Chevaliers animiert, wollten wir noch Vorräte einkaufen und verließen den Campingplatz durch das untere Tor. In der stickigen Mittagshitze durchliefen wir den Ort. In und vor den Häusern rührte sich nichts. Das gab den Tag nochmal ordentlich extra Kilometer, denn dieser Ort war extrem langgezogen. Auch hier war ein Plaza Mayor (ein großer Platz) vorhanden. Bestückt mit Marktständen, hier trafen auch einige nicht Siesta haltende Frauen zusammen. Wir erkundigten uns noch nach einem Supermarkt, das Obst wollten wir später besorgen. Natürlich mussten wir noch weiter gehen, aber ohne Unterstützung hätten wir den Einkaufsladen nie gefunden. Suppa, denn vor dem Supermarkt gab es noch eine Apotheke. Überließ Wolfgang die Diclofenaco-Verhandlung mit dem Apotheker. Ich hielt lieber meinen Mund und blieb vor der Tür stehen. Er kam schnell mit seinen beigen Pillen wieder. Pah!! Nun aber Tempo, denn der Einkaufsladen schloss in wenigen Minuten. Ratzfatz sammelten wir Käse, Schinken, Nüsse, Wasser und Brot ein. Nur beim Nescafé war ich verunsichert, stehe, suche und gucke dumm herum. Schmiss dann schnell Nescafé-Tütchen in den Korb, denn ich spürte das Kratzen der Fingernägel der Verkäuferin auf der Kasse. Ab zum Bezahlen und hinaus – puh – geschafft.

Wir gingen zurück zum Dorfplatz, um auf dem Markt Früchte einzukaufen. Die meisten Markthändler hatten bereits ihre Stände abgebaut. Nur ein Obst- und Gemüsestand bot noch seine Waren an. Vor mir standen noch zwei Frauen an. Die Erste in der Schlange war schnell abgefertigt und ging. Es war Mittagszeit und die Hitze stand nicht nur am Marktstand mit an. Dem Händler unter dem Sonnenschirm machte sie nichts aus. Aber mir, im prallen Sonnenschein wartete ich. Die kleine pummelige Frau vor mir verlangte nach Paprika, Tomaten, Gurken, Kartoffeln, Aprikosen, Apfelsinen. Sie fasste die Waren an, ließ Gemüse wieder zurücklegen. Beäugte, was sie noch brauchte. Ich schmorte hinter ihr in der sengenden Sonne. Sie war aber noch längst nicht fertig. Sie brauchte auch noch Bananen und Äpfel. Nein, diese Äpfel nicht, die anderen Früchte wollte sie lieber haben. Gleich fall ich um, ging mir durch meinen ungestylten Kopf. Endlich zückte sie ihr Geldtäschchen, bezahlte und verließ schwer bepackt den Marktstand und ich konnte Bananen, zwei Apfelsinen und zwei Äpfel ordern.

Ab dem Dorfplatz war kein Mensch mehr zu sehen, auch kein Pilger. Wir liefen durch die unbelebten Straßen zurück zum Campingplatz. Wollten durch das obere Tor, denn dort standen die Bungalows. Toll, das Tor war geschlossen. So mussten wir den großen Platz umkreisen. Vor dem Haupthaus war die Einfahrt für die Mobile und Campingfahrzeuge. Vor dem dort geschlossenen Tor wartete noch ein Wohnmobil. Zum Glück gab es noch eine kleine Tür, durch die wir auf das Gelände kamen. Ich ging noch in das Haupthaus, um nach Butter und Dosenmilch in Miniportionen zu suchen. Statt der gesuchten Lebensmittel lagen hier Puppen, Bierkrüge und viele Dinge, die wir nicht benötigten. Nun mussten wir wieder an den ruhebedürftigen Campern vorbei zum Bungalow. Was erlaubten wir uns bloß, in der Mittagszeit schweigend an den Campern vorbeizulaufen, wie dreist von uns. Vielleicht raschelten die Einkaufstüten zu laut. Wir sollten den Campern mal eine “Runde Wiener Würstchen“ vorbei schicken, dann hätten sie auch einen Grund, ihr Campernäschen zu rümpfen.

Nach Bewältigung des steilen Weges, stellten wir fest, dass vor einem Bungalow ein Geländewagen stand. Der Gärtner bewohnte den vorderen Bauwagen-Bungalow. Er hatte nicht nur sein Fahrzeug, sondern auch den Rasensprenger am Weg abgestellt. Hätte nichts dagegen gehabt, wenn er die Wiese hier gemäht hätte. Aber nun wurde der Weg, der zu den Butzen führte, mit dem Rasensprenger schön matschig gewässert. Wehe ihm, sollte er den Sprenger weiter zu unserer Wäsche tragen. Unter einem Baum, vor unserer Unterkunft, genossen wir die erstandenen Apfelsinen. Unsere Blicke verfolgten, wie das Sonnenlicht, durch Schleierwolken hervorgerufen, die Farbe des Mohns auf einem weiter entfernten Feld veränderte. Ein Augenschmaus.

Apfelsinen hin oder her, unweigerlich meldete sich, trotz der Hitze, bei uns der Hunger nach nahrhafter Ergänzung. Im Haus am Campingplatz wollten wir nicht essen. Abermals an den Ruhebedürftigen vorbei, denn das obere Tor war immer noch verschlossen, verließen wir das Gelände. Und nahmen die Bar, die wir am Ortsanfang gesichtet hatten, in der Hoffnung, dass der Weg kürzer wäre, ins Visier. Leider ist es eine Albergue, wo man maximal Getränke ordern konnte. Taten wir auch und liefen den ganzen Weg zurück, nachdem wir uns Cafe und Cerveza einverleibt hatten.

Wieder den Abhang hinauf, führte uns der Weg, am Campingplatz-Areal vorbei, in das Dorf hinein. Ich will überhaupt nicht mehr laufen, ich möchte essen und dann in Bett. Leider rückte der Zeiger der Uhr nur träge vorwärts und der Gong der spanischen Essenszeit hatte noch lange nicht zugeschlagen. Wir möchten aber zuhauen, und zwar mit Messer und Gabel in Essbares. Vor einem Lokal ist ein großer bestuhlter Platz. Wolfgang geht in das Restaurant, erfragte die Essenszeit und rief mir zu, dass in einer halben Stunde die Küche angeheizt wird. Er verschwand wieder im Lokal.

Ich bekam noch ein Bier auf dem Platz vor der Bar serviert und der Wirt setzte sich zu mir. Er sprach mit mir spanisch, klar sind ja auch in Spanien. Viel von dem, was er mir erzählte, verstand ich auch. Ja – ja, Hape Kerkeling wäre ja auch in seinem Restaurant gewesen, hätte sich sogar in sein Gästebuch eingetragen. Dann hätte Hape ja auch ein Buch geschrieben und 2006 begann der Run auf den Pilgerweg. Viele – viele Menschen würden den Weg jetzt laufen. Aber den Anwohnern hier hätte das nichts gebracht. Ganz im Gegenteil, er war sehr wütend auf Hape. Millionen würden das Buch lesen, 200.000 Menschen wären im Jahr 2010 den Camino gelaufen. Und, ich sollte mich umschauen, wo sind denn die vielen Leute? Hier in seiner Bar? Nein, er merke überhaupt nix von den ganzen Pilgern. Stimmt, wir sind hier weit und breit die einzigen Gäste. Es läuft auch keiner an dem Lokal vorbei, es ist wie ausgestorben. Die meisten Pilger wollen weder für Unterkunft noch für Verpflegung viel Geld ausgeben. Für eine Spende lagern und essen sie dann in den Refugien. Der Trendsport von einigen Pilgern könnte auch heißen, ich bezahl nach Möglichkeit nix, was leider in Gesprächen vor den Alberguen bestätigt wurde. Ich merkte noch an, dass die Filmrechte an dem Buch verkauft wurden und bestimmt bald Filmaufnahmen auf dem Weg stattfinden würden. No - no, dass will er weder glauben noch hören. Entsetzen spiegelte sich in seinem Gesicht.

Wolfgang hatte die Innenräume ausgiebig inspiziert und mit der Kamera abgelichtet. Winkend zeigte er mir an, ich sollte hinein kommen. Noch irritiert von der Unterhaltung folgte ich seinem Handzeichen und betrat das Restaurant. Im vorderen Raum standen Tische aus Marmor mit Eisengestellen und passenden schwarzen Stühlen. Die Decke war mit in Folie verpackten Geldscheinen aus aller Welt verziert. Wir wurden in einen weiter hinten liegenden Raum, in dem Holz Vorrang hatte und die Tische schon eingedeckt waren, gebeten. Außer uns befand sich nur ein großer Hund, ich glaube er hieß Dali, in dem Gastraum. Gelangweilt strich er durch den Raum. Man konnte von unserem Platz in die halboffene Küche sehen und ein verführerischer Gewürzduft versprach, hier schmeckt nicht nur der Wein. So war es auch, unsere Gaumen jubelten über das geschmackvolle Essen. Verwöhnte Bande. Was wir denn als Dessert haben möchten, fragte die Wirtin, Eis oder Obstsalat. Och, Obstsalat hört sich gut an. Sie klaubte aus der im Raum stehenden Obstschale Früchte und ging wieder in die Küche. Nach dem leckeren Obstsalat noch einen Cafe. Liebend gern zahlten wir 10,00 € für dieses reichhaltige Pilgermenue, wir möchten auch nicht umsonst oder fast umsonst essen, sondern lieber gut.

Satt und zufrieden verließen wir das Lokal. Vor dem Restaurant treffen wir einen nach Nahrung suchenden Josef. Wir drei fallen uns vor lauter Freude in die Arme. Josef konnte unserem schwärmerischen Bericht über das Essen in dem Restaurant nicht widerstehen. Zack, saßen wir auch schon wieder im Lokal, das wir eine Minute zuvor verlassen hatten. Der Wirt dachte bei unserem abermaligen Erscheinen bestimmt an den Film “Und täglich grüßt das Murmeltier“. Er guckte uns jedenfalls so an.

Wir hatten eine Menge zu schnattern. Wir waren gemein und erzählten Josef von unserem Aufenthalt in dem netten Hotel in Isar, während er in der Albergue die Nacht nicht so gut verbracht hatte. Für heute hatte er in der Herberge am Ortseingang sein Lager aufgeschlagen und wäre schon einige Zeit auf der Suche nach einer Bar, die Pilgermenus anbot oder überhaupt eine Örtlichkeit zum Essen und Trinken. Bei dem Thema Schmerzen und Wehwehchen linsten Josef und ich grinsend in Richtung Wolfgangs Wade. Leider trafen ja unsere Wortspiele für die Ossobuco-Vorbereitungen bei Wolfgang auf wenig Gegenliebe. Er meinte aber mit der Bandage, die, die sein Bein so was von einschnürte, und den jetzt ergatterten richtigen Tabletten würde es wohl gehen.

Josef verdrehte genüsslich die Augen, während er das Menu zu sich nahm. Unglaublich, meinte er, als ihm der Obstsalat mit obenauf liegenden Kirschen serviert wurde und seine Augen kullerten wieder eine Runde beim Essen. Weil wir so ausgelassen waren, orderten wir auch noch drei Pacharan zur Abrundung des Abends. Noch seliger als zuvor verließen wir endgültig das Restaurant und machten uns auf den Rückweg.

Upps, es war sehr dunkel geworden, nicht weil es schon so spät war, mitnichten. Dunkle Wolken nahmen das Tageslicht. Sehr dunkle Wolken und es sah so aus, als wenn gleich der Reißverschluss geöffnet werden würde. Trotz der müden Wanderbeine zogen wir die flottere Sohle an. Liefen an dem natürlich geschlossenen Tor vorbei und konnten so Josef unsere Nachtstätte zeigen, von weitem, klar. So ging es wieder den Abhang hinunter, wo wir uns am Ende des Camping-Areals von Josef verabschiedeten und sich unsere Wege trennten. Umrundeten noch den Rest des Platzes um endlich zum einzigen, geöffneten Tor zu gelangen. Als wir das Gelände betraten, fielen die ersten dicken Tropfen vom Himmel. Diesmal gab es keine bösen “Ruhe“-Blicke, denn die Camper machten selber viel mehr Lärm. Sie mussten ihre Habseligkeiten vor dem inzwischen kräftiger wehendem Wind und dem nahenden Gewitter in Sicherheit bringen. Neben den Campern, in der ersten “Blickreihe“, hatte ein Bici seine Nachtstätte aufgeschlagen. Er hatte ein ca. 2,5 Meter langes und 0,70 Meter breites Zelt. Neben dem Zelt, in dem sein Fahrrad schon verstaut war, hatte er sich mit Luftmatratze und Schlafsack zurechtgelegt. Nun war er dabei, alles ins schmale Zelt zu wröngeln. Ja, Camping soll ja was mit Freiheit zu tun haben.

Nun platschten schon ganz fette Tropfen auf uns herab. Hechelnd rannten wir den Abhang hinauf - Hilfe – die Wäsche. Endlich waren wir oben angelangt. Der Wassersprenger nässte immer noch den Weg, wie schlau. Die Zecken waren mir nun so was von egal. Hin zur Leine, ich verfluchte den Trick mit den Sicherheitsnadeln, statt Wäscheklammern. Gefühlt sehr lange, zerrten wir an den Nadeln und der Wäsche, bis die Leine leer war und flitzten zu unserem Bungalöchen. Aufschließen und - puh – geschafft. Da trommelte nicht nur der Donnergott vom Blitzewerfen unterstützt, sondern auch der Regen auf das Dach unserer Behausung.

07.08.2011 Der Garten ruft, hack mich, denn es hatte gestern ordentlich geregnet. Ich lass ihn rufen, vor zwei Tagen hatte ich mir im Vorgarten eine Staublunge geholt. Wühle mich lieber durch das Land, wenn die Erde ausgetrocknet ist. Ach ja, auf dem Camino hatte es ja auch geregnet. Immer schön auf dem Weg bleiben, ab zurück.

Nun bezog jeder sein eigenes “Gemach“, Wuschi ließ selbstverständlich die Tür zu seinem Raum offen. Ich sollte wenigstens aus der Entfernung einen Teil, des hervorragenden Schnarchorchesters genießen können. Andere haben ja Wachhunde, die im Notfall bellen, wir brauchen keine, bei uns gibt der “Herr der Hütte“ Laut. Trotz Wein, Pacharan und rhythmisch klopfender Regentropfen, brauchte ich einige Zeit um mich dem Überfall des Schlafes zu ergeben. Bis es so weit war, zählte ich keine Schafe, sondern Kilometer, messe in Gedanken die extra Kilometer und komme auf 5 km zusätzlich.

Akribisch rechnete ich zu Hause, an Hand der Internetkarte, nach und komme auf lockere 12 km. Obwohl ich die Umrundungen des Campingplatzes und die Laufwege innerhalb des Geländes vernachlässigte. Vielleicht kommen die anderen Pilger so ja an ihre 30 km täglich?

Mails von Marge

Подняться наверх