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1.1.2 Jüdisch-nichtjüdische Beziehungen

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Die Beziehungen zwischen polnischen Juden und Christen waren vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch viele Gegensätze gekennzeichnet. Die Juden unterschieden sich von ihren christlichen Nachbarn nicht nur durch ihre religiöse Zugehörigkeit, sondern auch durch ihre Berufsstruktur, ihre Sitten und Gebräuche, sowie häufig durch ihr äußeres Erscheinungsbild. Oft lebten sie in eigenen Vierteln. Andererseits waren jedoch Kontakte zur christlichen Bevölkerung notwendig, so im ökonomischen Bereich. Ein Problem im Umgang miteinander stellte oft die Sprache dar. Nur ein geringer Teil der jüdischen Bevölkerung beherrschte Polnisch fließend. Gaben im Jahr 1897 lediglich dreieinhalb Prozent der Juden Polnisch als Muttersprache an, waren es 1931 rund zwölf Prozent. Zu dieser Zeit konnten weniger als zehn Prozent der jüdischen Bevölkerung als assimiliert gelten.21 Gerade das orthodoxe Judentum mit der Andersartigkeit der Religion, der Tradition, dem Aussehen und der eigenen Sprache war vielen ethnischen Polen fremd. Die christliche Bevölkerung stand den Juden nicht nur mit Neugierde, sondern häufig auch mit Vorurteilen und Neid gegenüber. Trotz der alltäglichen Begegnungen und Kontakte auf den Straßen, den Arbeitsstellen und in den Geschäften war das Verhältnis zwischen Juden und Christen vielfach von Distanz geprägt.22

Wie in anderen polnischen Städten kam es auch in Tarnów zu antisemitischen Übergriffen. So versammelte sich am 15. August 1870, dem katholischen Fest zu Mariä Himmelfahrt, ein antisemitischer Mob. Die Täter plünderten nicht nur jüdische Wohnungen, sondern übten auch Gewalt gegenüber ihren jüdischen Nachbarn aus. Rund 50 Häuser wurden ausgeraubt und etwa 30 Juden schwer verletzt. Ein Opfer starb an seinen Verletzungen.23 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs verschlechterten sich die Beziehungen zwischen beiden Bevölkerungsteilen kontinuierlich. Vielerorts kam es zu antisemitischen Ausschreitungen. Dies hatte zur Folge, dass ein Großteil der jüdischen Bevölkerung dem neugeschaffenen polnischen Staat mit großer Zurückhaltung begegnete und ihnen deshalb wiederum von polnischer Seite Antipatriotismus vorgeworfen wurde.24 So merkte der Historiker Heiko Haumann an, dass sich in den Unruhen dieser Jahre die Unzufriedenheit über Mangel, Not und Teuerung gegen Juden gerichtet habe, die man mit dem Klischee des Wucherers, Hamsterers oder Volksverderbers belegt habe, oder man habe sie als politische Feinde angesehen, die die neue Ordnung bekämpften.25


Abb. 2. Tarnów, im Hintergrund die Neue Synagoge, vermutlich 1930er Jahre.

Nach den Pariser Friedensverhandlungen verstärkte sich die antisemitische Stimmung im Land. Die Siegermächte hatten dem polnischen Staat am 28. Juni 1919 einen Vertrag vorgelegt, der auch einen Minderheitenschutz für die jüdische Bevölkerung Polens zum Inhalt hatte. Generell wurde jedoch auch der Antisemitismus der politischen Rechten nicht zuletzt aufgrund wahltaktischer Motive zusehends stärker. Bemerkbar machte sich dies bei den polnischen Wahlen im Jahr 1922. Als die Rechten weniger Stimmen als erwartet erhielten, folgten antijüdische Kampagnen und Übergriffe. In den nächsten Jahren beruhigte sich die Situation allerdings etwas und der offene Antisemitismus ging zurück. Zu dieser Entspannung trug Józef Piłsudski bei, der 1926 im Zuge des Maiputsches an die Macht gelangt war. In der Folgezeit kam es zwar zu einigen Erleichterungen für die Juden Polens, allerdings währte diese Situation nicht lange. Die Weltwirtschaftskrise, die Ende der 1920er Jahre einsetzte, entfachte eine neue Welle des Antisemitismus, die auch vor dem polnischen Staat nicht Halt machte und sich alsbald in der offiziellen Regierungspolitik niederschlug. Innerhalb der christlichen Bevölkerung manifestierte sich der Antisemitismus nun auch in der Mittelschicht und unter Akademikern. Angesichts der ökonomischen Krise sahen diese ihren Status bedroht. Erneut kam es zu Boykottaktionen jüdischer Geschäfte. Die Stimmung radikalisierte sich nach dem Tod Piłsudskis im Jahr 1935. Eine Reihe antisemitischer Verordnungen wurde erlassen, die das Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung in Polen stark einschränkte. Beispielsweise führten Universitäten einen Numerus Clausus ein, in Folge dessen die Zahl der jüdischen Studenten drastisch zurückging. Viele Berufsverbände nahmen „Arierparagraphen“ in ihre Verbandssatzungen auf; 1936 wurde ein Schächtverbot erlassen. Zudem nahm die Regierung den Boykott jüdischer Geschäfte im Zuge der „Polonisierung der Wirtschaft“ billigend in Kauf. Allerdings wurde das antisemitische Klima im Land nicht nur von Seiten der Parteien und des Staates toleriert und gefördert, sondern auch die katholische Kirche vertrat antijüdische Einstellungen und bediente sich in ihren Äußerungen ebenfalls klischeebehafteter Stereotype gegenüber der jüdischen Bevölkerung.26

In den frühen 1930er Jahren nahmen auch in Tarnów die judenfeindlichen Kampagnen zu. So wurden in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1931 mehrere antisemitische Flugblätter verteilt, die einen Zusammenhang zwischen der Weltwirtschaftskrise und dem Judentum herstellten. Die Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, nichts mehr bei Juden zu kaufen.27 Auch in den kommenden Jahren gingen antisemitische Übergriffe in der Stadt nicht zurück. Im Jahr 1936 wurden die Fenster mehrerer jüdischer Gebäude demoliert.28 Mitte des Jahres 1937 wurde der ethnische Pole Aleksander B. verurteilt, weil er wenige Monate zuvor antijüdische Propaganda auf einer Hauswand angebracht hatte. Die Strafe fiel allerdings sehr mild aus. Der Täter hatte die Wahl zwischen einer viertägigen Freiheitsstrafe und der Bezahlung eines geringfügigen Bußgeldes.29 Dass jedoch selbst innerhalb der polnischen Polizei antisemitische Ressentiments vorherrschten, belegt der folgende Fall: Im Januar 1934 wurde der 28-jährige Pinkas I. aus Szczurowa von Studenten in Tarnów angegriffen. Als er sich zur Befragung im örtlichen Polizeikommissariat befand, wurde dem jungen Mann nicht geholfen. Die zwei Polizeibeamten beleidigten ihn vielmehr, unter anderem mit den Worten: „Was willst du hier, du dreckiger Jude? Wenn du deine Rechte möchtest, geh nach Palästina!“30

In den Erinnerungen jüdischer Überlebender, die die 1930er Jahre als Kinder erlebten, waren antisemitische Einstellungen christlicher Einwohner vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch äußerst präsent. William Kornbluth gab in seinen Memoiren an, während der Schulzeit häufig von christlichen Kindern beleidigt und geschlagen worden zu sein.31 Samuel Goetz’ Bruder, dessen Eltern entschieden hatten, ihren Sohn auf eine öffentliche Oberschule zu schicken, litt ebenfalls unter antisemitischen Anfeindungen: „Er beschwerte sich häufig zu Hause über die antijüdischen Äußerungen, die seine Klassenkameraden gegenüber ihm tätigten, und er wurde häufig aufgrund seiner jüdischen Herkunft gehänselt und bei mehreren Gelegenheiten nach der Schule schikaniert.“32 Aber auch außerhalb des Schulumfelds wurden jüdische Kinder zu Opfern des Antisemitismus. So berichtete Ian Lichtig, der als Kind einer zionistischen Organisation angehörte, von entsprechenden Erlebnissen, die sich während eines Ferienlagers der Organisation ereigneten.33 Allerdings machten die Menschen nicht nur negative Erfahrungen in Bezug auf die Einstellung und das Verhalten ihrer christlichen Nachbarn. Der Überlebende Naftali Frankel berichtete vom Umzug der Familie von einer strikt jüdischen Nachbarschaft in eine religiös heterogene Wohngegend. Obgleich es keine „nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den Gläubigen der Religion gab“, so Frankel, konnte er jedoch auch keine „Diskriminierung zwischen beiden Gruppen“ feststellen.34

Es bleibt festzuhalten, dass während der Zwischenkriegszeit in allen Bereichen des alltäglichen Lebens ein latent vorhandener Antisemitismus vorherrschend war. Tarnów, wo fast fünfzig Prozent der Einwohner jüdischen Glaubens waren, bildete keineswegs eine Ausnahme. Vor allem in den 1930er Jahren überwogen in Polen die Gefühle von Andersartigkeit und Fremdheit gegenüber der jüdischen Bevölkerung, die nicht zuletzt durch die vermeintliche Gefährdung, die durch die Juden in wirtschaftlicher Hinsicht ausging, begründet wurde. Juden und ethnische Polen entfernten sich immer mehr voneinander, wobei diese Tendenz kurzfristig durch die äußere Bedrohung Polens durch das Dritte Reich abgemildert wurde.35 Der jüdische Historiker Emmanuel Ringelblum äußerste sich hierzu folgendermaßen: „Kurz bevor der Krieg ausbrach, kam die polnische Gemeinde zur Vernunft. Nun verstand man, dass der Antisemitismus in Polen eine Waffe in Hitlers Hand war. Die Dinge waren etwas ruhiger; die antisemitische Presse, offenbar auf Anweisung, änderte ihren Ton und beendete die Hetze gegen die Juden. Die jüdische Frage, die das gesamte Leben des Landes in Form von Marktständen, Schächten und Numerus Clausus dominierte und all ihre wirklich drängenden Probleme überschattete, verschwand von der politischen Bühne. […] Selbst die leidenschaftlichsten Antisemiten begriffen, dass Juden und Polen in dieser Zeit einen gemeinsamen Feind hatten.“36

Die Shoah im Distrikt Krakau

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