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b) Das Rittertum

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Das Hochmittelalter war ohne jeden Zweifel eine Zeit offener Gewalt, die im 11. Jahrhundert sogar an Schärfe zunahm. Dies überliefern nicht nur die erzählenden Texte: In der Rechtsprechung etwa ging man dazu über, bislang durch Bußleistungen gesühnte Vergehen körperlich, mit Verstümmelung oder dem Tod, zu bestrafen – zugleich Beantwortung und Ausdruck einer allgemeinen Militarisierung der Gesellschaft. Diese hing nicht zuletzt mit dem Fehlen einer effektiven Zentralmacht zusammen. Die Spaltung und faktische Auflösung des Karolingerreichs insbesondere im Westen ließ nämlich ein herrschaftliches Vakuum entstehen, das zunehmend von lokalen Machtträgern ausgefüllt wurde. Diese stützten sich dazu auf berittene Kämpfer, so genannte milites (Ritter). Dies war ihre Epoche, die Zeit, in der sie zur Macht aufstiegen. Manche von ihnen waren aufgestiegene freie Bauern, viele andere stammten von Amtsträgern ab. Sie erfüllten im Namen ihrer Herren Verwaltungsaufgaben und genossen in Einzelfällen beträchtliche Unabhängigkeit. Sichtbares Zeichen hierfür waren die Ritterburgen, die seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts in immer größerer Zahl die Landschaft überzogen. Es ist in der Forschung umstritten, ob es diesen kleineren Kriegsherren überall gelang, eine quasi autonome Stellung einzunehmen, ob sich dieser Wandel schlagartig vollzog und ob dies durchweg mit einer Unterdrückung der zuvor freien Bauernschaft einher ging. Aber es ist unbestreitbar, dass der Aufstieg dieser Kriegerelite ein bedeutendes Merkmal der Zeit war und als wesentliche Grundlage für die Entstehung der Kreuzzüge anzusehen ist.

Die Ausrüstung des Ritters

Was den Ritter äußerlich von anderen Kämpfern unterschied, war sein Pferd und – davon abhängig – seine Bewaffnung. Diese bestand in erster Linie aus der Lanze, die unter den Arm geklemmt wurde und dem Ritter beim berittenen Angriff eine furchtbare Durchschlagskraft verlieh. Diese Wirkung wurde noch gesteigert, wenn die Ritter in geschlossener Formation angriffen, was zur Gruppensolidarität der Berittenen beitrug. Ihre Kriegerkultur beruhte wesentlich auf den Idealen militärischer Härte, Fertigkeit und Ehre. Was das junge Rittertum des 11. Jahrhunderts noch nicht kennzeichnete, waren die Heraldik, die Zeremonien und die höfischen Verhaltensregeln späterer Zeiten. Diese Ideale sollten erst die Kreuzzüge des ausgehenden 12. Jahrhunderts und nachfolgende Unternehmen prägen. Die Ausrüstung eines Ritters – vom Langschwert über das Kettenhemd und die Sporen bis zum wichtigsten Element, dem Pferd – war außerordentlich teuer. Sie konnte nur finanziert werden, wenn der Ritter über beträchtliche Mittel verfügte. Dabei handelte es sich in aller Regel um Grundbesitz. Man schätzt, dass ein gepanzerter Reiter über die Einnahmen aus 12 „Hufen“ (bäuerlichen Wirtschaftsbetrieben) verfügen musste, um Pferd und Bewaffnung zu finanzieren.

Der Ritter bedurfte auf dem Feld der Unterstützung – sei es in Form von Dienern und Knechten, die ebenfalls bei Bedarf zur Waffe griffen, sei es in Form von Fußsoldaten. Ein Ritter stand daher nicht allein, sondern bildete das Zentrum einer kleinen militärischen Einheit. Zwar stellten die adligen Herren und Ritter nur ca. 10–15 % der größeren Kreuzzugsheere, denn der päpstliche Aufruf zum Zug ins Heilige Land ergriff schlichtweg Männer und Frauen aller Schichten. Aber die milites empfanden sich zu Recht als das militärisch wichtigste Element und wurden auch von anderen so gesehen. Es waren diese Ritter, die Urban II. in erster Linie im Visier hatte, als er seinen Aufruf zum Kreuzzug hielt, es war ihre Gedankenwelt, die er und spätere Päpste in vielfältigen Anspielungen ansprachen. Wie gelang es der Kirche aber, diese neue, dem Krieg verpflichtete Gruppe in den Dienst Christi und der Kirche zu stellen?

Der Gottesfriede

In manchen Gegenden Europas führte die Schwäche zentraler, vor allem judikativer Gewalten und die Macht der Ritter zu großen Missständen: Bewaffnete trugen ihre Streitigkeiten, so genannte Fehden, militärisch und auf Kosten wehrloser Kleriker, Frauen oder Bauern aus. Um diesem Missstand zu begegnen, versah sich der Klerus in Aquitanien, Burgund und Nordfrankreich zum Ende des 10. Jahrhunderts darauf, den so genannten Gottesfrieden (pax Dei) für ungeschützte Bevölkerungsgruppen zu propagieren. Außerdem legte er bestimmte Perioden (treuga Dei) fest, in denen nicht gekämpft werden durfte. Wer hiergegen verstieß, wurde nicht nur mit der Exkommunikation bestraft: In einigen Bereichen wurden auch weltliche Herrschaftsträger zu Garanten der Durchsetzung bestimmt. Diese verpflichteten sich durch Schwüre auf heiligen Reliquien dazu, gegen die Friedensbrecher vorzugehen, und erhielten hierfür den Segen der Kirche. Zwar ging die Gottesfriedensbewegung in den erwähnten Gebieten um 1030 zu Ende, doch wurde der Gedanke eines allgemeinen oder zeitlich gebundenen Friedens- und Eintrachtsbündnisses (pax et concordia) anderswo, etwa in Flandern, Lothringen und im Rheinland, unmittelbar vor dem Ersten Kreuzzug wieder aufgegriffen. Auch das Papsttum und der Kaiser riefen zu dieser Zeit verschiedentlich zur Durchsetzung des Friedens auf.

Damit kamen Gottesfrieden und treuga Dei verschiedenen Interessen entgegen: Sie gaben lokalen Machtträgern ein von breiten Bevölkerungsgruppen begrüßtes Mittel an die Hand, die Willkür der Ritter einzuschränken. Für unseren Zusammenhang ist jedoch wichtiger, dass sie auch die Position der Kirche stärkten, denn diese übernahm hierdurch eine wichtige Rolle in der Friedenssicherung. Zudem trugen diese Initiativen dazu bei, den Kampf gegen Glaubensbrüder zu diskriminieren, auf die Vorstellungswelt der Ritterschaft einzuwirken und diese dadurch zu „verchristlichen“. Der feierliche, religiöse Eid ist hierfür ein Beleg, der zugleich auf die Kreuzzüge hindeutet. Es ist bezeichnend, dass Urban II. zeitgleich mit dem Aufruf zum Kreuzzug einen Gottesfrieden verkündete, der sich auch auf die Güter der Kreuzfahrer erstreckte. Zwar besaß der Gottesfrieden für die Entwicklung des Kreuzzugsgedankens nicht das gleiche Gewicht wie manche andere Vorstellungen und Phänomene. Aber er stellte als kirchlicher Aufruf an Ritter, sich zum Wohle von Mitchristen eidlich zur Anwendung militärischer Gewalt zu verpflichten, eine Vorstufe für die Kreuzzugsbewegung dar.

Chansons de Geste

Manche späteren Kreuzfahrer hatten vor dem Konzil von Clermont mit kirchlicher Billigung gegen Muslime gekämpft – sei es in Byzanz, auf Sizilien oder in Spanien. Vor allem der Konflikt auf der Iberischen Halbinsel wurde auch zum literarischen Stoff: Um die Figur Karls des Großen entstand eine Serie epischer, mündlich tradierter Erzählungen, so genannte Chansons de geste, in denen vom legendären Zug des Kaisers gegen die Muslime erzählt wurde. Dieser Erzählstoff war im 11. Jahrhundert im Adel insbesondere Frankreichs sehr beliebt und trug seinen Teil dazu bei, den Kampf gegen Muslime aufzuwerten und zu sanktionieren. Doch offenbar sahen die Streiter einen qualitativen Unterschied zwischen den Auseinandersetzungen auf der Iberischen Halbinsel und den Zug in den Nahen Osten. Der Aufruf von Clermont wirkte auf die Ritter durchaus als etwas Neues, Eigenes. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, dass Papst Urban und spätere Kreuzzugsprediger mit ihren Worten in bislang unbekannter Weise an elementare Vorstellungen dieser Bevölkerungsgruppe anknüpften. Wie war dieses Selbstverständnis beschaffen, aus welchen Gründen griffen die Ritter zum Wohle des Herrn zu den Waffen?

Wirtschaftliche Interessen

Verschiedentlich sind die wirtschaftliche Motive der Kreuznahme herausgestellt worden. Der finanzielle Aufwand für die Teilnahme an einen Kreuzzug war enorm. Man schätzt, dass hierfür die Einnahmen eines Ritters von fünf bis sechs Jahren verschlissen wurden. Häufig mussten deswegen Besitzungen veräußert und Kredite aufgenommen werden; die erhaltenen Urkunden zeugen von diesen Notfinanzierungen. Dass es sich hierbei um eine Form der Investition handelte, mit der man in der Ferne reichen Gewinn zu machen erwartete, entspricht modernem, weniger zeitgenössischem Denken. Die Kreuzfahrer – schon die Ersten, noch mehr aber ihre Nachfolger – wussten, dass sie sich auf ein äußerst gefährliches Wagnis einließen, von dem sehr viele nicht zurückkehren würden. Hierauf soll schon Urban II. nach Ausweis späterer Chroniken hingewiesen haben (s. Quelle), aber auch zeitgenössische Testamente der Kreuzfahrer zeugen von der realistischen Einschätzung der Gefahren.

Q

Der Aufruf zum Martyrium in den Predigten Urbans II. nach dem Konzil von Clermont

Zit. nach: Gesta Francorum et aliorum Hierosolimitanorum (I, 1), S. 2ff.

Der Herr Papst sagte außerdem: „Brüder, Ihr werdet viel für den Namen Christi leiden müssen: Leid, Armut, Nacktheit, Verfolgungen, Entbehrungen, Krankheiten, Hunger, Durst und Ähnliches mehr, denn Christus hat zu seinen Anhängern gesagt: ‚Ihr müsst viel in meinem Namen leiden‘ …“ [Apg 9,16].

Die wenigsten von denen, die tatsächlich Palästina erreichten und die Kämpfe überlebten, ließen sich dort nieder. Die Aussicht auf eine neue Heimat kann diese Kämpfer also kaum motiviert haben. Neueste Forschungen haben denn auch gegen ältere Ansichten belegt, dass wirtschaftliche Faktoren wie die Hoffnung auf neue Wohngebiete oder demographischer Druck für die Kreuzfahrer wenig bedeutend waren. Erst nach der Errichtung der lateinischen Herrschaften in Palästina kam es zu einer nennenswerten Siedlungsbewegung, die aber nicht mit den Kreuzzügen gleichzusetzen ist. Das heißt jedoch nicht, dass es in dieser Hinsicht keine Ausnahmen gab: Gerade bei manchen Anführern des Ersten Kreuzzugs wie den Normannen Tankred (* um 1076, † 1112) und Bohemund (*1050/1058, † 1111) oder bei Balduin von Boulogne (*1058, † 1118) scheint der Wunsch nach einer eigenen Herrschaft nicht fern gewesen sein. Doch die erhaltenen Testamente von Kreuzfahrern belegen, dass sich die Ritter in aller Regel über die Lebensgefahr im Klaren waren und nicht mit der Erlangung großer Reichtümer rechneten. Was die meisten von ihnen und grosso modo die meisten anderen Waffenträger zur Teilnahme an einem Kreuzzug veranlasste, waren eher innere Beweggründe bzw. Ideale (s. Ritterliches Bewusstsein).

E

Ritterliches Bewusstsein

Ritterliche Familien waren besonders stark von drei Faktoren geprägt: Familienbewusstsein, Lehnswesen und Ehrvorstellungen. Hieran knüpften die päpstlichen Aufrufe, nicht nur derjenige Urbans II., an. Die von den Muslimen bedrohten griechischen Christen wurden nach Ausweis des Chronisten Balderich von Dol als Blutsverwandte bezeichnet, denen es zu helfen gelte. Später, im 12. und 13. Jahrhundert, konnte dieses Argument ganz unmittelbar verstanden werden, hatte doch mancher Ritter wirklich Verwandte, die in die „Kreuzfahrerstaaten“ ausgewandert waren, oder Vorfahren, die sich bereits als Kreuzfahrer ausgezeichnet hatten. Anklänge an adlige Lehnvorstellungen wiederum werden in den Kreuzzugsaufrufen dann erkennbar, wenn auf den Verlust des angestammten Besitzes hingewiesen wird; dies tat Urban II. nach Ausweis Balderichs von Dol mit Blick auf die Ostchristen und später noch eindringlicher der Theologe und Kreuzzugsprediger Bernhard von Clairvaux (*1090, † 1153), indem er Palästina als das Eigentum des Herrn, das patrimonium Christi, bezeichnete. Christus sei von seinem Besitz vertrieben worden, und jeder miles Christi, jeder Ritter des Herren, habe in den Kampf zu ziehen, um seinen obersten Herren wieder in sein Recht einzusetzen. Hier wurde nicht nur die feudale Dienstpflicht abgerufen, die Ritter wurden auch an ihrem Ehrgefühl gepackt: Schließlich war Christus selbst durch den Verlust seiner Heimat entehrt worden, und auch die Lebensverhältnisse der bedrohten oder unterdrückten Mitchristen wurden in Bildern beschrieben, die besonders entehrend waren. Daran, dass die Kreuzzüge aus christlicher Sicht legitimiert waren, bestand in den Augen der Ritterschaft daher kein Zweifel.

Die Verchristlichung des Ritterstands war schon mit der Gottesfriedensbewegung in Gang gesetzt worden. In der Folge wurde der Begriff des miles Christi, der ursprünglich für den mit geistlichen Waffen zum Wohle Gottes wirkenden Kleriker gebräuchlich war, auf Bewaffnete übertragen. Als ein solcher zog der Kreuzfahrer also in den Kampf, um seinen Herren vielleicht zu rächen, auf jeden Fall aber wieder in sein Erbe, die hereditas Christi, einzusetzen. Diese Vorstellungen waren aufs Engste mit der ritterlichen Lebenswelt verbunden. Sind sie aus den Briefen und Urkunden der Teilnehmer am Ersten Kreuzzug nachträglich zu rekonstruieren, so wurden sie von Chronisten, Päpsten und Kreuzzugspredigern des 12. Jahrhunderts auch ganz gezielt angesprochen. Doch gab es auch weitere, ebenso starke Motivationen, sich einem Kreuzzug anzuschließen, die sowohl auf das Diesseits als auch auf das Jenseits zielten. Hierzu zählte auch das Pilgerwesen.

Die Kreuzzüge

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