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1.1.6 „Pastoral“ im Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils

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In kaum zu überbietender Weise kann man das, was mit „Kommunikation des Evangeliums“ gemeint ist, in dem programmatischen Einleitungssatz der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgedrückt finden: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger (sc. und Jüngerinnen) Christi“ (GS 1).9 Damit bekundet das Konzil, wie es die Überschrift zu diesem einleitenden Teil der Konstitution ausdrückt, „die engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie“; die Kirche ist in diese eingefügt und nimmt teil an ihrer Geschichte. Sie ist nicht auf einem anderen Stern angesiedelt, von dem her sie mehr oder weniger teilnahmevoll die auf dem Erdball ablaufenden Ereignisse verfolgen und gelegentlich versuchen würde, regulierend in sie einzugreifen. Sondern sie steckt mitten in ihnen drin, ist nicht zuletzt auch an negativen Entwicklungen mitbeteiligt. Und ihr geht es um nichts anderes als um die „Verwirklichung des Heils der ganzen Menschheit“, indem sie „das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (GS 45).

Jenseits einer vormals nicht selten an den Tag gelegten Besserwisserei und daraus abgeleiteten Vormundschaftsansprüchen gesteht das Konzil freimütig ein, dass auch die Kirche über keine fertigen Antworten für alle heutigen Fragen, die die Menschen bewegen, verfüge (GS 33), und gibt darüber hinaus zu verstehen, dass sie ihrerseits von der „Welt“ noch und angesichts der rasanten Entwicklung immer neu Manches zu lernen habe (GS 44). Das Konzil erteilt jeglichem „irdischen Machtwillen“ der Kirche eine Absage (GS 3) und erklärt sich bereit, auf überkommene Privilegien in der Gesellschaft zu verzichten (GS 76). Was es einzig und allein will, ist, „allen Menschen unserer Zeit [zu] helfen, ob sie an Gott glauben oder ihn nicht ausdrücklich anerkennen, klarer ihre Berufung unter jeder Hinsicht zu erkennen, die Welt mehr entsprechend der hohen Würde des Menschen zu gestalten, eine weltweite und tiefer begründete Brüderlichkeit (sc. und Schwesterlichkeit) zu erstreben und aus dem Antrieb der Liebe in hochherzigem, gemeinsamem Bemühen den dringenden Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden“ (GS 91).

So zu handeln – „zu retten, nicht zu richten; zu dienen, nicht sich bedienen zu lassen“ (GS 3) –, drängt sich der Kirche und ihren Gläubigen aus ihrer in Gottes Schöpfungsbund und Erlösungstat gestifteten Verbundenheit mit der ganzen Menschheit heraus gleichsam zwangsläufig auf. Wie der in Jesus von Nazareth Mensch gewordene Gott das Schicksal der Menschen seiner Zeit – und darüber hinaus – geteilt hat, so teilen es ihrerseits Menschen, die in seine Nachfolge gehen, Freude ebenso wie Trauer, Hoffnung ebenso wie Angst. Eine kriteriologische Funktion kommt dabei den Armen und Bedrängten zu; ihr Wohlergehen ist entscheidend für das Wohlergehen aller anderen – eine klare Absage an jene neoliberalistischen und sozialdarwinistischen Vorstellungsmuster, wie sie seit einiger Zeit immer unverhohlener propagiert und praktiziert werden.

Ein wesentlicher Anstoß zu einem solchen Verständnis von „pastoral“ geht auf den das Konzil inauguriert habenden Papst Johannes XXIII. zurück: Den Sinn und den Auftrag dieses Konzils sah er darin, nicht länger vorrangig um die Bewahrung einer als „an sich“ und absolut gültig, d. h. von jeder Bezogenheit gelöst betrachteten wahren Lehre besorgt zu sein und dabei die Menschen, der die Lehre eigentlich zu gelten hat, zu vernachlässigen. Eine Kirche, die sich so von den Menschen entfremdet habe, so betonte er selbstkritisch, dürfe sich nicht wundern, wenn sich die Menschen ihrerseits von der Kirche entfremden würden. Es müsse darum alles getan werden – und darum war es Johannes XXIII. zu tun –, dass sie zu ihrer in der Offenbarung, die um der Menschen willen und nicht „an sich“ erfolgt sei, grundgelegten Sendung zurückfinde. Das Konzil sollte einen wesentlichen Impuls dazu setzen, indem es dem „vorrangig pastoralen Charakter“ des Lehramtes konsequent Rechnung trug.

Pastoral – so muss der Deutlichkeit halber ausdrücklich vermerkt werden – bekommt hier eine völlig andere Bedeutung, als sie damals und teilweise immer noch innerkirchlich gängig war; stand dieser Begriff doch für alles das, was mit der Umsetzung und Anwendung der „rechten Lehre“ (Orthodoxie) zu tun hatte. Es gab somit ein klares hierarchisches Gefälle: Die kirchliche Doktrin hat den höchsten und unangreifbaren Rang inne; aus ihr wird folglich alles andere – das „Disziplinäre“ – abgeleitet. „Pastoral“ im Sinne von Johannes XXIII. meint nicht einfach eine Umkehrung dieser Rangordnung, so als solle das Disziplinäre dem Doktrinären vorgegeben werden. Sondern pastoral zu sein, d.h. dort zu sein und zu wirken, wo Gott ist und wirkt, nämlich wo die Menschen sind und für sie da zu sein, und so Gott die Ehre zu geben, macht das Wesen der Kirche insgesamt aus – also nicht nur ihre praktische, sondern auch und gerade ihre lehrhafte Seite. Genau dieses beinhaltet der programmatische Aufruf Johannes XXIII. zu einem „aggiornamento“ der Kirche, womit er auf alles andere als ihre „Anpassung an den Zeitgeist“ zielte, wie ihm manche vorwarfen, sondern auf eine Kirche, die es versteht, den Glauben jeweils für die Menschen von heute als das, was er ist, also als heilend und befreiend erfahrbar werden zu lassen.

Für E. Klinger markiert dies nicht weniger als einen „Wendepunkt in der Kirche“ mit entsprechenden tief greifenden und nachhaltigen Konsequenzen: „Sie stellt die Tradition vom Kopf auf die Füße; diese war bis dahin selbst eine Quelle der Offenbarung. Man konnte von ihr her alles, was nicht zu ihr gehört, bewerten. Nun aber heißt es: Die Kirche vermag dem eigenen Glauben und seiner Tradition nicht beredter Ausdruck zu geben, als wenn sie ihn von den Menschen her versteht, an die sie sich wendet, ihre Würde achtet, ihre Rechte anerkennt, Dialog mit ihnen führt; denn ihr Ziel ist die Rettung der menschlichen Person. Es geht ihr um den rechten Aufbau der Gesellschaft. Der Mensch, der eine und ganze Mensch steht im Zentrum ihres Auftrags. Sie kann ihn nicht erfüllen, wenn sie ihn nicht vom Andern her versteht. Dieser Perspektivenwechsel … hat grundlegenden Charakter. Man kann seine Bedeutung nicht hoch genug einschätzen … Die Pastoralkonstitution ist eine Methode des Wandels der Kirche von einer Kirche überhaupt zu einer Kirche der heutigen Welt“ (451, 77f.).

Einführung in die katholische Praktische Theologie

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