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1.1.7 Kirche – nicht nur Religionsgemeinschaft, sondern „Pastoralgemeinschaft“

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Wenn der zitierte Einleitungssatz der Pastoralkonstitution Wesentliches über das Christ-Sein aussagt, dann gilt dies auch für die Kirche. Negativ formuliert besagt er: Wer sich nicht mit den Menschen um sich herum – nah und fern – freut und mit ihnen hofft, wer nicht mit ihnen trauert und sich mit ihnen ängstigt, der mag sich zwar für fromm und tugendhaft halten und mag dies auch sein; er oder sie kann allerdings nicht für sich in Anspruch nehmen, Jünger oder Jüngerin Christi zu sein. Und eine Gemeinschaft von so eingestellten Menschen mag sich selbst durchaus als eine religiöse Gemeinschaft verstehen; sie ist aber keine, die in der Nachfolge Jesu Christi steht.

In diesem Zusammenhang erweist sich die von H.-J. Sander getroffene Unterscheidung zwischen „Religionsgemeinschaft“ und „Pastoralgemeinschaft“ als weiterführend. „Kirche“, so erläutert er, „ist dieses beides, eines ist die Kirche in ihrer göttlichen Realität, aber das andere ist sie in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit. Die Kirche steht für eine Religion, das Christentum, und sie wird von einer Pastoral konstituiert, dem Tun des Evangeliums. Sie hat allen Menschen Heil zu bieten und sie muss dafür wider das Unheil auftreten, das alle bedroht“ (485, 15). Folgt man der Konzilsterminologie mit seiner Unterscheidung der Sichtweise von Kirche „ad intra“ (nach innen) und „ad extra“ (nach außen), so entspricht nach Sander die Religionsgemeinschaft der Innensicht von Kirche und die Pastoralgemeinschaft ihrer Außensicht. Ohne deswegen aufhören zu müssen bzw. zu können, religiös zu sein, so argumentiert Sander weiter, ist vom Evangelium her eindeutig dem Pastoralen gegenüber dem Religiösen eine Priorität einzuräumen. „In dieser Weise“, so führt er aus, „ist die eigene Pastoralgemeinschaft der Kirche vorgegeben, und zwar von zwei Mächten, über die die Kirche nicht verfügen kann, die aber ihrerseits über sie verfügen: Gott und die Situation der Menschen von heute. Für beide hat sie da zu sein … In der Pastoral kann sie sich weder die Menschen aussuchen, mit denen sie in Kontakt treten will, weil sie alle von Gott berufen sind, Menschen zu werden und nicht einfach Unmenschen zu sein. Entsprechend kann diese Pastoralgemeinschaft nicht den Themen ausweichen, mit denen die humane oder inhumane Lage der jeweiligen heutigen Zeit zu bestimmen ist. Vor Gott und den Menschen ist die Kirche nicht das Subjekt ihrer selbst. Sie ist dem unterworfen, was Gott ist und was die Lage der Menschen ist. Das ist ihre pastorale Konstitution, und daraus baut sich die Pastoralgemeinschaft der Kirche auf“ (ebd.).10

In diesem Sinne schärft es die Pastoralkonstitution als wesentliche Aufgabe ein: „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4). Für eine Kirche und eine Theologie, die ihre besondere Dignität darin sehen, dass sie sich mit den höchsten, nämlich den ewigen Wahrheiten beschäftigen, wäre es ein Unding und käme es einer unehrenhaften Degradierung gleich, sollten sie sich um Dinge des alltäglichen Lebens kümmern und sich damit auf Vorläufiges und Kontingentes einlassen. Genau das mutet jedoch nach der Pastoralkonstitution das Evangelium der Kirche zu: Eine Kirche, die nah bei den Menschen und unter ihnen sein willen, muss – um es metaphorisch auszudrücken – „den Puls der Zeit“ erfühlen; sie muss erschnuppern, was „in der Luft liegt“. Ein wegweisendes Beispiel dafür hatte Johannes XXIII. in seiner Enzyklika „Pacem in Terris“ (1963) gegeben; aus der Vielfalt der die damalige Zeit bewegenden Phänomene charakterisiert er die folgenden ausdrücklich als „Zeichen der Zeit“, also als etwas, was vom Glauben her als Hinweis Gottes gedeutet werden kann, dass das, was sich hier ereignet, in besonderer Weise mit seinem Willen in Verbindung steht: das Ringen der Arbeiterschaft um ihren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, die Emanzipationsbewegung der Frauen, den Selbstbestimmungswillen der Kolonialvölker, die Forderung nach institutionell-juristischer Verankerung und Wahrung der Menschenrechte sowie die Entlarvung des Rüstungswahnsinns (vgl. PT 40 – 44. 126 – 129). Die Pastoralkonstitution knüpft daran an und führt ergänzend folgende „Zeichen der Zeit“ an: die Menschenrechtsbewegung, die Einswerdung der Welt infolge wirtschaftlicher Verflechtungen und kommunikationstechnologischer Vernetzungen sowie die naturwissenschaftlich-technische Revolution (vgl. GS 9f. 26f. 36. 42 u.ö.).

Für die Kirche heißt das, dass sie sich von ihrem Auftrag her vorrangig genau in diesen Bereichen zu engagieren und mit den dort sich einsetzenden Protagonisten zu solidarisieren hat. Dass das nicht nach Art einer plumpen Anbiederung geschehen kann, versteht sich von selbst; selbstkritisch muss die Kirche vielmehr eingestehen, dass sie die „Zeichen der Zeit“ nicht beachtet hat, weil sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Von daher hat sie allen Grund, erst einmal von den anderen zu lernen und ein Gespür für das Wirken des Heiligen Geistes auch außerhalb ihrer eigenen Reihen zu entwickeln. Ausdrücklich zeigt sich das Konzil für solche Begegnungen, die ihr „von außen“ dazu verhelfen, ihre Wahrheit und ihre Sendung besser zu verstehen und auf eigene Versäumnisse und Fehler aufmerksam zu werden, dankbar (vgl. GS 43f.).

Was die Kirche „nach außen“ praktiziert, kann für sie „nach innen“ hin nicht ohne Rückwirkungen bleiben. Mehr noch: Letztlich lässt sich eine solche Aufteilung – nach innen und nach außen – gar nicht aufrechterhalten. Denn Kirche ist wesentlich das, was ihre Berufung ausmacht, nämlich den Menschen die sie frei machende Botschaft von der Liebe Gottes zu ihnen nahe zu bringen. Das muss sich bis in ihre interne Verfasstheit hinein niederschlagen; sie ist zu nichts anderem da, als der Kirche zur Erfüllung ihrer Berufung zu verhelfen, und muss, um dies glaubwürdig tun zu können, sich selbst nach den Prinzipien gestalten, die sie „nach außen hin“ verkündigt. Ausdrücklich fordert die Pastoralkonstitution dieses in ihrem Schlusswort ein, das als bleibendes Vermächtnis des Konzils an die Kirche gelesen werden darf: „Die Kirche wird kraft ihrer Sendung, die ganze Welt mit der Botschaft des Evangeliums zu erleuchten und alle Menschen aller Nationen, Rassen und Kulturen in einem Geist zu vereinigen, zum Zeichen jener Brüderlichkeit, die einen aufrichtigen Dialog ermöglicht und gedeihen lässt. Das aber verlangt von uns, dass wir vor allem in der Kirche selbst, bei Anerkennung aller rechtmäßigen Verschiedenheit, gegenseitige Hochachtung, Ehrfurcht und Eintracht pflegen, um ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen, die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien. Stärker ist, was die Gläubigen eint als was sie trennt. Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe“ (GS 92).

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