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Dierk

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„Mama, Mama, bist du da?“ Immer wieder das gleiche Spiel. Dierk zog geräuschvoll die Haustür hinter sich zu. Nur hatte er heute keine Zeit für Versteckspiele. `Zur Not finde ich sie heute halt mal nicht´, dachte er und schämte sich gleich ein wenig. `Die Polin kommt in zwei Stunden. Also kein Grund für ein schlechtes Gewissen.´ Er hielt inne. Die letzten Monate, in denen mit Margot alles schlimmer geworden war, hatten ihn gelehrt, zunächst die Sinne walten zu lassen. Er spürte: nichts. Weder übertriebene Hitze oder Kälte. Sie hatte also die Finger von der Heizung und den Fenstern gelassen. Es roch weder verbrannt noch nach vergossenen Flüssigkeiten. Selbst den Geruch von Spüli auf Kacheln bekommt man tagelang nicht aus den Räumen, wenn die Flasche nur groß genug war. Kein Piepen, Surren oder Klopfen. Dierk schüttelte den Kopf. Er war es leid. Natürlich gab es nirgendwo im Haus mehr frei herumstehende Spüli, Ajax oder sonst irgendwelche Flaschen. In jedem Raum hing mindestens ein Rauchmelder. Der Kühlschrank ließ sich verriegeln. `Ich muss raus hier´, dachte Dierk, `wenigstens mal zwei Tage.´ „Mama!“ Die Tennistasche stand schon gepackt im Flur. Er ging an ihr vorbei zur Gästetoilette. Niemand drin. Margot saß in der Küche. Als Dierk eintrat erhob sie sich vom Stuhl und ließ sich gleich wieder fallen, erhob und setzte sich wieder. „Bleib sitzen, Mama“, sagte Dierk liebevoll. Sie stand auf und setzte sich wieder. Der schwere Dierk mit der Halbglatze und dem schicken Kortsakko über dem rotweiß karierten Hemd ging zu ihr hin und streichelte seiner Mutter übers Haar. „Brav gemacht“, lobte er nach einem Rundumblick durch die Küche. Alles schien heil zu sein, auch an ihr selbst. Sie trug immer noch den blauen Rock und die dunkle Bluse unter der Strickjacke, die er ihr morgens angezogen hatte. Die Blumen hatte sie gegossen. Vom Fensterbrett tropfte noch etwas Wasser. Dierk riss ein Blatt Küchenpapier ab und wischte darüber. Es war nicht viel. Nur ein paar Tropfen, die aus der übervollen Untertasse des Übertopfes getreten waren. `Sie hat einen guten Tag´, sagte er sich. `Umso besser.´ „Hast du Hunger Mama?“ Margot sah mit ausdruckslosen Augen zu ihm herüber. „Was wollen sie?“, Die Falte zwischen ihren Augen wurde noch tiefer. Gesiezt hatte sie ihn bisher noch nicht. Dieser misstrauische Ausdruck ihrer Augen. Der Arzt hatte ihm gesagt, dass es so kommen würde. Es fühlte sich merkwürdig an. „Du brauchst mich nicht zu siezen. Ich bin dein Sohn“, sagte er ruhig. Es traf ihn mehr, als er gedacht hatte. Margot wandte ihren Blick ab und schüttelte ein paarmal heftig den Kopf. So als wollte sie einen Gedanken vertreiben. Vielleicht auch durcheinandergewirbelte Gedanken ordnen. „Hast du Hunger?“, wiederholte Dierk seine Frage. Wie gern hätte er ihren Kopf genommen und ihn so lange geschüttelt, bis alle Gedanken wieder am richtigen Platz waren. Er sah ein Tetrisspiel vor sich, in dem die Formen von oben langsam in die richtige Lücke setzten. Laut sagte er: „Ich kann dir ein Brot schmieren.“ Margot sah wieder zu ihm auf. „Da sind Dinger. Immer wieder.“ Mit der Hand fuhr sie in der Luft herum. Dierk verfolgte die kreisrunden Bewegungen mit seinem Blick. „Wer schwirrt? Dinger?“ `Gott´, dachte er dabei, `wie ich es hasse.´ Margots Gestik fiel in sich zusammen und ihr Blick senkte sich in Richtung Boden. „Frau Bogdana kommt später und macht dir ein Abendbrot. Ich muss jetzt los.“ Margot richte sich wieder auf. „Wohin?“ Dierk fiel darauf rein. Ein einziges echtes Wort und er begann sich mit ihr zu unterhalten. „Zum Tennis, das habe ich dir gesagt. Wir fahren heute nach Laboe. Ich mit der Tennismannschaft. Du weißt doch, dass ich jetzt wieder in einer Mannschaft spiele. Jetzt aber Tennis. Ein ganzes Wochenende mal nichts anderes als Sport und Freunde. Mal abschalten. Ich habe die Garagen gewonnen, Mama. Habe ich dir das schon erzählt?“ Noch während seiner letzten Worte wippte Margot wieder auf die Füße und eilte mit trippelnden Schritten in Richtung Flur. „Wer sind Sie? Immer alles Dinger.“ Sie rief es laut und schrill. Dierk schüttelte langsam den Kopf. `Gut, dass uns die Nachbarn nicht hören.´ Es war nicht mehr lange auszuhalten mit ihr. Die Polin hin oder her. Wenn er jetzt auch noch mehr Arbeit durch die Garagen hatte… „Ich hätte sie in ein Heim geben sollen. So kann ich sie doch nicht allein lassen“, flüsterte Dierk vor sich hin. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Es sei denn, er fuhr nicht mit. `Passt eh nicht, die ganze Fahrt.´ Wenn er nicht mitfuhr, würden sie ihn beim Training vielleicht schneiden. Vielleicht war er über kurz oder lang raus aus der Mannschaft. `Na und?´ Miriam wollte nach Laboe kommen mit ihren Plänen. `Soll sie doch. Ich kann sie anrufen. Dann soll sie mich hier besuchen.´ Dierk sah sich um und schüttelte unwillig den Kopf. `DJ wollte ich nach den Garagen fragen. Vielleicht weiß der Autohändler ja was Interessantes.´ Das war natürlich Quatsch. Er musste sich dringend an die Überarbeitung der Pläne setzen. Am besten heute noch. Das allein war wichtig. Dierk schlürfte seiner Mutter in den Flur hinterher. Die Tennistasche stand gepackt an der Wand. In einer Stunde kam die Polin. Vielleicht sollte er sie von unterwegs anrufen und fragen, ob sie an diesem Wochenende noch eine oder zwei Extraschichten einlegen konnte. Das mit dem Heim konnte er dann später regeln. Er warf sich die Tasche über die Schulter. `Ganz neues Gefühl, die Tasche mal selbst tragen zu müssen.´ Plötzlich war die Vergangenheit wieder präsent. Dierk holte den Koffer aus dem Schlafzimmer. Endlich gab es kein Zurück mehr. Kurz vor dem Verlassen des Hauses warf er noch einen Blick in das Wohnzimmer, fand Margot aber nicht. `Macht keinen Sinn sie zu suchen´, beschloss er, `es regt sie nur unnötig auf. In fünf Minuten ist sie eh wieder ganz woanders.´ „Tschüß Mama, bis in zwei Tagen!“, rief Dierk zum Abschied in den leeren Flur hinein. Er ließ die Haustür hinter sich zufallen und schloss ab. Der Schlüssel ließ er noch einen kurzen Moment im Schloss stecken. Das Abschließen jagte ihm immer den größten Schauer über den Rücken. „Ein Haus wie ein Käfig. Darin ein seltsames Tier, dass gehen kann und alles antatscht. Nichts als ein Tier.“ Auf dem Weg zum Cabrio ließ er seine Gedanken schweifen: `Ich sollte Häuser für Menschen ohne Geist entwerfen. Für die wandelnden Hüllen, die noch genug Geld auf dem Konto haben, um nicht in einen Raum mit Krankenhausbett und Gittern vor den Fenstern abgeschoben zu werden. Viel Panzerglas, viel Gummi. Mindestens das untere Drittel jeder Wand und oben einen Streifen für die Köpfe. Warum rennen sie nur immer mit dem Kopf gegen die Wand? Oder macht Mama das nur? Fußbodenheizung oder versenkte Heizkörper. Vielleicht von innen verspiegelte Fenster, damit sie Gesellschaft haben.´ Dierk legte den Gang ein und fuhr los. Diese Gedankenspiele brachten nichts. Er hatte zunächst einmal Garagen zu bauen und seine Mutter saß in einem Kasten aus der Jahrhundertwende eines vorherigen Jahrhunderts gefangen. Er konnte sich nicht die ganze Zeit daneben setzen. `Ich könnte schon…´ Dierk wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Wie sollte man so Tennis spielen?

Saisonvorbereitung mit Seitensprung

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