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Dierk

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Die Fahrstuhltür öffnete sich. Dierk stieg ein und drückte auf die 2. Zwei Stockwerke, die er in den letzten fünf Jahren noch nie über das Treppenhaus erreicht hatte. Eine Tatsache, über die er sich in den letzten fünf Jahren auch noch nie Gedanken gemacht hatte. Nun aber schon. „Macht dich doch nicht verrückt!“, Dierk schnaubte aus. Drei Tage Saisonvorbereitung standen ihm bevor und er betonte in Gedanken das Wort „Saisonvorbereitung“ als hätte er an Karottensalat mit Apfelstücken gedacht. Seiner Meinung nach ebenfalls lächerlich. Wie viele Trainingseinheiten ihm wohl bevorstanden? Noch so ein Wort, das vor 20 Jahren noch keiner kannte und jetzt als unglaublich wichtig daher kam. Er sah an sich herunter. „Austrainiert sieht anders aus“, gab er zu. Und trotzdem: Letzten Mittwoch hatte er der Nummer 2 Jan-Derek oder Dj, wie sie ihn nannten, einen Ball dermaßen in die Ecke gesetzt, dass DJ zwar rangekommen war, aber nur einen laschen, hohen Ball zurückgebracht hatte, den er wiederum, angepeitscht durch die Zurufe des Trainers, vorne am Netz mit steifem Schlagarm nur abtropfen ließ, sodass DJ nach Luft japsend zwar noch in Richtung Ball jagte, aber schon auf halber Strecke erkannte, dass er sich geschlagen geben musste. `Ich habe Talent´, stellte Dierk befriedigt fest. `Aber das war zu erwarten. Ein paar Kilos weniger und ich mach die alle platt. Bis auf David vielleicht. Für den brauch ich noch ein Jahr.´ Die Fahrstuhltür öffnete sich im 2. Stock. Dierk ließ sie wieder zugleiten und drückte das E. Er könnte ja mal die Treppe hochgehen. Unten angekommen drückte er wieder die 2. `So ein Quatsch. Ich war ja schon oben.´ Es gab Dinge, die wertvoller als ein schlanker Bauch waren. Eins dieser magischen Dinge erwartete ihn: Beruflicher Erfolg! Zumindest hoffte er, dass er dort oben auf ihn wartete. Die Chefs des Architekturbüros, in dem er angestellt war, hatten eine wenig subtile Art, ihren Angestellten zu zeigen, wer die Leitung eines neuen Projektes „gewonnen“ hatte. Auf dem Schreibtisch des neuen Projektleiters stand jene Art von Gebäude, die es zu bauen galt in Miniatur. Dierk erwartete heute eine Garage auf seinem Schreibtisch. Genauer genommen ging es um einen Komplex aus 11 Garagen in einem Wohngebiet nahe der Innenstadt. Stand auf seinem Schreibtisch keine Garage, war er wieder nur „im Team“. Erneut sprang die Fahrstuhltür auf. Vor ihm öffnete sich der Blick in das Großraumbüro. Die breite Fensterfront in Richtung lichter Innenhof, die zehn Schreibtische mit ihren Computern, wobei immer zwei Tische im rechten Winkel aneinander standen und die zwei Zeichenbretter. Auf seinem Schreibtisch stand…eine Garage. Ja, eine Garage. Breit grinsend zog sich Dierk den Mantel von den Schultern, nicht ohne dabei eine Faust in Siegerpose zu ballen und ging zu der freistehenden Wand, an der die Jacken hingen. `Game, Set and Match.´ Er hängte den Mantel an die Garderobe und wandte sich den anderen zu. Sechs der zehn Plätze waren schon besetzt. Mit seicht wiegendem Schritt tänzelte er auf seinen gekrönten Schreibtisch zu. `Lass dir bloß keine Freude anmerken´, warnte er sich. Neulich hatte er den Schmidt dabei beobachtet, wie der auf seine Reihenhäuser zugestakst war: Ohne eine Miene zu verziehen. Sehr imposant! Er hatte schon befürchtet, dass Schmidt gleich seinen Laptop auf die begehrten Bastelobjekte werfen würde. Hatte er aber nicht. Neben den Reihenhäusern hatte ein Zettel gelegen. Schmidt hatte ihn genommen und laut vorgelesen: „Jasper, Conrad. Ihr seid mein Team.“ `Danke du Arsch´, hatten Jasper und Conrad wahrscheinlich gedacht, denn wer sonst hatte sich mit dem Bau der Häuser noch befasst und wer sonst sich ebenfalls um die Leitung beworben? Dierk stellte seine Tasche sorgsam an den Platz neben seinem Schreibtisch. `Eine schöne Garage´, befand er, ohne sie anzufassen. Klein und putzig. `Und daraus mach ich elf noch viel schönere Garägchen. Achtung!´, ermahnte er sich. `Grinse ich etwa wieder?´ Es gab keinen Grund. Er hatte eine Projektleitung bekommen. Nach fünf Jahren das erste Mal. Er war nun 41 und hatte seit der Uni…Er hatte sehr spät angefangen mit dem Studium und schon befürchtet, dass der Zug vielleicht abgefahren…aber das war jetzt egal. Er hatte es doch noch einmal geschafft. Eine Projektleitung! Aber, und das durfte er nicht vergessen: Es handelte sich um Garagen. Kein bedeutender Architekt bekam wegen Garagen einen Jubelanfall. Es war ein Anfang. `Ich grinse doch nicht schon wieder, oder?´ Sein Gehirn suchte nach Analogien: Sein erstes Tor in der 2. Liga? Nein, das war nicht vergleichbar. Oder doch: Auch damals hatte er gewusst, dass es ab jetzt nur noch aufwärts ging. Ging es aber nicht. Mit 23 war Schluss gewesen. Seine Laufbahn hatte am grünen Tisch geendet. Das durfte nicht noch einmal passieren. `Ein kleiner Fehler und schon büßt du für Jahrzehnte.´ Ein Architekturbüro war kein Stadion mit 20000 Zuschauern. Das Gehalt ein Witz. Aber es ging mal wieder aufwärts. Endlich fanden seine Augen den Zettel neben der Garage. Nur ein Name stand darauf. Ole Zeitinger. Zeitinger war der Praktikant. `Also der Laufbursche und ich.´ Dierk nickte still vor sich hin und setzte sich auf seinen Drehstuhl. Er tat den anderen nicht den Gefallen, nach dem Praktikanten zu rufen. Mit einer lässigen Handbewegung wischte er die Garage zur Seite. Die Regeln sahen vor, dass er noch einen Tag an seinem alten Projekt mitarbeitete, so zu sagen Übergabe machte und sich dann der Leitungsaufgabe widmete. `Ist man eigentlich auch Projektleiter, wenn niemand da ist, den man anleitet? Niemand außer einer Knalltüte.´ Dierk nickte wieder und beschloss, dass es um das Gebäude an sich ging und nicht um das Team. Heute war Freitag. Am Montag würde er mit den Entwürfen für die Garagen beginnen. Dazu musste er seine bisherigen Entwurfs-Skizzen ins Detail bringen und …. Er hatte also einen Arsch voll Arbeit für die nächste Zeit. Dabei fiel ihm ein, dass auf keinem Zettel stand, bis wann die Entwürfe fertig sein sollten. `Am besten wohl gestern schon.´ Zum ersten Mal schüttelte Dierk den Kopf. Das Wochenende in Laboe passte nicht mehr rein. Ein wenig stolz war er ja gewesen, dass sie ihn gefragt hatten. So schlecht spielten sie ja auch nicht und er war Anfänger. Aber auch so. Wann war er das letzte Mal mit anderen Männern verreist? Wahrscheinlich seit damals nicht. Aber so eine Fahrt mit Tennis-Amateuren glich eher einer Klassenfahrt als einem Auswärtsspiel. Allein schon die Frage, wer mit wem in einem Zimmer schlief. Es war nie einfach, irgendwo neu anzufangen. `Das Wochenende muss sein. Ich nehm die Kreativpause vorweg. Danach wird geknüppelt.´ Wenn er dann ein paar Wochen nicht zum Training erschien, hatte er vorher wenigstens guten Willen gezeigt. Außerdem war Jan-Derek Autohändler. Womöglich konnte er ihm Tipps für die Ausstattung einer perfekten Garage geben. `Achtung´, ermahnte Dierk sich erneut, `für gewöhnlich verfalle ich am Tisch nicht in Gedankenstarre.´ Nein, für gewöhnlich ging er zuerst in die Kajüte, wie sie ihre kleine Teeküche nannten und holte sich einen Latte. Er sah auf die Uhr. Schon etwas nach halb neun. Mit etwas Glück traf er Miriam noch an. Der Drehstuhl ächzte als Dierk seinen schweren Körper herausstemmte. Tatsächlich stand die schlanke, mittelgroße Miriam einsam am Kaffeeautomaten und befüllte sich ihren knallroten Porzellanbecher. Anscheinend hatte sie es nicht eilig. Dierk meinte sogar ein Aufblitzen in ihren Augen zu entdecken, als er den Raum betrat. `Heute ist mein Tag!´, lobte er sich und nahm sich seinen Becher aus dem Schrank. „Glückwunsch, Dierkie“, begrüßte ihn Miriam. Er überhörte die Verniedlichung seines Namens. Es klang immer wie Dickie. Sie hatte die Garage also bereits entdeckt. Natürlich! Sie alle hatten danach Ausschau gehalten. Auch wenn sie sich nicht darum beworben hatten. „Danke“, grüßte er gleichgültig zurück, „es handelt sich um Häuser für Autos nicht?“ Ein Lächeln huschte über Miriams Gesicht. Sie lächelte nicht oft, meist nur zur Begrüßung. Den Rest der Zeit, sah sie einfach nur gut aus. Aber heute lächelte sie. `Vielleicht lächelt sie nur Männer in Führungspositionen an´, überlegte Dierk ohne ihr darüber böse zu sein. Miriam hatte schon ein Projekt geleitet. Immerhin. Auch jetzt bewarb sie sich wieder um eins, das wusste er. Sie hatten die gleiche Gewohnheit, sich um halb neun einen Latte zu holen. Miriam wollte die Einkaufpassage haben. Eine große Sache für Lübeck. Dierk glaubte nicht, dass sie ihr die Passage geben würden. So etwas wurde Chefsache. „Stell dein Licht mal nicht unter den Scheffel“, sagte sie und nippte an der heißen Latte, aber was sollte sie auch sonst sagen. Sie hatte unglaublich schlanke Beine, die durch die Nylonstrumpfhosen blitzten und einen tollen runden Po. Ein dunkelblaues Businesskostüm betonte beides. Für Dierk war Miriam die Traumfrau schlechthin. Er kannte sich ganz gut mit Spielerfrauen aus. Von früher. Miriam hatte mit einer Spielerfrau das gute Aussehen gemein. Bei ihr kamen dann noch Stil und Gehirn dazu. `Vielleicht blieb der Humor ein wenig auf der Strecke´, überlegte er ungewohnt kritisch. Er schäkerte mit ihr rum und lachte aus Höflichkeit oder aus Verliebtheit. Besonders witzig war sie aber wirklich nicht. Aber klug musste sie sein als Architektin. Ihr schönes Gesicht im Businesskostüm überwältigte ihn jedes Mal. Natürlich pflegte sie sich und trug die meist braunen Haaren immer perfekt frisiert. `Ihr fehlt nur noch so eine große Sekretärinnenbrille. Dann leg ich sie flach´, sinnierte Dierk während er sich Zucker in den Becher träufelte. „Ich werd die Dinger schon fertig kriegen“, stapelte er tief. „Davon gehe ich aus“, Miriam lächelte erneut. „Setzt du dich gleich am Wochenende ran, oder…?“ Sie ließ den Satz unvollendet. Auf dem falschen Fuß erwischt sprang Dierk sofort ein: „Nein, am Wochenende spiele ich in Laboe mit meiner Mannschaft.“ Er suchte in ihrem Gesicht, wie das bei ihr ankam. „Aä, Fußball…?“ Trotz seiner Bemühungen Miriams Reaktion zu beobachten, entging Dierk das enttäuschte Zucken ihrer Augenpartie. „Nein, Tennis. Ich spiele seit drei Monaten Tennis.“ Das hatte er ihr natürlich bereits gesagt. „Tennis?“, Miriam klang erfreut, „dass du da sogar schon in einer Mannschaft spielst.“ Er nickte. Es gab viele Erfolge zu feiern. Anscheinend kannte Miriam sich aus. Er hatte jetzt aber keine Lust, über Sport zu reden. Miriam nippte an ihrem Kaffee. Sie schien nachzudenken. Jetzt erst fiel Dierk auf, dass etwas nicht stimmte. Es gab kein Lächeln mehr. Irgendetwas hatte die Stimmung gekippt. Dierk fiel ihr „…oder“ wieder ein. Was hatte sie im Sinn gehabt? „Und du? Bereitest du dich am Wochenende auf deine Bewerbung vor?“ Miriam hob den Kopf dankbar von ihrer Latte empor. „Ja genau. Und ich hatte gedacht, nun ja, dass du mir…, dass du einfach mal drüber sehen könntest. Mir fehlt ein wenig der männliche Kontrollpart. Kein Einkaufszentrum besteht nur aus Parfümerien und Modegeschäften. Mit denen kenne ich mich aus, du verstehst?“ Das also war es. Dierk nippte an seiner Latte. `Miriam fehlte der männliche Kontrollpart im Leben. So ist das mit den modernen Frauen. Und wir Männer spielen aus lauter Einsamkeit Tennis.´ „Tja, das geht nun leider nicht mehr.“ Sie nickte. „Ich muss dann auch mal weiter. Muss die Sachen Mittwoch abgeben.“ Er wusste, dass sie die Mappe bis Mittwoch abgeben musste. Mittwoch war immer Abgabetermin. Was stellte sie sich vor? Sollte er Montag ihre Pläne durchsehen? Zeit für Änderungen blieb dann kaum noch. `Wann soll ich dann auch mit meinen Garagen anfangen?´ Er war jetzt Projektleiter. Dierk blinzelte. Wenn er es so überlegte, passte das Tenniswochenende überhaupt nicht mehr. „Wie hast du dir das vorgestellt mit dem Wochenende?“, Dierk versuchte wie beiläufig zu klingen, aber er merkte selbst, dass es misslang. Miriam konzentrierte sich noch einmal. „Ich dachte, du kommst vielleicht zu mir? Ich habe die Sachen bei mir.“ Dirk nickte langsam. „Du könntest nach Laboe kommen. Miete dich da ein für eine Nacht und wenn ich Zeit habe, guck ich rüber.“ Das war Wahnsinn. Ein Schuss zu viel, eine Seemeile zu nah ran ans feindliche Schiff. Warum sollte seine Meinung überhaut wichtig sein? `Was weiß ich schon über Einkaufszentren?´ „Vielleicht mache ich das ja.“ Miriam lächelte wieder, „ich melde mich dann.“ Treffer! `Noch nicht versenkt, aber nah dran! Man muss nur mal nachfragen.´ In der Tür drehte sich Miriam noch einmal um: „Danke fürs Angebot. Vielleicht kommt Petra mit. Die würde sicher auch gern mal an die Küste.“ Stich ins Herz. Was sollte die adipöse Petra in Laboe? `Möglicherweise braucht eine Frau wie Miriam immer eine hässliche Freundin nebenbei´, Dierk biss sich auf die Unterlippe. Petra hatte mal bei ihnen gearbeitet: Als Schreibkraft. Irgendwie hatte Dierk immer das Gefühl gehabt, als wäre es für die anderen schon abgemacht gewesen, dass er und Petra... und nur, weil sie beide fett waren. Am Ende hatte er regelrecht Angst davor gehabt, sie würde ihn nach einem Date fragen. Diese Blicke mit ihren großen Kuhaugen. Dieses Händeringen und das Spielen mit der Goldkette um ihren fetten Hals. Irgendwann war sie dann plötzlich weg. Erst eine längere Zeit krank und dann weg. Miriam hatte ihm morgens ein paar Mal ungefragt von Petras Gesundheitszustand berichtet und dass sie in einem Autohaus untergekommen war. `Vielleicht sollte ich Fettarsch Petra nach den Garagen fragen.´ Dierk nickte schwach. Ihm lag etwas auf der Zunge wie: „Die fette Kuh lassen wir da mal schön außen vor“, aber das traf nicht sein Image, des netten Kumpeltypen. Ohne Frage hatte seine Dreistigkeit gegenüber schönen Frauen diametral zu seinem Körperumfang abgenommen. `Aber jetzt hab ich mal wieder einen Schuss abgefeuert. Vielleicht kommt sie nach Laboe. Und wenn sie ihre Freundin wirklich mitbringt, na dann bauen wir ihr die Garagen direkt in die Einkaufspassage.´ Der Praktikant steckte seinen Kopf in die Teeküche: „Ich könnte dich mal gebrauchen“, säuselte er. Natürlich zu Recht. Dierk war schon fast eine Stunde in der Werkstatt, wie sie ihr Architekturbüro gerne nannten und hatte noch keinen einzigen kreativen Gedanken in den Computer getippt oder sich mit irgendeinem seiner Kollegen kurzgeschlossen. Was genaugenommen der größere Teil ihrer Arbeit ausmachte. „Du bist in meinem Team!“, bellte Dierk zurück. Oliver sah leicht erschrocken aus. „Team Garage?“ `Ein bisschen mehr Respekt´, dachte Dierk. „Nein, Team wasch meinen Becher ab“, bellte Dierk wieder, drehte sich dann aber um und stellte seinen Becher selbst in die Geschirrspüle.


Saisonvorbereitung mit Seitensprung

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