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Jan-Derek

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Als die Autotür hinter ihm zuschnappte, lehnte er den Kopf gegen das caramelfarbene Leder und atmete tief durch. Dann straffte er sich sofort wieder und stellte den Rückspiegel ein. Er befand sich noch auf dem Firmenparkplatz. `Wer weiß, welche Blicke hinter den Jalousien hängen.´ Sein Magen grummelte. Kein gutes Zeichen. Wenn die anderen wüssten, was er für ihr Reisegefährt auf sich nahm. Die Mappen neben ihm, erinnerten ihn selbst wieder daran. Er betätigte den Startknopf. Der Motorsound war satt und fett. Fast meinte er ein Vibrieren zu spüren. `Wahrscheinlich künstlich erzeugt?´ Ihm war bewusst, dass er um die 70000 € durch die Gegend kutschierte. Das Fahren machte ihm dabei keine Sorgen. Er hatte schon Fahrertrainings mit teureren Kisten absolviert. `Na ja, nicht viel teureren… Aber letztlich sind die Passagiere das Problem. Auf jeden Fall öffnet David hinten keine Chipstüte und Dosenbier gibt es nur draußen.´ Ohne viel Aufhebens glitt er vom Parkplatz in den fließenden Verkehr der Automeile. `Weißer Schlüssel, weißes Auto, braunes Leder, schickes Ding.´ Jan-Derek war zufrieden mit sich, auch wenn sein Magen weiter gurgelte. `Mein Magen ist wie meine Frau´, hatte er früher schon mal herumgealbert: `Immer wenn ich anfange Spaß zu haben, macht er schlapp.´ Die Erinnerung an die Szene von eben am Empfangstresen zauberte ein breites Lächeln in sein Gesicht. `Das war großes Tennis.´ Jan-Derek nickte zufrieden vor sich hin. Plötzlich hörte er drei Wassertropfen im Auto. Dann vibrierte sein Handy. `Mein Freund Theo.´ Er sah auf die Uhr im Cockpit. 10 vor drei. `Ich muss noch nach Hause, die Sachen in den Kofferraum schmeißen. Vielleicht noch in eine Banane beißen. Auf die Dusche verzichte ich.´ Das Handy verstummte. Jan-Derek hatte die Freisprecheinrichtung noch nicht eingerichtet. `3. Probefahrten-Gebot: Nicht mit Handy am Ohr blitzen lassen. 4. Gebot: Überhaupt nicht blitzen lassen. 2. Gebot: Sofort die nächste Autobahn aufsuchen und Gas geben. 1. Gebot: Keine Spermaspuren im Auto.´ Jan-Derek lachte laut. Er hatte plötzlich Lust mit Theo zu telefonieren. Erneut die Wassertropfen. Dann summte das Handy. Er zog es aus der Jacke und sah aufs Display: Chef, las er. Jan-Derek nahm das Gerät ans Ohr. „Ja, hallo.“ „Vorsau?“ „Vorsaum, ja.“ Anscheinend war Soltje zu Scherzen aufgelegt. Nur sein Tonfall klang nicht nach Humor. „Sind sie gerade mit dem Touareg von der Anlage gefahren?“ Mit dem Touareg. Als wenn es nur diesen einen gäbe. „Yep, nur ein bisschen ausfahren.“ Etwas Besseres fiel Jan-Derek nicht ein. Die Situation empfand er zunehmend als unangenehm, peinlich, geradezu bedrohlich. Warum telefonierte der Chef hinter ihm her? „Ausfahren…? Ist jetzt nicht ihr Ernst!“ Soltje war mit Vorsicht zu genießen. Absolute Aufmerksamkeit für die Feinheiten war gefragt. Bloß nicht zu ernst sein, bloß nicht, nicht ernst sein. Gar nicht so einfach, wenn man dabei auf den Verkehr achten musste. Die Nummer: „Ich hatte doch angekündigt, dass ich einen Wagen für eine Probefahrt brauche“, funktionierte bei ihm nicht. War rein sachlich nicht korrekt und bezog den 70.000€ Touareg schon gar nicht mit ein. Aber er hatte keine Zeit, sich etwas wirklich Gutes zu überlegen. „Ich bräuchte den Wagen für ein besonderes Wochenende.“ Mehr war nicht drin. Wie gerne hätte er den Chef mal dabei erwischt, wie er Dinge in einer Kundin verschwinden ließe. Hatte er aber nicht. Konnte er die Information über Trixi als Tausch anbieten? Ungeeignet. 200 Meter vor ihm stand eine Ampel auf Grün. Er ging vom Gas. Rotlicht würde ihm Zeit verschaffen. `Als wenn es darum noch geht.´ Er spürte, wie Mutlosigkeit sich in ihm breit machte. Auf dem Tennisplatz passierte das spätestens bei einem Spielstand von 2:6, 1:4 „Mann sie können doch nicht einfach mit einem 80.000 € Wagen vom Hof fahren, weil sie….“ Soltje stockte. Er traute sich nicht auf das Feld der Anzüglichkeiten. Das war gut. So eine Art 1. Aufschlag im Aus. Nun musste Jan-Derek wieder nach vorne preschen. Gar nicht so einfach, wenn man gerade eben noch kraftlos zum Return geschlurft war. Ihm fiel weiterhin nichts als die Wahrheit ein. Immerhin stand er jetzt an der roten Ampel. „Fahre mit der Tennismannschaft zur Saisonvorbereitung nach Laboe. Nettes Sporthotel, bewachter Hotelparkplatz, alles feine Leute. Hab ein Schild dabei.“ Immerhin stimmte der Kern. Ansonsten waren mindestens zwei Lügen in dem Satz, vielleicht auch drei: Von einem bewachten Parkplatz wusste er nichts. Ein Verkaufsschild hatte Jan-Derek nicht dabei und die feinen Leute spielten mittlerweile Golf, nicht Tennis. Das war anscheinend auch bei Soltje schon angekommen. „Die Reichen spielen Polo“, blaffte Soltje, „Tennis spielt außer ihnen keiner mehr!“ Jan-Derek lachte. Es war mehr als nur ein pflichtbewusstes Lachen. Ihm gefiel es, wenn die Chefs den gleichen Humor wie er selbst hatten. „Wenn sie einen Rex verkaufen wollen, dann wackeln sie auf dem Autoreisezug nach Sylt hin und her, aber fahren nicht nach Laboe. Das ist doch an der Ostsee, oder?“ Soltje war ein Top Autoverkäufer. Das beweisen seine messerscharfen Analysen. Geografie war anscheinend nicht so sein Ding. „Ja, an der Ostsee. Feinstes Golfrevier. Kitzeberg ist gleich um die Ecke.“ Soweit Jan-Derek wusste, hatte sich auch Soltje schon beim Golf probierte. Der Heikendorfer Golfclub Kitzeberg war in der Szene ein Begriff. „Sie hauen jedenfalls nicht einfach mit dem Touareg ab. Es ist Freitagnachmittag. Wir haben noch drei Stunden, das Ding zu verkaufen.“ `Stell ne Attrappe auf oder häng ein Poster an die Glastür´, dachte Jan-Derek. Die Ampel sprang auf Grün. `Ich fahre mit einem Architekten…´, Jan-Derek formulierte den Satz in Gedanken vor. Da waren tatsächlich nur Luschen in seiner Mannschaft. Ein Student, ein Bibliothekar, ein freiberuflicher Jurist. Leider hatte der Neue den besten Job von ihnen. Irgendetwas musste er jetzt sagen. „Ich nehme noch vier Leute mit. Architekten und so. Könnte so eine Art Verkaufsfahrt werden.“ „Könnte, könnte… Sie kommen jetzt bitte mal schön zurück und wir zeigen ihnen welchen Wagen sie heute noch verkaufen können.“ Jan-Derek schluckte. Nur ein Bitte war als letzter Akt von Höflichkeit geblieben und klang nach reinem Sarkasmus. Das alles war eine Farce. Man holte keinen Verkäufer, der 20 Jahre im Betrieb war, 15 Jahre länger als Soltje, und dessen Zahlen immer glänzten von der Straße zurück auf den Hof. `Und wenn man das tut´, Jan-Derek schlug mit der Hand auf das schwere Lederlenkrad, `kriegt man ganz schnell eine Kündigung dieses Superverkäufers oder eins in die Fresse oder beides.´ Er war jetzt auf 180. Der Touareg nicht. Den ließ er mit knapp 60 laufen. Jan-Derek suchte nach der nächsten Möglichkeit zu wenden. Mit den Fingern bearbeitete er rhythmisch das Lenkrad. Im Kopf ging er die anderen Autohäuser der Stadt durch. Es war nicht das erste Mal, dass er das tat. `Eins wie das andere. Besser auf jeden Fall nicht.´ Jan-Derek wusste, dass das nicht stimmte. Porsche und Audi hatten weitaus höhere Provisionen. Sein Einstiegsgehalt wäre zwar niedriger, der Verdienst am Ende aber höher. Dienstreisen gab es dort rund um die Welt mit Frau oder Freundin, erzählte man sich. Allein Jan-Derek war ein Gewohnheitstier. Nichts gegen neue Ufer, aber wo er sein Revier bereits 1 a markiert hatte. `Gibt ja auch die ganz popligen Klitschen. Was solls. Wenn man gehen muss, muss man gehen. Was will Soltje gleich machen? Mich aus dem Auto ziehen?“ Er setzte den Blinker und bog ab. In einer Sackgasse konnte er wenden. Dann war er wieder zurück auf der Automeile, nur diesmal in der falschen Richtung. Plötzlich spürte er keine Angst mehr. `Lohnt sich nicht weiter darüber nachzudenken. In zwei Minuten sehe ich, was passiert. Einen Kuchen überreichen sie mir wohl nicht.´ Erst als er in die Einfahrt einbog, kam der Hass zurück. Überall Blicke hinter den getönten Scheiben. Viktoria lief aufgeregt durch die Gänge: „Er kommt! Er kommt! Er hat das Auto geklaut.“ Selbst die Kunden lachten, diese mickrigen kleinen Knauser. Ordnungsgemäß parkte er in einer der Parkbuchten in der Nähe des Haupteinganges. Nicht gerade da wo der Touareg vorher gestanden hatte, aber im genau symmetrischen Abstand zur linken und rechten Eingrenzungslinie. `Wenn er das Ding heute noch verkaufen will, sollte er ihn hier parken.´ Jan-Derek stieß verächtlich Luft zwischen die Zähne. Er fiel wie ein Mann vom Pferd, wenn man ihn runterschoss. `Ich bin gehör hier zu den Guten. Ich bin einer von denen, die zuerst dem Pferd etwas geben, bevor sie sich selbst versorgen.´ Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Mit einem Ruck öffnete er die Autotür. Frische Luft tat ihm gut. Zugegebener Maßen war er in Gedanken gerade etwas abgeschweift. Im Auto fielen wieder drei Wassertropfen. Er nahm das Handy vom Beifahrersitz. Theodor oder erneut sein Chef... Vielleicht Viktoria, die sich rächen will oder Linda? „Übertreibt es nicht!“, mahnte Jan-Derek die Welt. Bilder aus dem Film „Falling down“ kamen ihm in den Kopf. Nicht umsonst war Michael Douglas in dem Film ein Autoverkäufer….oder etwa nicht? `Es ging um einen Stau. Beschissener Heimweg. Also im Weitesten Sinne um Autos.´ Jan-Derek sah auf das Display: Soltje (Chef). `Ich kann auch was ganz Anderes machen. Kein Mensch ist immer Autoverkäufer.´ Jan-Derek wartete kurz auf eine Eingebung. `Bademeister´, kam ihm in den Sinn. `Wieso zum Teufel Bademeister?´ Er nahm den Anruf entgegen, sagte aber nichts. Wenig später meldete sich Soltje. „Vorsaum?“ „Ja“, Jan-Dereks Stimme klang fast nach Grab. „Warten sie eine Minute. Ich bin gleich bei ihnen.“ `Ja´, dachte Jan-Derek, `es sind schon Autoverkäufer mit einem Wagen in die Verkaufshalle gerast. Durch die Glastüren durch.´ Er zog die Tür wieder zu und fuhr stattdessen das Seitenfenster herunter. Dann versuchte er sich einzureden, dass auch ein Touran sie nach Laboe brachte. Keine Minute später öffnete sich die Beifahrertür und Soltje sprang neben ihn auf den Beifahrersitz. In der Hand trug er eine Flasche Sekt und im Gesicht ein Grinsen. Er hielt Jan-Derek die Hand hin. Der ergriff sie reflexhaft. „Mann Vorsaum. Sie machen Sachen. Das musste jetzt aber auch sein….unseren Touareg. Die arme Hellen…“ Soltje schüttelte den Kopf, ohne dabei mit dem Grinsen aufzuhören. „Hier, nehmen sie den als kleine Entschädigung für den Spaß. Montag steht die Karre wieder auf dem Hof! Gerne ohne Schild.“ Jan-Derek hatte auch wieder sein breites Verkäufergrinsen eingehakt. Er verstand noch nicht alles, aber er hielt eine Flasche Sekt in der Hand und sein Chef grinste. Es bestand die Möglichkeit, dass er gerade verarscht worden war, aber irgendwie im Guten und da machte man ja gute Miene zum bösen Spiel. Soltje wartete ab, ob Jan-Derek noch etwas zu sagen hatte. Irgendwie erwarteten sie beide, dass Jan-Derek die Sache zum Abschluss brachte. Nur grinsen war zu wenig. `Ja´, dachte Jan-Derek, `viel zu wenig. Geht gar nicht. Also sag was.´ Er nickte und besah sich die Flasche. `Zum Glück nicht die Hausmarke´, stellte er erleichtert fest. Die Hausmarke bekamen die Kunden bei einem Abschluss. Ein Mitarbeiter hatte bei der Weihnachtsfeier mal in eine Flasche gepinkelt und versucht sie danach wieder einwandfrei zu verdrahten. War aber damit aufgeflogen. In seiner Hand lag der Champagner, an dem die Umschläge mit den Jahreszahlen hingen. Die begehrten drei Flaschen. Soltje hatte sich nicht lumpen lassen. `Vielleicht wollte er sie heute Abend mit seiner Frau trinken.´ Jan-Derek verwarf den Gedanken wieder. Männer wie Soltje tranken keine Flaschen Sekt mit ihrer Frau. Ihre Frauen tranken meist gar nicht oder härtere Sachen und Männer wie Soltje tranken immer härtere Sachen, zumindest mit ihren Frauen. Erst jetzt fiel Jan-Derek etwas weit Wichtigeres auf: `Ich kann die Karre behalten. Na super. Habe aber gerade eine viertel Stunde verloren und musste extra noch mal zurück auf den Hof fahren. Herr Soltje, ich habe einen Vorschlag: Ich tu jetzt so als wenn ich ihnen auf die Fresse haue. Sie fallen aus dem Wagen, ziehen ne kleine Show für Viktoria und die anderen 30, die hinter uns am Fenstern hängen ab und wir sind quitt.´ „Na, dann werd ich mal wieder“, sagte er laut. Soltjes Grinsen flackerte etwas. Dann öffnete er die Beifahrertür. Jan-Derek konnte das unmöglich so stehen lassen. `Was denkt der Wixer? Dass wir gerade einen riesen Spaß zusammen hatten?´ Er hörte auf zu grinsen. „Herr Soltje, ich habe gerade gedacht….“ Soltje brach seine Ausstiegsbewegung ab und sah sich gespannt zu ihm um, „…die erste Regel für Probefahrten. Kennen sie die?“ Soltje blinzelte. Natürlich kannte er sie. Aber welche? „Kein Dosenbier auf den Rücksitzen“, sagte Jan-Derek und grinste wieder, breiter als zuvor. Soltje zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn und entblößte beide Zahnreihen. „Ja, ja, das ist richtig. Viel Spaß Mann.“ Er schlug die Wagentür hinter sich zu und klopfte zweimal gegen das Blech. Jan-Derek schlug den Gang rein und trat aufs Gas. Er wollte vom Hof sein, bevor Soltje den Haupteingang erreicht hatte. Warum auch immer. Das Ganze hatte ihn fünfzehn Minuten gekostet.


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