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Karsten

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Karsten biss von der Scheibe Schwarzbrot mit Zungenwurst ab. Dann legte er das Brot zurück auf den Teller, um die Zeitung mit beiden Händen halten zu können. Etwas weiter hinten im Raum lief der Fernseher. `Nichts los in Lübeck´, dachte Karsten genervt und ließ die Zeitung wieder sinken. Verpassen würde er an dem Wochenende jedenfalls nichts. Achim feierte seinen 52., aber da war auch schon der 51. nicht zum Gähnen gewesen. `Gar nicht so lange her´, überlegte Karsten, `da sind wir nach den Feiern noch weitergezogen.´ Gut, letztes Jahr bei Hellas 50. waren sie noch mit ein paar Leuten im Hüx. Warum auch nicht? Die jungen Dinger hatten sicher noch nie solche Getränkebestellungen erlebt. Felix, der Spinner hatte seine Hunderter zu einem Bündel zusammengerollt und das Bündel bei jeder Gelegenheit herausgezogen. Irgendwann fiel es ihm runter und er suchte auf allen Vieren zwischen den Barhockern danach. Der Tresen hatte ihnen gehört. `Am Ende auch die Tanzfläche´, grinste Karsten. Daran konnte er sich aber nur noch verschwommen erinnern. DJ war auch dort aufgetaucht. Anscheinend ging er so auch ab und zu noch mal ins Hüx. Gut, DJ war auch noch ein paar Jahre jünger. Karsten hatte versucht, ihm den Schlüssel irgendeines aufgemotzten Vorführwagens aus der Tasche zu klauen, aber DJ hatte es bemerkt und ihn richtig ernsthaft vom Wegfahren abgehalten. Im Fernseher vor ihm lief das Ende der Tagesschau. Karsten sah aus dem Fenster. Draußen war es endlich dunkel. `Miserables Wetter. Viel zu kalt für meine alten Knochen.´ Er biss wieder von dem Brot ab. Als sie nach dem Training am Mittwoch ihre Schläger in die Taschen packten, hatte Theodor ihm noch zugeraunt, dass sie ihm sicher 100, vielleicht auch 200 für die Reise vergüten würden. Na was nun, 100 oder 200? Karsten lachte. Da gab es ja einen kleinen Unterschied. Wahrscheinlich wussten die anderen davon gar nichts. `Würde mich wundern, wenn sie ihm schon das Geld fürs Hotel überwiesen haben. Das machen sie doch alle immer erst hinterher.´ Er selbst war auf die Rundmail mit der Zahlungsaufforderung und Kontonummer von Theodor gar nicht erst eingegangen. Sollte er etwas 100 bekommen und 160 für die zwei Nächte bezahlen? Karsten bekam von der Truppe 20€ die Stunde fürs Training. Sie trainierten mittwochs zwei Stunden. Das machte 40€ die Woche. `Davon kann ich mir den Wein für Samstagabend kaufen´, übertrieb Karsten grimmig. Er hatte neben seinem Beruf als freier Anwalt ohne Kanzlei noch weitere Tennisschüler. Da nahm er 20 bis 25 Euro die Stunde. Wo er so über das Geld nachdachte, fiel ihm ein, dass er Kalle noch anrufen wollte. Wie immer lag sein Handy in Griffnähe. „ … Ja, Karsten hier … ach so, du kennst deine Kunden. Nein, war ein Scherz … Einkommenssteuererklärung? Ne, hab nichts zu versteuern ... Ja, irgendwann. Kommst du übermorgen nach Laboe oder sitzt du da das ganze Wochenende dran? … Nein, deswegen sagte ich ja übermorgen und nicht morgen. Ich hörte, dass ihr noch ein Turnier spielen wolltet. Kommt ihr nach, wenn ihr rausfliegt? Du und der Däne … Der Däne nicht? … Vielleicht. Der Däne also nur vielleicht… Warum ich das wissen will? ... Für euch brauche ich natürlich einen Trainingsplan, mh, Geronto-Fit! ... Ich wollte nur wissen, wieviel Gehalt ich euch abknüpfen kann ... Da kannst du aber sicher sein ... Na, ich denke doch schon, ihr bekommt schließlich Training, nicht ich ... Nein, aber wär schon nett, wenn ihr auch kommt, vielleicht überlege ich mir das mit dem Gehalt dann auch noch mal. … Ja, das hättest du wohl schon tun sollen ... Ich? Nein, das habe ich noch nicht. Das ist dann mein Gehalt: Zwei Nächte umsonst in den gemütlichen Betten eines Tennishotels ... Weiß ich nicht wer, vielleicht zahlt Theodor das dann oder ihr seid so nett und überweist ihm mal was? … Ich hätte am Samstag eigentlich zwei Klienten ... Ja, müssen warten. Ok, ciao, … ja, fängt gleich an. Ich denke, du machst deine Steuererklärung ... Ach so. Ok, dann bis übermorgen ... Ach ja Kalle…? Nimmst du ein bisschen was mit? … Ja, nur so ein bisschen. Das verrechnen wir mit meinem Gehalt ... Alles klar, bis denne.“ Karsten warf das Handy neben sich aufs Sofa und ließ sich rücklings gegen die Lehne fallen. Seine Augen fühlten sich angestrengt und müde an. Er warf die Zeitung ganz beiseite und starrte auf den Fernseher. Dieses abwechselnde Nah-Fernsehen machte ihm auch auf dem Platz zunehmend Probleme. Der Augenarzt hatte es mit dem Verschleiß von Kniegelenken verglichen. Sehkraft und Meniskus, beides hielt bei Überbeanspruchung nur selten ewig. Hannover 96 spielte UEFA-Pokal gegen Paris St Germain. Karsten angelte sich die Bierflasche vom Beistelltisch und legte die Beine hoch. Verdammt schneller Antritt, diese 20-Jährigen. Sein Ältester war jetzt schon 26 oder sogar 27? - hatte auch keinen schlechten Antritt. `Aber was ihm fehlt, ist der Tritt in den Arsch. Den bekommt er von seiner Mutter natürlich nicht.´ Karsten hatte sich schon öfters darüber geärgert, dass ausgerechnet er eine Krankenschwester geheiratet hatte. `Aussehen wie ein Engel, aber der Charakter leider auch. Unerträglich auf Dauer.´ Der Jüngere war im Sport erfolgreicher. Spielte Fußball in der hessischen Landesliga. Hatte er gespielt. Jetzt im Studium ließ er den Sport ruhen, wie er es nannte. `Na, wenn´s was bringt.´ Er bot wohl kein gutes Vorbild, so wie er sich mit Beruf und Sport durchwurschtelte oder eben doch: gut abschreckend. `Leidenschaft´, dachte Karsten, `ich hatte wenigstens Leidenschaft für meinen Sport. Das fehlt den Beiden.´ Er nickte vor sich hin. Ein Hannoveraner Stürmer schoss am rechten Pfosten vorbei. `Kann passieren´, dachte Karsten, `Fehler darf man machen.´ Vor fünf Jahren waren sie schon einmal zu einer Saisonvorbereitung gefahren. Er sollte jetzt nicht daran denken. In unausgesprochener Einigkeit hatten sie das Vorgefallene bisher auf sich beruhen lassen. Auch an Stefan, diese miese Sau, wollte er nicht denken. Karsten rutschte unbehaglich auf seinem Ledersofa hin und her. Er zwang sich, an die bevorstehende Fahrt zu denken. Es war immer ein gutes Mittel, mögliche unangenehme Situationen im Voraus durchzudenken, um adäquat darauf reagieren zu können. Eine volle Tribüne, ein Fanblock, der gegen ihn schrie, eine eingeschissene Unterhose, die noch schnell gewechselt werden musste... Aber es sollte an diesem Wochenende eigentlich keine unangenehme Situation geben. Sonst hätte er sich nicht noch einmal darauf eingelassen. Das Übliche war zu erwarten: schlechtes Tennis und Männer, die im Vollrausch zur Lebensbeichte ansetzten. Gegen die Langeweile hatte er des Apothekers Wundermittel. `Jetzt wo Stefan nicht mehr da ist, wüsste ich nicht, was passieren sollte. Ich habe mich mitreißen lassen´, Karsten schmunzelte. Aber er sollte nicht mehr daran denken. `Hätte DJ nicht so ein Aufstand gemacht, wär ich jetzt vielleicht bi.´ Karsten zappte in ein anderes Programm und atmete tief durch. Ablenkung und tiefe Bauchatmung, so entkam man auf dem Platz mentalen Löchern. Den Fanblock konnte man nicht wegzappen, aber man konnte die Herzformen der Wolken betrachten. Die Buhrufe und das Gelächter drangen bis ins Innerste und ließen den Körper schwer wie Blei werden. Da konnte man gegenanatmen. Nur die eingeschissene Unterhose war immer ein Problem. Da half nur noch ab in die Kabine. Nicht das er sich ständig einschiss. Vor 40 Jahren als 17 jähriger war ihm das mal passiert. Halbfinale eines hochdotierten Weihnachtsturniers. Sowas blieb haften. Auf Pro 7 liefen halbnackte Teenager powackelnd an einem Swimmingpool vorbei. Karsten atmete tief ein und entspannte sich. Das war doch jetzt genau das richtige Programm. Die Schönheiten stolzierten mit keckem Blick auf einen Schwulen zu, der seinen kleinen Kopf in den Händen versteckt hielt und angestrengt stöhnte. Karsten schaltete wieder um. `Männersport, sehr schön.´ Er nahm das Bier vom Tisch. Immer noch 0:0 zwischen 96 und St Germain.


Saisonvorbereitung mit Seitensprung

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