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Theodor

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Ein störendes Geräusch zog Theodor Stück für Stück aus dem Schlaf. „Mama…Mama!“, schrie jemand. „Mama…!“, kam es gleich noch einmal hinterher. Theodor konnte dem Geräusch allmählich eine Person- seine zweijährige Tochter Luise - und einen Ort -sein Haus- zuordnen. Die Zeit zu bestimmen fiel ihm schwer. Irgendetwas zwischen mitten in der Nacht und früh am Morgen. Vielleicht 5 oder 6 Uhr. Möglicherweise aber auch erst Mitternacht. Das hatte er auch schon mal erlebt. Reagieren konnte er noch nicht. Sein Körper fühlte sich so schwer an, als liege er mit Kleidung im Wasser. Gerne hätte er herausgefunden, ob seine Frauke sich schon auf den Weg gemacht hatte. Doch dafür hätte er den Kopf zur Seite drehen müssen. Das brachte er nicht über sich. Jetzt war es wieder still. Das besagte aber nichts. Das Kind schlief unruhig und würde gleich wieder Alarm schlagen. Oder war es bereits an seiner Zunge erstickt. Nicht dass Luise eine zu große Zunge hatte. Theodor stöhnte und wartete ab. Er spürte schon die Kopfschmerzen des nächsten Tages. Gerade heute musste er fit sein. Und das an einem Freitag. Kein arbeitender Mensch musste an einem Freitag fit sein. Hätte er bloß den Computer ausgelassen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte und wäre mal vor zwölf ins Bett gegangen. Noch immer hörte er keine leisen Schritte auf dem Flurteppich, keine beruhigenden Worte seiner Frau: „Luise, schlaf noch ein bisschen“. Aber er hörte auch keine Atemgeräusche neben sich, kein Drehen oder Rascheln im Kissen. Lag Frauke überhaupt noch neben ihm? Plötzlich kam ihm wieder der Traum in Erinnerung aus dem Luises Rufe ihn gerissen hatten: Seine Frau hatte hinten auf einem Motorrad gesessen. Vor ihr ein Mann in Lederjacke. Theodor hatte kein Motorrad und gewiss auch keine Lederjacke. Frauke lachte und ruderte ausgelassen mit den Armen. `Wieso auf einem Motorrad?´ Theodor beschloss, seinen Kopf doch zur Seite zu drehen. Es ging leichter als er dachte. Sein Blick fiel auf einen Deckenberg. Die Anordnung sprach dafür, dass seine Frau darunter lag. Er war gerade im Begriff mit flacher Hand draufzuhauen, um sich zu vergewissern, dass Frauke nicht auf einem Motorrad saß, um sich von dem Biker ficken zu lassen, als wieder ein lautes, diesmal stark weinerliches „Mama…“ aus dem Kinderzimmer kam. Unter dem Kissenberg begann es zu rascheln. Nun stöhnte Frauke. Sie war also da. Theodor entspannte sich wieder. Das Stöhnen klang nicht nach Wollust, eher genervt. Kurz darauf warf sie die Decke mit einem Ruck zur Seite und sprang zum zweiten Mal stöhnend aus dem Bett. `Das geht doch auch ohne das Gestöhne´, dachte Theodor. Er schielte zu ihr hin. Frauke war nackt. Mit breiter Hüfte und schlankem Oberkörper wackelte sie aus dem Schlafzimmer. Er angelte sich den Wecker vom Nachtisch. Fünf Minuten nach 6. Luises Zeit. Nur 10 Minuten vor dem Weckerklingeln. Um Acht musste er erst in der Bücherei sein, aber sie planten mindestens 45 Minuten für ein gemeinsames Frühstück ein. Das war besonders heute wichtig, denn er würde für zwei Tage nicht nach Hause kommen. Das erste Mal seit Luises Geburt. Theodor dachte nach: Ja, auch die 4- jährige Katharina hatte er noch nicht länger als eine Nacht verlassen. Nur bei Lasse war er schon mal weg gewesen. Vor fünf Jahren. Auch zur Saisonvorbereitung. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. `Das einzige, was ich in meinem Leben vorhabe, sind Saisonvorbereitungen.´ Nun war er wach. `Manche Saisonvorbereitungen haben es aber auch in sich´, dachte er mit einem Lächeln, dass seine Frau als schelmisch bezeichnet hätte und welches sie schon lange nicht mehr an ihm gesehen hatte. Auch jetzt bekam sie es nicht zu Gesicht, denn vor ihren Augen, hing die zweijährige Luise. Die Arme seitlich um ihren Kopf geklammert, ließ sie sich wie Bündel Wäsche auf das Bett neben ihre Mutter legen. Theodor starrte weiter gegen die milchig graue Zimmerdecke. Luise war jedoch aufmerksamer als ihre Mutter. „Papa wach“, gellte sie durch das Elternschlafzimmer. „Psst“, fauchte Frauke. Theodor fühlte sich ertappt und schloss schnell die Augen. „Papa wach!“, wiederholte Luise und Sekunden später klatschte eine kleine Kinderhand auf Theodors Nase. „Au“, beschwerte sich Theodor und brummte: „Papa ist nicht wach. Schlaf weiter!“ Das fand Luise lustig und schlug wieder nach ihrem Vater. „Man darf nicht hauen!“, bestimmte Theodor und hielt die kleine Hand über seinem Gesicht auf, drückte kurz fest zu und warf sie wieder zurück. Luise weinte. „Ach Luise“, schimpfte Frauke, „kannst du uns nicht einmal schlafen lassen!“ Sie richtete sich auf und zog die Zweijährige von ihrem Vater weg. „Papa aua!“, beschwerte sich Luise und Theodor versuchte ihr schnell noch einmal über den Körper zu streicheln, aber ihre Mutter hatte sie schon an sich gezogen. „Du darfst nicht schlagen!“, sagte er stattdessen und ließ seinen Kopf wieder tief ins Kissen fallen. Doch die Ruhe des Morgens wollte sich nicht mehr einstellen. Er wartete unter Luises Gebrabbel noch ab, bis der Wecker klingelte und hob sich dann schwerfällig aus dem Bett. Wenn dieser Körper heute noch Tennis spielen konnte, dann grenzte das an ein Wunder. `Und nicht nur heute´, stöhnte Theodor auf dem Weg ins Badezimmer, `auch morgen und übermorgen.´ Er ließ sich auf die Klobrille fallen und verweilte dort mit vors Gesicht geschlagenen Händen. `Ich nehme mir einfach zu viel vor.´ Draußen vor dem Badezimmer näherten sich Schritte. Seine Frau war mit der Kleinen im Anmarsch. Mit einer Hand hielt er die Klinke der Badezimmertür fest. Jemand zog daran. „Noch nicht.“ Jeden Morgen das Gleiche. Was wäre, wenn er es an der Prostata hätte? Wie viel Zeit wollten sie ihm dann geben? `Was heißt schon zu viel vornehmen? Seit fünf Jahren war ich nicht mehr weg.´ Es war ihm noch nicht einmal aufgefallen - bis heute. `Dann habe ich wohl auch nichts vermisst´, dachte Theodor und warf einen Blick in den Spiegel. Eigentlich war er nicht der Typ, der sich selbst etwas vorspielte. Er verhielt sich lieber schonungslos zu sich selbst und übertrieb eher ins Negative. `Sich zu verändern ist nicht das Problem. Bin ich eben ein Familienmensch. Sollen DJ und Karsten ihre Sprüche ruhig klopfen. Die wissen auch nicht alles. Das Problem ist: Wenn man sich verändert und es selbst nicht mitbekommt. Schwups sind fünf Jahre vergangen und man ist ein anderer Mensch geworden. Wenn die Anderen ihre Sprüche über einen klopften, weiß man gar nicht, wen sie meinen. Also gut, ich habs erkannt: Seit fünf Jahren bin ich nicht mehr von zu Hause fort gewesen. Ich bin ein Stubenhocker, eine Glucke.´ Die Erkenntnis traf Theodor härter als erwartet. Er dachte an seine Reisen mit und ohne Frauke zu den kulturellen Hochstädten dieser Welt: Akropolis, Herkaklion, Kolosseum, Stone Hedge, Chinesische Mauer und Hampi, Mark Brandenburg und der Ganges. Auf den Spuren Siddartas. „Sollen sie ihre Sprüche machen. Die haben doch immer nur in ihren Hotelburgen rumgehangen“, schimpfte Theodor halblaut gegen den Spiegel. `DJ mit seinen Witzen gegen mich. Ob ich meinen Kindern deshalb so viel Zeit widme, damit SIE etwas Ordentliches werden. Pah, der Autohändler. Sie wissen eben nichts über mich!´ Theodor kam ein Satz von Oscar Wilde in den Sinn, den er in den letzten Wochen öfters gedacht hatte: „Erlebe nie etwas, was du am Abend beim Dinner nicht Preis geben darfst. Es lohnt nicht.“ Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und blickte tief in den Spiegel. Er war Mitte 40, hatte einen Haarkranz, der grau zu werden begann und sah laut Frauke trotzdem noch immer aus wie ein Schuljunge. „Ein Schuljunge, der es zum Leiter der Lübecker Stadtbücherei gebracht hat mit Schlüsselgewalt über alle Lübecker Kulturstätten.´ Theodor lächelte und der freundliche Ausdruck seines Spiegelbildes überraschte ihn. `Besser Schuljunge als ein Greis.´ Er hatte mal wieder etwas über sich erfahren. Sein Selbst wahrgenommen: Er war zu einem Stubenhocker geworden. Die Erkenntnis würde ihm ermöglichen es zu ändern. Wenn er es denn ändern wollte. `Nichts anderes mach ich gerade´, lobte er sich zufrieden. Er war im Begriff seine Sachen zu packen und die Familie nach fünf Jahren mal wieder zu verlassen. Mehr als das. Er wollte richtig auf die kacke hauen. Der Plan stand bereits. `Mir sollten die Dinge Sorgen bereiten, die ich nicht erkenne.´ Mit hängendem Kopf ging er zur Badezimmertür. Was lag da noch alles im Verborgenen? Er hob den Kopf wieder und öffnete. Vor ihm standen Luise und ihre Schwerster Katharina. Frauke stand dahinter. „Bist du jetzt fertig, Papa?“, maulte Katharina und drängelte sich an ihm vorbei.

Saisonvorbereitung mit Seitensprung

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