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Familiengeschichte

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Alexander Bauer, der Großvater mütterlicherseits, wurde 1836 in Magyarovar, Nordwestungarn, geboren. Er studierte Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Wien, wechselte dann an das Polytechnische Institut (später die Technische Universität), um sich bei Anton Schroetter auf Chemie zu spezialisieren. Schroetter wurde durch die Entdeckung des roten Phosphors bekannt.

Erwins Großmutter mütterlicherseits war Engländerin. Ihre Ahnenreihe lässt sich bis zu einer normannischen Familie namens Forestière zurückverfolgen, deren Festung Bamborough Castle in der Nähe von Durham lag. Der Familienname wurde zu Forster anglisiert. Thomas, geboren 1772, wurde als Sohn von Colonel Forster, einem Gouverneur von Portsmouth, geboren. Er heiratete Eliza Walker und hatte mit ihr fünf Kinder. Sie lebten in Kensington, wo 1816 auch ihre älteste Tochter Ann geboren wurde. Sie war Erwins Urgroßmutter, die er als Kind in England besuchte.

Ann heiratete William Russel, einen Rechtsanwalt aus Royal Leamington Spa, Warwickshire. Er stammte aus einer Familie, die seit vielen Jahren in Warwickshire dem Anwaltsberuf nachging. Die Russels hatten drei Kinder, William, Emily (die in der Familie Minnie gerufen wurde) und Ann (genannt Fanny). Emily wurde am 14. September 1841 in Leamington Spa geboren und in der All Saints Church Leamington Priors (der alte Name Spas), der ersten Gemeinde der Kirche von England, getauft. Die Familie lebte in einem geräumigen Haus mit ausgedehnten Gärten, die sich bis an den Fluss Leam erstreckten.

Wie kam es dazu, dass sich Emily Russell und Alexander Bauer aus Wien begegnen konnten? Die Möglichkeit hierzu eröffnete Emilys Bruder William, der Chemiker war. Er und Alexander freundeten sich in Paris an, wo beide 1859 Chemie studierten. Bauer war Schüler von Charles Adolphe Wurtz an der Ecole de Médecine. Wurtz ist heute jedem Erstsemesterstudenten der organischen Chemie als Entdecker der Wurtz-Synthese bekannt. Diese Synthese wird zur Darstellung von Kohlenwasserstoffen eingesetzt, hierbei verbinden sich zwei Alkylhalogenide unter der Mitwirkung metallischen Natriums. Auf dem Weg zu ihrem Urlaubsort Montreux machten Emily und ihre Mutter Halt in Paris. Bei einem Besuch der beiden ließ sich William von seinem Freund Alexander begleiten. Was dann dem strebsamen jungen Wissenschaftler und der reizvollen 19-jährigen Engländerin widerfuhr, muss als „Liebe auf den ersten Blick“ bezeichnet werden. Trotz dieses romantischen Zwischenspiels musste Alexander zunächst nach Österreich zurückzukehren und sich in seinem erlernten Beruf bewähren. Zwei Jahre darauf war er in einer Position, die es erlaubte, um Emilys Hand anzuhalten. Nachdem sie ihm ihr Jawort gegeben hatte, reiste er nach Leamington Spa. Hier wurden sie am 21. Dezember 1862 in der Pfarrkirche getraut, in der Emily schon getauft worden war.

Die Jungvermählten richteten sich im Herzen des alten Wiens, in einem freundlichen kleinen Apartment in der Kärntnerstraße 20, ein – nicht weit entfernt von dem Haus, in dem Mozart Die Hochzeit des Figaro komponiert hatte. Alexander ließ die Hochzeit in seiner Pfarrkirche registrieren, der altehrwürdigen und bestechenden Domkirche St. Stephan. Im Sommer 1863 besuchten die Bauers Leamington Spa, wo Emily erstmals schwanger wurde. Alex kehrte nach Wien zurück, während Emily bis zum Frühjahr 1864 bei ihrer Familie blieb. Nach ihrer Rückkehr verblieb wenig Zeit. Das Baby wurde am Ostersonntag geboren und erhielt den Namen Rhoda. Erwin wurde ihr Lieblingsneffe. Drei Jahre später erblickte eine zweite Tochter, Georgine, das Licht der Welt. Sie wurde 1887 Erwins Mutter.

Aufgrund eines Arbeitsunfalls, der sich 1866 bei der Durchführung chemischer Versuche ereignete, verlor Alexander ein Auge. Der Vorfall verminderte sein Interesse an der experimentellen Forschung deutlich, und er wendete sich jetzt verstärkt der Lehre, der Verwaltung und der Geschichte der Chemie zu. Dieses Engagement machte ihn als „Nestor der österreichischen Chemie“ bekannt. An der polytechnischen Hochschule wurde er auf den Lehrstuhl für allgemeine Chemie berufen, den er bis zu seiner Pensionierung 1904 innehatte.

1874 starb Emily kurz nach der Geburt ihrer dritten Tochter, Minnie, an einer Lungenentzündung. Alexander war zutiefst unglücklich über den Tod seiner jungen Frau. Nach einem Jahr der Trauer fasste er neuen Lebensmut und heiratete die 17-jährige Natalie Lechner. Natalie war eine junge Frau von ungewöhnlicher Selbstständigkeit und beachtlicher literarischer Begabung; sie war eine exzellente Musikerin und spielte die Bratsche in einem professionellen Streichquartett. Die Position einer jungen Stiefmutter ist wohl immer schwierig. Es ist aber zu vermuten, dass Natalie mit ihrer ihr eigenen Charakterstärke die eher fügsamen Bauer-Mädchen ohne größere Probleme in den Griff bekam. Sie vermittelte auch Georgie die Grundlagen des Geigenspiels. Nach zehn Jahren jedoch beschlossen Alexander und Natalie, sich zu trennen – eine Entscheidung, die zu der Zeit (1885) einige negative Kommentare nach sich zog. 1890 kam Natalie mit Gustav Mahler in Kontakt und war zwölf Jahre lang seine ständige Begleiterin, bis Mahler 1902 Alma Schindler heiratete.

Nach der Trennung widmete sich Alexander seinen Töchtern und den ständig zunehmenden beruflichen und bürgerlichen Verpflichtungen. Mit der Zeit entwickelte er sich zu einem bekannten Wiener Salonlöwen. 1904 wurde ihm die Ehre zuteil, den Titel „Hofrat“ führen zu dürfen. Im kaiserlichen und königlichen Österreich-Ungarn wurden Ehrentitel von den Angehörigen der oberen Mittelschicht hoch geschätzt, was im heutigen, modernen Österreich nicht anders ist. Nahezu alle Hochschulabsolventen ließen sich mit „Doktor“ ansprechen, und entsprechend der Position wurden die Titel mehr und mehr ausgeschmückt. Einmal stellte Alexander eine Anweisung seines alten Professors Hofrat Schroetter infrage, und wurde mit ernster Miene darauf hingewiesen: „Junger Mann, ein Hofrat macht niemals einen Fehler.“

Alle drei Bauer-Töchter heirateten Männer technischer Berufe, die sie über ihren Vater kennengelernt hatten. Am 16. August 1886 heiratete Georgie Rudolf Schrödinger. Rudolf hatte an der Technischen Universität studiert und eine kleine, aber profitable Linoleum- und Wachstuchfabrik zuzüglich Großhandlung geerbt, das machte ihn für Bauer als Schwiegersohn annehmbar. Die Hochzeit fand in der evangelischen Stadtkirche statt, wobei die Registratur darauf verweist, dass der Bräutigam katholisch und die Braut, Georgine Emilie Brenda Bauer, zur evangelischen Kirche konvertiert war. Man könnte annehmen, dass die Bauer-Mädchen alle im evangelischen Glauben erzogen wurden, da anglikanische Kirchen und Gottesdienste in Österreich nicht so häufig vorkamen. Der Konfessionswirrwarr in der Familie Bauer mag erklären, warum Erwin Schrödinger – trotz des katholischen Hintergrundes im mehrheitlich katholischen Österreich – nominell protestantisch war.

Rudolf Schrödinger wurde am 27. Januar 1857 als Sohn von Josef und Maria Bogner Schrödinger geboren. Seine Taufe erfolgte in der Pfarrkirche St. Peter und St. Paul in Erdberg, einem Wiener Randbezirk, auf den Namen Rudolf Josef Carl. Beide Familien lebten schon seit drei oder vier Generationen in Wien, die Schrödingers kamen ursprünglich aber aus der Oberpfalz in Bayern. Rudolfs Mutter, Maria Anna Josepha Bogner, war bei ihrer Trauung am 14. Mai 1853 in der katholischen Kirche St. Carl eine 19-jährige Waise. Ihr Vater war in einem der Vororte Inhaber eines Kaffeehauses gewesen. Sie gebar drei Kinder, einen Sohn Erwin, der im Kindesalter starb, eine Tochter Marie und ihr jüngstes Kind Rudolf. Im Alter von 24 Jahren starb sie, sechs Tage nach der Fehlgeburt eines vierten Kindes. Rudolf war zu dieser Zeit noch keine zwei Jahre alt. Der Vater heiratete nicht wieder und übernahm die Erziehung seiner zwei Kinder.

Drei Monate nach ihrer Hochzeit sorgten Rudolf und Georgine dafür, dass die zufällige Neukombination ihrer Gene eine besonders geniale Persönlichkeit hervorbringen sollte: Am 12. August 1887 wurde Erwin geboren, eine Hausgeburt in der Apostelgasse 15 in Erdberg, Wien 3. Da Georgie die Arbeiten Goethes sehr schätze, wollte sie das Kind zunächst Wolfgang nennen. Rudolf, der sich gewöhnlicherweise keinen sentimentalen Gedankengängen hingab, bevorzugte den Namen Erwin, nach seinem lange verstorbenen Bruder. Die Umstände der Taufe des Kindes waren ungewöhnlich. Sie fand im Hause des Großvaters Alexander in der Kärntnerstraße 20 statt. Am 17. Oktober kam der Pfarrer der evangelischen Kirche ins Haus und taufte das Kind auf den Namen Erwin Rudolf Josef Alexander. Taufpate war Alexander Bauer, eine Taufpatin gab es nicht. Solch eine Haustaufe war nichts Ungewöhnliches, aber man hätte die Taufe wohl eher in der elterlichen Wohnung erwartet. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Rudolf, der kein praktizierender Katholik war, das Kind gar nicht taufen lassen wollte, Alexander sich aber durchsetzte und mit Rücksicht auf die Religionszugehörigkeit seiner Tochter den evangelischen Pfarrer bat, in sein Haus zu kommen und das Sakrament zu spenden.


Abbildung 1: Erwin und Großvater Alexander Bauer (1890)

Rudolf und Georgie bekamen keine weiteren Kinder. Die Gründe hiefür sind nicht bekannt. Als Einzelkind galt Erwin die volle Aufmerksamkeit seiner Mutter und über Jahre hinweg auch die seiner Tanten Rhoda und Minnie. Darüber hinaus waren eine Reihe von jungen Mägden und Kindermädchen zu Diensten, die Erwin alle als angehendes Genie betrachteten, das durchgehender Bewunderung bedurfte. Aufgewachsen in einer solch behüteten Atmosphäre, liebevoll, voller weiblicher Fürsorge, ist es kaum ein Wunder, dass Erwin sich an diese Umstände gewöhnte und es als gerechtfertigt ansah, dass man ihm solche Erwartungen sein ganzes Leben hindurch erfülle.

Erwin Schrödinger

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