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Das Studium der Physik

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Im Zentrum von Erwins Interesse stand an der Universität der Kurs zur theoretischen Physik von Hasenöhrl. Dieser erstreckte sich über acht Semester mit jeweils fünf Wochenstunden Vorlesung. Hasenöhrl war jung, voller Energie und ein hervorragender Dozent. Er trug ohne Notizen vor, hatte aber auch nicht alles im Gedächtnis. Er verließ sich schlichtweg auf die strenge Logik der Wissenschaft und entwickelte die Dinge beim Fortschreiten. Auch verlor er die Ziele seiner Darstellungen nicht in einem Dickicht mathematischer Details aus den Augen – ein Fehler einiger Theoretiker. Seine Begeisterung für die Schönheiten seines Faches vermochte er auch auf seine Studenten zu übertragen: Wenn sich Erwin nicht bereits auf die theoretische Physik festgelegt hätte, diese Vorlesung hätte ihn zum Umschwenken bewegt. Erwin behauptete immer, schlecht aus Büchern lernen zu können. Dieses Fach mit tiefem Verständnis nun in solch einer wunderbaren Vorlesung vorgestellt zu bekommen, war für ihn eine intellektuelle Freude höchsten Ranges. „Niemand sonst hat so einen starken Einfluss auf mich gehabt wie Fritz Hasenöhrl, außer vielleicht mein Vater.“ Hasenöhrl umgab eine gewisse Aura der Ritterlichkeit, doch überwand er dank seiner Freundlichkeit jede Autoritätsschranke zwischen sich und seinen Studenten. Häufig kamen Gruppen von Studenten in sein Haus, wo seine hübsche Frau Ella den Vorsitz führte und sein kleiner Sohn und seine Tochter zu der fröhlichen Atmosphäre beitrugen. Er war ein guter Bergsteiger und auch ein exzellenter Skifahrer und Wintersportler. Des Weiteren organisierte er Ausflüge mit den Studenten und zeigte Interesse an deren Belangen. Und wie Hans Thirring berichtete: „Wohin auch immer er kam, wirkte er als Aktivator und stärkte die Gemeinschaft.“

Hasenöhrl las in dem alten angemieteten Gebäude in der Türkenstraße. Die Vorlesungen erstreckten sich über die Grundlagen der analytischen Mechanik, die Dynamik der deformierbaren Körper, die Lösung partieller Differenzialgleichungen und Eigenwertprobleme, Maxwell-Gleichungen, die Theorie des Elektromagnetismus, Optik, Thermodynamik und statistische Mechanik. Die Vortrefflichkeit der Vorlesungen ließ die Studenten die Baufälligkeit der Räumlichkeiten, in denen sie gehalten wurden, vergessen. Es gab keine anständigen Bankreihen, sie hatten auf Stühlen zu sitzen und ihre Notizblöcke auf ihren Knien abzulegen. „Der Fußboden war uralt, mit Intarsien versehen, durch ihn verliefen klaffende Gletscherspalten, in denen sich sogar heute noch unsagbare Mengen an Quecksilber befinden könnten. Jeder Schritt ließ den ganzen Raum erbeben … sogar die Außenwände bebten wenn draußen ein starker Wind wehte oder ein Lastwagen vorbeifuhr.“

Die Mathematikvorlesung (Funktionentheorie, Differenzialgleichungen, mathematische Statistik) wurde von Professor Wilhelm Wirtinger gehalten. Zwar fehlte ihr jeglicher Schwung, doch waren die Inhalte für jede weitere Arbeit in der theoretischen Physik unentbehrlich. Schrödinger verbrachte an der Universität unendlich viel Zeit mit der Mathematik. Sein mathematisches Können erreichte unter den zeitgenössischen theoretischen Physikern den ersten Rang, möglicherweise nur noch übertroffen von Arnold Sommerfeld. Dennoch gab es einige Zweige der Mathematik, besonders in der Algebra und Gruppentheorie, die er vernachlässigte. Glücklicherweise zeigte sich, dass das, was er lernte, auch das beinhaltete, was er für seine großartigen Arbeiten benötigen würde. Die „Bibel“ der mathematischen Physik jener Zeit war Die partiellen Differential-Gleichungen der mathematischen Physik von Georg Riemann und Ernst Weber, die er als Student bis in Kleinste beherrschte.

Der Kurs in Meteorologie, den Schrödinger bei Julius Hann (1839–1921) belegte, erwies sich im Laufe des Ersten Weltkrieges als unerhoffter Segen, als er 1917 von der Artillerie an der italienischen Front zum militärischen meteorologischen Dienst in Wien verlegt wurde. Der Chemiekurs, der auch praktische Übungen in qualitativer Analytik beinhaltete, wurde wohl unterrichtet, aber Schrödinger zeigte kaum irgendein Interesse an diesem Gebiet.

Am physikalischen Institut befanden sich einige Mitarbeiter von Professor Exner unter den Lehrern Erwins. Egon Schweidler und Hans Benndorf waren Studenten Exners, die auf dem Gebiet der atmosphärischen Elektrizität arbeiteten. Erwins engster Freund unter den Mitarbeitern war Karl Wilhelm Friedrich Kohlrausch, Fritz genannt, der aus einer Familie bedeutender deutscher Wissenschaftler stammte. Er schloss gerade den ersten Studienabschnitt ab, während Erwin sich im zweiten Jahr seines Studiums befand. Kohlrauschs Thema war eine experimentelle Studie zu den Fluktuationen der Zerfallsrate eines radioaktiven Elements, einer Erscheinung, die Schweidler ein Jahr zuvor entdeckt hatte. 1910 führte er Untersuchungen zur Mobilität von Radium-A-Atomen in der Luft durch, eine Fragestellung, die Schrödinger später aufgriff.

Zum 60. Geburtstag von Hanns Benndorf hatten Stefan Meyer und Fritz Kohlrausch die nette Idee, dem Exner-Kreis mit einem schönen silbernen Pokal zu gedenken. Dieser Pokal sollte von Mitglied zu Mitglied weitergereicht werden, sodass jeder zu seinem 60. Geburtstag seinen Namen eingravieren lassen konnte. Er trug den Aufruf: „Reise Oh Pokal und trage viel Heiterkeit von einem zum anderen. Wer immer aus dir trinkt, lass ihn an die Sechzigjährigen denken, die ihm vorangingen und an den, der ihm folgen wird.“ Benndorf war der älteste unter ihnen und Schrödinger der jüngste. Nach dessen Tod ging der Pokal in die Obhut der Akademie der Wissenschaften über.

Außerhalb der Universität bot die Wiener Welt die schon bekannten Ablenkungen, aber die Blütezeit der künstlerischen und musischen Talente der Jahrhundertwende begann zu schwinden. Im Dezember 1905 wurde Die lustige Witwe von Franz Léhar am Theater an der Wien gezeigt und der gefällige Walzer somit zur Erkennungsmelodie des Vorkriegs-Wiens. 1906 kam erstmals Enrico Caruso an die Oper; Musil brachte seinen Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß heraus, eine düstere Vorahnung des Sadismus und der Perversionen der nationalsozialistischen Ära, und Buffalo Bill Cody führte seine Wildwest Show in der Rotunde des Praters auf. 1907 wurde Gustav Mahler vom Direktorenstuhl der Oper abberufen, und das gewagte Kabarett Fledermaus öffnete in der Kärnterstraße 33 seine Tore, nur wenige Türen von Großvater Bauers Haus entfernt. Im Laufe des nächsten Jahres veröffentlichte die Wiener Werkstätte Oskar Kokoschkas Die träumenden Knaben, und Erwin Schrödinger wurde 21 Jahre alt und genoss seine erste richtige Liebesbeziehung.

Wenig ist über diese Jugendliebe bekannt – nur ihr Name, Ella Kolbe, und die Tatsache, dass Erwin sich in diesem Jahr in sie verliebte und eine kurze, aber intensive Liaison folgte. Er wohnte weiterhin in der familiären Wohnung, sein Kommilitone Jakob Salpeter aber, mit dem er sich ein Labor teilte, hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der Universität, in der sich Erwin zeitweise aufhielt und wo er sich auch mit seiner Freundin treffen konnte. Ebenso besuchte er weiterhin die Familie Rella gelegentlich, aber er machte Lotte gegenüber klar, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht an eine Hochzeit dachte – trotz aller Hoffnungen, die ihre Mutter möglicherweise für diese Verbindung hegte.

Erwin Schrödinger

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