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Ernst Mach

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Obwohl sich Boltzmann und Mach einen erbitterten Kampf hinsichtlich der Realität von Atomen lieferten, schienen die meisten Physiker, während sie Boltzmanns Theorien in ihren eigenen Arbeiten anwandten, keine Schwierigkeiten mit den philosophischen Konzepten Machs über die grundsätzliche Natur der Wissenschaften zu haben. Wie Schrödinger es erklärte:

„Erfüllt mit einer großen Bewunderung für den aufrichtigen und fairen Kampf der beiden um die Wahrheit, betrachteten wir sie nicht als unversöhnlich. Boltzmanns Ideal bestand in der Herausbildung eines ausgesprochen klaren, nahezu naiv klaren und detaillierten ‚Bildes‘, hauptsächlich, um sich vollkommen sicher zu sein, sich widersprechende Annahmen zu vermeiden. Machs Ideal war die behutsame Synthese von Fakten, die aufgrund von Beobachtung gewonnen wurden, und die, falls gewünscht, bis hin zu den einfachen, nackten und sinnlichen Wahrnehmungen zurückverfolgt werden konnten … Wir entschieden uns dafür, dass es sich hier lediglich um verschiedene Herangehensweisen handelte und dass es durchaus zulässig ist, dem einen oder dem anderen zu folgen, vorausgesetzt, dass man nicht die wesentlichen Prinzipien aus den Augen verliert … des jeweils anderen.“

In der Zeit von 1919–1924 waren Schrödingers Beiträge zur Farbenlehre seine bedeutendsten wissenschaftlichen Arbeiten. Die Themen Materie und Methodologie machten den Eindruck, von den Mach’schen Prinzipien beeinflusst worden zu sein.

Was machte Machs Weltsicht aus? Der erste Baustein zu einer bestimmten philosophischen Sichtweise ist die Erkenntnistheorie – was weiß man und wie gelangt man zu Wissen? Der zweite Baustein ist die Ontologie – was existiert? Machs Positionen entwickelten sich im Laufe seines Lebens und waren auch Änderungen unterworfen. Sein ausdifferenzierter Standpunkt war, dass alles das, was wir über die Welt erfahren können, wie er es bezeichnete, Elemente seien. Diese Elemente umfassten die Sinneswahrnehmungen und würden durch die Dinge ergänzt, die einer zuverlässigen Messung zugänglich sind, wie etwa Raum und Zeit. Elemente, die sich auf den menschlichen Körper beziehen, bezeichnete er als Empfindungen. Die Welt zeigt sich uns unmittelbar in Bezug auf diese Elemente. Daher wird die Erkenntnistheorie Machs auch als subjektiver Phänomenalismus bezeichnet. Hierbei ist der Unterschied zum objektiven Phänomenalismus zu berücksichtigen, der zwar auch davon ausgeht, dass die äußere Welt nicht unmittelbar wahrgenommen werden kann, genau genommen geistiger Natur ist, aber hier kann zuverlässig von der Existenz einer wirklichen, äußeren Welt ausgegangen werden, da die Sinneseindrücke dies als empirischen Beweis folgern lassen.

Mach war nicht nur ein subjektiver Phänomenalist in Bezug auf seine Erkenntnistheorie, sondern auch hinsichtlich seiner Ontologie. Eine Welt, die sich aus den Elementen zusammensetzt, ist das, was tatsächlich existiert. Es gibt weder eine andere „wirkliche Welt“, die sich hinter den Phänomenen versteckt, noch gibt es dort irgendein Ich oder Selbst, das sich im Bewusstsein des Menschen versteckt. Das Ich ist lediglich eine Gruppe von Empfindungen, ähnlich einem Apfel oder Eisberg. Mach ging davon aus, dass das mögliche ökonomische Anordnen der Elemente das Ziel der Wissenschaft sei:

„Die Welt besteht aus Farben, Tönen, Wärme, Druck, Raum, Zeit usw., welche wir eben nicht als ‚Empfindungen‘ oder ‚Phänomene‘ bezeichnen wollen, da in beiden Termini eine einseitige willkürliche Theorie zum Ausdruck kommt. Wir bezeichnen sie schlicht als ‚Elemente‘. Das Verständnis für den Fluss dieser Elemente, direkt oder indirekt, ist das eigentliche Ziel der Wissenschaft. … Dass die Welt in diesem Sinne unsere Empfindung ist, steht außer Zweifel.“

Mach sah die Nützlichkeit von Theorien darin, auf Verbindungen verschiedener Phänomene hinzuweisen, aber er ging nicht davon aus, dass sie irgendeinen bleibenden Wert besäßen: „Theorien sind wie vertrocknete Blätter, die abfallen, wenn sie lange aufgehört haben, die Lungen des Baumes der Wissenschaft zu sein.“ Insbesondere misstraute er dem Gedanken, dass Atome alles andere seien als nur geeignete Symbole, um die Erfahrungen zusammenzufassen. „Gewiss muss man sich wundern, wie Farben und Töne, die uns so vertraut sind, plötzlich in einer physikalischen Welt der Atome in Erscheinung treten können. Wie sind wir plötzlich in Staunen versetzt, dass das, was außerhalb so trocken klopft und klappert, im Kopf singt und scheint. Wie ist es möglich, fragen wir, dass Materie fühlt, was gleichbedeutend mit der Frage ist, wie ein Sinnbild für eine Gruppe von Empfindungen selbst zu einer Empfindung werden kann?“

Nach seiner Emeritierung interessierte sich Mach für die Theorien der Gravitation und des Elektromagnetismus. Beide Theorien gehen auf Felder zurück, die sich umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes zur Quelle verändern. Er ging davon aus, dass es möglich sein sollte, eine allgemeine Feldtheorie zu entwickeln, die die gegenwärtigen Atomtheorien ersetzen könnte. 1909 fühlte er sich zu den neuesten Arbeiten Albert Einsteins und einem Buch von Paul Gerber, Gravitation und Elektrizität, hingezogen. Er sprach Prof. Wirtinger an, um von einigen der theoretischen Physiker zu erfahren, wie sie über die Arbeiten Einsteins und Gerbers dachten. Wirtinger leitete die Anfrage an Schrödinger weiter und schrieb am 28. Juli 1910 an Mach: „Ich habe Gerbers Artikel an einen jungen Elektronenmann weitergegeben, der ansonsten einen ganz vernünftigen Eindruck macht. Er hat angeboten, mir seine detaillierte Meinung zurückzuschicken. Dr. E. Schrödinger hat mir nun diesen detaillierten Brief zukommen lassen. Was mich erstaunt, ist sein Einwand, dass sich die ganze Sache [die Beziehung zwischen Gravitation und Elektromagnetismus] ganz anders verhält, wenn eine andere Art radioaktiven Materials mit in die Überlegungen einbezogen wird.“ Wir werden wahrscheinlich niemals erfahren, was Schrödinger mit dieser rätselhaften Angabe meinte. Er empfand Teile aus Gerbers Abhandlung als sehr undurchsichtig: „Bedauerlicherweise konnte ich meine Aufgabe nicht besonders zufriedenstellend erledigen, da einige der wesentlichen Punkte in Gerbers Artikel vollständig unklar bleiben.“ Schrödinger und Einstein haben beide viele ihrer späten Jahre der vergeblichen Suche nach einer Vereinheitlichung von Elektromagnetismus und Gravitation geopfert.

Machs Ideen hatten großen Einfluss auf die Entwicklung der Wissenschaftsphilosophie im Allgemeinen und im Besonderen mit Blick auf die Interpretation der Quantenmechanik. Von 1920 bis 1950 galt der logische Positivismus nahezu unangefochten als anerkannte Doktrin der Wissenschaftsphilosophie. Dieser logische Positivismus wurde von den Mitgliedern des „Wiener Kreises“ formuliert, der ursprünglich auch als „Mach’scher Kreis“ bezeichnet wurde. Jedoch weist der subjektive Phänomenalismus eine Anzahl ziemlich offensichtlicher Schwächen auf. Zum Beispiel versagt er hinsichtlich der Erklärung der engen Beziehung von mathematischer Beweisführung und theoretischer Physik: Mathematische Operationen und Symbole bezeichnen keine empirischen Empfindungen, und dennoch kann man Wissenschaft nicht ohne sie betreiben. Auch sind Experimente Interaktionen des Wissenschaftlers mit der Umgebung. Wie können sie als bloße Ansammlung von Empfindungen erklärt werden? Mach vermag nicht die enorme prädiktive Leistung der theoretischen Physik zu erklären: Wie kann es sein, dass Dirac ein positives Elektron postuliert und Anderson es anschließend in einer Nebelkammer nachweist? Einstein und Planck, in frühen Jahren beide Anhänger Machs, ließen ihn schließlich abseits liegen. Dennoch schrieb Einstein in einem Nachruf auf Mach: „Selbst jene, die sich als Widersacher Machs verstanden, haben kaum vermocht zu erfassen, in welchem Umfang sie die Ansichten Machs sozusagen schon mit der Muttermilch aufgenommen haben.“

Als jungem Mann war es Schrödinger möglich, ein pragmatisches Gleichgewicht zwischen dem Mach’schen Positivismus und Boltzmanns Realismus aufrecht zu erhalten. Aber mit zunehmendem Alter konnte ihn dieser Kompromiss nicht mehr befriedigen. 1925 schrieb er: „man rufe sich in Erinnerung das Gefühl banger, herzbeklemmender Öde und Lehrheit, das wohl einen jeden beschlichen hat beim ersten Erfassen von Kirchoff-Machs Umschreibung der Aufgabe der Physik (bzw. der Naturwissenschaft überhaupt): als einer möglichst vollständigen und möglichst denkökonomischen Beschreibung der Tatsachen“. Schrödinger war nicht bereit, die Eleganz der Wissenschaft hinter den kalten Gefängnismauern wegzusperren, die von Mach und seinen Anhängern errichtet worden waren.

Erwin Schrödinger

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