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§ 29. Philosophische Theologie als Mystik 1. Johannes Scotus Eriugena

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Eine bedeutende Strömung der Philosophischen Theologie innerhalb des mittelalterlichen Denkens geht – mehr noch als die bisher besprochenen Richtungen – auf die neuplatonische Tradition zurück: die Philosophische Theologie in der Gestalt der Mystik. Charakteristisch hierfür ist im Beginn des Mittelalters Johannes Scotus Eriugena.1

Freilich will auch er, nicht anders als Augustinus vor ihm und als Anselm, Bonaventura und Roger Bacon nach ihm, die Philosophie im Glauben gründen. Er betont, „der Anfang der vernünftigen Überlegung sei bei den heiligen Aussprüchen zu nehmen“ (II 15); „man muß der Autorität der Heiligen Schrift in allem folgen“ (I 64). Aber das führt zu keinem Widerstreit zwischen Vernunft und Glauben. „Denn die wahre Autorität steht der rechten Vernunft nicht entgegen, noch die rechte Vernunft der wahren Autorität; sofern ja kein Zweifel ist, daß beide aus einer Quelle, nämlich der göttlichen Weisheit, fließen“ (I 66). Eriugena behauptet darum auch, und zwar im ausdrücklichen Anschluß an Augustinus, „daß die wahre Philosophie die wahre Religion, und umgekehrt die wahre Religion die wahre Philosophie sei“ (P 1, 1).

Die Rolle des Glaubens beschränkt sich freilich im Ganzen des Denkens Eriugenas im wesentlichen darauf, Beginn des Philosophierens im Sinne der Philosophischen Theologie zu sein; „denn nichts anderes ist, wie ich meine, der Glaube, als ein gewisser Ursprung, von dem her in der vernünftigen Natur die Erkenntnis des Schöpfers zu entstehen beginnt“ (I 71). Es kommt also entscheidend darauf an, „was wahrhaft geglaubt wird, einzusehen“ (II 20).

Die vom Glauben her entspringende Vernunft nun versteht Eriugena – ganz im Sinne Plotins und des Dionysios Areopagita – als spekulative Vernunft. Er deutet die Wirklichkeit von der Gottheit her, und dies so konsequent, daß ihm jene völlig in dieser aufgeht; von der „göttlichen Natur“ sagt er, „sie allein sei wahrhaft und eigentlich in allem, und nichts sei wahrhaft und eigentlich, das sie nicht wäre“; „Gott und die Kreatur“ seien „eines und dasselbe“ (III 17).

Von diesem Grundgedanken aus entfaltet sich die Philosophische Theologie Eriugenas. Gott stellt sich in vierfacher Weise dar. Er ist erstens der Ursprung von allem, als die Natur, „die schafft und nicht geschaffen wird“, und er ist zweitens Ende und Ziel von allem, als die Natur, „die weder schafft noch geschaffen wird“; er ist aber drittens auch die von ihm ausgehende Ideenwelt, die Natur, „die geschaffen wird und schafft“, und viertens die Welt der wirklichen Dinge, die Natur, „die geschaffen wird und nicht schafft“ (I 1).

So „wird Gott in der Kreatur auf wunderbare und unaussprechliche Weise geschaffen, sich selber darstellend, als der Unsichtbare sich sichtbar machend“ (III 17); daher „kann alle sichtbare und unsichtbare Kreatur Theophanie, das heißt: göttliche Erscheinung, genannt werden“ (III 19). Die philosophische Deutung der gesamten Wirklichkeit ist also in ihrem ganzen Umfang Rede von Gott, Philosophische Theologie; in diesem Sinne spricht Eriugena von der „göttlichen Philosophie“ (II 23).

Was die einer solchen Art von Philosophie eigentümliche Weise der Erkenntnis Gottes angeht, so schließt sich Eriugena in diesem Punkte völlig an Dionysios Areopagita an. Beherrschend ist der Gedanke der Unerkennbarkeit Gottes; dieser ist „unaussprechlich“, „unbegreifbar“, „unzugänglich“ (III 19); „Gott selbst wird in sich selber über alle Kreatur hinaus durch keine Vernunft begriffen“ (I 3). Demgemäß ist auch der Aufbau der Theologie, wie ihn Eriugena entwickelt, derselbe wie bei Dionysios Areopagita. Über der affirmativen Theologie erhebt sich die negative Theologie, in der das Sein Gottes schließlich, verglichen mit dem Sein der endlichen Dinge, als Nichts erscheint (vgl. III 19). Die negative Theologie aber wird von der Theologie des „Darüberhinaus“ übergipfelt. Gott ist „über alles hinaus, was von ihm ausgesagt wird, als die überseiende Natur, die alles schafft und nicht geschaffen wird, in überseiender Weise zu überloben“ (I 76).

Hier nun erhebt sich die Frage nach der philosophischen Erfahrung, die einer solchen Art von Philosophischer Theologie zugrunde liegt. Dieses Problem wird jedoch von Eriugena nur kurz berührt. Er spricht von einer „Bewegung der Seele, die, durch Tätigkeit gereinigt, durch Wissen erleuchtet, durch Theologie vervollkommnet ist“; in solcher Bewegung „kreist sie immerzu ewig um den unbekannten Gott“; er weist ferner darauf hin, daß „ die Vernunft … über sich selbst und alle Kreatur hinaus aufsteigen kann, so daß sie ihre wesenhaften Bewegungen um den unbekannten Gott, der weit von jeder geschaffenen Natur entfernt ist, vollenden kann“. Aber Eriugena betont auch, daß uns in der Frage, „wie die geschaffene Natur außer sich selbst aufsteigen kann …, alle Nachforschungen über das Vermögen der Natur der vernünftig Schließenden im Stich läßt.“ „Denn in keiner geschaffenen Substanz ist auf natürliche Weise eine Kraft, durch die sie die Grenzen ihrer Natur überwinden und Gott selbst unmittelbar durch sich selbst berühren könnte; dies nämlich ist allein eine Sache der Gnade, nicht aber irgendeiner Kraft der Natur“ (II 23).

Bei diesen Andeutungen läßt es Eriugena bewenden. Umso stärker beschäftigt das Problem des Aufstiegs die im folgenden dargestellten, in der gleichen Tradition stehenden Denker.

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