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§ 30. Meister Eckhart 1. Abgeschiedenheit und Gottgleichheit der Seele

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Das gleiche Problem stellt sich für das Denken Meister Eckharts 1. Auch dieser kennt eine bestimmte Erfahrung als Voraussetzung der Möglichkeit einer Philosophischen Theologie. Aber sie hat eher den Charakter eines Abstieges als eines Aufstieges; sie besteht in einer Absage an die gesamte welthafte Wirklichkeit. Voraussetzung der Möglichkeit, von Gott zu reden, ist die „Abgeschiedenheit“; denn diese allein kann „Gott erkennen“ (D V 432).

Die Abgeschiedenheit bedeutet zunächst ein Absehen von aller äußeren Wirklichkeit; der Mensch muß „leer sein aller Kreatur“ (D V 413), „kein Gesicht haben auf die Geschaffenheit“ (D I 244), „abgeschieden“ sein „von allen Dingen“ (D I 250), in einer reinen „Vergessenheit aller Kreaturen“ (DI 185).

Vor allem aber richtet sich die Abgeschiedenheit auf das Dasein des Menschen selber. Der Mensch muß sich von sich selber lossagen; denn „ließe ein Mensch … alle Welt und behielte sich selber, so hätte er nichts gelassen“ (D V 194). Er muß „ledig“ sein „aller Werke“ (P 283), „ausgegangen … aus sich selber“; er muß „sich selber gelassen“ haben D I 244) und darin „ganz gelassen“ geworden sein (D I 193); er muß in eine „ganz vollkommene Vergeßlichkeit vergänglichen und zeitlichen Lebens“ (D V 112), in eine „Armut des Geistes“ (D V 297) gelangt sein: als ein „Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat“ (P 280), der „gewagt“ hat, „zunichte zu werden“ (D I 14).

Eckhart drückt dieses Leerwerden, in dem „sich der Mensch abkehrt von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen“ (P 193), in dem er „in ein Vergessen aller Dinge und seiner selbst“ gelangt (P 7), mit aller Schärfe aus. Die „Abgeschiedenheit will nichts sein“ (D V 406), sie „steht auf einem bloßen Nichts“ (D V 423), sie „rührt … so nahe an das Nichts, daß zwischen vollkommener Abgeschiedenheit und dem Nichts kein Ding zu sein vermag“ (D V 405). Und sofern sich in ihr das eigentliche Wesen des Menschen verwirklicht, kann Eckhart sagen: „all unser Wesen liegt in nichts als in einem Zunichtewerden“ (D V 294).

Das besagt nicht, daß in solchem Abscheiden, in dem „alle Geschaffenheit vernichtet“ wird (D I 88), das Ich völlig zugrunde ginge. Im Gegenteil: dadurch erst wird dem Eigentlichen im Menschen, dem „Innersten der Seele“, dem „Grunde der Seele“ (D I 173), die Möglichkeit gegeben, zum Vorschein zu kommen. In immer neuen Wendungen versucht Eckhart, dies Unfaßbare zu umschreiben; er nennt es „das Haupt der Seele“ (P 109), das „Licht des Geistes“ (D I 39), „die Vernünftigkeit“ (P 109), das „Bürglein in der Seele“ (D I 44), oder auch und vorzüglich „das Fünklein der Seele“ (D I 331). Aber alle diese Bezeichnungen vermögen das Gemeinte nicht voll zu treffen; es „ist mehr unbenannt, als es Namen hätte, und ist mehr unbekannt, als es bekannt wäre“ (P 261).

Über den ontologischen Charakter dieses Seelengrundes äußert sich Eckhart widerspruchsvoll. Einerseits wird das Fünklein als „ungeschaffen“ (D I 380), als „aller Geschaffenheit fern und fremd“ (D I 197), andererseits als „geschaffen von Gott“ (D I 332) bezeichnet. Die Lösung dieses Widerspruchs wird vermutlich darin gesucht werden müssen, daß die Ungeschaffenheit der Seele nicht als ein Seinscharakter, sondern als ein Geschehen verstanden wird. In dem Augenblick, in dem die Seele in die vollendete Abgeschiedenheit kommt, entwird sie ihrer selbst und wird dadurch „fern von dem geschaffenen Etwas“, das sie als welthaft existierende ist; „so schlägt sie in ihr Nichts“, das sie vor ihrer Geschaffenheit war; aus diesem kann allein Gott sie ins Sein zurückbringen, und zwar so, daß er „mit seiner Ungeschaffenheit sich unter ihr Nichts stellt und die Seele in seinem Etwas erhält“ (D I 14). Das ist gemeint, wenn Eckhart davon spricht, daß „Gott die Seele als ungeschaffen und ungeschöpflich … berührt“ (D I 172). Die Seele ist nicht ungeschaffen im ontologischen Sinne, aber sie kann durch die abschiedliche Rückkehr in ihre Ungeschaffenheit im Nichts zur Neuschöpfung durch Gott gelangen.

In diesem Sinne nun kann Eckhart von dem „Bürglein in der Seele“ behaupten: „mit dem Teile ist die Seele Gott gleich“ (D I 44). Er betont, „ daß etwas in der Seele ist, das Gott … verwandt ist“ (D I 197): „ein Bild göttlicher Natur“ (D I 333), demgemäß „Gott verborgen liegt in dem Grunde der Seele“ (D V 219).

Daher auch ist hier der Ort, an dem die Seele Gott erfassen kann; „das Fünklein der Seele begreift das göttliche Licht“ (D I 343). Dies aber wird einzig und allein in der Erfahrung der Abgeschiedenheit erreicht: „Wer in Gottes Grund kommen will …, der muß in seinen eigenen Grund kommen“ (P 155). Aber wer so zu „vollkommener Abgeschiedenheit“ gelangt, der kommt auch in der Tat „in die Nähe der Gottheit“ (D V 434), ja zu einer „lauteren Einung“ mit Gott (D I 197); die „Abgeschiedenheit … vereinigt sich mit Gott“ (D V 432). Oder, von der andern Seite her betrachtet: „Gott geht hier ein in die Seele in dem Grunde. Niemand rührt an den Grund in der Seele als Gott allein“ (P 5). Und zwar vollzieht sich diese Begegnung mit der göttlichen Wirklichkeit nicht in einem äußerlichen oder vorläufigen Sinne, sondern in voller Hingabe nicht nur des Menschen, sondern auch Gottes. Dieser ist „in dem Grunde der Seele mit aller seiner Gottheit“ (D I 162), „wie er in sich selber ist“, so „daß sich Gott in einen jeglichen Menschen, der sich bis zum Grunde gelassen hat, allzumal nach all seinem Vermögen so ganz und gar ergießen muß, daß er in seinem Leben, in seinem Wesen, in seiner Natur und in aller seiner Gottheit nichts behält; er muß es allzumal in fruchtbarer Art in den Menschen ergießen, der sich Gott gelassen … hat“ (P 192f.).

Eckhart wird nicht müde, dieses völlige Einswerden des Seelengrundes mit Gott zu betonen. „Die Nähe Gottes und der Seele, die hat in Wahrheit keinen Unterschied“ (D I 162), so wenig, „daß keine Einung größer“ ist als die, in die „Gott und die Seele“ gelangen können (D I 172). Die „Abgeschiedenheit bringt den Menschen in die größte Gleichheit mit Gott“ (D V 412). „Hier ist Gottes Grund mein Grund, und mein Grund Gottes Grund“ (D I 90). „Gott und ich, wir sind eins“ (D I 114); „da ist dieser Mensch das göttliche Wesen, und das göttliche Wesen ist dieser Mensch“ (D I 246).

Eine solche schlechthinnige Einung mit Gott ist freilich nur möglich im völligen Untergang des Ich; aber dieser ist keine absolute Vernichtung, sondern ein Untergang in Gott; „die Seele wird zunichte, die in der Gottheit begraben wird“ (P 242); „sie wird still ganz und allein in dem Wesen Gottes“ (D V 117). Darum auch kann sich eben im völligen Verschwinden des eigenen Ich die Gottesgeburt in der Seele vollziehen; da „gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich so mit ihr“ (P 6). So vollkommen ist die in der Gottesgeburt geschehende Einung, daß Eckhart sagen kann: Gott „gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Wesen und seine Natur“ (D I 109).

Wie dies freilich geschehen kann, läßt sich nicht mehr begreifen. Die Seele „empfindet wohl, daß es ist, weiß aber nicht, wie und was es ist“ (P 8); der Mensch „muß arm sein alles seines eigenen Wissens, als der da kein Ding weiß, weder Gott noch Kreatur noch sich selber“ (P 282). Hier bleibt also nur das „Unwissen“, das „unerkannte Erkennen“ (P 8). Aber „wiewohl es doch ein Unwissen heißen mag und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich, als alles Wissen und Erkennen außerhalb seiner“ (P 10); es ist sogar die „oberste Vollkommenheit“ der Seele. Denn dieses Nichtwissen ist das eigentliche Wissen von Gott. „Vom Wissen soll man kommen in ein Unwissen, und dann wird unser Unwissen mit dem übernatürlichen Wissen geadelt und geziert“ (P 15f.).

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