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4. Die Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben

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Daß die natürliche Helle und die in ihr aufleuchtenden ersten Prinzipien letztlich als von Gott geschaffen betrachtet werden, führt schließlich auch dazu, daß Thomas wohl einen Unterschied, nicht aber einen Gegensatz zwischen den natürlichen Einsichten und den Wahrheiten, die aus der Offenbarung stammen, sieht. Zwar sind die einen dem Menschen mit seiner Wesensverfassung mitgegeben, während die anderen ihm erst im Hören auf das Wort der Offenbarung zukommen. Doch „was der Vernunft natürlicherweise eingepflanzt ist“, kann der „Wahrheit des christlichen Glaubens … nicht entgegengesetzt sein“ (Sg I 7, 42). Wenn also „etwas in den Aussagen der Philosophen gefunden wird, das dem Glauben entgegengesetzt ist, dann ist das nicht Philosophie, sondern eher Mißbrauch der Philosophie aus Mangel an Vernunft“ (Ve II 3 c). Die Übereinstimmung der zwei Weisen der Einsicht aber gründet letztlich darin, daß beide von Gott stammen, der zugleich Offenbarer und Schöpfer ist und von dem überhaupt alle Wahrheit herkommt (vgl. I 16, 6 c), weil er die Wahrheit selber, „die erste, höchste und vollkommenste Wahrheit“, das „Maß jeglicher Wahrheit“ ist (Sg I 62, 519).

Das heißt nicht, daß nun beide, sacra doctrina und Philosophische Theologie, auf der gleichen Stufe stünden. Denn die natürliche Gotteserkenntnis befindet sich zu den Einsichten des Glaubens nur im Verhältnis der „prae-ambula“. „So nämlich setzt der Glaube die natürliche Erkenntnis voraus, wie die Gnade die Natur“ (I 2, 2 ad 1). Die Lehre des Glaubens, die von Gott ausgeht und erst dann zu den Geschöpfen niedersteigt, ist daher auch „vollkommener, nämlich Gottes (eigener) Erkenntnis näher, der, sich selbst erkennend, das andere schaut“ (Sg II 4, 876); die Theologie des Glaubens „ist höher als jene göttliche Wissenschaft, die die Philosophen überliefert haben, weil sie von höheren Prinzipien ausgeht“ (B II 2 c). Weil Thomas ferner das Verhältnis von Gnade und Vernunft hierarchisch versteht und weil die Erkenntnis durch den Glauben die natürliche Erkenntnis voraussetzt, „wie die Vollkommenheit das der Vollkommenheit Fähige“ (I 2, 2 ad 1), kann und muß die Theologie des Glaubens die menschliche Vernunft in ihren Dienst nehmen. „Da die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern vollendet, muß die natürliche Vernunft dem Glauben Untertan sein“ (I 1, 8 ad 2). So ist schließlich, obgleich Thomas der Vernunft einen weiten Spielraum selbständiger Wirksamkeit überläßt, in der Frage nach der Wahrheit der Glaube an die Offenbarung doch der Vernunft überlegen, und das nicht nur, wie eingangs gezeigt worden ist, von der Reichweite, sondern, wie nun deutlich wird, auch vom Ursprung her.

1 Die Zitate aus der Summa theologiae werden ohne Hinzufügung eines Sigillums, lediglich durch Angabe der Ziffern, gebracht. Für die Zitate aus anderen Werken werden folgende Siglen verwendet: B = Super librum Boethii de Trinitate; D = In librum beati Dionysii De divinis nominibus; J = Super Evangelium S. Joannis; M = In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis; Se = In Sententiarum libros quattuor; Sg = Summa contra gentiles. – Die Übersetzungen stammen vom Verfasser.

2 Vgl. Josef Pieper, Philosophia negativa, München 1953, S. 19 und 17: „Die Wahrheitslehre des Thomas von Aquin kann in ihrer eigentlichen und tiefsten Aussage nur aufgefaßt werden, wenn man formell den Schöpfungsbegriff ins Spiel bringt“; das aber „gehört zum Ungesagten der Seinslehre des heiligen Thomas“.

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