Читать книгу Inselstation Sankospia - Winfried Paarmann - Страница 10

Die Wiederbegegnung

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Bevor ich die Szene schildere, lassen Sie mich noch etwas zu meinem Freund und Begleiter Patrick sagen.

Patrick hatte vor allem diese besondere Eigenschaft: Er konnte schweigen; lange und in einer Ausführlichkeit, die ihm manche als Unhöflichkeit angekreideten. Doch es bedeutete nur: Jeder Zug von Geschwätzigkeit war ihm fremd. Wer ihn kannte, der wusste: Er war dann in diese Wolke von Schweigen und Musik eingehüllt. Er entzog sich nicht. Auch wenn er schwieg, spürte man seine Aufmerksamkeit und seine starke Präsenz.

Wissen Sie, wie angenehm es ist, einen Reisebegleiter zu haben, der schweigen kann? Und trotzdem anwesend ist – in einer ganz eigenen leise lächelnden Anwesenheit?

Freilich, es gab auch eine ganz andere Seite an Patrick. Er war Familienvater und hatte fünf Kinder – alle musizierende kleine Musikgenies, alle kleine Mozarts und Schuberts. Musizierte er mit ihnen, dann krachte es förmlich vor Vitalität, dann entfachten die fünf ein musikalisches Feuerwerk!

Mit Patrick und seiner Familie möchte ich Sie ganz gegen Ende noch einmal bekannt machen.

Doch nun: die Freude, die ich erwähnte. Gleich sollte sie vor uns stehen: Anthony.

Die Tür hatte sich geöffnet, Tamara war wieder eingetreten und mit ihr der angekündigte „Meister“: eine Gestalt von imposanter Größe. Er trug einen weiten weißen Mantel und eine purpurfarbene Weste darunter wie eine kegelförmige Kopfbedeckung, ähnlich der eines Kardinals, doch aus warm funkelndem Kupfer. So wie eine große Würde auf seinem Gesicht lag so doch zugleich ein Glanz großer Freundlichkeit.

Eine dritte Gestalt folgte: Es war Anthony.

Er strahlte jugendlich, anders als Patrick und er schien kein Jahr gealtert.

Er ging auf mich zu, umarmte mich. Dann umarmte er Patrick.

Ich konnte die lange aufgestaute Frage nicht zurückhalten: „Wer hat mir damals die falsche Auskunft von deinem Tod gegeben? – Sogar von deiner bevorstehenden Beerdigung habe ich erfahren, als ich die Klinik nochmals aufsuchte. Angeblich hatte man dich dafür ausgeflogen, an einen Ort, wo nur der engste Familienkreis anwesend war. Auch Tamara war von diesem Tag an wie spurlos verschwunden. – Was wirklich ist damals geschehen?“

„Es war der für mich vorgesehene Zeitpunkt,“ gab Anthony ruhig zur Antwort. „Ich hatte gelernt, was zu lernen war.“

Er hatte sich nach seiner Umarmung wieder zwei Schritte entfernt.

„Glaubt mir, ich hätte es euch gerne gesagt: Ich bin lebendig und unbeschädigt – wie ihr mich jetzt vor euch seht.

Doch ich wusste, dass ein Wiedersehen für euch nur auf Sankospia, auf dieser Insel, stattfinden konnte. Und dass es nicht bald sein würde.

Nur wenige erhalten dies Privileg.“

„Und wie komme ich selber dazu?“

„Die Antwort wird dich erstaunen, weil sie so einfach ist:

Du hast die Fragen gestellt.“

„Welche Fragen?“

„Du hast sie so intensiv und eindringlich gestellt, dass dir die Tür zu den Antworten nicht auf Dauer verschlossen bleiben konnte.“

Er wechselte einen kurzen Blick mit dem „Meister“.

„Dies gilt in gleicher Weise für Patrick.

Auch er war uns aus eben diesem Grund hier selbstverständlich willkommen.

Schließlich gibt es noch eine zweite Antwort, die ebenso einfach und natürlich ist:

Es ist die Tatsache unserer Freundschaft.

Auch für uns sind Freundschaft und Liebe das festeste Band.“

Er blickte wieder zum Meister.

„Doch unser ‚Meister’ will euch jetzt sprechen. Es ist etwas vorbereitet für euch.“

Der „Meister“ begann zu sprechen:

„Ich sehe noch immer euer Erstaunen.“

Die tief tönende Stimme hatte eine Besonderheit: Es gab etwas wie ein leise nachschwingendes Echo darin. Und während wir sie klar mit unseren Ohren hörten, war es zugleich, als spräche sie auch „in unserem Kopf“.

„Ich bestätige euch, was unser Freund sagte, für den ihr den Namen Anthony habt.

Es geht um das Fragen.

Viele suchen nach Wahrheit, gewiss.

Und doch: Eure Fragen waren von anderer Art.

Es gibt viele Türen und hinter der einen Wahrheit immer noch viele andere.

Einige der Türen werden sich für euch öffnen, und es soll in den kommenden Stunden und Tagen geschehen.

Tamara sagte euch, sie müsse noch meine Erlaubnis einholen.

Es ist anders:

Wir brauchten die Erlaubnis eures und auch unseres jungen Freundes Anthony.

Meine Einwilligung gab ich bereits.“

Er lächelte, bei aller Würde fast heiter.

Doch schnell wurde wieder seine fremdartige kaum noch menschenähnliche Ausstrahlung spürbar, eine Aura des Unnahbaren. Auch gab es eine Besonderheit in seinem Gesicht: Seine Augen waren mandelförmig ein Stück in die Schläfe hineingezogen. Es handelte sich um eine nur geringfügige Abweichung. Und doch war sie ein prägender Teil dieser Fremdartigkeit.

Ich konnte seinen Satz um die „Erlaubnis Anthonys“ nicht einordnen – ebenso wenig wie die Bemerkung zu Anthonys Namen. War dieser Name hier ein anderer? War Anthony überhaupt, als den wir ihn, Patrick und ich, über Jahre gekannt hatten?

Tamara schaltete sich ein, mit ihrer freundlichen melodischen Stimme: „Der ‚Meister’ wird euch nun in einen Raum führen, den wir den ‚Akasha-Raum’ nennen.

Wir werden euch später erklären, warum er so heißt.

Ihr werdet in diesem Raum ein Schauspiel sehen.

Es ist ein Schauspiel, das wie zahllose andere einmal auf diesem Planeten spielte. Es ist nicht fiktiv, es ist von keinem erdichtet.

Oder erdichtet – wie man es in einer anderen Betrachtungsart sehen kann - von den vielen, die es gestaltet haben, damals, als sie darin ihre Rolle spielten.“

Ich hatte keine Vermutung, was uns erwartete.

Das Schauspiel, das sich wenig später vor uns entfaltete, sollte über Stunden unsere ganze Aufmerksamkeit fesseln. Doch erst nach und nach spürte ich, dass es über das Bedrängende der Ereignisse und persönlichen Schicksale hinaus eine eigene Botschaft dahinter gab, etwas in der Summe unerwartetes Großes und Erhabenes.

Sie erinnern sich, dass ich davon sprach, ich würde Ihnen etwas über den „Gedanken der Erde“ mitteilen? den eigentlichen, den tiefer liegenden Plan?

Es mag vermessen klingen. Doch ich bleibe dabei: Diesem Geheimnis – ja, ich möchte sagen: dieser Erkenntnis – sollten wir uns in den folgenden Stunden nähern.

Doch schauen Sie und hören Sie selbst!

Inselstation Sankospia

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