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Der Sturm auf die Sozialstation

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Dreimal hatte ich Tamara bereits auf ihrer Sozialstadion besucht. Jedes Mal hatte unser Gespräch rasch eine sonderbar philosophische Wendung genommen. Nun war ich nochmals mit ihr verabredet, um das Interview für den von mir geplanten Artikel endlich abzuschließen.

Doch etwas völlig Unerwartetes war geschehen:

Ich fand das Hauptgebäude, ein altes großherrschaftliches Villenhaus, von Polizisten und Polizeiwagen umstellt. Schaulustige hatten sich auf der Straße versammelt. Ich lief, mein Aufnahmegerät unter dem Arm, unruhig auf das Gebäude zu.

Man verwehrte mir den Zugang. Meine Erklärungen, ich sei mit der Leiterin zu einem Interview verabredet, nutzten nichts. Da hörte ich über Lautsprecher einen Aufruf: Man solle sich ergeben und das Haus mit erhobenen Händen verlassen.

Der Aufruf wiederholte sich. Plötzlich begannen die Polizisten das Haus zu stürmen, vier durch die gewaltsam aufgetretene Tür des zur Straße gelegenen Eingangsportals, drei andere verschafften sich Zugang durch einen Seiteneingang. Dies war der Moment, in dem ich mich ihnen unbemerkt anschließen konnte.

Ich befand mich in einer aggressiven Wolke von Chaos und Lärm. Überall die Gänge durchstürmende, Türen auframmende Polizisten.

Eine der aufgestoßenen Türen führte in einen kleineren Eckraum, offenbar ein Büro. Eine große schwarzhaarige Frau erhob sich vom Tisch, stellte sich den Polizisten in den Weg: Tamara. Wie immer umgab sie diese Aura einer ganz eigenen Autorität und Würde, ihr ruhiger starker Blick wirkte für die hereinstürmenden Polizisten einen Moment wie eine Wand.

„Dies ist mein Haus,“ sagte sie. „Sie haben keine Erlaubnis hier einzudringen.“

„Befehl vom Einsatzleiter.“ Der eine der zwei eingetretenen Polizisten hob zackig die Hand an den Uniformhelm. „Sagen Sie uns einfach, wo sich die Bande versteckt hält.“

In diesem Moment kamen Schreie vom Treppenhaus. Ein Polizist rief Verstärkung heran. Offenbar bereits ein Handgemenge. Die zwei Polizisten verließen das Büro.

Tamara hatte mich bemerkt. Sie lächelte kurz und freundlich.

Ich zeigte auf mein Aufnahmegerät.

Tamara kam ein paar Schritte näher.Kein geeigneter Tag für ein Interview...“

„Gilt es Ihnen? Ihrer Station?“ wollte ich wissen.

Tamara schüttelte den Kopf.

Vom Treppenhaus kamen wieder Schreie. Man hörte lautes Poltern, Flüche, Kampfgerangel.

Tamara ging an einen Seitenschrank, holte eine schmale Mappe hervor und entnahm ihr einen größeren Umschlag.

„Sie haben mir mehrmals diese anderen Fragen gestellt.

Hier gebe ich Ihnen etwas. Es ist eine Karte darin. Ich bitte Sie, halten Sie den Umschlag so verwahrt, dass kein anderer ihn öffnet. Und bitte haben Sie auch selbst Geduld ihn zu öffnen. Es steht eine Jahreszahl auf dem Umschlag.

Sie werden eine weitere Zeit brauchen, um die Karte zu entschlüsseln. Wenn es Ihnen gelungen ist, wird es Ihnen eine große einmalige Chance eröffnen.“

Sie reichte mir den Umschlag.

Der Lärm im Treppenhaus nahm zu.

Wir traten beide hinaus.

Ein noch jüngerer Mann mit hartem, bitterem Gesichtsausdruck hatte auf der Treppe einen jungen Polizisten in seine Gewalt gebracht. Er presste ihm seine Pistole gegen die Schläfe.

Der Versuch einer Geiselnahme.

Drei weitere junge Männer, alle mit übernächtigten Gesichtern, standen hinter ihm auf der Treppe, jeder eskortiert von zwei Polizisten.

Einer dieser drei Männer war Anthony.

Die Situation eskalierte. Einer der Polizisten schoss. Der Mann mit der Pistole erwiderte das Feuer.

Anthony mischte sich ein. Offenbar wollte er vermitteln. Er hatte das völlig Aussichtslose der Lage erkannt. Er drängte nach vorn. Da traf ihn selbst ein Schuss.

Ich sah, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht das Treppengeländer umklammerte, dann taumelte er auf den Boden.

Blut quoll ihm aus dem Mund.

Tamara trat an die Treppe. Kniete bei Anthony nieder und griff seine Hand. Anthony versuchte ihr etwas zu sagen, doch es kam nur noch ein Röcheln.

Nach zwei Minuten heulte die Sirene eines Krankenwagens. Anthony wurde auf eine Trage gelegt und in den Wagen transportiert. Tamara nahm bei ihm Platz.

Die anderen Männer hatten jetzt jeden Widerstand aufgegeben. Man führte sie in Handschellen ab.

Als ich selbst die Klinik erreichte, teilte man mir mit, dass Anthony seiner Schusswunde erlegen sei.

Die Sozialstation blieb während der kommenden Tage geschlossen.

Keiner konnte mir sagen, wo Tamara zu treffen sei.

Durch eine langjährige Mitarbeiterin erfuhr ich endlich etwas über die Hintergründe des ganzen Geschehens:

Der Schlag der Polizei richtete sich nicht gegen die Sozialstation sondern gegen eine Gruppe von Männern, die sich darin verschanzt hatten. Ein Entführungsfall. Ein über Tage geführtes Erpressungsspiel. Auch Anthony war verwickelt darin.

Die Geschichte einer kriminellen Verstrickung, die mit einer Hinterziehung begann und sich zusammenballte in der Art eines Unwetters, aus dem es für alle Beteiligten kein Entrinnen mehr gab.

Über den Verbleib Tamaras konnte mir auch ihre enge Mitarbeiterin nichts sagen. Doch Tamara hatte ihr bereits vor Wochen einen Notfallplan überlassen, wie die Station auch ohne sie weiter geführt werden konnte.

Tamara war unersetzbar. Ich nehme hier vorweg, dass die Station nach Tamaras Verschwinden nur noch zwei Jahre bestand. Schon nach Monaten wurde sie wesentlich verkleinert, schließlich wurde sie ganz geschlossen.

Ich kehre zu meinem Bericht über die geheimnisvolle Insel zurück.

Inselstation Sankospia

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