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5. Bernhard WaldenfelsWaldenfels, Bernhard: FremdheitFremdheit in der ModerneModerne 5.1. Überblick und Einführung

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Bernhard WaldenfelsWaldenfels, Bernhard (Jahrgang 1934) ist der wohl wichtigste lebende Vertreter der deutschsprachigen PhänomenologiePhänomenologie, einer der heute vielleicht am meisten unterschätzten und zugleich maßgeblichsten nicht-szientistischen Strömung der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Ihr Begründer, der ÖsterreichÖsterreicher Edmund HusserlHusserl, Edmund, hat sie – was Hans BlumenbergBlumenberg, Hans auch wiederholt betont hat – unter die programmatische Formel des Neuanfangs gebracht.1 Damit fördert die Phänomenologie ein Thema zu Tage, das in der abendländischen Philosophie stets unterbelichtet gewesen ist: die FremdheitFremdheit.2

Die von HusserlHusserl, Edmund geprägten Formeln wie „Zurück zu den Dingen“ oder der viel versprechende Begriff „Lebenswelt“ zeugen von der kulturellen Energie eines Unterfangens, dass noch einmal mit dem Philosophieren beginnen möchte. Dieser von Husserl initiierte Neuanfang schließt sowohl das Vergessen wie das Erinnern mit ein. Die PhänomenologiePhänomenologie versteht sich als eine philosophische Richtung, die das abendländische Denken erneuern möchte und das Feld des Philosophischen in ein neues Licht zu tauchen versucht. Ganz offenkundig war dieser Neuansatz der Philosophie, wie er von Husserl vorgeschlagen wurde, für HeideggerHeidegger, Martin nicht radikal genug. Seine radikalisierte Version der Phänomenologie möchte die abendländische Philosophie seit PlatonPlaton destruieren. Aber auch der StrukturalismusStrukturalismus der Nachkriegszeit und die mit ihm einhergehende Wende zu einem neuen Verständnis der SpracheSprache, das diese nicht länger als ein passives Medium begreift, betont das Moment des Bruchs mit der TraditionTradition.

Mit letzterem steht die PhänomenologiePhänomenologie in einem produktiven Spannungsverhältnis, denn sie bezieht sich, andersAndersheit als der linguistisch erfüllte StrukturalismusStrukturalismus, auf vorsprachliche „Dinge“, die unerreichbar erscheinen: auf die Innenlage des MenschenMensch oder den Binnenraum des Leiblichen. Dabei handelt es sich um jene Lebenswelt, die uns nur in symbolischen FormenForm zugänglich ist und die doch ErfahrungenErfahrung generiert, die mit dem liminalen PhänomenPhänomen zusammenhängen. Im Gegensatz dazu gehen konstruktivistische Strömungen davon aus, dass symbolische Limes, IdentitätenIdentität und Differenzen stets gesetzt sind. In diesem Zusammenhang kennen sie keine prinzipiellen oder unübersteigbaren Beschränkungen. Denn die GrenzenGrenze werden stets in KulturenKultur durch Symbolordnungen geschaffen.

Zur Besonderheit der von HusserlHusserl, Edmund begründeten Denkschule gehört auch, dass sie Schüler hervorgebracht hat, die das Werk des Begründers teilweise in den SchattenSchatten stellen: HeideggerHeidegger, Martin mit seiner Existenzanalyse und seiner HumanismusHumanismus-Kritik, Maurice Merleau-PontyMerleau-Ponty, Maurice, dessen Philosophie der Wahrnehmung, des Leiblichen noch immer Teil eines gegenwärtigen philosophischen DiskursesDiskurs ist, gleichsam in zweiter Reihe die Existenzanalyse Binswangers, SartresSartre, Jean-Paul Existentialismus oder der Posthumanismus von Karl JaspersJaspers, Karl und Jan PatočkaPatočka, Jan. Aber damit ist die historische Reichweite der PhänomenologiePhänomenologie nicht erschöpft. So hat sie die französische NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie der GenerationGeneration der um 1900 und dann um 1930 geborenen Denker nachhaltig beeinflusst (→ Kapitel 2). Auch die philosophischen Werke von Hannah ArendtArendt, Hannah, Emmanuel LévinasLévinas, Emmanuel (Kapitel 4), Hans-Georg Gadamer und auch Hans BlumenbergBlumenberg, Hans sind ohne Kenntnis des phänomenologischen Diskurses nur schwer zu begreifen.

Wenn man sich das umfangreiche Werk von Bernhard WaldenfelsWaldenfels, Bernhard genauer ansieht, insbesondere Werke wie In den Netzen der Lebenswelt (1985), PhänomenologiePhänomenologie in FrankreichFrankreich (1983/1987), OrdnungOrdnung im Zwielicht (1987), Studien zur Phänomenologie des Fremden (2 Bde., 1997/1998), Der Stachel des Fremden (1990), dann kreist es um hauptsächlich zwei Themen: nämlich um den TransferTransfer zwischen deutschendeutsch und französischen Denktraditionen (als deren Mediator man Waldenfels in verschiedenen, mittlerweile historisch gewordenen Kontroversen sehen kann) sowie, damit verbunden, um das Thema des Fremden. Das Fremde ist der narrative Plot, um den die Phänomenologie kreist, der rote Faden, der ihre DiskurseDiskurs eigentümlich charakterisiert. Es handelt sich um jenes Fremde, das für Waldenfels etwa in MörikesMörike, Eduard Peregrina-Gedicht oder in CamusCamus, Albert’ L’Etranger seinen prominenten Auftritt hat.

Das Fremde kommt bei WaldenfelsWaldenfels, Bernhard in mehreren Versionen, Nuancen zu Wort, wobei die Bedeutungen von AndersheitAndersheit und FremdheitFremdheit immer wieder verschwimmen:

1 Die FremdheitFremdheit im Eigenen in mir selbst: Meine Reden, meine Taten und mein Empfinden sind niemals „völlig mein“ und unter meiner völligen Kontrolle.

2 Das Eigene und das Fremde befinden sich in einem asymmetrischenAsymmetrie Verhältnis zueinander. Das SelbstSelbst entsteht durch Abgrenzung und befindet sich damit auf der einen, das Fremde, das Andere, indes auf der anderen Seite.

3 Das Fremde ist nicht zuletzt das Intransparente und Unverfügbare, das nicht hierarchisch ist. Die AlteritätenAlterität überlagern sich, wie WaldenfelsWaldenfels, Bernhard am Beispiel eines „arabischen Epileptikers“ erläutert, der einem europäischen Psychiater unter Umständen trotz seiner DifferenzDifferenz weniger fremdfremd sein mag als ein „arabischer Normaler, obwohl er als Kranker eine spezifische FormForm der FremdheitFremdheit behält“.3

4 Das Fremde ist niemals total fremdfremd, sondern unter Umständen etwas, das bekannt war und vergessen bzw. verdrängt worden ist, wie WaldenfelsWaldenfels, Bernhard unter Bezugnahme auf Freuds Aufsatz über das UnheimlicheUnheimliche, das ausführt (→ Kapitel 3).4

WaldenfelsWaldenfels, Bernhard begreift FremdheitFremdheit aber auch – und hier kommt er sozialwissenschaftlichen Konzepten beträchtlich nahe (Kapitel 6) – als etwas, das durch bestimmte soziale und symbolische Ordnungen und die von ihnen generierten NormenNorm erzeugt wird. In diesen Bereich gehören auch Andersheiten wie KrankheitKrankheit, BehinderungBehinderung und ‚Fremdsprache‘ (das sind alle SprachenSprache, die nicht die Muttersprache sind).

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