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6.3. Der Fremde als FeindFeind: Carl SchmittSchmitt, Carl

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Es liegt nahe, an dieser Stelle eine kurze Lektüre eines Autors einzufügen, der in so mancher Hinsicht SimmelsSimmel, Georg Befunde aufgreift und zuspitzt: Carl SchmittSchmitt, Carl (1888–1985). Simmels kulturelle und soziale Verortung des Fremden basiert vor allem darauf, dass der Fremde nicht das ausgeschlosseneAusschluss ‚Element‘ einer GruppeGruppe ist, sondern gerade durch seine Deplatzierung am RandeRand oder außerhalbAußerhalb des ‚heimischen‘ Raums eine wichtige Position einnimmt. Die Figur des Fremden nimmt insofern eine Schlüsselfunktion für eine GemeinschaftGemeinschaft oder GesellschaftGesellschaft ein: Die Gruppe konstituiert sich nämlich durch ihn und begreift sich als seine NegationNegation. Der Fremde nimmt dabei nolens volens die gleiche Position ein wie der Arme oder der innere FeindFeind. Carl Schmitt, der berüchtigte Gegner und Kritiker der modernenmodern liberalen politischen OrdnungOrdnung, hat diesen Sachverhalt in seiner einflussreichen Streitschrift Der Begriff des Politischen (1932) zugespitzt: Dort wird die der PolitikPolitik angemessene Unterscheidung als eine von FreundFreund und Feind bestimmt.1 Der KriegKrieg bildet dabei „die äußerste Realisierung der Feindschaft“2 und wird „als das extremste politische Mittel“3 angesehen. Eine Gruppierung sei von daher dann und nur dann politisch, wenn sie „sich an dem Ernstfall orientiert“.4

Dem LiberalismusLiberalismus, dem PazifismusPazifismus und dem mit ihm einhergehenden HumanismusHumanismus hält SchmittsSchmitt, Carl ‚realistische‘ Theorie nun vor, die dramatische Härte des Politischen, das in seiner Struktur dem KriegKrieg, in dem FreundFreund und FeindFeind auf LebenLeben und TodTod aufeinander treffen, ähnlich ist, zu unterlaufen. Der Liberalismus versuche, das Politische nicht im Sinne der strukturellen Feindschaft, sondern im Sinne der Konkurrenz zu fassen und die Freund-Feind-Struktur, die dem Politischen inhärent sei, durch die OppositionOpposition von nützlich und schädlich zu ersetzen. Diese vom Liberalismus betriebenen ökonomischen „Neutralisierungen und Entpolitisierungen“5 nicht nur des Politischen haben „einen politischen Sinn“, der nicht zuletzt darin besteht, die HerrschaftHerrschaft eines „ökonomisch fundierten ImperialismusImperialismus“ zu legitimieren.6 So produziert der Liberalismus aus dieser Warte eine Illusion, die Schmitt zufolge gleichzeitig ungeheuer mächtigkeitswirksam ist, nämlich als globale Herrschaft eines kapitalistischen Imperialismus über die ganze WeltWelt.

An einer entscheidenden Stelle, an der SchmittSchmitt, Carl seine Definition des Politischen als eines KampfesKampf zwischen FreundFreund und FeindFeind ausbreitet, nimmt der Text nun eine Gleichsetzung des Feindes mit dem Fremden vor, wenn es heißt:

Der politische FeindFeind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetischÄsthetik häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß es in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen Dritten‘ entschieden werden können.7

Die Konstituierung und KonstruktionKonstruktion des Fremden hat also ihren entscheidenden Sinn darin, dass erst die Figur des Fremden jene FormForm von PolitikPolitik ermöglicht, die ihrem Wesen entspricht. Es ist nicht notwendig, den FeindFeind zu hassen, er muss sich nur in einem radikalen Sinne ‚außerhalbAußerhalb‘ von uns befinden, damit ein Moment nicht wirksam werden kann: die EmpathieEmpathie mit ihm. Es genügt eben jene DistanzDistanz, die der FremdheitFremdheit, die ihn für uns auch emotional unerreichbar macht, innewohnt. Insofern sind Feind und Fremder logisch miteinander verbunden. Ausdrücklich betont SchmittSchmitt, Carl, dass die christlicheChristentum Feindesliebe, die ja nur eine private sei, für das abstrakte Verhältnis der Politik keine Gültigkeit besitze. Schmitt macht diese Unterscheidung von ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ an einem Beispiel, das heute auf ganz besonders grelle Weise wieder aktuell ist, deutlich, wenn er schreibt:

Auch ist in dem tausendjährigen KampfKampf zwischen ChristentumChristentum und IslamIslam niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus LiebeLiebe zu den Sarazenen oder den Türken EuropaEuropa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern. Den FeindFeind im politischen Sinne braucht man nicht persönlich zu hassen, und erst in der Sphäre des Privaten hat es einen Sinn, seinen ‚Feind‘, d.h. Gegner, zu lieben.8

Es lässt sich also extrapolieren, dass der private FeindFeind, andersAndersheit als der politische, sich nicht in der Position der FremdheitFremdheit befindet. Drastisch gesprochen kann man privat mit dem Vertreter einer ‚fremdenfremd‘ Minderheit Mitleid haben, während man sich mit der GruppeGruppe, zu der er gehört, in einem leidenschaftslosen, aber heroischen KampfKampf auf LebenLeben und TodTod befindet.

Carl SchmittsSchmitt, Carl Theorie führt tatsächlich zu einer sich erfüllenden Prophezeiung, deren prophetischer Sprecher er 1933 werden wollte und sollte: Als der deutschedeutsch Verfassungstheoretiker seine Streitschrift zum Begriff des Politischen vorlegt, regiert in DeutschlandDeutschland eine autoritäre Regierung mit Notverordnungen. Parallel dazu schickt sich ÖsterreichÖsterreich im Gefolge eines Staatsstreiches – eines Ausnahmezustandes, der im Sinne Schmitts Recht setzt – an, einen StändestaatStändestaat nach dem Vorbild des italienischen FaschismusFaschismus zu etablieren. Hitler, der mit seinem ‚antikapitalistischen‘ und ‚antiglobalen‘ AntisemitismusAntisemitismus ein besonders aggressives FreundFreund-FeindFeind-Schema für seine PolitikPolitik gewählt hat, ist bereits ante portas.

Was Carl SchmittSchmitt, Carl vorlegt, ist die radikalste Version jener schon bei NietzscheNietzsche, Friedrich vorfindlichen Gedankenfigur, wodurch sich soziale Entitäten dadurch konstituieren, dass sie sich FeindeFeind schaffen. Insofern beinhaltet die ZivilgesellschaftZivilgesellschaft, als deren theoretischer wie praktischer Kontrahent sich Schmitt historisch erwies, in der Tat ein utopisches Potential. Es ist die IdeeIdee einer Sozialstruktur und KulturKultur, die nicht auf der radikalen und letztendlich kriegerischen Idee des Fremden als eines Feindes beruht, der ex negativo unser politisches Handeln bestimmt, sondern in der die Struktur des KriegesKrieg allenfalls dann zum Tragen kommt, wenn die plurale und heterogeneHeterogenität OrdnungOrdnung als Ganze bedroht ist und der politische Konkurrent darauf dringt, sich als Feind zu etablieren.

Carl SchmittsSchmitt, Carl Definition des Fremden als eines FeindesFeind ist aber auch vor dem Hintergrund des Aufstiegs von extremen politischen Gruppierungen – rechts wie links – von Belang. Diese speisen sich aus einem ähnlichen Unbehagen wie das theoretische Werk Carl Schmitts. Sie stellen nicht nur bestimmte neoliberale Auswüchse, sondern letztendlich auch das politische SystemSystem einer repräsentativen DemokratieDemokratie in FrageFrage, indem sie den ‚LiberalismusLiberalismus‘ als heuchlerische Illusion der kapitalistischen GlobalisierungGlobalisierung ‚entlarven‘.

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