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5.5. AneignungAneignung und EnteignungEnteignung

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Das Fremde und Fremdartige werden, wie das UnheimlicheUnheimliche, das Freuds (→ Kapitel 3), als etwas Ambivalentes erfahren. Es ist ebenso bedrohlich wie verlockend und zieht Prozeduren wie Eindämmung, Ausschließung und Einschränkung, aber auch solche der Entgrenzung und Auslieferung nach sich. Diese kulturellen Reaktionen, die er als „Überreaktion und Gegenreaktion“ bezeichnet, nennt der deutschedeutsch Philosoph AneignungAneignung und EnteignungEnteignung. Sie sind Modi der Bändigung von FremdheitFremdheit.

AneignungAneignung wie EnteignungEnteignung setzen WaldenfelsWaldenfels, Bernhard zufolge zwei Momente voraus:

 Das Eigene und das Fremde werden als etwas vollkommen Getrenntes erfahren.

 Die Zersplitterung der physischen und sozialen WeltWelt, der Verlust ihrer (angenommenen) früheren Einheitlichkeit.

AneignungAneignung bedeutet: „Fremdes wird bewältigt, indem es am Eigenen gemessen wird, als Dublette (Alter Ego), als Abwandlung.“ Dieser EgozentrismusEgozentrismus („possessiver IndividualismusIndividualismus“) ist insbesondere in der okzidentalen wissenschaftlichen RationalitätRationalität am Werk, die im Sinne einer klaren cartesianischen Unterscheidung von InnenInnen und AußenAußen operiert, die auch die Methoden und das Maß der EmpathieEmpathie bzw. der Nicht-Empathie bestimmen.1 Die IntegrationIntegration der zersplitterten WeltWelt vollzieht sich in einem „totalen, allumfassenden Denkraum“. Der LogozentrismusLogozentrismus, das Monopol der VernunftVernunft, verbindet sich in dieser zentralen Aneignungsform des Fremden mit der LogozentrikLogozentrik; zusammen entsteht ein Komplex der EthnozentrikEthnozentrik. WaldenfelsWaldenfels, Bernhard teilt also die Kritik an problematischen Aspekten der klassischen okzidentalen EpistemeEpisteme und verbindet diese mit der Praxis des KolonialismusKolonialismus auf der politischen Ebene.2

Die EnteignungEnteignung bedeutet demgegenüber Auslieferung an das Fremde. Für WaldenfelsWaldenfels, Bernhard stellen all jene romantischen Strategien des détachment und depaysement (Lévi-Strauss) nur die Kehrseite der Aneignungs-Strategien dar. Dabei wird das Eigene und Eigenartige durch das Fremde und Fremdartige ersetzt, das nunmehr als eine rettende Alternative zur vertrauten KulturKultur erscheint. Aber auch diese TechnikTechnik der Enteignung basiert demzufolge auf einer statischen und binären Gegenüberstellung von Eigenem und Fremdem. Waldenfels kommentiert das an einer Stelle recht trocken, wenn er meint: „Doch ein europäischer Buddhist bleibt ein Europäer.“3

ErfahrungErfahrung als Auseinandersetzung etabliert eine „Zwischensphäre“ als ein „Zusammenwirken mit Fremdem“. In diesem Prozess kommt es zu „Erfahrungsanordnungen“, die das Fremde strukturieren, normalisieren, filtern und adaptieren. Das Fremde als ein kostbares Gut, das unter unserem Griff gleichsam schmilzt.

AneignungAneignung und EnteignungEnteignung setzen immer schon eine Binarität, eine TrennungTrennung von Fremden und Eigenem voraus, eine Kluft, die durch die Aneignung des Fremden bzw. durch die Selbstaneignung des SelbstSelbst überwunden werden soll. Im phänomenologischen Modell befinden wir uns immer schon in Bezügen, in die FremdheitFremdheit eingelagert ist. Von den drei Elementen der Beziehung der dialogischen Situation (Ich, Du, die Beziehung) wird in dieser Denkwende das unscheinbare Und der Beziehung konstitutiv.

Dieser programmatische Blickwechsel hat drei Dimensionen. Sie beziehen sich allesamt auf einen Modus von ErfahrungErfahrung, der ohne „AndersheitAndersheit“ nicht denkbar ist. Sie unterscheiden sich darin, dass ihr Ausgangspunkt verschieden ist, sie gehören letztendlich zusammen:

Die AndersheitAndersheit des Anderen. Hierbei kommt das LacanLacan, Jacques-Theorem zum Tragen, das folgendes besagt: SpracheSprache ist immer etwas für jemanden, bevor sie etwas bezeichnet. DialogDialog ist und bedeutet Verflochten-SeinSein im Wechselspiel, PolylogPolylog und Vielstimmigkeit (BachtinBachtin, Michail).

Die AndersheitAndersheit des Ich: Es gibt keine StimmeStimme, die für sich spricht. Aus uns spricht immer ein Anderer, eine Andere. Hier bekommt die AntwortAntwort noch eine ganz andere Dimension als die des Schließens. Sie meint Bezugnahme auf eine andere Person: „Das Ich findet nie ganz und gar seinen OrtOrt und ist somit nie völlig es selbst, sondern immer auch ein anderes.“4 WaldenfelsWaldenfels, Bernhard spricht vom „Spalt, der das ich und somit das SubjektSubjekt durchzieht“.

Die AndersheitAndersheit der fremdenfremd OrdnungOrdnung will WaldenfelsWaldenfels, Bernhard als ein „Grenzspiel“ verstanden wissen. IntersubjektivitätIntersubjektivität, IntrasubjektivitätIntrasubjektivität und InterdiskursivitätInterdiskursivität: das sind jene neuen Kulturtechniken und Momente, die fremde Ordnung „zu erreichen“, sie aber niemals anzueignen oder zu annektieren.

Zum Schluss des Kapitels erinnert der Autor mit Seitenblick auf die fortdauernden philosophischen Debatten seit den 1990er Jahren daran, dass das modernemodern SubjektSubjekt eine Doppelbedeutung hat, als selbstverantwortliches Subjekt und als hypokeimenon, als ein Unterworfenes.

In seinen Reflexionen für und wider das „SubjektSubjekt“ erwähnt er die Verteidiger einer „harten“ Subjekt-Konzeption: Diese kritisieren etwa im Gefolge von Jürgen HabermasHabermas, Jürgen den „TodTod des Subjekts“ als einen Verzicht auf Verantwortung, als eine Auslieferung an fremdefremd Mächte, als eine AuflösungAuflösung errungener FormenForm, als RegressionRegression und ÄsthetizismusÄsthetizismus. Verteidigt werden dabei IdeenIdee wie AutopraxisAutopraxis und AutonomieAutonomie. WaldenfelsWaldenfels, Bernhard löst diesen Widerstreit nicht auf, sondern liefert nur einen indirekten Hinweis, wenn er IntersubjektivitätIntersubjektivität nicht als ein Vis-à-vis autonomer Subjekte, sondern als eine Zwischensphäre, als ein Wechselspiel von Anspruch und AntwortAntwort begreift und damit versucht, diese OppositionOpposition von Autonomie und HeteronomieHeteronomie zu unterlaufen.5

Das Fremde wirft, so ließe sich WaldenfelsWaldenfels, Bernhard’ Ansatz resümieren, FragenFrage auf, die sich nicht im klassischen Sinn eindeutig beantworten lassen. Die Frage konstituiert einen DialogDialog, der zeigt, dass es AntwortenAntwort gibt, die insofern die Struktur einer Frage haben, insofern sie etwa offen lassen oder halten. Waldenfels weiß aber auch, dass es Antworten auf den Fremden und das Fremde geben muss, wenn die Selbstverantwortung des MenschenMensch nicht beseitigt werden soll. Die HeteronomieHeteronomie, die AbhängigkeitAbhängigkeit von Anderem, setzt nicht die Verantwortung außer Kraft, die Fähigkeit zu handeln und zu denken. Aber diese relationale FreiheitFreiheit vollzieht sich stets im Horizont des Alteritären.

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