Читать книгу 5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019 - A. F. Morland - Страница 28
21
ОглавлениеUnd die Pechsträhne ging weiter …
Als Dr. Lorentz zwei Tage nach Nicolas folgenschwerem Sturz zu Mittag seine Wohnung verließ, um zum Supermarkt zu fahren, schlug das Schicksal erneut zu.
Torben Lorentz ging zu seinem Auto, schloss es auf, stieg ein und fuhr los, kam aber nicht einmal hundert Meter weit – da passierte das Unglück: Zwischen den am Fahrbahnrand parkenden Fahrzeugen tauchte urplötzlich jemand auf. Der junge Arzt bremste zwar reaktionsschnell, konnte jedoch nicht verhindern, dass die Person erfasst wurde, grell aufschreiend und mit dumpfem Knall auf der Motorhaube landete und dann langsam seitlich wegrutschte.
Torben stockte für Sekundenbruchteile der Atem. Er sprang mit wild hämmerndem Herzen aus dem Wagen. Auf dem hässlich grauen Asphalt lag eine junge Frau, schätzungsweise zwanzig Jahre alt. Sie war auffallend geschminkt und hatte dicke rote Zöpfe. Ihr Minirock war ziemlich weit hochgerutscht, von ihrer Bluse schienen nahezu sämtliche Knöpfe abgerissen zu sein. Sie hob den Kopf und sah Torben benommen an.
„Sind Sie verletzt?“, fragte Dr. Lorentz heiser.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Lassen Sie sich mal anschauen“, er streckte ihr seine Hände entgegen.
Sie stieß sie zurück. „Pfoten weg!“
„Ich bin Arzt.“
„Ja? Ich möchte trotzdem nicht, dass Sie mich anfassen. Ich kann das nicht haben, wenn fremde Männer mich betatschen.“
„Darf ich Ihnen beim Aufstehen helfen?“
„Nicht nötig, das schaffe ich schon alleine.“ Sie rappelte sich hoch und zupfte den Saum ihres kurzen Rocks nach unten. „Sehen Sie?“ Sie humpelte. „Wo ist denn mein zweiter Stöckelschuh?“ Sie sah sich suchend um und entdeckte ihn. „Ach, hier.“ Sie zog ihn an. Dann fragte sie den jungen Arzt: „Warum sehen Sie mich so komisch an?“
„Ich mache mir Sorgen.“
„Das brauchen Sie nicht.“ Sie verringerte den Ausschnitt ihrer Bluse. „Ich bin okay.“
„Das sagen Sie jetzt.“
„Ich werde doch wissen, wie ich mich fühle.“
„Sie haben einen Schock erlitten.“
„Das stimmt. Ein Schock war’s schon.“
„Dieser Schock könnte bewirken, dass Sie im Moment nicht spüren, dass Sie Schmerzen haben“, sagte Dr. Lorentz.
„Blödsinn.“
„Das ist kein Blödsinn. Haben Sie sich schon mal mit einem Messer geschnitten?“
„Das ist wohl schon jedem mal passiert.“
„Und haben Sie sofort geblutet?“
„Nein.“
„Weil der Schock es nicht zuließ“, sagte Torben Lorentz. Sein Wagen wies nicht die geringste Schramme oder Delle auf.
Das Mädchen sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Was sind Sie für ein Arzt?“
„Ich bin Chirurg“, antwortete Dr. Lorentz.
„Ich hab’s eilig, muss weiter.“
„Ich möchte nicht, dass Sie zusammenklappen, sobald der Schock nachlässt.“
„Es trifft Sie keine Schuld an diesem Unfall“, sagte das Mädchen mit den roten Zöpfen. „Ich hätte besser aufpassen müssen. Ich bin ja wie ein blindes Huhn drauflos gerannt.“
„Man könnte es mir als Fahrerflucht auslegen, wenn ich mich nicht um Sie kümmere, deshalb würde ich Sie gerne untersuchen.“
Sie sah ihn mit ihren meergrünen Augen erschrocken an. „Hier auf der Straße? Wollen Sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt werden?“
Er zeigte auf das Gebäude, in dem er wohnte. „Ich bin gleich hier zu Hause.“
„Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich betrete normalerweise keine Wohnungen fremder Männer, doch bei Ihnen werde ich es wohl nicht zu bereuen haben, wenn ich ausnahmsweise von meinen Prinzipien abweiche.“
Torben setzte seinen Wagen in die Parklücke zurück, die er vor wenigen Augenblicken verlassen hatte, und nahm das Mädchen mit in seine Wohnung.
Als sie das Wohnzimmer betrat, sagte sie: „Jetzt scheint der Schock nachzulassen.“
„Wieso?“, fragte Dr. Lorentz.
„Weil meine Knie plötzlich anfangen zu schlottern.“
„Sehen Sie.“
„Und weich werden sie auch.“
„Glauben Sie mir jetzt?“
„Ja“, seufzte das Mädchen und fasste sich an die Schläfen. „Kann ich einen Whisky haben?“
„Sicher. Setzen Sie sich erst mal.“ Torben deutete auf die Couch.
Sie sackte darauf nieder. „Aber Sie müssen einen mittrinken. Der Unfall muss ja auch für Sie ein Schock gewesen sein.“
„Das war er“, bestätigte Dr. Lorentz, ging zur Hausbar und füllte zwei Gläser.
„Haben Sie auch Eis?“, fragte sie, als er die Gläser auf den Couchtisch stellte.
„Klar.“
„Ich bin lästig, was?“
„Nein, sind Sie nicht. Entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“ Er ging in die Küche, und während er ein paar Eiswürfel in eine Glasschüssel klimpern ließ, streute ihm das Mädchen flink ein weißes Pulver, das sich augenblicklich auflöste, in den Whisky. Er kam mit den Eiswürfeln wieder. Sie bediente sich.
„Ich bin Dr. Torben Lorentz“, sagte der junge Chirurg. „Ich arbeite in der Seeberg-Klinik.“
„In der Seeberg-Klinik.“ Das Mädchen wiegte beeindruckt den Kopf.
„Kennen Sie sie?“
„Die ist wohl jedem in München ein Begriff. Ich bin Ro … Romy Schatz. Meine Freunde nennen mich Schätzchen.“
Sie tranken.
„Ich werde Sie nachher untersuchen“, sagte Dr. Lorentz.
Romy Schatz betrachtete ihre langen, wohlgeformten Beine. „Sieht so aus, als hätte ich nicht einmal einen blauen Fleck abgekriegt.“ Sie lachte. „Ich sollte Stunts beim Film machen.“
„Wir sollten für alle Fälle unsere Daten austauschen“, sagte Torben.
Romy nickte zustimmend. „Das machen wir nachher.“
„Was sind Sie von Beruf?“, erkundigte sich Dr. Lorentz.
„Ich? Ich bin Fotomodell. Sie finden mich in etlichen Versandhauskatalogen. Natürlich zahlt man mir keine Gagen wie einer Claudia Schiffer, aber ich komme ganz gut zurecht.“
„Und wo wohnen Sie?“, fragte Torben Lorentz.
Romy lächelte. „Schreibt Ihnen Schätzchen nachher alles auf – mit Telefon und Faxnummer. Damit Sie mich jederzeit erreichen können.“ Sie legte den Handrücken auf ihre Stirn. „Puh, der Whisky ist aber ganz schön stark. Spüren Sie ihn auch schon?“
„Nein.“ Er leerte sein Glas.
„Nun ja, vermutlich spreche ich deshalb so sehr darauf an, weil ich für gewöhnlich nie Alkohol trinke – wegen der Linie, verstehen Sie? Als Model muss man permanent auf seine Figur achten. Ein paar Pfunde mehr – und schon kriegst du keine Jobs mehr.“ Sie stand auf. „Ich müsste mal für kleine Mädchen.“
Er zeigte ihr das Bad und kehrte ins Wohnzimmer zurück, und als sie sich da wieder blicken ließ, war Dr. Torben Lorentz nicht mehr bei Bewusstsein.
Rosy Kupfer ließ sich kurz am Fenster blicken, dann trug sie die Gläser in die Küche, spülte sie und trocknete sie ab. Es läutete an der Tür.
Rosy öffnete und ließ Bruno Pfaff ein. „Bist du okay?“, erkundigte er sich.
„Ja“, antwortete sie. „Ich mache das schließlich nicht zum ersten Mal.“
„Was ist mit ihm?“
„Er schläft wie ein Baby.“
Bruno grinste zufrieden und gab seinem Mädchen einen Klaps auf die Kehrseite. „Bist’n Schatz.“
Sie kicherte. „So habe ich mich ihm vorgestellt. Schatz. Romy Schatz. Meine Freunde nennen mich Schätzchen.“
„Gut, Schätzchen, dann lass uns jetzt mal an die Arbeit gehen.“