Читать книгу 5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019 - A. F. Morland - Страница 33

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Dr. Torben Lorentz stand im Lift und dachte an sein rätselhaftes Erlebnis mit dieser mysteriösen Romy Schatz. „Meine Freunde nennen mich Schätzchen.“

Er hatte nie wieder von ihr gehört. Kein Anruf. Kein Brief. Nichts. So unvermittelt wie sie in sein Leben getreten war, war sie aus diesem auch wieder verschwunden.

Nach wie vor hatte er keinen blassen Schimmer, was sich während seines Blackouts zugetragen hatte, wieso er nackt in seinem Bett aufgewacht und Romy nicht mehr dagewesen war.

Inzwischen hegte er den Verdacht, dass Romy ihm irgend etwas in den Whisky gegeben hatte. Doch wozu? Sie hatte ihn nicht bestohlen.

Er hatte x-mal nachgesehen – es fehlte nichts, absolut nichts. Aber welches Mädchen, bei dem keine Schraube locker ist, betäubt einen Mann, schleppt ihn ins Schlafzimmer, legt ihn ins Bett, entkleidet ihn – und verschwindet dann? Er hätte eine Menge Fragen gehabt. Würde er sie Romy jemals stellen können?

Der Fahrstuhl hielt. Dr. Lorentz verließ die Kabine und trat wenig später aus der Seeberg-Klinik. Dr. Peter Stein kam ihm entgegen.

Er war ebenfalls Chirurg und – obwohl verheiratet – ein ewiger Playboy. Torben konnte den Kollegen nicht verstehen. Dr. Stein hatte eine bezaubernde Frau, eine reizende Tochter und einen lieben Sohn.

Wieso genügte ihm das nicht? Wieso stellte er die eifrige Jagd auf alles, was dem weiblichen Geschlecht angehörte, nicht endlich ein?

Er hatte auch bei Nicola sein Glück versucht, sich aber einen riesengroßen Korb geholt. Seitdem war sie – was Torben natürlich sehr begrüßte – tabu für ihn.

„Oh, hallo, Herr Kollege“, sagte Dr. Stein freundlich. „Dienstschluss?“

Dr. Lorentz nickte. „Ja.“

Dr. Stein verzog das Gesicht. „Für mich geht es jetzt erst los.“

Torben Lorentz lächelte. „Des einen Freud ist des anderen Leid.“

„Wie geht es Nicola?“

„Schon etwas besser.“

„Grüßen Sie sie von mir, wenn Sie sie sehen.“

„Mach’ ich“, sagte Dr. Lorentz und ging weiter, während Dr. Stein die Seeberg-Klinik betrat. Torben erreichte die Parkplätze, die für das Klinikpersonal reserviert waren. Er schob die Hand in die Hosentasche und fingerte die Fahrzeugschlüssel heraus.

„Herr Dr. Lorentz!“, sprach ihn plötzlich jemand an.

Er blieb stehen und drehte sich um. „Ja, bitte?“

Ein sportlich gekleideter junger Mann kam auf ihn zu – Laufschuhe, Jeans, hauchdünner Windbreaker mit Kapuze, die hinten herunterhing. „Kann ich Sie kurz sprechen?“, fragte er.

„In welcher Angelegenheit?“, erkundigte sich Torben.

Der junge Mann lächelte. „In einer sehr persönlichen.“ Er ließ seinen Blick schweifen, vergewisserte sich, dass sie nicht beobachtet wurden.

Torben kniff die Augen zusammen. Der Mann gefiel ihm nicht. „Kenne ich Sie?“, fragte er.

„Nein. Nein, Sie kennen mich nicht, obwohl …“

„Obwohl?“

„Obwohl ich kürzlich in Ihrer Wohnung war.“

Torben staunte. „Sie waren in meiner Wohnung?“

„Ich hoffe, das macht Ihnen nichts aus.“

„Was hatten Sie in meiner Wohnung zu suchen?“, wollte der Chirurg wissen. „Wieso weiß ich nichts von Ihrer Anwesenheit?“

Der junge Mann griente. „Oh, ich war anwesend, als Sie abwesend waren.“

Torben Lorentz zog die Augenbrauen zusammen. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht. Was haben Sie während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung gemacht?“

Bruno Pfaff setzte ein süffisantes Lächeln auf. „Ich habe Sie fotografiert“, sagte er. „Möchten Sie die Aufnahmen sehen?“ Er holte einen Umschlag aus dem Windbreaker. „Sie sind sehr scharf geworden – in des Wortes doppelter Bedeutung.“

Torben Lorentz überlief es kalt. Er entriss Bruno Pfaff das Kuvert, öffnete es, nahm die vielen Hochglanzfotos heraus, die ihn mit einem rothaarigen Mädchen – er nackt, sie nackt – im Bett zeigten, und verlor die Beherrschung. Jetzt war ihm alles klar. Jetzt gab es keine offenen Fragen mehr. Dieses liederliche Pärchen hatte ihn gerissen hereingelegt. Romy – oder wie immer das Mädchen mit den roten Zöpfen heißen mochte – hatte sich absichtlich von ihm anfahren lassen.

Die Sache war clever ausgeheckt, raffiniert eingefädelt und gewieft ausgeführt worden. Eine Zornwelle schoss in dem sonst so besonnenen Arzt hoch.

Er packte Bruno Pfaff, krallte seine Finger in dessen Windbreaker und rammte ihn hart gegen seinen Wagen. „Du verdammter Mistkerl!“

Bruno befreite sich mit einem schmerzhaften Tritt. Dr. Lorentz stöhnte auf. Bruno funkelte ihn gefährlich an.

„Tu das nie wieder!“, fauchte er. „Hörst du? Nie wieder! Sonst breche ich dir beide Hände, dann bist du als Chirurg erledigt!“ Er nahm Torben Lorentz die Bilder wieder weg. „Sieht so aus, als hättest du jede Menge Spaß mit der Kleinen gehabt.“

„Ich war bewusstlos.“

Bruno Pfaff griente. „Die Fotos, auf denen das zu erkennen ist, sind hier nicht dabei.“ Er schob die Bilder in den Umschlag und steckte ihn ein. „Stell dir vor, die Aufnahmen kommen in falsche Hände.“

Dr. Lorentz kniff die Augen zusammen. „Sie machen das nicht zum ersten Mal, habe ich recht? Sie haben darin schon einige Übung.“

Bruno hob die Schultern und meinte mit Unschuldsmiene: „Das Leben ist teuer. Wenn man nicht mit leeren Taschen herumlaufen möchte, muss man sich was einfallen lassen.“

„Aber an ehrliche Arbeit denkt einer wie Sie natürlich nicht.“

„Richtig“, gab Bruno Pfaff dem Chirurgen ungeniert recht. „Und ich kann dir auch den Grund dafür nennen: Weil man für ehrliche Arbeit bestraft wird. Weil ehrliche Arbeit schlecht bezahlt wird. Weil man für ehrliche Arbeit mit einem Hungerlohn verhöhnt wird.“ Er legte die Hand auf seine Brust, dorthin, wo sich die Fotos befanden. „Du kannst die Negative kaufen.“

„Wie viel wollen Sie dafür?“, fragte Torben Lorentz mit belegter Stimme. Wenn er stärker gewesen wäre als dieser Verbrecher, hätte er ihn ganz schrecklich verprügelt, aber der andere war ihm kräftemäßig überlegen.

„Hunderttausend Mark“, sagte Bruno Pfaff nüchtern.

„So viel Geld habe ich nicht flüssig.“

„Du wirst es beschaffen müssen, sonst gibt es einen mordsmäßigen Skandal. Wenn ich diese Bilder deinem Chef, deinen Kollegen, etlichen Zeitungsredaktionen und einigen Privat-TV-Anstalten zukommen lasse, bist du deinen Job los und kannst nur noch nachts aus dem Haus gehen. Und wie würde wohl erst Dr. Nicola Sperling reagieren, wenn ich ihr diese widerwärtigen Aufnahmen schicken würde?“

Dr. Lorentz hatte das Gefühl, ein Eissplitter würde sein Herz durchbohren. Nicola … Großer Gott, wenn sie diese geschmacklosen Fotos zu sehen bekam, durfte er ihr nie mehr vor die Augen treten.

Bruno sagte: „Ich bin in meiner Forderung nicht maßlos. Ich weiß, was ich einem Mann in deiner gesellschaftlichen Position zumuten kann, bleibe absichtlich unter der Schmerzgrenze, damit sich das Geschäft so rasch wie möglich abwickeln lässt. Mit nur hunderttausend Mark kannst du beruflich und privat deinen Hals retten, das solltest du dir vor Augen halten. Ich finde, so viel müssten dir dein Glück und deine Karriere wert sein. Oder sehe ich das falsch?“ Er stach mit dem Zeigefinger gegen Torbens Brustbein. „Hunderttausend Mark. Treib sie auf, so schnell es geht. Wenn ich mich wieder mit dir in Verbindung setze, musst du sie haben. Alles klar?“ Er tippte sich grüßend an die Stirn. „Mach’s gut, mein Freund. Du hörst bald wieder von mir.“

Er drehte sich um und entfernte sich ohne Eile.

Dr. Lorentz stand wie vom Donner gerührt da und schaute ihm nach, und der junge Mann war der erste Mensch in seinem Leben, dem er alles erdenklich Schlechte an den Hals wünschte.

Als der Erpresser nicht mehr zu sehen war, schloss Dr. Lorentz wie in Trance seinen Wagen auf und ließ sich hinter das Lenkrad fallen – unfähig, das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen.

Jemand klopfte an die Seitenscheibe. Torben erschrak und öffnete das Fenster. Dr. Thomas Rüsch, der Chefanästhesist, beugte sich zu ihm herunter. „Kann ich irgend etwas für Sie tun, Herr Kollege?“, fragte er.

„Nein“, antwortete Torben heiser.

„Sind Sie sicher?“ fragte Dr. Rüsch zweifelnd.

„Ja.“

„Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles bestens.“

Obwohl Dr. Rüsch (in der Klinik nannte man ihn Onkel Tom, weil er zu allen Schwestern „Kindchen“ zu sagen pflegte) nicht davon überzeugt war, nickte er, richtete sich auf, zuckte mit den Schultern, sagte „Tja, dann …“, wünschte Torben einen schönen Abend und ging seiner Wege.

In Torben Lorentz’ Kopf überschlugen sich die Gedanken, und je intensiver er über seine Situation nachdachte, desto mehr geriet er in Panik.

Seine Überlegungen machten sich selbständig und liefen in die verkehrte Richtung. Er kam zu völlig falschen Schlüssen, die zu äußerst bedenklichen Reaktionen zu führen drohten.

Wenn er die hunderttausend Mark auftrieb – wer garantierte ihm, dass der Erpresser nicht weitermachte und ihn schon bald wieder zur Kasse bat?

Der Gedanke, Nicola könnten die abstoßenden Fotos in die Hände fallen, machte ihn wahnsinnig. War es da verwunderlich, dass er in einer dermaßen vertrackten Lage völlig falsch reagierte?

In ihm kam der heftige Wunsch auf, zu fliehen, fortzulaufen von all diesen Widerwärtigkeiten, sich vor der gesamten Welt zu verstecken. Obwohl er nichts für das konnte, was man ihm angetan hatte, schämte er sich ganz entsetzlich.

Wenn Nicola die Fotos sieht, macht sie auf der Stelle Schluss mit mir, dachte er. Sie würde mir nicht glauben, dass ich nicht bei Besinnung war, als die Aufnahmen entstanden. Jesus, warum muss es so schlechte, niederträchtige und durchtriebene Menschen geben?

Torben verstrickte sich in Hirngespinste, die ihn nicht mehr rational denken ließen.

Er fuhr nach Hause. Dass er dabei keinen Unfall verschuldete, war nicht ihm, sondern der Aufmerksamkeit der anderen Verkehrsteilnehmer zu verdanken.

Er puppte sich total ein in seinen Wahn und machte Fehler um Fehler. Er setzte sich hin und schrieb einen langen Brief an Nicola, in dem er sie bat, ihn zu vergessen, weil er nach reiflicher Überlegung zu der Erkenntnis gekommen sei, dass er nicht der richtige Mann für sie wäre.

Anschließend rief er Dr. Ulrich Seeberg privat an und log ihm etwas von einem einmaligen Angebot vor, das er unbedingt annehmen wolle.

Angeblich sollte er die Leitung der Humboldt-Klinik in Hannover übernehmen, und da er sich auf diese große Aufgabe optimal vorbereiten wollte, bat er Ulrich Seeberg, ihn mit sofortiger Wirkung zu beurlauben.

Dr. Seeberg sagte, er würde ihm nichts in den Weg legen, er solle aber in den nächsten Tagen zu einer gründlicheren Aussprache in seine Klinik kommen.

Torben versprach es, obwohl er wusste, dass er da nie mehr erscheinen würde. Er dachte in seiner Einbildung wirklich, alle Brücken hinter sich abbrechen und sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden zu können. Er hielt das tatsächlich für die allerbeste Lösung, begriff nicht, wie weh er Nicola mit seinem Brief tat, und wie sehr er Freunde und Kollegen mit seinem verrückten Verhalten vor den Kopf stieß. In seinem Gehirn funktionierte einfach nichts mehr richtig.

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