Читать книгу 5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019 - A. F. Morland - Страница 36

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Sie wohnten tatsächlich in Schwabing. Bruno Pfaff hatte seine Halb-Schwester in diesem Punkt ausnahmsweise nicht belogen. Es hatte nicht lange gedauert, bis er und Rosy Kupfer wieder zufriedenstellend flüssig gewesen waren. Die diversen unsauberen Geschäfte, die Bruno in die Wege geleitet hatte, hatten allesamt gefruchtet – bis auf eines.

Dass Dr. Lorentz nicht nur für ihn, sondern, wie er in Erfahrung gebracht hatte, für die ganze Welt unauffindbar war, ärgerte Bruno maßlos.

„Der Kerl denkt, wenn er auf Tauchstation geht, ist er seine Sorgen los, aber das ist ein Trugschluss“, knurrte Bruno, während sich Rosy neben ihm die langen Fingernägel dunkelrot lackierte. „Er kann nicht ewig verschwunden bleiben. Irgendwann muss er wieder zum Vorschein kommen, und dann kaufe ich ihn mir.“ Er ballte die Hände zu Fäusten und sagte mit grimmiger Miene: „Bruno Pfaff darf man nicht an der Nase herumführen. Wer das doch tut, braucht ’nen Notarzt.“

„Was machen wir mit den Fotos?“, fragte Rosy und blies mit gespitzten Lippen auf ihre Fingernägel.

„Die legen wir erst mal auf Eis“, sagte Bruno.

In zwei ähnlich gelagerten Fällen waren die beiden bereits erfolgreich aktiv gewesen. Die betuchten und von ihnen erpressten Junggesellen, die sich keinen Skandal leisten konnten, hatten anstandslos hunderttausend Mark für die Negative berappt, nachdem Bruno sie mit den kompromittierenden Aufnahmen konfrontiert hatte. Und wenn sie auch Dr. Lorentz’ Geld bekommen hätten, hätten sie für eine Weile Ruhe gegeben. Da der Chirurg jedoch zur Zeit nicht greifbar war, wollte Bruno Pfaff zwischendurch einen Industriellen zur Kasse bitten, dessen Kunden im klerikalen Dunstkreis angesiedelt waren und für den Fotos wie jene, die er von Rosy und ihm zu schießen gedachte, den sicheren geschäftlichen Untergang bedeutet hätten.

„Wie sieht’s aus mit deinen Krallen?“, fragte Bruno seine Freundin. „Wann bist du endlich fertig?“

Rosy Kupfer streckte die Hände mit gespreizten Fingern hoch und wedelte damit. „Der Lack muss nur noch trocknen.“

Bruno griente. „Was ihr Weiber alles tun müsst, um schöner zu sein als ’n Mann.“

„Dafür sind wir aber dann auch sehr viel schöner als ihr.“

Bruno grinste. „Das lassen wir dahingestellt.“ Er stand auf und schob die Hände in die Hosentaschen. „Was ist nun?“, fragte er ungeduldig. „Können wir gehen?“

„Gib mir noch eine Minute, okay?“

Bruno sah seine Freundin finster an. „Deine Minuten kenne ich. Die ziehen sich, als wären sie aus Gummi. Du weißt, der Typ geht in einer Stunde aus dem Haus.“

Rosy nickte. „Wie jeden Mittwochabend.“ Sie seufzte, als würde sie sich langweilen. „Und er fährt wie immer zum Bowling.“ Sie verdrehte die Augen. „In einer Stunde. Deshalb verstehe ich deine Nervosität nicht. Wir haben doch noch sechzig Minuten Zeit.“

„Wir sind noch nicht vor Ort“, gab Bruno Pfaff zu bedenken. „Wir müssen uns noch mit den heutigen Gegebenheiten vertraut machen und uns überlegen, wann, wo und wie es passieren soll.“

„Du tust so, als würde ich es heute zum ersten Mal machen.“

„Das nicht, aber es ist jedes Mal ein klein wenig anders, und darauf muss man sich zeitgerecht einstellen, damit es zu keinen unliebsamen Überraschungen kommt. Je besser du vorbereitet bist, desto reibungsloser geht die Sache über die Bühne.“

Endlich stand auch Rosy Kupfer auf. „Trocken“, sagte sie und zeigte Bruno ihre glänzenden und spitz zugefeilten Fingernägel.

Er nickte finster. „Dann lass uns gehen. Hoffentlich passt du heute etwas besser auf als beim letzten Mal.“

Beim letzten Mal hatte sie das Tempo des herannahenden Fahrzeugs falsch eingeschätzt und war ziemlich unsanft auf dem Asphalt gelandet. Eine schmerzhafte Beckenprellung und zwei hässliche Blutergüsse waren die Folge gewesen.

Rosy Kupfer lächelte sorglos. „Denkst du, weil ich einmal Pech hatte, habe ich es nun laufend?“

Bruno zeigte auf sie. „Du gibst auf deine Knochen besser Acht, das ist ein Befehl!“

Sie salutierte. „Yes, Sir!“

Das Pärchen verließ die Wohnung. Vor dem Haus wartete ihr Wagen auf sie, ein großer schwarzer Rover mit einer Innenausstattung aus echtem Leder und Naturholz.

Bruno hatte ihn erst vor zwei Tagen gekauft. „Hübsches Wägelchen“, sagte er grinsend und klopfte mit der flachen Hand auf die Motorhaube.

„Manche Männer lieben ihr Auto mehr als ihre Frau“, sagte Rosy abschätzig. „Ich kann das nicht verstehen.“

Bruno grinste breit. „Ich schon.“ Sie stiegen ein und fuhren los. Zwei Straßen vor dem tatsächlichen Ziel hielt Bruno den Wagen in einer Allee an. Den Rest des Weges legten sie zu Fuß zurück.

Vor der Ausfahrt eines großen Anwesens machten sie sich mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut. Beiderseits der Fahrbahn parkten Fahrzeuge.

Rosy Kupfer zeigte auf einen Kastenwagen. „Dahinter könnte ich mich gut verstecken.“

Bruno schätzte die Entfernung zwischen Kastenwagen und Tor ab und rümpfte die Nase. „Das ist zu weit. Bis hierher hat er schon zu viel Fahrt drauf. Du musst ein paar Meter näher ran.“

„Wie wär’s mit dem Van dort?“, fragte Rosy. Es handelte sich um einen dunkelblauen Wagen.

Bruno nickte. Mit dieser Position war er einverstanden. Er schaute auf seine Armbanduhr.

„Wird Zeit, dass wir uns bereit machen. Er ist überpünktlich, wie wir in Erfahrung gebracht haben. Geh und beziehe deinen Posten. Mach’s gut. Viel Glück. Es ist heute für längere Zeit das letzte Mal. Vielleicht machen wir so etwas überhaupt nie wieder. Ich bin flexibel, und mir fällt immer etwas Neues ein.“ Er zwinkerte ihr zu. „Pass auf dich auf, Schätzchen, du wirst noch gebraucht.“ Bevor er sich umdrehte, sagte er noch: „Ich bin in der Nähe.“ Dann entfernte er sich.

Rosy Kupfer stellte sich hinter das Fahrzeug. Sie brauchte nicht lange zu warten. Wie von Geisterhand bewegt öffnete sich plötzlich das breite Tor aus kunstvoll verschnörkeltem Schmiedeeisen.

Eine große schwarze Limousine tauchte auf. Der Fahrer hinter der grün getönten Scheibe war nicht zu sehen. Rosy duckte sich und bereitete sich innerlich auf ihren Einsatz vor.

Die Limousine rollte durch das Tor, hielt kurz an, fuhr dann weiter, und Rosy zählte im Geist die Sekunden bis zum entscheidenden Sprung.

Sie schloss aus dem näher kommenden Motorgeräusch auf die Geschwindigkeit des Fahrzeugs, stellte sich darauf ein, stimmte ihre innere Uhr darauf ab.

In ihrem Kopf lief ein Film ab. Sie sah voraus, wie alles passieren würde, während die Limousine stetig näher kam. Im entscheidenden Augenblick dachte Rosy Kupfer: Jetzt!

Und dann sprang sie – furchtlos und entschlossen. Wie vom Katapult geschleudert flog sie hinter dem Van hervor, direkt vor den chromblitzenden Kühlergrill. Worauf sie achten, wovor sie sich schützen musste, wusste sie.

Die Geschehnisse entwickelten jedoch eine Eigendynamik, die sich von Rosy nicht mehr beeinflussen ließ. Von einer bestimmten Sekunde an konnte sich das Mädchen mit den roten Zöpfen nur noch auf sein Glück und auf seine robuste körperliche Konstitution verlassen. Nichts lag dann mehr in Rosy Kupfers Hand. Der größte nicht kalkulierbare Risikofaktor bei diesem waghalsigen Unterfangen war jedes Mal die Schrecksekunde des Fahrers. Wie lange brauchte er, bis er reagierte und bremste?

Bruno Pfaff beobachtete den Ablauf der Aktion aus sicherer Entfernung. Er sah Rosy vor das Auto fliegen, hörte die blockierenden Reifen quietschen, vernahm den dumpfen Aufprall ihres Körpers – und dann …

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