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Tod im Leuchtturm Reiner Frank Hornig

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Dieses verfluchte Nordseewetter! Fröstelnd schlug Jessica den Mantelkragen hoch. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, und die durchnässte Kleidung klebte ihr unangenehm auf der Haut.

Vom Meer her heulte eine Schiffssirene.

Erleichtert schlug sie die Tür des alten Leuchtturmes hinter sich zu und bahnte sich einen Weg durch die kleine Gruppe von Touristen, die hier ebenfalls vor dem Regen Schutz gesucht hatten.

Wollte sie wirklich trotz des Hundewetters einen Blick aus der Vogelperspektive wagen, so musste Jessica erst einmal zweihundertfünfundvierzig Stufen erklingen. Denn der kleine Aufzug in der Mitte des Turmes, so besagte ein poliertes Messingschild, durfte nur vom Personal benutzt werden.

Plötzlich drängte sich eine dunkle Gestalt rücksichtslos an ihr vorbei. Bevor das Mädchen an der Eintrittskasse protestieren konnte, war der Unbekannte schon die eisernen Stufen nach oben verschwunden.

Mit einem Mal peitschten zwei Schüsse durch das eiserne Bauwerk. Ein dumpfes Poltern folgte, dann erneut rasche Schritte, die sich weiter nach oben entfernten.

„Um Himmels Willen!“ entfuhr es jemand hinter ihr. Jessica zögerte nicht lange. Mutig eilte sie die Stufen hinauf. Auf der ersten Zwischenplattform wäre sie beinahe über einen leblosen Körper gestolpert, auf dessen hellen Mantel sich rasch ein dunkler Fleck auszubreiten begann. Sie suchte nach einem Pulsschlag, doch da war keiner mehr.

„Hier oben liegt ein Toter…!“ brachte sie dann mit gebrochener Stimme hervor. „Rufen Sie sofort die Polizei!“

„Zwei Einschüsse in der Herzgegend“, stellte der Polizeiarzt nüchtern fest. „Der Mann hatte keine Chance. Er war sofort tot!“

Kommissar Hansen nickte nachdenklich.

„Der Tote war als Erpresser kein unbeschriebenes Blatt. So manches seiner Opfer wird jetzt erleichtert aufatmen.“

Dann wandte er sich wieder an Jessica.

„Der Mörder hält sich irgendwo oben im Turm versteckt. Dank Ihrer genauen Beschreibung werden meine Leute ihn bald gefasst haben.

Inzwischen werde ich von allen Anwesenden die Personalien aufnehmen. Vorerst darf niemand den Leuchtturm verlassen!“

Die blonde Touristin strich sich nervös eine Strähne aus der Stirn. „Wir sollten die Tür der Aufzugkabine blockieren, um dem Täter auch diese Fluchtmöglichkeit zu nehmen!“

Der dicke Kommissar warf ihr einen bewundernden Blick zu. Eine Weile später kehrten Hansens Leute kopfschüttelnd wieder die Stufen herab.

„Wir haben jeden Winkel durchsucht, Chef“, berichtete einer von ihnen. „Dort oben ist niemand. Außer dem Beamten im Funkraum vom Küstendienst, und dem hat der Unbekannte eins über den Schädel gezogen. Eine schlimme Platzwunde, Doktor! Sie sollten besser nach ihm sehen.“

Jessica schauderte. „Aber der Mörder kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!“

Kommissar Hansen schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nun, wenn er nicht mehr oben ist, dann muss er sich in seiner Verzweiflung vom Turm gestürzt haben!“

Die Beamten begaben sich nach draußen auf die Suche rund um den Leuchtturm. Doch wenig später kehrten sie, vom Regen durchnässt, mit leeren Händen zurück: Der geheimnisvolle Mörder war und blieb verschwunden.

„Vielleicht ist der Gesuchte auf die Dachkuppel des Leuchtturmes geklettert?“ spekulierte Jessica nachdenklich. „Oder er hat sich schon längst nach unten abgeseilt?“

Kommissar Hansen lächelte. „Kein Seil hängt außen am Turm! Für Sie mag das zwar alles wie ein Krimi vorkommen, aber wenn die Kollegen der Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen haben, werden uns ihre Ergebnisse schon weiterhelfen. Mit der Fantasie einer Miss Marple hat wirkliche Polizeiarbeit nur selten etwas gemein.“

Verärgert über die arrogante Haltung des Kommissars, beschloss Jessica abzuwarten, was die erneute Durchsuchung des Turmes erbringen würde. Die Beamten durchkämmten noch einmal jeden noch so kleinen Winkel, aber nicht einmal die auffälligen Kleidungsstücke, die der Mörder getragen hatte, tauchten dabei wieder auf.

Später hatte Jessica dann endlich Gelegenheit, den Leuchtturm zu besteigen. Von der schmalen Außengalerie genoss sie den schwindelerregenden Blick über die noch immer wolkenverhangene Nordseeinsel. In der Ferne sah sie ein paar riesige Schiffe die See durchpflügen.

Kommissar Hansen lehnte neben ihr an der Brüstung und starrte stumm in die Ferne, als könne er irgendwo dort eine Antwort auf seine Fragen finden.

„Ich weiß, dass Sie nicht viel von Krimis halten…“

Jessicas Stimme kämpfte gegen das Heulen des Nordwindes an.

„Aber nehmen wir einmal an, Miss Marple müsste diesen Fall lösen. Würde sie sich nicht zuallererst die Frage nach dem Motiv stellen? Und welcher der Beteiligten kein Alibi hat?“

Kommissar Hansen blickte neugierig in ihre blauen Augen.

„Sie meinen doch nicht etwa…?“

„Sagten Sie nicht vorher, der Tote sei ein bekannter Erpresser gewesen?

Angenommen, jemand möchte etwas auf die Insel schmuggeln, unverzollte Waren etwa, oder gar Heroin. Wäre es da nicht hilfreich, jemanden zum Verbündeten zu haben, der ständig den gesamten Funkverkehr abhört und immer dann warnt, wenn ein Polizeiboot aufkreuzt?

Der Tote hat davon Wind bekommen und musste für sein Einmischen mit dem Leben bezahlen“

„Möglich wäre das schon“, räumte Hansen bereitwillig ein.

„Aber Sie vergessen dabei den Mann im dunklen Ledermantel! Wo ist er abgeblieben? Wo seine Kleidung, wo seine Waffe? Das alles sind doch nicht mehr als abenteuerliche Vermutungen.“

Der Wind griff in Jessicas Haar und ließ es wie eine Fahne in ihr Gesicht flattern.

„Der Mann vom Seenotrettungsdienst“, fuhr sie unbeirrt fort, „hatte sich mit seinem Erpresser verabredet. Während dieser wie vereinbart auf der ersten Plattform auf ihn wartete, fuhr sein Mörder mit dem Fahrstuhl nach unten, eilte unbemerkt nach draußen zu seinem Wagen und zog sich dort die merkwürdige Maskierung über, die uns alle narren sollte.

Dann betrat er als rätselhafter Unbekannter erneut den Turm, erschoss sein Opfer kaltblütig und verschwand nach oben, wo er sich mit dem Lauf seiner Waffe auch noch eine Platzwunde zufügte. Wer sollte ihn jetzt noch für den Täter halten?“

„Falls Sie recht haben, weshalb haben wir dann seine Maskierung nirgends gefunden?“ wollte der Kommissar wissen. „Ohne Mantel und Tatwaffe können wir den Täter nicht zu einem Geständnis zwingen, finden Sie nicht?“

„Er hat sich ihrer auf ganz einfache Art und Weise erledigt. Und durch die geschickte Inszenierung mit dem ‚unbekannten Fremden‘ lenkte er uns alle von ihm ab und verschaffte sich dadurch ein Alibi.“

„Meine Leute haben jeden Winkel des Leuchtturmes und auch das Gelände um ihn herum gründlichst abgesucht“, warf Hansen der jungen Frau entgegen. Doch diese schüttelte triumphierend den Kopf.

„Oh nein, Sie haben sogar einen sehr großen Raum völlig außer Acht gelassen, Herr Kommissar: Ich meine den Aufzugschacht!

Für den Wärter war es doch ein leichtes, die Fahrstuhltür oben gewaltsam zu öffnen und seine ganze verräterische Ausrüstung einfach in den Schacht hinabzuwerfen!“

Hansen stieß sich vom Geländer ab und rannte die Stufen hinunter. Unten betrat er die kleine Kabine und öffnete die Notausstiegsluke über ihm. Ein dunkler Ledermantel, eine Pudelmütze und eine blutverschmierte Pistole fielen ihm entgegen.

Unter dem lastenden Druck der Indizien legte der Leuchtturmwärter ein erstes Geständnis ab.

„Ich wollte aus der Sache aussteigen, wollte nichts mehr damit zu tun haben, Herr Kommissar! Aber diese Ratte ließ mir einfach keine Ruhe mehr.“

Am Tag ihrer Abreise traf Jessica den dicken Kommissar noch einmal im Dorf. Er winkte ihr freundlich zu. Unter dem Arm trug er einen hohen Stapel Kriminalromane.

ENDE

Krimi-Sammlung Tod im Leuchtturm und 7 andere Krimis

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