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„Ja, bitte?“, sagte Sonja Winter in die Sprechmuschel des weißen Nostalgie-Hörers.

„Hier spricht jemand, den du seit einer Ewigkeit nicht gesehen hast“, sagte ein Mann.

Sonja überlegte. „Christoph?“

„Nein“

„Waldemar?“ fragte Sonja unsicher.

„Nein.“

„August?“, versuchte es Sonja noch einmal – noch unsicherer.

„Auch nicht“, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung.

„Ist es möglich, dass Sie sich verwählt haben?“, fragte Sonja daraufhin kühl.

„Spreche ich mit Sonja Winter?“, erkundigte sich der Unbekannte.

„Ja“, antwortete Sonja.

„Dann bin ich richtig“„ behauptete der Fremde.

Die Stimme! Die Stimme! Sie kam Sonja irgendwie bekannt vor. Sie hatte Ähnlichkeit mit Patricks Stimme. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie lachte erfreut auf. „Thomas! Bist du’s?“

Der Anrufer lachte ebenfalls. „Na endlich! Ich dachte schon, du kämst nie drauf.“

Thomas war Sonjas Schwager. Thomas Winter – Patrick Winters Bruder. Wie Tag und Nacht waren die beiden. Thomas war ein Windhund, ein Luftikus, seit jeher das schwarze Schaf der Familie. Kein Weiberrock war vor ihm sicher. Auch der von Sonja nicht. Er konnte lügen, dass sich die Balken bogen, hatte stets tausend verrückte Ideen, war ein großes Kind mit irren Träumen, würde nie erwachsen werden.

Er hatte einen bezaubernden, jungenhaften Charme, dem alle erlagen. Sein Leben glich einer Fahrt mit der Hochschaubahn. Mal war er oben, mal unten, mal hatte er Geld, mal war er arm wie eine Kirchenmaus.

Ein bunt schillernder Vogel, der viel Farbe in das Grau des Alltags brachte. Sein bienenfleißiger Bruder war in seinen Augen ein Dummkopf, der das Leben an sich vorbeiziehen ließ, ohne sich an dessen mannigfaltigen Schönheiten zu erfreuen.

Thomas hielt nicht viel von redlicher Arbeit und emsigen Fleiß, er bevorzugte den Müßiggang und lag lieber auf der faulen Haut, als sich abzurackern.

Die Geschäfte, die er abwickelte, waren nicht immer ganz sauber und bewegten sich zumeist hart am Rand der Legalität. Deshalb brachten sie auch mehr ein als die sogenannten seriösen Geschäfte. Thomas liebte das volle Risiko, brauchte den Nervenkitzel, der für ihn das Salz in der Suppe war, die sonst fad geschmeckt hätte.

Er hatte eine Zeitlang hier gewohnt, hatte seinen Bruder betrogen, ausgenutzt und bestohlen. Fünfzigtausend Mark hatte Patrick durch Thomas „unsaubere Gangart“ verloren, und das hatte die Bruderliebe jäh beendet.

Er hatte Thomas hinausgeworfen und ihm geraten, sich nie mehr bei ihm blicken zu lassen, aber Thomas hatte ein dickes Fell. Dem machte so etwas nichts aus. Er hatte München vor vier Jahren verlassen, um anderswo sein Glück zu suchen. Ob er es inzwischen gefunden hatte?

„Wo bist du?“, fragte Sonja, die sich freute, dass Thomas sich wieder einmal meldete Es war nie etwas zwischen ihr und Thomas gewesen, aber es hatte einige Male ziemlich stark geknistert. Manchmal hatte Sonja sich gedacht, sie habe den falschen Winter geheiratet. An Thomas’ Seite war das Leben mit Sicherheit aufregender.

„Ich bin in München“, antwortete Thomas.

„Von wo rufst du an?“

„Ich wohne im Waldhotel Abel.“

Sonja lachte. „Hierher traust du dich wohl nicht.“

„Warum sollte ich mich nicht trauen?“, fragte Thomas Winter so unbekümmert, als hätte er das blütenreinste Gewissen.

„Nach dem großen Krach, den es damals gegeben hat ...“

„Ach“, brummte Thomas, „das ist doch längst verjährt.“

„Ich glaube nicht, dass Patrick dir inzwischen verziehen hat.“

„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Thomas.

„Er arbeitet Tag und Nacht“, antwortete Sonja mit verkniffenem Mund.

„Wozu?“, fragte Thomas verständnislos. „Hat er noch nicht genug Geld gescheffelt?“

„Vielleicht will er der reichste Mann Deutschlands werden“, meinte Sonja.

„Und wann gibt er seinen Reichtum aus?“

„In seinem nächsten Leben“, sagte Sonja verdrossen.

„Wie geht es meiner kleinen Nichte?“

„Gut“, antwortete Sonja Winter.

„Und wie geht es dir?“

„Phantastisch“, behauptete Sonja. Na ja, schlecht ging es ihr wirklich nicht. Immerhin hatte sie einige wunderschöne Tage in Kaprun vor sich.

„Würdest du heute mit mir zu Abend essen?“, fragte Thomas vorsichtig.

„Warum nicht?“, antwortete sie.

„Das Restaurant des Waldhotels ist nicht nur wahnsinnig gemütlich, es verfügt auch über eine ganz ausgezeichnete Küche.“

„Wann soll ich kommen?“, fragte Sonja.

„Schaffst du’s bis neunzehn Uhr?“

„Leicht“, antwortete Sonja, nachdem sie einen kurzen Blick auf ihre teure Platinarmbanduhr geworfen hatte.

„Und was sagst du Patrick?“

„Der ist ohnedies nicht zu Hause“, erwiderte Sonja und legte auf. Sie hatte jetzt eine Verabredung, auf die sie sich sehr freute. Da war wieder dieses Kribbeln und Prickeln, das sie immer verspürt hatte, wenn sie mit Thomas zusammen war.

Thomas, Thomas, dachte sie amüsiert. Was stellst du nur mit mir an?

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