Читать книгу Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 - A. F. Morland - Страница 45
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„Der Islam ist keine kriegerische Religion‟, sagte der Mann. „Genauso wenig wie das Christentum in seinem Kern eine gewalttätige Religion ist.‟ Er trug einen dreiteiligen Maßanzug, war hager, klein und glattrasiert. „Aber Sie kennen ja die Geschichte der christliche Kirchen, und Sie kennen die christlichen Extremisten in Ihrem eigenen Land – ich erinnere Sie nur an die Mordanschläge auf amerikanische Ärzte, die Abtreibungen durchgeführt haben.‟
Wir hatten den Anwalt des Attentäters in seinem Büro in Flatbush, Brooklyn, besucht. Er hieß Zakaria Nabul, war gläubiger Moslem. Ein Palästinenser, der schon seit über zwanzig Jahren in Brooklyn lebte und mit einer Amerikanerin verheiratet war.
„Und so gibt es leider, leider auch im Islam radikale Strömungen‟, sagte er. „Strömungen, die den Koran sehr willkürlich auslegen. Ich gebe zu, dass diese Strömungen gefährlich sind und in den letzten Jahren viel Einfluss gewonnen haben.‟
Wir hatten ihn nicht gebeten, uns die verschiedenen Schattierungen des Islams zu erklären. Aber der Anschlag auf das 92nd Street Y-Theater hatte einen großen Wirbel in der Presse ausgelöst, und Nabul schien das Bedürfnis zu haben, seine Religion zu verteidigen. Milo und ich hatten Verständnis dafür.
„Aber es ist doch wahr, dass der Koran den Heiligen Krieg predigt‟, wandte Milo ein.
Nabul winkte ab und schüttelte den Kopf. „Heiliger Krieg – was für eine irreführende Übersetzung. Dschihad bedeutet in erster Linie Anstrengung für die Sache Gottes. Kampf gegen die eigenen schlechten Eigenschaften und das Bemühen um wahren Glauben und aufrichtigen Gehorsam gegen Gott. Das ist der sogenannte große Dschihad. Und dann gibt es allerdings noch den kleinen Dschihad?‟
„Und was meint der Koran damit?‟, wollte ich wissen.
„Damit ist in der Tat der militärische Kampf gemeint‟, räumte Nabul ein. „Aber nur zur Verteidigung der islamischen Glaubensfreiheit und gegen die Unterdrückung verfolgter Glaubensgenossen.‟
„Das gleiche alte Lied wie im Christentum.‟ Milo zuckte mit den Schultern. „Alles eine Sache der Auslegung.‟
„Da haben Sie leider nicht ganz unrecht, Mr. Tucker.‟ Zakaria Nabul machte ein bekümmertes Gesicht. „Diese radikalen Islamisten legen den Koran in der Tat so aus, wie es ihnen passt. Mohammed hat aber nie davon gesprochen, den Islam mit Waffengewalt durchzusetzen. Der Koran sagt ganz eindeutig: In der Religion gibt es keinen Zwang, und: Ruf die Menschen mit Weisheit und einer guten Ermahnung auf den Weg deines Herrn.‟
„Ach ..‟ Ich war erstaunt. Und Milo ging es ähnlich. Der Anwalt nickte bekräftigend.
„Nach unseren Erkenntnissen gehört Ali Sadr zu der radikalen Gruppe um den Scheich Bin Laden‟, sagte ich. Wir hofften, der Anwalt des Attentäters würde ein paar Informationen herauslassen. Er hatte stundenlang mit Ali Sadr – so hieß der Fanatiker – gesprochen. Der Mann saß im Hochsicherheitstrakt von Rikers Island.
„Zur Al-Qaida?‟ Nabul wirkte plötzlich betroffen. „Er hat mir eine Menge irrsinniger Phrasen an den Kopf geworfen. Aber die Al-Qaida hat er nicht erwähnt. Das ist natürlich ein schlechtes Zeichen, wenn der Arm des amerikanischen Staatsfeindes Nummer eins schon bis nach New York City reicht.‟
Staatsfeind Nummer Eins – das klang ziemlich reißerisch, traf aber den Nagel auf den Kopf. Der saudische Scheich Osama Bin Laden hatte sich seit Jahren auf unser Land eingeschossen. Anschläge gegen Basen der US-Army in Riad und Dharan Mitte der neunziger Jahre gingen genauso auf sein Konto, wie die verheerenden Bombenattacken gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998.
257 Tote und mehr als fünftausend Verletzte hatten diese beiden Angriffe gekostet. Unsere Army hatte mit Cruise Missiles zurückgeschlagen und eine Giftgasfabrik des Bankiers des Terrors im Sudan vernichtet. Sogar sein Hauptquartier in Afghanistan war angegriffen worden. Doch der Super-Terrorist hatte fliehen können.
Niemand hatte eine Ahnung, von wo aus er derzeit seine Kämpfer in den blutigen Terrorkrieg kommandierte. Obwohl CIA und Mossad fieberhaft nach ihm suchten. Auch auf unserer Fahndungsliste stand er ganz oben.
„Wir glauben nicht, dass es sich bei Ihrem Mandanten um einen einsamen Fanatiker handelt, Mr. Nabul‟, sagte Milo. „Er muss Hintermänner haben. Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Hintermänner über eine gut organisierte Logistik in New York City verfügen.‟ Der Rechtsanwalt nickte. Er wirkte sehr ernst.
„Ich frage Sie direkt, Mr. Nabul‟, sagte ich. „Haben Sie in Ihren Gesprächen mit Sadr irgendetwas in Erfahrung gebracht, was unsere Theorie bestätigt, oder was uns in unseren Ermittlungen weiterhelfen könnte?‟
„Ich bin kein Staatsanwalt‟, erwiderte er. „Sie müssen mich verstehen – ich bin Rechtsanwalt. Mein Klient muss sich auf meine Verschwiegenheit verlassen können. Aber ... - und das bleibt unter uns, Gentlemen – ich bin auch amerikanischer Staatsbürger. Und wenn ich aus irgendeiner Quelle erfahren würde, dass amerikanische Staatsbürger in unmittelbarer Gefahr sind, würde ich Sie selbstverständlich informieren.‟
„Danke, Mr. Nabul.‟ Wir verabschiedeten uns und fuhren zurück in die Federal Plaza.
„Was hast du für einen Eindruck von dem Mann?‟, wollte ich von Milo wissen.
„Scheint sehr vernünftig zu sein – trotzdem sollten wir dem Ermittlungsrichter eine Abhörerlaubnis abschwatzen.‟
„Seh′ ich genauso.‟ Die Sache war einfach zu brisant. Wenn Sadr tatsächlich im Auftrag Bin Ladens versucht hatte, die Bühne mit Handgranaten anzugreifen, mussten wir mit weiteren Anschlägen rechnen. Nach allen Erfahrungen gab es nichts Hartnäckigeres als den islamistischen Terrorismus. Das rechtfertigte es hoffentlich auch in den Augen des zuständigen Richters Nabuls Gespräche mit dem Attentäter zu belauschen.
„Was machst du übrigens heute Abend, Partner‟, wollte ich wissen.
„Etwas sehr Schönes, Jesse.‟ Milo strahlte, und ich wusste, dass meine Frage ins Schwarze getroffen hatte. „Ich werde die interessante und erfolgreiche Comic-Autorin Sharon Lewis zum Essen ausführen.‟
Der Name verursachte mir ein heißes Brennen hinter dem Brustbein. Seit Tagen wollte Sharons Bild mir nicht mehr aus dem Kopf gehen.
„Schämst du dich gar nicht, deine Dienstpflichten dazu auszunutzen, arglose Frauen an Land zu ziehen?‟ Wahrscheinlich wirkte mein Grinsen etwas verkrampft. Milo merkte es nicht.
„Überhaupt nicht, Partner‟, lachte er. „Wenn das Schicksal einem eine attraktive und kluge Frau über den Weg führt, muss man zugreifen. Außerdem habe ich eine Schonfrist von über einer Woche verstreichen lassen.‟
„Das Schicksal also‟, murmelte ich. Für ein paar Minuten verfiel ich in brütendes Schweigen. Milo steuerte unseren Dienstwagen in die Tiefgarage der Federal Plaza.
„Wo trefft ihr euch denn?‟, fragte ich ihn, als die Aufzugtür sich hinter uns schloss.
„In McSorley′s Old Ale House.‟ Am Zucken seiner linken Braue merkte ich, dass meine Neugierde ihn irritierte.
„Weißt du was, Partner?‟ Die Lifttüren schoben sich auseinander, und wir traten aus dem Aufzug. „Ich hab noch nichts vor heute Abend. Und mit einem Menschen plaudern, der abgefahrene Comics macht – das war schon als kleiner Junge mein sehnlichster Wunsch. Ich komme mit.‟
Milos Unbehagen war jetzt offensichtlich. Er runzelte die Stirn und beäugte mich skeptisch.
„Nicht nötig, Jesse – ich werde ihr genaustens auf den Zahn fühlen und dir alles erzählen. Versprochen.‟
„Lieb von dir, Milo.‟ Ich hielt ihm die Tür in unser Büro auf. „Aber ich will es aus ihrem Mund hören, wie sie auf die Ideen kommt, wie ihre Karriere zustande kam, und so weiter, du verstehst.‟
„Natürlich verstehe ich das, Jesse‟, versicherte Milo. „Ich kann ja einen Minirekorder mitlaufen lassen.‟
„Was bist du für ein treuer Freund.‟ Ich hängte mein Jackett über die Lehne des Bürosessels. „Aber ich will dir nicht zu viel Mühe machen. Außerdem möchte ich mir eines ihrer Comic-Hefte signieren lassen.‟
Milo ließ sich in seinen Stuhl fallen und legte die Beine auf den Schreibtisch. „Sein wann, zum Teufel, interessierst du dich für Comics?!‟ Unverhohlen misstrauisch musterte er mich.
„Ich? Seit tausend Jahren, glaub ich. Meine Mutter hat mir schon Donald Ducks Abenteuer vorgelesen, als ich noch Windeln trug.‟
„Davon hast du nie erzählt‟, knurrte Milo. „Hör zu, Jesse – ganz ehrlich: Ich will mit der Frau allein sein.‟
„Ach so!‟ Ich mimte den Überraschten. „Sag das doch gleich! Kein Problem, Partner. Ich werde mir mein Heft signieren lassen, ein halbes Stündchen Sharons holden Worten lauschen, und euch dann allein lassen ...‟