Читать книгу Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 - A. F. Morland - Страница 48
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Es waren schräge Geschichten, die Sharon und ihr Partner Valezki produzierten. Ich hatte mir ihr neustes Comic besorgt. Der Chef hieß die erfolgreiche Serie. Die Hauptfigur, eben der Chef, kam nur als Sprechblase aus den Wolken, aus grellem Licht oder aus dem Off vor – damit war ohne Zweifel Gott gemeint.
Der Chef hatte in diesen Geschichten eine Menge Fußvolk, die er in den Kampf gegen das Böse schickte – Pfarrer, Nonnen, Kinder, aber auch Polizisten, Alkoholiker, Schwule, Kriminelle, sogar Hunde. Auch Figuren, die ich aus dem Sonntagsschulunterricht meiner Kindheit kannte, kamen vor: Propheten und Apostel, und sogar Jesus. Auch Mohammed spielte eine Rolle. Diese Figuren traten mal als Penner, mal als Bardamen, mal als Mitglieder einer Motorradgang auf.
Wie gesagt: Lauter abgefahrene, schräge Stories voller scharfem Spott auf Gesellschaft, Kirchen und Politik. Nicht ganz mein Geschmack, aber nicht schlecht.
Das Comic-Heft unter dem Arm betrat ich am Abend die älteste Kneipe New York Citys – McSorley′s Old Ale House. Milo und Sharon saßen an einem runden Tisch neben dem gusseisernen Kanonenofen.
„Wie schön, Sie wiederzusehen, Jesse‟, strahlte Sharon. Mein Zwerchfell vibrierte. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Partner noch kommt?‟, wandte sie sich an Milo.
„Sollte eine Überraschung werden‟, knurrte der.
Ich setzte mich zu den beiden. Es wurde ein unterhaltsamer Abend.
Tatsächlich ließ ich mir den Comic signieren. Sharon schien stolz darauf zu sein, dass sich ein FBI-Agent für ihre Arbeit interessiert. Ich hoffte, bald Gelegenheit zu bekommen, das Missverständnis aufzuklären – mich interessierte die Frau, und sonst nichts.
Sharon erzählte, dass sie englische Staatsbürgerin sei und in London aufgewachsen war. Sie hatte dort Cartoons für mehrere Tageszeitungen gemacht und mehr schlecht als recht davon gelebt.
„Mein Eltern waren verflixt religiös‟, sagte sie. „Es hat mich Jahre gekostet, meinen eigenen Weg zu finden. Als junges Mädchen und als Studentin hatte ich gute Freunde, die an Mohammeds Lehren glaubten. Damals begriff ich, dass die Verbohrtheit von strengen Christen und strengen Moslems sich nicht groß unterscheidet. Und als ich dann nach New York City kam, traf ich Mike. Der ist Buddhist. Wir wollten dem verbissenen Ernst der Superfrommen etwas entgegensetzen. Etwas, worüber die Leute lachen können. Und so kamen wir auf die Idee mit dem Chef.‟
Eine Stunde verging, und noch eine. Ich merkte natürlich, dass Milo unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Einmal zeigte er sogar auf seine Uhr, um mir anzudeuten, dass es höchste Zeit für mich war, endlich zu verschwinden. Ich übersah es einfach.
Irgendwann gegen Mitternacht hatte Sharon Lust zu tanzen.
„Gute Idee‟, sagte ich, und Milo grinste säuerlich.
Wir fuhren in eine Diskothek in Chelsea und tanzten, bis wir schweißnass waren. Jedenfalls Sharon und ich. Milo stand die meiste Zeit an der Theke, hielt sich an einem Whiskyglas fest, und plauderte mit ein paar Mädchen, die sich wie zufällig um ihn geschart hatten. Manchmal blickte er zur Tanzfläche herüber. Er tat mir ein bisschen Leid. Aber nicht sehr.
Und dann wurden ein paar Träume der vergangenen Tage wahr.
„Ich will nach Hause, Jesse‟, sagte Sharon. „Und wenn ich den Abend schon mit einem Bullen verbracht habe, soll er mich auch durch die gefährlichen Straßen dieser schlimmen Stadt begleiten.‟
Eh ich mich versah, hing sie an meinem Hals und küsste mich. Es war himmlisch.
Als ich am nächsten Morgen in ihrem Schlafzimmer aufwachte und ihren nackten Körper neben mir sah, war ich hin- und hergerissen. Zwischen Entzücken und schlechtem Gewissen Milo gegenüber.
Ich schrieb ihr ein paar zärtliche Zeilen auf einen Zettel – und natürlich meine Nummer – und fuhr ausnahmsweise mal mit der Underground in die Federal Plaza.
Milo hockte schon am Konferenztisch im Chefzimmer. Jonathan McKee stand neben seinem Schreibtisch und telefonierte.
„Nicht böse sein, Partner‟, raunte ich meinem Partner zu. „Du hättest an meiner Stelle auch nicht widerstehen können.‟
„Ich werd′s überleben, Jesse‟, grinste Milo. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Aber‟, drohend hob er den Zeigefinger, „ich werde mich rächen. Du hast gegen eine Regel unserer Freundschaft verstoßen: Du sollst nicht begehren den Flirt deines Partners!‟
„Was sollte ich denn tun?‟, flüsterte ich. „Ich hab mich verliebt, verdammt noch mal? Kennst du ein Kraut, das dagegen gewachsen ist?‟
„Trotzdem‟, beharrte Milo. „Ich werde mich rächen.‟
Jay Kronburg und Leslie Morell betraten das Chefzimmer. Kurz darauf auch Medina und Clive Caravaggio. Der Chef legte den Hörer auf. Mit der aktuellen Ausgabe der New York Times kam er zum Konferenztisch.
„Der Ermittlungsrichter hat sein Okay gegeben‟, sagte er. „Ab heute werden die Gespräche Sadrs und seines Anwalts abgehört. Außerdem hat die CIA einen Mossad-Mann aus Israel einfliegen lassen. Einen gebürtigen Syrer. Er kennt die Verhältnisse innerhalb der Al-Qaida genau und war eine Zeitlang ziemlich nah an ihrer Spitze platziert. Im Umfeld von Bin Laden.‟
„Was für einen Job hat der Mann in unserem Fall?‟, wollte Milo wissen.
„Er wird heute in Rikers Island eingeliefert‟, erklärte der Chef. „Als Häftling des Hochsicherheitstraktes. Sein Zellengenosse heißt Ali Sadr. Wir hoffen, dass er das Vertrauen des Attentäters gewinnt.‟
Jonathan McKee legte die New York Times auf den Konferenztisch. „Haben Sie schon Zeitung gelesen, Gentlemen?‟
Orry griff sich die Zeitung. „Londoner Islamist verhängt Fatwa über drei New Yorker Künstler‟, las er laut. „Wegen Lästerung gegen die Religion des Islams hat der Clanführer und Religionsgelehrte Kahlid Al Turabi von seinem Versteck in London aus das Todesurteil gegen drei New Yorker Persönlichkeiten verhängt.‟
Er unterbrach sich und blickte auf. „Könnt ihr das glauben?‟ Keiner sagte etwas. Orry las weiter. „Betroffen von der Fatwa sind die Dramatikerin Eve O′Sullivan und die Cartoonisten Michael Valezki und Sharon Lewis. Nach der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie vor mehr als zehn Jahren ist dies das erste Mal, dass islamistische Fundamentalisten ...‟
Ich hörte nicht mehr zu. Wie vom Donner gerührt hockte ich in meinem Sessel. Ein Stein in meinem Brustkorb schien mir den Atem abzudrücken. Auf meinem Oberarm spürte ich Milos Hand.
„Der Hass der Islamisten auf unser Land hat eine neue Stufe erreicht, Gentlemen‟, sagte unser Chef. Seine Stimme klang leise, und seine schmalen Lippen waren blutleer. „Die Rädelsführer dieser Terroristen hetzen ihre fanatisierten Kämpfer jetzt auch nach New York City ...‟