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Kapitel 6

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In meinem Traum war ich in demselben Wald wie immer. Doch diesmal erkannte ich, dass es der Wald war, durch den ich erst vor ein paar Stunden wirklich gegangen war.

Überall wurde Musik gespielt und ausgelassen getanzt, die menschenähnlichen Gestalten konnte ich jedoch nicht klar erkennen, wusste nur, dass es eben keine Menschen waren. Sie bewegten sich zu schnell und grazil. Es wurde überall gefeiert und lachende Gestalten sprangen und tobten um mich herum. Über dem Ganzen lag ein leicht violetter Schimmer.

Zwei Gestalten kamen auf mich zu, doch auch sie blieben verschwommen. Sie sagten mir, ich solle nicht zögern, meiner Intuition zu vertrauen, es wäre äußerst wichtig.

Plötzlich wandelte sich das Violett zu Rot, schwarze Gestalten stürmten die Runde der Feiernden und ich hörte das Schreien und Stöhnen der Angegriffenen.

Dann stieg ein riesiger Rabe zu mir herab und schaute mich aus klugen Augen an. Ich schien in meinem Kopf seine Stimme zu hören, die mir sagte, dies sei meine Schuld, ganz allein meine Schuld, weil ich mich auf Vorurteile gestützt und nicht zugehört hätte. Der Rabe blutete auf einmal aus dem Hals und sein Kopf fiel mir vor die Füße, anscheinend ohne einen Grund von seinem Körper getrennt. Er krächzte noch einmal und ich glaubte, den Namen Blawde zu hören. Dann überspülte mich eine riesige Trauer wegen dieses Verlusts und ich wachte auf.

Schluchzend lag ich auf dem Bett und wusste nicht, wieso ich weinte. Schleunigst befahl ich mir, damit aufzuhören, und irgendwann gehorchte mir mein Körper. Ich taumelte ins Bad und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. „Mal wieder selbst schuld“, dachte ich mir, „du hast dir ja schließlich vorgenommen, etwas Nützliches zu träumen.“ Nur leider war das nicht wirklich nützlich gewesen. Ich hatte von feiernden Leuten geträumt, die angegriffen wurden, und von einem Raben und zwei Leuten, die mir entweder gesagt hatten, ich solle auf meine Intuition vertrauen, oder mich für den Angriff verantwortlich machten.

Verrücktes Land! Kaum war man hier, geriet alles aus den Fugen.

Ich griff nach den Handtüchern, durchnässte sie mit eiskaltem Wasser und klatschte jeder meiner schlafenden Mitbewohnerinnen eines ins Gesicht. Als diese blinzelnd aufwachten, verkündete ich: „Aufstehen, ihr Schlaftabletten, wir haben Dienstagmorgen und es ist“, ich schaute schnell auf meinen Wecker, „schon neun Uhr durch.“

Sie rappelten sich langsam auf und die morgendliche Routine begann. Bald waren wir fertig, blieben aber auf unseren Betten hocken, weil wir keine Lust hatten, irgendetwas zu unternehmen. Als ich einmal aus dem Fenster schaute, einfach so, ohne bestimmten Grund, erblickte ich einen Raben, der mich sehr genau musterte. Sofort flog er davon und ließ mich erschüttert zurück. Konnte ich wirklich jemals für so etwas Schreckliches wie den Überfall in meinem Traum verantwortlich sein?

***

Ana wachte von dem kalten, nassen Handtuch in ihrem Gesicht auf und schaute Vici grummelnd an, die sich gerade ins Bad verzog. Wieso hatte sie sich hier schon so perfekt eingelebt, wo sie sich noch immer wie eine Außenseiterin fühlte?

Glücklicherweise hatte sie diese Nacht nichts geträumt und fühlte sich komplett erholt. Voll Bewunderung bemerkte sie, dass sie gestern keinen Schluck getrunken hatte, was schon seit mehreren Wochen nicht mehr der Fall gewesen war. Dieser Trick mit den Handtüchern half wirklich.

Sie schob ihre Brille auf die Nase und setzte sich auf. Auch die anderen richteten sich auf, redeten leise miteinander und ignorierten sie ziemlich. Da ihr offensichtlich freiwillig keine Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, musste sie wohl irgendwie auffallen. Sie grübelte bereits über einen coolen Spruch à la „Ich bin die Königin, wo bleiben meine Diener?“ nach, als sie ganz leise eine Stimme in ihrem Kopf flüstern hörte.

„Wenn du das jetzt machst, werden sie dich in Zukunft nur noch mehr ignorieren, und das kleine Fünkchen Ansehen, das du dir bisher erworben hast, wird ersterben wie eine Kerze im Wind. Sei geduldig.“ Dann herrschte wieder Stille in ihrem Kopf und sie blieb verdutzt sitzen.

Drehte sie allmählich in diesem Dreck und der Landluft durch? Womöglich.

Da kam Vici aus dem Bad, erklärte, sie wolle für alle in die Bäckerei gehen, und fragte, wem sie was mitbringen solle. Sie nahm einen kleinen Notizblock zur Hand und schrieb sich alles auf. Ana wollte ein belegtes Brötchen – Sandwich mit Thunfisch – und war sehr erleichtert, dass man sie nicht einfach übergangen hatte. Noch vor zwei Tagen hätte derjenige, der das auch nur in Betracht gezogen hätte, eine Woche lang nicht mehr das Wort cool in den Mund nehmen können. Aber hier stand sie ohne Freunde, ohne ihr Ansehen und ihren Titel ziemlich machtlos da.

Ihre Eltern konnten was erleben, wenn sie zurückkam. Auch wenn sie sich Freiheit gewünscht hatte, ein Urlaub auf Mallorca wäre eher nach ihrem Geschmack gewesen.

Da bemerkte sie, dass Lisa sie angesprochen hatte. „Kann ich mal dein Glätteisen benutzen?“, fragte sie und deutete auf ihren Koffer, in dem es lag.

„Klar, mach ruhig“, hörte Ana sich sagen und war darüber genauso verwirrt und erstaunt wie Lisa.

Seit wann war sie denn nett? Seit wann erlaubte sie anderen, ihre Sachen anzurühren? „Verdammt, hab ich mich schon verändert? So geht das aber echt nicht.“

Also ergänzte sie noch in bissigem Ton: „Ich hoffe, ich bekomme es ganz zurück. Du hast so etwas ja hoffentlich schon mal benutzt. Obwohl ...“ Sie schaute auf Lisas straßenköterblonde Haare, die wirr von ihrem Kopf abstanden. Die Miene der Verspotteten verhärtete sich, und ohne irgendetwas zu sagen, drehte sie sich um. Ana grinste spöttisch. Nun war sie wieder in ihrem Element.

Als sie im Bad war, bekam sie nicht mit, wie über sie getuschelt wurde, aber als sie herauskam, sagte Victoria, die vom Bäcker zurückgekehrt war, gerade: „Merkt ihr denn nicht, dass sie nur so tut?“ Da entdeckte sie die Geschmähte und fügte noch schnell hinzu: „Was ihr mir auch für Geschichten über Lilly erzählt, ich glaube sie nicht.“ Sie übergab Lysana ihr Frühstück und setzte sich auf ihr Bett. Das Gespräch über Lilly ‒ angeblich ‒ war offensichtlich vorüber.

Sie schwiegen allesamt und starrten aus den vielen Fenstern. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, Lysana überlegte sich Gemeinheiten für den Tag, Victoria grübelte über den Raben und ihren Traum nach, Caroline himmelte in Gedanken einen Jamie aus Haus eins an, Melissa und Lisa saßen eng umschlungen da und schienen in Gedanken mit dem jeweils anderen beschäftigt zu sein. Als es unvermittelt an der Tür klopfte, zuckten alle erschrocken zusammen.

Ana rief: „Es ist offen!“, und die Tür wurde langsam aufgedrückt.

Transca marschierte herein und setzte sich müde auf das Bett von Caroline. Daraufhin begann das übliche Geschwatze, doch ein Teil der Unterhaltung ließ Ana aufhorchen. Tran fragte Vici, ob sie schlecht geträumt habe, und diese nickte mit dem Kopf. Daraufhin rutschte Tran zu ihr hinüber und sie tuschelten im Flüsterton miteinander, während sich die anderen über ihre Freunde unterhielten und Melissa und Lisa erfolglos versuchten, sie dazu zu überreden, den Jungs abzuschwören.

Lysana war näher an Vici und Tran herangerutscht und schnappte Fetzen ihrer Unterhaltung auf. „... alles rot ...“

„Wie kann das denn sein, dass ...“

„... alles undeutlich ...“

„... Schreie ...“

Dann verstummten die beiden, sahen einander an und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die anderen.

Plötzlich fiel Ana etwas ein und sie wurde blass. „Heute Abend ist Karaoke! Oh nein, muss man da wirklich mitmachen?“, rief sie in die Runde.

Einige andere fielen in ihr Stöhnen mit ein und redeten dann über vergangene Karaoke-Abende. Nur Melissa beantwortete ihre Frage: „Man wird einfach ausgewählt und dann muss man singen. Man sollte möglichst keinen Aufstand proben, glaub mir. Vielleicht hat man das Glück, dass man nicht gewählt wird, doch das ist sehr selten. Und wer heute nicht an die Reihe kommt, der muss nächste Woche ans Mikro.“

Ana stöhnte auf und hörte den anderen weiter zu, um Neues herauszufinden. Da kam der nächste Schock: Es gab nur eine Liveband, die nicht gerade angesagte Titel spielte. Ging es noch schlimmer? Normalerweise erholte sie sich von solchen Neuigkeiten bei einem Glas Champagner oder einer Flasche Bier, da war sie nicht wählerisch, aber das wollte sie hier nicht bringen, denn sie schien die Worte aus ihrem Kopf nicht mehr vergessen zu können, so gerne sie das auch täte. Als sie sich wieder auf das Gespräch konzentrierte, waren die anderen gerade bei Wanderwegen und Trips durch den Wald. Sie schienen zu überlegen, was sie heute tun sollten.

Bald sagte Tran laut: „Heute sollten wir nicht in den Wald gehen, lasst uns doch nach Rosroe fahren.“

Caroline schien frustriert zu sein, aber auch sie plädierte für die Stadt ein. Ana überlegte kurz. In einem Wald gab es Tiere und Dreck. Beidem traute sie nicht über den Weg. Also war es klar, was sie wählte. So wurde beschlossen, den Tag in Rosroe zu verbringen. Die Stadt war schön, aber der Tag ziemlich ereignislos.

Als sie am Abend zurückkamen, wurden sie von einem wütenden Eric empfangen. „Ihr habt mich mit Kath und Philipp alleine gelassen und ihr könnt euch ja denken, wie das war. Ich habe mir den Tag mit Aufräumen vertrieben, sowohl bei euch als auch bei mir.“ Die Mädchen brachen in schallendes Gelächter aus. Eric grinste hämisch. „Zu früh gefreut. Lilly hat das Ganze mitbekommen und musste mir etwas versprechen, womit sie keine Probleme hatte.“ Nun herrschte Stille und jeder starrte ihn an. „Sie hat mir versprochen, dass jeder von euch ein Solo singen muss heute Abend im Pub.“

Daraufhin brach die Hölle aus.

„WAAAS?“, schrien Vici und Ana zusammen. Sie sahen einander an und entdeckten ihre eigene entsetzte Miene im Gesicht der jeweils anderen.

Tran und Caroline waren in Lachen ausgebrochen und machten sich offenbar über ihre fassungslosen Freunde lustig, denn Melissa, Lisa und Marina waren auf Eric zugetreten und fragten: „Das hast du nicht wirklich gemacht, oder? Du hast nicht ernsthaft Lilly gesagt, dass wir alle ein Solo singen sollen?“ Sie starrten ihn mit zornfunkelnden Augen an, und als er vorsichtig nickte, bekam er eine dreifache Ohrfeige.

Ana hingegen war schockgelähmt, sie setzte sich auf eine niedrige Mauer und starrte vor sich hin. Aus und vorbei der Traum vom Eingewöhnen und Akzeptiertwerden. Wenn sie sang, dann wurde sie nämlich immer gefeiert wie ein Superstar, da sie richtig genial singen konnte, egal, ob nüchtern oder nicht. Aber Bewunderung erzeugte sehr schnell Neid, der ihr normalerweise nichts ausmachte, den sie sogar anstrebte, der ihr aber hier zum Verhängnis werden konnte. Wenn die anderen auch noch neidisch auf sie waren, also noch mehr als ohnehin, dann würde sie noch weiter abseitsstehen.

Da fiel ihr auf, dass Vici sich neben sie gesetzt hatte und ebenso geschockt war, noch immer.

„Was hast du? Angst, mal einen richtigen Ton zu treffen so ganz aus Versehen?“ Sie konnte einfach nicht aus ihrer biestigen Haut.

Doch Vici schien es kaum zu bemerken. Sie nickte nur langsam und vergrub dann ihr Gesicht in den Händen. Das machte Ana dann doch zu schaffen. Wenn sie wirklich so schlecht sang, dann würde auch sie abseitsstehen, verspottet und ausgelacht werden. Dann wäre Ana wenigstens nicht die einzige Außenstehende.

Mit einem Mal verschob sich ihre Sichtweise auf die Dinge, sie sah, wie Vici und sie durch den heutigen Abend die Plätze tauschen konnten. Dann würde sie gefeiert und bewundert werden, und wenn niemand neidisch war, dann stand sie ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Und Vici, die dann alles versaut hätte, stünde nur daneben und würde sie unbemerkt aus wütenden Augen anblicken. Doch niemand würde auf sie achten.

Ana grinste. Irgendwie mochte sie diese Vici ja schon, aber gerade deshalb musste sie sie in ihre Schranken weisen, sonst würde sie von ihr manipuliert werden. Also stand sie auf und begab sich zu den anderen, die fieberhaft überlegten, was sie singen sollten, konnten oder würden. Sie hörte aufmerksam zu und bekam nicht mit, wie sich Tran zu Vici gesellte. Erst als die beiden wieder zur Gruppe traten, wurde ihre Aufmerksamkeit gezwungenermaßen wieder auf Vici gelenkt.

Sie sah wieder selbstbewusster aus und fragte: „Könnt ihr mal ein paar Titel aufzählen, die immer gespielt werden? Damit ich weiß, was auf mich zukommt.“

Sofort wandten sich die anderen ihr zu und Ana wurde kaum beachtet. Es strömte eine Flut von Titeln auf Vici nieder und bei manchen schien sie sogar erfreut zu sein oder sagte, wie cool sie das Lied fände. Diese Heuchlerin!

Der weiterhin unbeachteten Ana sagte keiner der Titel etwas, sie kannte nur die Musik, die im Radio lief. Sie achtete nicht mehr auf die anderen, bemerkte nur nebenbei, dass Melissa und Lisa sich aus dem Gespräch zurückgezogen hatten und heftig in der Ecke rumknutschten. Sie hatte die sogenannte Band gesichtet. Es waren vier Menschen, zwei Frauen, zwei Männer, die auf den Pub zusteuerten, und sie alle trugen kleinere und größere Koffer. Eine Frau fiel ihr besonders auf, sie hatte langes rotes Haar, das genial gelockt war, und trug ein schwarzes Kleid. Wenn sie lachte, schallte ihr Lachen bis zu ihnen herüber. Ihre eindrucksvolle Gestalt stellte die der anderen in den Schatten und das mochte schon etwas bedeuten, denn die Männer waren beide schlank, muskulös, wohlproportioniert und einfach nur heiß.

Die andere Frau war zierlich, hatte dunkelbraunes Haar und eine schreckhafte Ader, so schien es Ana zumindest. Aber die Rothaarige war äußerst lebhaft und schien zugleich die Anführerin oder das Oberhaupt der Band zu sein. Alle schauten sie andauernd an, warteten auf ihr Einverständnis und auf ihr Kommando. Dann verschwand der eindrucksvolle Trupp im Pub und ließ eine überraschte Ana zurück. Die vier sahen nicht wie Musiker aus, sondern eher wie Schauspieler oder Models. Und dann spielten sie Musik in einem so entlegenen Örtchen wie Grettersane.

„Hast du Geister gesehen, Ana, oder warum starrst du so zum Pub hin?“, fragte sie Marina, die sich zu ihr gesellt hatte.

„Nein, ich habe nur unsere Musiker gesehen. Was kann man da anderes sagen als wow?“, gab sie zurück und vergaß komplett, böse und biestig zu sein.

Marina schien es zu merken, denn ein leises Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Ja, hab ich mir auch gedacht, als ich Brina, Charles, Julia und Darragh das erste Mal gesehen habe. So geht es allen.“

„Ist Brina die Rothaarige?“

„Ja, sie ist das Bandoberhaupt und die Coolste von allen. Julia ist ziemlich scheu und schüchtern, aber eine richtig tolle Flötenspielerin. Wenn die anfängt zu spielen ... Charles und Darragh sind auch eher zurückhaltend, aber nicht ganz so sehr wie sie. Brina spielt Geige und Harfe, Julia wie gesagt Flöte und sie singt, Charles bedient Schlagzeug und Dudelsack und Darragh Akustikgitarre und Akkordeon.“

Stirnrunzelnd fragte Ana: „Definiere bitte Schlagzeug, denn ich nehme an, du meinst etwas anderes als ich.“

Marinas Grinsen wurde breiter. „Davon gehe ich aus. Er spielt verschiedene Trommeln, kümmert sich eben um den Beat und so.“

Zum Zeichen, dass sie ihr „Und so“ verstanden hatte, nickte Lysana. „Die wirken echt cool, ich bin gespannt, was die draufhaben.“

„Eine Menge!“, mischte sich von hinten Caroline ein. „Sie sind weltklasse.“

„Und wieso spielen sie dann hier in diesem verstaubten Örtchen?“, fragte sie, ohne zu bedenken, dass auch Tran zuhörte.

„Dieses verstaubte Örtchen ist eine Kleinstadt und eine Menge talentierter Menschen gehen nicht in die Großstädte, um berühmt zu werden. Eine Sichtweise, die ich dir jetzt nicht erklären werde, denn wir sollten losgehen, sonst bekommen wir keinen Sitzplatz mehr“, ereiferte sich Tran prompt und marschierte wütend voran zum tanzenden Kobold.

Ana fragte sich, was sie ihr jetzt schon wieder getan hatte. Sie hatte diesen Ort doch nur als das bezeichnet, was er war. Wieso reagierte Transca so extrem darauf? Seufzend folgte sie den anderen, um nicht die Letzte zu sein. Wer verstand schon diese Wilden?

Als die Clique den Pub betrat, war er schon gerammelt voll. Sie kämpften sich durch die Menge, bis sie einen guten Platz gefunden hatten. Die Band stand auf einem kleinen Podest und baute gerade ihre Instrumente und die Mikrofone auf.

Da betrat Lilly den Pub, schnappte sich ein Mikro und rief: „Schön, dass so viele Leute hergekommen sind, um mit uns etwas Spaß zu haben. Die Teilnahme ist größtenteils freiwillig, doch wir haben ein paar Kandidatinnen, die auf alle Fälle singen müssen. Und zwar Soli.“ Lilly grinste ziemlich unverschämt und schien sich tierisch zu freuen. „Aber als Erstes spielt uns die Band ein kleines Stück, damit wir in Stimmung kommen. Brina, du bist dran.“ Lilly trat vom Mikro weg, um der Rothaarigen Platz zu machen.

Diese lächelte und sagte dann mit einer sehr schönen, melodischen Stimme: „Hallo! Es ist toll, dass so viele hier versammelt sind, vor allem weil es dieses Jahr jede Woche statt nur einmal im Sommer Karaoke gibt. Doch genug der Worte, nun lauscht und genießt.“

Es gab vereinzelten Applaus, der allerdings verstummte, als die Band anfing zu spielen. Die Melodie überschwemmte den Raum förmlich, ließ alle verträumt blinzeln und setzte sich in ihren Herzen fest. Schließlich begann Julia, auf Gälisch zu singen. Alle waren schier verzaubert und starrten die vier auf der Bühne gebannt an, sowohl die, die sie bereits kannten, als auch die neuen Gäste.

Nachdem die Musik verklungen war, tobte die Menge. Brina, Julia, Charles und Darragh lächelten und kündigten im Folgenden ein Duett an. Caro und Tran traten vor und nahmen Aufstellung vor dem Mikro.

Sie wollten gerade anfangen zu singen, da schritt Lilly ein, der der Betrug anscheinend gerade erst aufgefallen war. „Nichts da, ihr müsst beide ein Solo singen, Duette zählen nicht.“

Tran und Caro sahen sich leidend an und versprachen, nach dem Duett zusätzlich die verlangten Soli zum Besten zu geben. Damit schien Lilly zufrieden zu sein und machte die Bühne frei.

Die Band begann zu spielen und die beiden Freundinnen setzten exakt richtig ein. Sie konnten ziemlich gut singen, trafen nur selten einen falschen Ton. Die Musik bezauberte die Leute von Neuem, sodass es nicht mal sonderlich auffiel, als Caro einen Hustenanfall bekam und nicht mehr mitsingen konnte. Die beiden Mädchen bekamen großen Applaus, bevor das erste der gefürchteten Soli folgte. Inzwischen hatte sich irgendwie herumgesprochen, wer die Armen waren, die alleine vorsingen mussten, und alle starrten die Clique an.

Unbehaglich trat Ana von einem Fuß auf den anderen, aber als sie verkündeten, dass es The Prayer war, was sie nun spielen würden, trat sie einen Schritt vor. Dieses Lied kannte sie von ihrer Mutter und sie musste diese Chance ergreifen. Also wurde sie auserwählt, ihr wurde ein Blatt mit dem Text in die Hand gedrückt und sie stellte sich vor das Mikrofon. Hinter ihr begann die Band zu spielen und zögernd setzte sie ein. Nach der ersten sehr verhalten vorgetragenen Strophe hatte sie die Melodie wieder im Kopf und begann, sicherer und lauter zu singen. Sie hörte ihre Stimme, die sich der Musik einigermaßen gut anpasste und keinen einzigen falschen Ton sang. Das stärkte ihr Selbstvertrauen. Was kümmerte es sie, was eine lästige Stimme in ihrem Kopf behauptete oder ob die anderen neidisch auf sie waren? Es hatte ihr egal zu sein, und zwar beides.

Viel zu früh endete das Lied und sie trat unter donnerndem Applaus wieder aus dem Rampenlicht.

Dann folgten einige ihr unbekannte Lieder, die von ihr unbekannten Personen vorgetragen wurden, zwischendurch waren aber auch Marina, Lisa und Caro an der Reihe.

Dann kündigte die Band Caledonia an und Vici trat nach vorne. Ana konnte erkennen, wie sehr sie zitterte und wie sehr sie versuchte, es zu verbergen. Sie bekam den Text und die Band begann zu spielen. Unsicher schaute sich Vici im Raum um und begann zu singen. Ihre Stimme schmiegte sich perfekt an die Musik an oder war es andersherum? Das Lied umschmeichelte alle und der gesamte Pub stimmte leise mit ein. Vici stand derweil vorne auf der Bühne und sang wie eine Sirene.

Alle begannen sich im Takt der Musik zu wiegen, selbst die Musiker schienen überrascht. Diese zauberhafte Stimme lullte alle ein, niemand konnte sich ihr entziehen. Auch Ana stand da, wiegte sich leicht hin und her und spürte die Sehnsucht und die Liebe zu Schottland, die Vici da besang.

Als der letzte Ton verklungen war, erwachten alle wie aus einem Traum, schüttelten sich und nach einer kurzen Pause erhob sich frenetischer Applaus, doch Vici hastete schüchtern von der Bühne und flüchtete sich in die hinterste Ecke.

Alle, die danach an die Reihe kamen, waren nicht mal annähernd so gut wie Vici. Ana derweil war davon geschockt, wie mitreißend dieses Lied auf alle gewirkt hatte. Und die Clique hatte sie mal wieder stehen lassen und beglückwünschte stattdessen Vici.

Der Abend endete mit einer Bandnummer. Diesmal sangen beide, Brina und Julia, auf Gälisch und hinterließen im Herzen eines jeden eine wundervolle, berührende Melodie. Im Kopf noch immer der Band lauschend, gingen die Leute schlafen.

Ana lag noch lange wach und grübelte über Vici nach, die friedlich neben ihr schlummerte. Sie war nun noch viel beliebter und Ana wurde weiterhin nicht sonderlich viel beachtet. Das Schicksal hatte eindeutig etwas gegen sie! Traurig kuschelte sie sich tiefer in ihre Decken und schlief bald darauf ein.

Auch Tran war traurig, denn sie wusste, dass sie Sirman so bald nicht wiedersehen würde, und vermisste ihn schon jetzt. Über den Abend oder sonst etwas machte sie sich keine Gedanken, sie wusste nicht einmal, welcher Tag war. In ihren Gedanken gab es nur Sirman und eine riesige Sehnsucht nach seinen grünen Augen.

Vici hingegen träumte von Musik, von Schottland und von Freude. So glücklich wie an diesem Abend war sie schon lange nicht mehr gewesen. Weshalb sie auf einmal so gut singen konnte, wusste sie nicht, denn vorher war das nie der Fall gewesen, aber es interessierte sie auch nicht.

Doch sie alle konnten nicht wissen, wie knapp die Zeit bemessen war, die ihnen hier vergönnt war.

Waldlichter

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