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Rostock, zwei Stunden später

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Hauptkommissar Magnus Sturm beeilte sich sehr, das Ende des Flures zu erreichen. Nicht weil er zu Perlhuber sollte. Er musste dringend aufs Klo. Keine zehn Meter vor seinem Ziel stoppte ihn ein Ruf.

„Chef, wir haben was Neues.“

Widerwillig drehte er sich um. Bloch, der wegen seiner Bandscheiben zum Innendienst Verdammte, kam hinkend an und wedelte mit einem Zettel.

„Die Computerfreaks haben auf dieser Kamera was retten können.“

„Erwin, ich hab eine wichtige Aufgabe für dich. Bewach den Flur, ich geh jetzt pinkeln.“

Bloch, den nichts mehr erschüttern konnte, hob die gestreckte Hand an die Stirn und meldete: „Zu Befehl!“

„Los komm mit, kannste mir auch auf dem Klo erzählen. Was gibt’s denn?“

Sturm trat hinter die Sichtwand und Erwin Bloch setzte sich aufs Waschbecken. Magnus Sturm war mehr als zwei Meter groß. Bloch konnte die Haare seines Vorgesetzten über die Trennwand hinweg sehen.

„Auf der Kamera ist ein Video, das lässt sich nicht mehr wiederherstellen. Nur die Anfangssequenz ist erhalten geblieben. Du siehst den langen Weg unten in Gehlsdorf, der runter zur Warnow führt. Zwei altersschwache Hunde und ein Pärchen auf Fahrrädern. Im Hintergrund siehst du die Kulisse der Innenstadt und die „Santa Barbara Anna“, das Schiff, auf dem Gelbert in der Crew war. Dann fehlt ganz viel. Und am Ende findest du nur noch ein Knallgeräusch, was der Schuss sein könnte, und dann ein Gewirr von Tönen, die nur von der Zerstörung des Mikros herrühren können, als drüber gefahren wurde. Mehr war nicht zu holen.“

Sturm spülte.

„Sagtet ihr nicht, dass die Kamera so ein Billigding war? So ein Ding, was du bei Tankstellen als Punktesammelbonus bekommst?“, fragte Sturm, seinen Hosenschlitz schließend.

„Stimmt genau!“ Bloch nickte, machte seinem Chef Platz am Waschbecken.

„Na dann pass mal auf, mein Freund. Du schwingst dich ans Telefon und rufst alle Tankstellenfirmen an, die du im Internet findest. Frag bei denen nach, ob die Seriennummern dieser Kameras irgendwie mit einem Kunden in Verbindung gebracht werden können. Zum Beispiel bei Garantiefällen. Manchmal muss man wohl etwas dazu bezahlen. Die Kunden zahlen vielleicht mit Kreditkarte. Morgen, zum Mittag, hab ich die Resultate in meinem E-Mail Eingang.

Erwin Bloch schüttelte den Kopf: „Das ist wieder mal typisch Magnus Sturm. Immer diese E-Mails. Dein Traum vom papierlosen Büro. Du scheinst der Einzige zu sein, der niemals Papier benötigt.“

Sturm warf ihm eine herumstehende Klopapierrolle zu: „Manchmal brauche sogar ich Papier.“

Er ging hinaus und ließ den verdatterten Bloch einfach im Klo stehen. Er würde sofort anfangen. Dann hatte sein Abteilungsleiter, Magnus Sturm, die Antwort in seiner Morgenkaffeemaillesepause.

Magnus Sturm klopfte an die Tür, die nur angelehnt war.

„Ach, Herr Sturm, kommen Sie nur herein. Er hat gleich Zeit für Sie. Hinsetzen lohnt sich nicht.“

Sturm gehorchte. Der Vorzimmerlöwe des Staatsanwaltes, Ursula Murrmann, war so alt, dass sie vermutlich noch auf einer richtigen, mechanischen Schreibmaschine gelernt hatte zu tippen. Und sie war so alt, dass auf dieser Maschine bestimmt noch der Reichsadler angebracht war. Dennoch hatte ihre Fürsorge und auch ihre Resolutheit etwas von Miss Moneypenny aus den Bond-Filmen. Er, Sturm, kannte nur die alten Filme der Reihe und den letzten, mit diesem Blonden. Sean Connery war sein Favorit. Und dieser Australier der gegen Kojak in den Schweizer Alpen angetreten war. War das überhaupt der Australier?

Er nannte, heimlich versteht sich, Ursula immer Ulla, wenn ihm etwas gegen den Strich ging oder Moneypenny, wenn alles gut lief. Perlhuber wusste das und fand es prima, machte sogar mit. Einmal war ihm Moneypenny sogar mal rausgerutscht. Sie hatte es gelassen genommen und sah sogar aus, als würde sie sich geschmeichelt fühlen.

„Der Herr Staatsanwalt lässt bitten.“

Er nickte Moneypenny freundlich zu und ging ins Büro. Perlhuber war nicht allein. Eine Dame, die er sicherlich nicht beim ersten Hinsehen attraktiv finden würde, und für länger hatte er keine Zeit, und ein bebrillter, großer Mann mit Igelschnitt.

„Magnus, setz dich!“

Schon diese vertraute Ansprache zwischen Staatsanwalt und Unterstelltem gefiel der Dame nicht. Sie wurde ihm als Regina irgendwas vorgestellt. Den Namen des Mannes vergaß er noch schneller. Die beiden seien aus Schwerin und wegen des Toten auf dem Segler hier. Er solle Bericht erstatten.

Aha, also LKA. Wollten die sich einmischen oder übernehmen? Immerhin war es der erste wirkliche Mord in Rostock seit Jahren.

Magnus Sturm legte seine Jacke ab, goss sich aus der Karaffe Wasser in ein bereitstehendes Glas und legte los. Nach der Beantwortung mehrerer Fragen, vor allem von dem Mann, fiel Sturm noch die Kloinfo von Erwin ein. Nachdem er das dann auch noch berichtet hatte, übernahm Perlhuber wieder.

„Wie schätzt du das mit der Kamera ein? Wenn es ein Spaziergänger war, der die Kamera verlor, dann war der Zeuge der Tat. Weshalb ist dieser Zeuge nicht tot? Wir haben nur eine Leiche, wir haben nur Zeugen für einen Schuss, wir haben keine Vermisstenmeldung.“

Die Frau stellte ihren Kaffeebecher auf den Tisch.

„Was, wenn es nun ein gedungener Killer war? Der wollte die Tat filmen, als Nachweis dafür, dass er sein Geld verdient hat.“

Sie hatte eine einfach nur geile Stimme, dachte Sturm. Im Hinterkopf hörte er schon: Null hundertneunzig – ruf mich an. Sturm stand auf, ging zum Fenster. Seine breiten Schultern ließen keinen Blick an ihm vorbei aus dem Fenster zu. Er drehte sich wieder in den Raum.

„Dann haben wir ein Problem. Denn die Spuren sind wirklich perfekt verwischt. Vom Tatort hat sich niemand auffällig entfernt. Sowohl die Taxifahrer, als auch die Straßenbahner und die Omas aus dem Kurheim sind befragt worden. Aus der Reha-Klinik, ein Stück weiter stromaufwärts, haben wir auch keine Meldung. Die Waffe ist verschwunden. Muss schon was richtig gutes gewesen sein. Bei einem Schuss über diese Entfernung. Wie kam der Kerl vom Tatort weg?“

Der Mann aus Schwerin meldete sich.

„Werter Kollege Sturm, was wäre, wenn der Täter mit einem Boot über die Warnow geflohen ist? Sie haben diese Reifenspuren. Kann das nicht auch von einem kleinen Handtrailer sein, mit dem man ein Boot transportieren kann? Kann der Trampelpfad im Schilf nicht auch von Kindern stammen? Oder gar als Weg in die Irre vom Täter selbst angelegt worden sein?“ Und dann, nach einem Räuspern, was deutlich für Raucherlunge der übleren Sorte sprach: „Wir wollen uns hier nicht einmischen. Es ist Ihr Fall. Sie sind extra aus Ihrem Urlaub geholt worden, weil der Herr Staatsanwalt Sie für den Besten hält. Wir bieten Ihnen jegliche Unterstützung. Brauchen Sie Leute?“

Sturm bereute, dass er den Namen dieses Menschen nicht hatte hören wollen.

„Danke, aber wenn ich Ermittler benötige, erfahren Sie es sofort.“

Mit dem Kopf auf Perlhuber weisend.

„Mein Chef hat Ihre Kontaktdaten?“

Der Staatsanwalt übernahm. „Wir unterrichten Sie über jeden Fortschritt. Wenn Sturm bis jetzt keine Leute benötigt, dann schätzt er das richtig ein. Den Gedanken mit dem Trailer verfolgst du weiter, verstanden? Ich hab nämlich auch so ein Boot. An der Deichsel zwei kleine Räder und an der Achse zwei Räder, die auf so ein Stadtrad, neudeutsch wohl Citybike, passen. Und ich will unbedingt die Daten über das Opfer.“

Da für Sturm das Gespräch beendet war, machte er es wie immer. Er ging zu Alois Perlhuber, drückte ihm die Hand.

„Versprochen, morgen Mittag bei dir auf dem Tisch.“

Dann zu den Anderen: „Meine Dame“, sie hatte grüne Augen, fantastisch, „mein Herr“, dessen Augenfarbe war ihm scheißegal.

Wieder in seinem Büro, kam die Meldung, dass man jetzt die ersten Resultate zum Leben des Opfers hatte. Außerdem hatten die Jungs aus der Computerabteilung, die seine Aversion gegen Papier verstanden, eine Mail geschickt. Eine zwei Seiten umfassende Erläuterung zu dem, was er im Anhang finden würde, nämlich das Video. Er schaltete den Viewer an und die Lautsprecher. Man sah eine Aufnahme, die sehr verwackelt war. Die beiden Hunde, die Rahen des Schiffes verschwinden eben hinter den Baumwipfeln, die Stadtsilhouette. Dann wird der Bildschirm schwarz und man hört nur noch kratzen und krächzen. Keine anderen Geräusche, nur dieses Schleifen und nicht zu identifizierende Geräusche. Plötzlich, unvorbereiteter konnte man nicht sein, hört man den Schuss. Danach kratzende, knarzende, die Ohren schmerzende Töne. Ein Schleifen. Und aus. Der Knall. Er schob den virtuellen Regler mit der Maus zurück und hörte noch mal auf den Knall. Zweimal. Dreimal. Viele Male mehr. Das war also das Geräusch zum Schuss. Und was stellte man jetzt damit an?

Kollateraldesaster

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