Читать книгу Kollateraldesaster - A.B. Exner - Страница 16

Rostock, Büro des Staatsanwaltes.

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Sturm lag mehr auf dem Sofa, als er saß. Seine Statur und seine Größe ließen in diesem Ledersofa keine andere, den Rücken nicht quälende, Sitzposition zu, das wusste er bereits. Seinen Kopf nach hinten auf die Lehne gelegt, hörte er die Stimme von Perlhuber aus dem „Off“, wie er es nannte.

„Ihr habt also weitere Spuren gefunden. Weitere Reifenspuren, die ebenfalls parallel zueinander verlaufen. Kein richtiges Profil, sondern nur einfache Rillen. Aber die Spuren haben was mit den bisher bekannten Spuren zu tun. Na, dann kann der Schweriner ja vielleicht doch Recht haben. Auch wenn ich die Art und Weise, wie er dir die Idee verkauft hat, nicht sonderlich nett fand. Lackaffe.“

Es summte. Sturm hob den Kopf und sah wie der Franke die Gegensprechanlage bediente.

„Was ist?“

Die Stimme von Moneypenny: „Chef, hier ist ein Bote von den Kriminalisten. Da Herr Sturm bei Ihnen ist, dachten sie sich wohl, es ist besser, die Nachricht gleich hier abzuliefern.“

Bevor sie weiter reden konnte, unterbrach Perlhuber die Verbindung und ging zur Tür.

„Manchmal kann die aber auch sabbeln.“

Sturm hatte die Augen immer noch zu und sich nicht gerührt. Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, des Franken liebevollstes „Her damit“ und sein Handy. Ohne die Augen zu öffnen, nahm Sturm das Handy aus der Hemdtasche, klappte es auf und hielt es sich an das linke Ohr. „Ja?“

„Magnus, gleich hast du einen Zettel in der Hand. Der ist nicht mehr aktuell. Wir haben das Projektil.“

Jetzt waren die Augen offen. Perlhuber stand neben ihm. Sturm nahm den Hörer vom Ohr, drückte auf Lautsprecher. Der Staatsanwalt nahm neben ihm Platz. „Rede weiter.“

Ein Husten aus dem Hörer.

„Also wie gesagt, die Nachricht, die zu euch unterwegs ist, ist für die Rundendablage. Das Projektil lag zehn Meter hinter dem Schiff, direkt neben einem Auto, was dort seit ein paar Tagen parkt. Makabererweise gehört es Gelbert. Das haben wir aber jetzt erst herausgefunden. Seine Frau hat es wohl in der Aufregung vergessen zu erwähnen. Zurück zum Projektil. Das Geschoss ist so gut wie Schrott. In Gelberts Kopf ist nicht die gesamte Energie absorbiert worden. Einer unserer Leute ist da noch mal hochgeklettert und hat entdeckt, dass die Patrone noch abgeprallt ist. Das gute Stück ist jetzt unterwegs nach Schwerin zum LKA. Vielleicht finden die mehr raus. Soweit der Stand, wie auf der Meldung, die gerade eben zum Staatsanwalt unterwegs ist.“

Die beiden Zuhörer verkniffen sich einfach zu erklären, dass der Bote schon geliefert hatte.

„Die Neuigkeit ist, dass wir jetzt wissen, wer Detlev Gelbert in seinem früheren Leben war. Seine Schwester hat es nicht mehr ausgehalten. Sie ist bei uns. Die redet wie ein Wasserfall und heult mit derselben Geschwindigkeit. Gelbert und seine Frau steckten unter einer Decke.“

Alles Weitere hörten die beiden mit immer größer werdendem Erstaunen.

Den ersten Teil hatten die Kollegen von der Schwester, alles Weitere in einigen Archiven der NVA, der Stasi und der Bundeswehr recherchiert.

Der Mann, der als Detlev Gelbert das Zeitliche segnete, hatte 1990 seinen Namen geändert. Nach der Wende nichts Verwunderliches, sollte man denken. Doch er hatte einen richtig guten Trick. Er änderte nur die letzten Buchstaben seiner Namen. Also nicht mehr Detlef mit F, sondern Detlev mit einem V, wie Verbrecher am Ende. Und dem Familiennamen entzog er einfach das abschließende S. Angeblich sei sein Haus ausgebrannt und an Unterlagen seien nur noch Geburtsurkunde und Ausweis verblieben. Hatte sich direkt nach einem Dienstvergehen in den Westen abgesetzt und anstandslos in Bremen neue Papiere ausgestellt bekommen. Dass beide Papiere dezent gefälscht wurden, konnte oder wollte keiner in Bremen erkennen. Nicht nur den letzten Buchstaben, sondern auch sein Geburtsjahr hatte er verändert. Die neue Anschrift lautete auf Bremen. Als er nach Rostock zurückkam, war seine Frau wohl schon umgezogen. Er zog zu ihr. Damit ist man in Deutschland so gut wie unsichtbar vor der Strafverfolgung, kann aber in seinem normalen Umfeld ein, na jedenfalls fast, normales Leben führen. Wenn einen keiner verpetzt. Aber bei jeder Feststellung der Personalien ist man sicher vor dem Fahndungsraster. Genial. Der richtige Detlef Gelberts war hier in Rostock bei der NVA gewesen. Achtzehn Jahre lang. Verdienter Offizier, der nicht in die eine Richtung und nicht in die andere Richtung auffiel. Deshalb wurde er auch von den Bundeswehroffizieren für die Abwicklung einiger Aufträge im Rahmen der Auflösung der Kaserne in der Kopernikusstraße eingesetzt. In der Kaserne waren damals etwa dreitausend Soldaten untergebracht. Mit Panzern, Schützenpanzern und all dem Kram. Übrigens zum größten Teil voll aufmunitioniert. Mitten in der Stadt. Unter seinem Befehl wurde die Entwaffnung aller 192 Schützenpanzer geleitet. Alle Maschinengewehre, 121 von der einen Sorte und 177 von der anderen wurden unter seinem Befehl katalogisiert und für den Versand in ein Sammellager in Hessen vorbereitet. Genau dasselbe mit der Munition. Man müsse wissen, es ging hier um 181.500 Schuss für das eine Maschinengewehr und um sagenhafte Einskommazwei Millionen für das andere. Er wurde wahrscheinlich nicht wirklich kontrolliert. Man vertraute ihm und ließ ihn arbeiten, wie er wollte. War eben die Umbruchzeit, und das hatte alle überfordert. Jedenfalls war Gelberts plötzlich verschwunden. Seine Frau meldete ihn als vermisst. Ein halbes Jahr später meldete sich das Lager Göttingen. Es fehlten zehn Maschinengewehre vom Typ PKT mit jeweils einem Tageskampfsatz, was zweitausend Schuss entspricht. Pro Waffe. Die MGs waren nie wieder aufgetaucht. Ebenfalls entwendet wurden die Ersatzläufe, das Zubehör und die Justiereinrichtungen.

Weder Perlhuber noch Sturm konnten jetzt noch bezweifeln, dass es sich um einen professionellen Killer handelte. Das hatte mit Sicherheit mit den Waffen zu tun. Da hatte sich das Opfer übernommen. Waffenhändler waren also im Spiel. Die wickelten ihre Geschäfte auch anders ab, als der Lottoladen an der Ecke.

Sturm eilte in sein Büro und Perlhuber telefonierte mit dem LKA.

Unterwegs forderte Sturm via Gruppen SMS alle freien Leute in den Planungsraum, direkt neben seinem Büro.

Kaffee war schnell organisiert worden. Kekse fanden sich im Kommissariat immer. Seine gesamte Truppe wartete bereits.

„Okay. Ganz saubere Arbeit bis hierhin. Der fränkische Kollege ist schwer beeindruckt. Was sind eure Ideen.“ Das Jackett auf den Haken werfend, drehte er seine Runde im Beratungsraum.

So arbeitete er am liebsten. Was er machen wollte, war ihm schon klar. Aber er forderte die Ideen seiner Untergebenen. Das war kreativer und brachte mehr. Fast eine Stunde später war alles klar. Team I würde alle Angelvereine befragen, ob etwas Ungewöhnliches auf der Warnow war. Team II würde an die Hersteller von Trailern herangehen mit der Frage, ob es Trailer in der Variante gab, dass man den Trailer zusammenfalten oder klappen konnte auf eine Größe, die in ein normales Anglerboot passte. Die anderen sollten noch einmal in die Reha-Klinik fahren, um die Patienten zu befragen, welche in der Zeit der Befragung nicht auffindbar oder aber in Behandlung gewesen waren. Der Leiter der Spurensicherung sollte mit seiner „Indianertruppe“ mit zwei Booten die Warnowufer stromab und stromauf nach versteckten Anlegestellen, einem Trailer oder einem herrenlosen Boot absuchen. Die Wasserschutzpolizei und der Zoll sowie ein Überwachungsboot von Greenpeace wurden informiert.

Sturm war die gesamte Zeit auf den Füßen geblieben. Er war die Fensterfront, von der Tafel auf der einen Seite bis zum Bild des Bundespräsidenten auf der anderen Seite des Raumes, abgeschritten. Wie immer waren es siebzehn Schritte.

„Sonst noch was?“ Auffordernd, jetzt bloß nicht mit „Ja“ zu antworten, blickte er in die Runde.

Prompt steckte die Abteilungsschreibkraft ihren Kopf in die Tür.

„Kommissar Sturm, ich glaube, das interessiert Sie. Falsch, ich weiß, das muss Sie interessieren.“ Damit überreichte sie einen langen Faxpapierstreifen.

Schon nach den ersten Sätzen hob Sturm die das Papier nicht festhaltende Hand. Das hieß sitzen bleiben.

„Na, hoppla. Rostock bringt Koryphäen ans Tageslicht! Alle Achtung. Wir haben was. In der Nähe von Magdeburg wurde vor einer Woche mit einem Maschinengewehr geschossen. Auf einem alten Truppenübungsplatz der Russen. Die Ermittler dort wurden durch einen Bürger Rostocks auf die richtige Spur gebracht. Ein Mann, der sein Geld mit den Geräuschen von Waffen verdient.“

Das Fragezeichen im Blick einiger Kollegen richtig deutend, musste Sturm die Schultern zuckend eingestehen, dass er ebenfalls keine Ahnung hatte, was damit gemeint sein könne. Jedoch hatte sofort eine Idee.

„Also, der Rostocker behauptete, dass mit einem russischen MG des Typs PKT geschossen worden war. Und tatsächlich wurden dort frisch abgeschossene Patronenhülsen für genau diesen MG-Typ gefunden. Er selbst konnte der Schütze nicht sein. Das ist erwiesen. Das ist ein Klorollenfax, deshalb haben auch wir das erhalten. Bekommt raus, ob der Mann in der Nähe ist und schafft ihn gleich zum Schießstand. Ich bin über Funk erreichbar. Wenn ihr ihn habt, komme ich nach. Wer übernimmt das?“ Erwin Bloch meldete sich genauso wie einer der jüngeren Kollegen.

Sturm reagierte instinktiv nach Dienstgrad.

„Erwin, du übernimmst diesen Waffenexperten.“

Der Arm des Neuen war immer noch oben. Sturm reagierte gnädig: „Was ist los, Kollege?“

„Eh, Entschuldigung.“ Er stand sogar noch auf. „Können Sie mir bitte sagen, was ein Klorollenfax ist?“ Ein Grinsen ging durch die Runde. „Das ist ein Rundschreiben an alle Dienststellen Deutschlands und heißt so, weil es jedes Arschloch bekommt. Und jetzt raus hier!“

Ein letzter Blick in den sich leerenden Raum. Auch der Herr Bundespräsident schien zufrieden.


Kollateraldesaster

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