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Saarbrücken, Mecklenburger Ring 72

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Marc Hüter saß in seinem Rolli vor dem Haus. Die Kommissarin kniete neben ihm.

„Wo ist der Täter hingerannt?“

Er sei sich nicht sicher, antwortete er. Auch die ständige Fragerei nach den Handschuhen verstand er nicht. Marc verstand die Fragen schon, jedoch durfte seine Rolle das nicht widergeben.

Er behauptete einfach, dass der Täter keine Handschuhe anhatte, als er ihm vor dem Fahrstuhl plötzlich im Weg stand. Und Fingerabdrücke konnte man von ihm nicht an seinem Rolli finden, weil der Mann ihn vor die Brust gestoßen hatte, woraufhin er umkippte und die Treppe hinunterfiel. Was er denn in dem Haus gewollt habe?

Damit hatte Marc gerechnet und sich eine perfekte Idee entwickelt. Ein Haus weiter wohnte eine ehemalige Kollegin seines Vaters. Die wollte er eigentlich besuchen und hatte sich nur in der Hausnummer geirrt. Das stimmte sogar. Ob ihm noch etwas eingefallen sei? Ja, als er dem Mann hinterher gesehen habe, habe er deutlich erkannt, dass dieser eine Sonnenbrille trug, so eine mit versilberten Gläsern. Ja, das wisse er ganz bestimmt.

Ebenfalls vor dem Haus stand ein großer, schmaler Mann in einem etwas altersschwachen Anzug, welcher den Charme der Siebziger widerspiegelte.

Die Kommissarin ging zu ihm, fragte etwas. Der zog den Kopf zwischen die Schultern und schüttelte selbigen. Dann zeigte er beide Handflächen nach oben und blickte in Richtung von Marc.

Sie ließ den Mann gehen.

„Also, unser anderer Zeuge ist sich gar nicht mehr so sicher, ob der Verdächtige tatsächlich OP-Handschuhe anhatte. Es war wohl mehr seine Frau der Meinung, welche etwa zehn Meter entfernt im Auto saß. Sie hatte ihrem Mann eingeredet, dass da OP-Handschuhe im Spiel waren. Und das mit der Sonnenbrille konnte er nicht bestätigen. Er habe, da er nun mal eins fünfundneunzig groß sei, mehr oder weniger auf den Anderen herab geschaut. Der hatte sein Basecap so tief runtergezogen, dass von einer Brille nichts zu sehen gewesen sei. Der Zeuge ist völlig verunsichert. Ich glaube beinahe, dass nur seine Frau etwas gesehen hat und er überhaupt nichts.“

Sie musste rauchen. Wo bekam sie jetzt eine Zigarette her?

Der eine Hauptzeuge wird die Treppe runter geschubst, ehe er was sehen kann. Dreht sich dann glücklicherweise noch um, um wenigstens den Pullover und die erste Fluchtrichtung zu erkennen. Kann sogar ziemlich exakt die Größe und Kleidung bestimmen. Der andere Zeuge ist vermutlich gar keiner. Wunderbar. Wie sollte sie das der Staatsanwältin Draht beibringen?

Sie verabschiedet sich von Marc. Nein, er will nicht mitgenommen werden. Seine Schwester würde ihn unten am Park mit ihrem Freund in Empfang nehmen.

Der vermutliche Täter hatte also plötzlich doch nur zwei Paar Handschuhe. Na klar, das ergab dann auch eher einen Sinn. Nachdem er sich diese Plastikplatte von seinem Basecap abgebaut hatte, wollte er vermeiden, dass er einen Fehler macht, dass er in der Eile vielleicht diese Plastikfolie doch noch mit den Fingern berührt. Oder Abdrücke an den Türen des Fahrstuhls oder der Eingangstür des Hauses, oder dem Griff der Mülltonne. An den ersten Handschuhen sind Schmauchspuren. Die hätte er, wenn er nicht aufpasst, auf seine Kleidung übertragen können. Also, Pullover aus, Schießhandschuhe aus, Folie ab. Alles in den Pullover wickeln. Andere Handschuhe vermeiden jetzt, dass er Schmauchspuren dieser drei Objekte an seinen Händen ablagert. Raus, Fahrstuhl, den Kleinen im Rolli umschmeißen, zur Mülltonne. Dann das zweite Paar Handschuhe auch noch ausziehen. Keine Spuren sind am Körper, keine Spuren werden hinterlassen, keine Spuren werden aufgenommen.

Der wusste, was er tat.

Sie war während dieser Gedankenkette zu ihrem Wagen gegangen. Kollege Grewe stand neben dem Audi. Sie sah an ihm vorbei etwas, was sie wahnsinnig interessierte. Sie schritt schnell an Kommissar Grewe vorbei, öffnete die Tasche, fand, was sie suchte, warf das Geld ein und zog sich eine Schachtel Zigaretten.

Marc war schon an den Boulespielern vorbei. Seine Schwester und deren Freund warteten mit einer Tüte Äpfel auf ihn. Er nahm sich einen, biss hinein. Sie suchten sich eine Bank.

„Ihr wisst ja, was ich für ein feiger Kerl bin. Plötzlich war Horst weg. Ich sah mich nach ihm um und hörte diesen Schuss. Ich hatte Angst, dass irgendein Idiot auf das Tier geschossen hätte. Ich wusste überhaupt nicht, was ich tat. Ich dachte in diesen paar Sekunden nur immer an Oma, wie traurig sie sein würde, wenn Horst nicht mehr am Leben sei. Ich hab den Typen so angeschrien, dass der wahrscheinlich dachte, ich will ihm ans Leben. Dann wollte ich mehr sehen und richtete mich im Rollstuhl weiter auf, während ich immer näher an das Schilf ran fuhr. Der Rolli fuhr über einen Stein und dann in eine Kuhle, kippte auf die Seite. Da war so eine alte Betonwegeplatte. Der Rollstuhl lehnte daran und ich konnte im Rollstuhl schräg sitzend das Gewehr greifen. Ich brauchte eine ganze Weile, drehte die Waffe immer wieder um ihre Längsachse, bis ich sie einfach nach oben von diesem Pflock ziehen konnte. Das dauerte bestimmt fünf Minuten, eher länger. Dann fand ich die Angelrutentasche, verpackte das Gewehr. Horst und Felix waren endlich bei mir angekommen. Ich richtete mich im Rolli auf und fuhr einfach los. Beim Umkippen bin ich dann wahrscheinlich auch irgendwie diese Kamera losgeworden. Tut mir leid.“

Nach einer Pause, die ebenso lange dauerte, wie man braucht, um einen Apfel bis auf den Stiel zu essen: „Ich hatte Angst um Horst. Ich hab wirklich gedacht, dass da jemand auf den Hund geschossen hätte.“

Zwei Stunden später übergab Staatsanwältin Dr. Annemarie Heilberg-Tövenhooft eine gut recherchierte Akte an den Kollegen vom Staatsschutz. Für sie war, nach einer Aussprache mit ihrer, von ihr sehr geschätzten Kollegin Karin Siebert, die Ermittlung mit den Befugnissen der Kriminalpolizei Saarbrücken erledigt.

Tötung durch Auftragsmörder.

Die abschließende Information an die entsprechenden Dienststellen der LKAs würde erfolgen.

Und damit war die Akte zu.


Kollateraldesaster

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