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1.8Pogrome im zaristischen Russland

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Unter den von Franz Kafka (1883–1924) verfassten und von ihm zur Verbrennung vorgesehenen Schriften befand sich auch seine Erzählung Odessaer Ritualmordprozess gegen Beilis. Anklänge dieser verbrannten Schrift finden sich noch in Kafkas unvollendeter Erzählung Der Process, wenn beispielsweise der Angeklagte starr danieder liegt und sein Körper von Nadeln zerstochen wird. Es handelt sich hierbei um die inversive Projektion eines Bildes des 13-jährigen Jungen Andrei Juschtschinski, der auf einem antisemitischen Flugblatt abgebildet mit geschlossenen Augen im Totenhaus liegt und an dessen Schläfenseite feine Einstiche erkennbar sind. Bei der „Beilis-Affäre“ handelte es sich um einen Ritualmordprozess des Jahres 1911. Anlass bildete die Ermordung eines Kiewer Jungen, den man nachdem er vermisst wurde schließlich in einer Höhle fand und dessen Körper zahllose Stichwunden aufwies. Teile der russischen Rechten und Konservativen beabsichtigten den Fall zu nutzen, um gegen die geplante Abschaffung judenfeindlicher Gesetze wie der „Maigesetze“ sowie des sogenannten „Ansiedlungsrayons“ zu opponieren. Bei den „Maigesetzen“ handelte es sich um ein ganzes Bündel antijüdischer Maßnahmen, die 1882 nach dem Attentat auf Alexander II. (1818–1881) erlassen wurden und welche die Freizügigkeit der Juden einschränkten. Die antisemitische Stimmung im damaligen Russland belegt der Tatbestand, dass die Ermordung des Zaren, für welche die Untergrundorganisation Narodnaja Wolja die Verantwortung trug, in verschwörungstheoretischer Manier den Juden angelastet wurde. Die Geschichte des Ansiedlungsrayons geht auf einen Ukas von Katharina II. (1729–1796) zurück, die im Jahr 1791 festlegte, dass Juden nur im äußersten westlichen Teil des Russischen Reiches leben und arbeiten durften. Beim Ansiedlungsrayon handelte es sich um diejenigen russischen Gebiete, die durch die polnischen Teilungen Ende des 18. Jh.s an das russische Kaiserreich gefallen waren. Das Gebiet erstreckte sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Da alle russischen Juden mit wenigen Ausnahmen zwangsweise hier zu leben hatten, stieg ihre Anzahl im dortigen Raum bis zum Ende des 19. Jh.s auf knapp fünf Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von 12 Prozent entsprach.

Die Verbindung des russischen Innenministeriums zu den örtlich agierenden Kräften verdeutlicht in der Beilis-Affäre der Tatbestand, dass die Absetzung des lokalen Polizeiinspektors, der seine Ermittlungen auf eine kriminelle Bande konzentrierte, von der zentralen Obrigkeit gedeckt wurde. Der Weg war auf diese Weise frei, um den Fall in Richtung eines Ritualmordprozesses zu wenden, was schließlich zur Anklage gegen den Juden Mendel Beilis im Jahre 1913 führte, obwohl keine Beweise vorgelegt werden konnten. Die Anklage agierte mittels eines katholischen Priesters, der als vermeintlicher „Talmud-Experte“ wie einst Rohling sich des Hebräischen im Verlauf des Prozesses als nicht mächtig erwies. Zwar wurde Beilis durch diesen Fauxpas sowie wegen fehlender Beweise freigesprochen, der Urteilsspruch hielt jedoch die Behauptung aufrecht, es habe sich um einen „jüdischen Ritualmord“ gehandelt. Hierzu trug ein antisemitisches Gutachten des Medizinprofessors Iwan Sikorskyj (1842–1919) bei, welches die geläufigen Narrative der Ritualmordlegende reproduzierte und mit medizinischen Bemerkungen verknüpfte. So behauptete der russische Mediziner, dass die langsame Entblutung des Körpers nur dem Zwecke der Blutentnahme gedient haben könne und heizte so bewusst die Atmosphäre auf. Sikorskyj zählte zu den organisierten nationalistischen Kräften Russlands, welche die Liberalisierung der zaristischen Judenpolitik mit aller Macht zu verhindern versuchten.

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