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1DER ANTISEMITISMUS MITTE DES 19. JH.S BIS 1918
ОглавлениеAb der Mitte des 19. Jh.s setzte die unheilvolle Verbindung von Antisemitismus, Sozialdarwinismus und modernen Rassenlehren ein. Das zwischen 1853 und 1855 erschienene Werk Essai sur l’inégalité des races humaines des frz. Schriftstellers Arthur Comte de Gobineau (1816–1882) postulierte die Existenz einer »nordischen Urrasse«. Diese »germanische oder arische Rasse« sei der »gelben« sowie der »schwarzen Rasse« überlegen. Gobineau behauptete ebenso die Schädlichkeit der »Rassenmischung«, die zur »Herabzüchtung« der qualitativ »höheren Rassen« führe. Gobineaus Postulat von der Überlegenheit der »arischen Rasse« stieß insbesondere in Deutschland auf fruchtbaren Boden und verband sich hier mit „Rassenlehren“, die Juden als »vorderasiatisches Rassengemisch« diffamierten, deren Ziel es sei, den »Arier« nach Kräften zu übervorteilen und auszubeuten. Spätere Rassenlehren rückten das Konstrukt vom welthistorischen Gegensatz zwischen „Arier“ und „semitischer Rasse“ in den Vordergrund, imaginierten wie der Philosoph Eugen Dühring „den Juden“ als wirtschaftlichen Ausbeuter und diffamierten ihn als »Schmarotzer«, als »Sozialparasit im Völkerleben« sowie als »Gegenrasse«.
Der Antisemitismus biologisierte sich indes nicht nur ab Mitte des 19. Jh.s, er politisierte sich auch, insofern relevante Kräfte des Wilhelminischen Kaiserreichs die seit der Reichsgründung in Deutschland existente rechtliche Gleichstellung der Juden ablehnten und die Parteipolitik sich verstärkt des Antisemitismus bediente, um Wählerstimmen zu gewinnen. Immer stärker zeigte sich, dass der Weg von der rechtlichen Gleichstellung zur gesellschaftlichen Akzeptanz weit und das Erringen der Bürgerrechte nicht identisch mit dem Schutz vor alltäglicher Ausgrenzung und Diskriminierung war. Außer in der Parteipolitik drang der Antisemitismus auch in Presse, Publizistik und Literatur vor und modernisierte sich, ohne dass seine christlich-antisemitischen Motive verschwanden. Für die betroffenen Juden nahm der Antisemitismus immer stärker alltäglichen Charakter an und reichte von einem Blick in die Tageszeitung, dem Lesen eines angesagten Buchs, dem Ausschluss aus Vereinen, der Beschränkung der beruflichen Karriere bis hin zu Pogromwellen in Russland.
Während zu Beginn des Jahres 1914 das „Augusterlebnis“ bei den Juden die Hoffnung auf gesellschaftliche Akzeptanz beflügelte, zeigte sich rasch, dass der Erste Weltkrieg in Wahrheit die Rolle eines Katalysators des radikaler werdenden Antisemitismus spielte. Juden wurden als »Spione« der Gegenseite bezichtigt, als »Kriegsgewinnler«, als »Drückeberger« sowie als »Schieber«, deren Interesse darin bestehe, den Krieg auf Kosten des Volkes zu verlängern. Nicht zuletzt trug auch die Gewaltförmigkeit des Krieges dazu bei, dass der Antisemitismus sich brutalisierte.
Die rechte Agitation machte Juden nicht nur für den Ersten Weltkrieg und seinen Verlauf verantwortlich, sondern ebenso für die „Russische Revolution“, in deren Kontext antisemitische Verschwörungstheorien wie die Protokolle der Weisen von Zion an Gewicht gewannen. „Der Jude“ wurde als Bolschewist imaginiert, dessen Ziel es sei, revolutionäre Unruhen mit der Absicht zu schüren, dem „internationalen Judentum“ zur Macht zu verhelfen und die „jüdische Weltherrschaft“ zu errichten. Ein Jahr darauf wurden die Juden ebenso für die Novemberrevolution in Deutschland verantwortlich gemacht und von der politischen Rechten als „jüdische Novemberverbrecher“ verleumdet. Die durch den Ersten Weltkrieg initiierte Brutalisierung des Antisemitismus belegen der Mord an Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919, welche zuvor als »Judenhure« verunglimpft und misshandelt wurde, die Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) am 21. Februar 1919, sowie die Ermordung des jüdischen Reichsaußenministers Walther Rathenau in Berlin am 24. Juni 1922.