Читать книгу Am Ende sterben wir sowieso - Adam Silvera - Страница 18
RUFUS
02:59 Uhr
ОглавлениеHätte mich der Todesbote doch angerufen, bevor ich in dieser Nacht mein Leben versaut habe.
Wenn der Todesbote sich gestern Nacht gemeldet hätte, hätten sie mich aus einem Traum geholt, in dem ich einen Marathon gegen ein paar Kinder auf Dreirädern verlor. Wenn der Todesbote sich vor einer Woche gemeldet hätte, dann hätte ich nicht die ganze Nacht wach gelegen und all die Nachrichten gelesen, die Aimee mir geschrieben hat, als wir noch zusammen waren. Wenn der Todesbote vor zwei Wochen angerufen hätte, hätte er die Diskussion unterbrochen, die ich mit Malcolm und Tagoe darüber führte, ob Marvel-Helden besser sind als DC-Helden (und vielleicht hätte ich den Anrufer sogar gebeten, seine Meinung dazu zu äußern). Wenn der Todesbote vor vier Wochen angerufen hätte, hätte er das eisige Schweigen durchbrochen, das ich mir auferlegt hatte, als ich nach Aimees Abschied mit niemandem reden wollte. Aber nein, der Todesbote musste ausgerechnet heute anrufen, während ich gerade auf Peck einprügelte, was dazu führte, dass Aimee ihn zu uns nach Hause schleppte, um mich mit der Sache zu konfrontieren, was wiederum dazu führte, dass Peck die Bullen rief und meine Trauerfeier ruinierte und ich jetzt vollkommen allein bin.
Nichts davon wäre passiert, wenn der Todesbote einen Tag früher angerufen hätte.
Ich höre Polizeisirenen und trete weiter in die Pedale. Hoffentlich hat das nichts mit mir zu tun.
Erst nach ein paar Minuten mache ich Pause und halte zwischen einem McDonald’s und einer Tankstelle an. Es ist wahnsinnig hell, und vielleicht ist es blöd, ausgerechnet hier zu verschnaufen, aber andererseits ist die Öffentlichkeit möglicherweise das beste Versteck. Keine Ahnung, schließlich bin ich nicht James Bond und hab auch kein Handbuch, in dem steht, wie man sich am besten vor den Bösen versteckt.
Fuck, ich bin ja der Böse.
Auf jeden Fall kann ich nicht weiter. Mein Herz rast, meine Beine brennen und ich muss erst mal zu Atem kommen.
Ich setze mich auf den Bordstein vor der Tankstelle. Es stinkt nach Pisse und billigem Bier. An die Wand mit den Luftdruckmessgeräten sind zwei Silhouetten gesprüht, die aussehen wie der Typ auf der Männerklotür. In orangefarbener Schrift steht darüber: Letzte Freunde – die App.
Dauernd werde ich um einen anständigen Abschied gebracht. Keine letzte Umarmung mit meiner Familie, keine letzte Umarmung mit den Plutos. Dabei geht es nicht mal um den Abschied, Mann, sondern darum, den Leuten für alles, was sie für mich getan haben, Danke zu sagen. Für die Treue, die Malcolm mir immer wieder bewiesen hat. Den Spaß, den Tagoe uns mit seinen Drehbüchern für irgendwelche B-Movies gemacht hat, mit Kanarienclown und der Karneval des Grauens oder Schlangentaxi – obwohl Die Vertretungsärztin selbst für einen schlechten Film absolut unterirdisch war. Wenn Francis die Figuren nachgemacht hat, hab ich mich weggeschmissen vor Lachen und ihn schließlich angefleht aufzuhören, weil mir die Brust wehtat. Ich will mich auch für den Nachmittag bedanken, als Jenn Lori mir Patiencespielen beigebracht hat, damit ich etwas zu tun hatte, aber trotzdem allein sein konnte. Für das tolle Gespräch mit Francis, als alle anderen schon im Bett waren und er mir erklärt hat, dass man bei einem Kompliment lieber nicht das Aussehen eines hübschen Menschen betont, sondern sich was Persönlicheres ausdenken soll, denn »schöne Augen kann jeder haben, aber nur ganz besondere Menschen können das Alphabet summen, sodass es zu deinem neuen Lieblingssound wird«. Danke auch dafür, dass Aimee immer ehrlich war, sogar eben noch, als sie mich losließ und mir sagte, dass sie mich nicht mehr liebt.
Ich hätte wirklich noch eine letzte Plutosonnensystem-Gruppenumarmung gebrauchen können. Aber jetzt kann ich nicht zurück. Vielleicht hätte ich nicht abhauen sollen. Wahrscheinlich gibt es jetzt nur noch mehr Anklagepunkte gegen mich, aber ich hatte keine Zeit mehr zum Überlegen.
Ich muss das den Plutos gegenüber wiedergutmachen. In ihren Grabreden haben sie nichts als die Wahrheit gesagt. Ich hab in letzter Zeit zwar Scheiße gebaut, aber ich bin kein schlechter Mensch. Sonst wären Malcolm und Tagoe nicht meine Kumpels gewesen und Aimee nicht mein Mädchen.
Sie können nicht bei mir sein, aber das heißt nicht, dass ich allein sein muss.
Ich will echt nicht allein sein.
Also rappele ich mich auf und gehe zu der Wand mit dem Graffito und einem ölverschmierten Werbeplakat für etwas namens Make-A-Moment rüber. Ich starre die Letzte Freunde-Silhouetten auf der Mauer an. Seit meine Familie umgekommen ist, hätte ich geschworen, dass ich allein sterben würde. Vielleicht wird es auch so sein, aber nur weil ich als Letzter übrig geblieben bin, heißt das nicht, dass ich keinen letzten Freund haben kann. Ich weiß, dass ein guter Rufus in mir steckt, der Rufus, der ich früher war, und vielleicht kann ihn ein letzter Freund wieder zum Vorschein bringen.
Apps sind eigentlich nicht mein Ding, aber Leuten die Fresse zu polieren auch nicht, von daher bin ich heute eh nicht ganz ich selbst. Also öffne ich den App-Store und lade die Letzte Freunde-App herunter. Der Download geht extrem schnell; frisst wahrscheinlich höllisch viel Datenmenge, aber was solls.
Ich melde mich als Todgeweihter an, erstelle mein Profil, lade ein altes Foto aus meinem Instagram-Account hoch, und los gehts.
Nachdem ich in den ersten fünf Minuten schon sieben Nachrichten bekommen habe, fühle ich mich gleich etwas weniger einsam – auch wenn ein Typ mir irgendeinen Bullshit erzählt, er hätte das Mittel gegen den Tod in seiner Hose. Nee, da sterb ich lieber.