Читать книгу Am Ende sterben wir sowieso - Adam Silvera - Страница 7

00:56 Uhr

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Ich schreibe Dankesnachrichten an meine Nachbarn aus den Wohnungen 4F und 4A und teile ihnen mit, dass heute mein Abschiedstag ist. Seit Dad im Krankenhaus ist, hat Elliot aus 4F immer wieder nach mir gesehen und mir Abendessen herübergebracht, vor allem nachdem letzte Woche unser Gasherd kaputtgegangen ist, als ich versucht habe, Dads Empanada-Rezept nachzukochen. Sean aus 4A wollte am Samstag vorbeikommen, um den Brenner zu reparieren, aber das ist jetzt nicht mehr nötig. Dad weiß, wie man das macht, und kann die Ablenkung vielleicht ganz gut gebrauchen, wenn ich nicht mehr da bin.

Ich gehe zum Schrank, hole das blaugraue Flanellhemd heraus, das Lidia mir zu meinem achtzehnten Geburtstag geschenkt hat, und ziehe es über mein weißes T-Shirt. Ich habe es bisher noch nicht draußen angehabt. In diesem Hemd werde ich Lidia heute den ganzen Tag über nahe sein.

Ich schaue auf die Uhr – Dads alte, die er mir geschenkt hat, nachdem er sich wegen seiner schlechten Augen eine Digitaluhr mit Leuchtziffern gekauft hat. Es ist fast ein Uhr nachts. An einem gewöhnlichen Tag hätte ich noch bis früh am Morgen Videospiele gespielt, auch wenn ich in der Schule dann immer todmüde war. Wenigstens konnte ich in den Freistunden schlafen. Ich hätte diese Stunden nicht einfach absitzen, sondern mich stattdessen noch für ein anderes Fach einschreiben sollen, für Kunst zum Beispiel, auch wenn ich durch Zeichnen nicht mein Leben retten kann. (Und auch durch sonst nichts, logisch, und ich würde gern sagen, dass das völlig egal ist, aber im Grunde ist es das Einzige, was zählt.) Vielleicht hätte ich im Orchester Klavier spielen und dort erstes Lob ernten können, um später dann im Chor zu singen oder ein Duett mit irgendjemand Coolem, und am Ende hätte ich mich vielleicht an ein Solo gewagt. Mensch, sogar Theater hätte mir Spaß machen können, mit einer Rolle, die mich gezwungen hätte, aus mir herauszugehen. Aber nein, ich entschied mich für eine weitere Freistunde, in der ich abschalten und ein Nickerchen machen konnte.

Es ist 00:58 Uhr. Sobald es eins ist, werde ich mich dazu zwingen, die Wohnung zu verlassen. Sie war immer mein Zufluchtsort und gleichzeitig mein Gefängnis, aber jetzt muss ich endlich mal die Luft dort draußen einatmen, statt nur hindurchzujagen, um von A nach B zu kommen. Ich muss Bäume zählen und vielleicht ein Lieblingslied singen, während ich die Füße in den Hudson tauche – einfach alles dafür tun, dass ich als der junge Mann in Erinnerung bleibe, der viel zu früh gestorben ist.

Es ist 01:00 Uhr.

Unfassbar, dass ich nie wieder in mein Zimmer zurückkehren werde.

Ich drehe den Schlüssel im Schloss, packe den Knauf und ziehe die Wohnungstür auf.

Dann schüttele ich den Kopf und knalle die Tür wieder zu.

Ich werde nicht in eine Welt hinausgehen, die mich vorzeitig töten wird.

Am Ende sterben wir sowieso

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