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2. Die Beratungen im Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat

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Im Verfassungskonvent von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat in Bonn waren es verschiedene Beweggründe, aus denen die Integrationsbereitschaft Deutschlands in der Präambel des Grundgesetzes zum Ausdruck gebracht und durch operationale Bestimmungen im Haupttext ergänzt werden sollte. Die Befürworter einte die Einsicht, dass ein dauerhafter Frieden in Europa nur durch eine Integration der europäischen Staaten zu erreichen wäre. Neben den überzeugten Europäern, zu denen etwa Konrad Adenauer, Carlo Schmid und Wilhelm Heile gehörten,[19] gab es auch Mitglieder, die für die Öffnung nach Europa votierten, da sie darin den einzigen Weg sahen, auf dem Deutschland wieder Wohlstand erlangen und als „voll souveräne[r] Staat in die europäische Völkergemeinschaft“[20] zurückkehren könnte.[21] Es gab in diesem Sinne durchaus auch eine politisch und wirtschaftlich interessengeleitete „Flucht nach Europa“.[22] Im Übrigen traten im Konvent von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat die auch die weitere Entwicklung prägenden unterschiedlichen Vorstellungen über die europäische Nachkriegsordnung zutage. Während nach einer Auffassung sich Europa als dritte Kraft zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten etablieren sollte, betonte eine andere Strömung die atlantische Verbindung zu den USA. Die stärkere Westbindung verstärkte freilich den Gegensatz zur Sowjetunion, so dass die Gegner dieser Politik geltend machten, dass dadurch zugleich die dauerhafte Spaltung Deutschlands immer wahrscheinlicher werde. Konkrete Konzepte für eine Einigung Europas traten im Übrigen bei den Beratungen zum Grundgesetz nicht zutage. In jedem Falle reichten die Vorstellungen über die auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Juni 1948 geforderten Grundsätze, nach denen Deutschland jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht mit den anderen Staaten Westeuropas verbunden sein sollte,[23] hinaus. Die Debatten im Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat widerlegen daher auch in dieser Hinsicht die These, dass die im Grundgesetz getroffene Entscheidung für eine offene Staatlichkeit letztlich von den westlichen Alliierten erzwungen worden sei.

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Die Deutlichkeit, mit der im Ergebnis das Grundgesetz die Grundentscheidung für die offene Staatlichkeit zum Ausdruck brachte, war auch gemessen am Maßstab der Verfassungsentwicklung in den anderen europäischen Staaten ein Novum. Dies gilt weniger für Art. 25 GG, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu einem mit Übergesetzesrang ausgestatteten Bestandteil des Bundesrechts erklärt. Diese Bestimmung bringt zwar gegenüber der entsprechenden Bestimmung der Weimarer Verfassung[24] eine Aufwertung des Völkerrechts, bewegt sich jedoch noch in traditionellen Bahnen. Einen neuen Ansatz enthält indes Art. 24 GG, der erstmals die Möglichkeit einräumt, „Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen“.

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Allerdings hatte bereits die französische Verfassung von 1946 in ihrer Präambel einen ersten Schritt hin zur Öffnung und zur Bereitschaft zum Verzicht auf Souveränitätsrechte auf der Basis der Gegenseitigkeit getan. In der Präambel[25] heißt es: „Sous réserve de réciprocité, la France consent aux limitations de souveraineté nécessaires à l’organisation et à la défense de la Paix“. Eine ähnliche Regelung wurde bald darauf in die italienische Verfassung von 1947 aufgenommen.[26] Beide Verfassunggeber hatten dabei auch die Gründung der Vereinten Nationen und die Schaffung möglicher weiterer Systeme kollektiver Sicherheit im Blick.

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Die Gewährleistung eines dauerhaften Friedens, gleichsam in Weiterentwicklung des Leitmotivs des Westfälischen Friedens,[27] war Ziel aller Integrationsbestrebungen. Dies galt in besonderem Maße auch für die Beratungen zum Grundgesetz, wo bereits der Entwurf des Unterausschusses I des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee einen Integrationsartikel (Art. D) vorsah, der dem späteren Art. 24 des Grundgesetzes sehr nahe kam.[28]

Art. D des ursprünglichen Entwurfs(August 1948): Art. 24 des Grundgesetzes(endgültige Fassung vom 23. Mai 1949):
(1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (1) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.
(2) Insbesondere kann er im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann. (2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
(3) Ein solches Gesetz bedarf in Bundesrat und Bundestag einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. (3) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.

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Während Abs. 2 des Art. D (später Art. 24) mit der Möglichkeit einer reziproken Beschränkung von Hoheitsrechten die Vorbilder der französischen und der italienischen Verfassung aufgreift, geht Abs. 1 mit der Option einer Übertragung von Hoheitsrechten erheblich darüber hinaus und wird so zum nachdrücklichsten Bekenntnis zur „offenen Staatlichkeit“, wie die Integrationsbereitschaft später apostrophiert wurde. Mit der weitgehenden Öffnungsklausel sollte „nach den Dingen, die im Namen des deutschen Volkes geschehen sind“, eine „Vorleistung“ erbracht[29] werden, die, wie ein Redner formulierte, zugleich eine „sehr schöne Antwort“ sei „auf das, was die französische Republik in der Präambel ihrer neuen Verfassung sagt“.[30]

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Wenngleich die Vorstellungen über die Gestalt des in der Präambel des Grundgesetzes angesprochenen „vereinten Europas“ eher diffus blieben,[31] wurden die bei Integrationsentscheidungen einzuhaltenden Verfahrensregeln eingehend diskutiert. Gegen Integrationsentscheidungen durch einfaches Gesetz wurde geltend gemacht, dass es dabei um eine besonders wichtige Frage gehe, so dass ein verfassungsänderndes Gesetz,[32] im Hinblick auf die betroffenen Länderinteressen jedenfalls aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat[33] zu fordern sei. Dieser Forderung wurde entgegengehalten, dass damit der Integrationsklausel die „Pointe“ genommen würde, da eine Integration durch Verfassungsänderung immer möglich sei.[34] Die Entscheidung über die Integrationsbereitschaft solle eindeutig im Grundgesetz selbst getroffen werden.[35] Aus denselben Erwägungen wurden letztlich auch die im ursprünglichen Entwurfstext vorgesehene Anforderung einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl in Bundestag und Bundesrat sowie das Erfordernis einer Zustimmung des Bundesrats verworfen.

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