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3. Grundsätzliche verfassungsrechtsdogmatische Einordnung der Integrationsklausel des Art. 24 Abs. 1 GG

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Die Integrationsklausel des Art. 24 Abs. 1 GG war bald, insbesondere nach den ersten Schritten der europäischen Einigung, Gegenstand verfassungsrechtsdogmatischer Erörterungen und Einordnungen. Rasch setzte sich die Einsicht durch, dass die „Übertragung“ von Hoheitsrechten nicht so verstanden werden kann, dass der zwischenstaatlichen Einrichtung jeweils ein Ausschnitt aus der nationalen Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten übertragen wird, sondern dass durch die „Übertragung“ auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags eine einheitliche Hoheitsgewalt neuer Qualität geschaffen wird, für die die Vertragsstaaten ihre innerstaatliche Kompetenzsphäre, ihren „Souveränitätspanzer“[36], öffnen.[37] In diesem Sinne wird die Befugnis der zwischenstaatlichen Einrichtung, durch Rechtsakte die staatlichen Organe und die Bürger unmittelbar zu verpflichten, der sog. „Durchgriffseffekt“, als entscheidendes Merkmal für die Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG angesehen.[38]

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Die Öffnung der innerstaatlichen Kompetenzsphäre, die Permeabilität des Staates, hat Klaus Vogel prägend als „offene Staatlichkeit“ charakterisiert.[39] Bezogen auf die dadurch eröffnete Möglichkeit der Einordnung Deutschlands in eine supranationale Gemeinschaft, deren Recht Vorrang gegenüber dem nationalen Recht beansprucht, sprach Hans Peter Ipsen von Art. 24 Abs. 1 GG als „Integrationshebel“.[40] Das spanische Verfassungsgericht sollte später im Hinblick auf die vergleichbare Bestimmung des Art. 93 der spanischen Verfassung von 1978 von einem „Scharnier“ (bisagra) sprechen.[41] Bewusst war den meisten Autoren von Anfang an, dass mit jeder Übertragung von Hoheitsrechten eine materielle Verfassungsänderung einhergeht.[42] Art. 24 Abs. 1 GG wird in diesem Sinne nicht nur eine auch die Kompetenzsphäre der Länder einbeziehende Integrationskompetenz des Bundes entnommen, sondern auch eine Sonderregelung im Verhältnis zu Art. 79 GG, der für eine Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat vorsieht. Indem Art. 24 Abs. 1 GG regelt, dass nur ein einfaches Bundesgesetz erforderlich ist, trifft er hingegen keine Bestimmung darüber, ob im konkreten Fall die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist oder ob es sich um ein Einspruchsgesetz handelt. Diese Frage richtet sich, soweit es nicht um die Hoheitsübertragung als solche geht, nach Art. 59 Abs. 2 GG, also danach, ob sich der Integrationsvertrag auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, die eine Zustimmungspflicht auslösen oder nicht. Die bloße Tatsache, dass ein Integrationsvertrag Hoheitsrechte der Länder berührt, hat eine Zustimmungsbedürftigkeit nicht zur Folge.[43]

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Daraus, dass Art. 24 Abs. 1 GG dem Bund die Möglichkeit eröffnet, Hoheitsrechte zu übertragen, folgt nicht die Verpflichtung, dies bei jeder Gelegenheit zu tun. Allerdings hat man unter Berücksichtigung des Zusammenhangs mit den Vorschriften der Art. 24 bis 26 GG den „Willen“ des Grundgesetzes zu erkennen gemeint, „den Bund und seine Organe zu einer aktiven Politik und Gesetzgebung in der Richtung auf solch eine ‚offene‘ Staatlichkeit zu verpflichten“.[44] Demgegenüber wurde zu Recht zur Zurückhaltung gemahnt.[45] Jedenfalls kann aus der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 1 GG nicht eine Staatszielbestimmung abgeleitet werden, die einen rechtlichen Maßstab für Integrationsentscheidungen liefert. Hingegen sind der Präambel des Grundgesetzes das Friedensziel sowie das Ziel eines vereinten Europas zu entnehmen. Zutreffend ist, dass die Vorschriften der Art. 24 bis 26 GG eine effektive Verfolgung dieser Ziele ermöglichen sollen.[46]

Erster Teil Offene Staatlichkeit§ 14 Offene Staatlichkeit: Deutschland › II. Offene Staatlichkeit und europäische Integration

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