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d) Die Ratifikation des Vertrages über eine Europäische Verfassung

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Eine verfassungsrechtliche Debatte kam wieder auf, als in den Jahren 2004 und 2005 über den Rang des Europäischen Verfassungsvertrages im Verhältnis zur niederländischen Verfassung gestritten wurde. Sowohl der Staatsrat als auch die Regierung haben zu diesem Thema umfassend Stellung genommen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Europäische Verfassungsvertrag nicht gegen die niederländische Verfassung verstößt. Daher sei dieser auch nicht gemäß Art. 91 Grondwet zustimmungsbedürftig. In der Diskussion wurden folgende Fragen aufgeworfen:[59]

– In Art. I-6 VVE ist das Prinzip des Vorrangs des Europarechts vor innerstaatlichem Recht enthalten. Dieses Prinzip ist für die europäische Rechtsordnung von wesentlicher Bedeutung. Mit Bezug auf Art. 92 Grondwet kam die Regierung auf der Grundlage einer Stellungnahme des Staatsrats[60] zu dem Schluss, dass Art. I-6 VVE nicht gegen Bestimmungen der niederländischen Verfassung verstößt.[61] Wie bereits dargelegt, wurde Art. 92 Grondwet geschaffen, um die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen, insbesondere die Europäische Gemeinschaft/Union, zu ermöglichen.

– Welche Rechte hat das Parlament, wenn es um die Feststellung geht, ob europäische Verordnungen bzw. Rahmenbeschlüsse gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen? Im Ergebnis verstoßen weder Art. I-11 Abs. 3 VVE noch das Subsidiaritätsprotokoll gegen die niederländische Verfassung. Erstens gewährt Art. I-11 VVE dem Parlament ein neues Recht, welches nicht auf die niederländische Verfassung zurückzuführen ist. Zweitens scheint Art. I-11 VVE weder gegen irgendeines der dem Parlament gemäß der niederländischen Verfassung zustehenden Rechte zu verstoßen, noch beeinflusst er das Parlament bei der Ausübung dieser Rechte.

– Art. I-13 Abs. 1 VVE enthält eine Aufzählung der ausschließlichen Zuständigkeiten der Europäischen Union. In diesen Bereichen haben die Mitgliedstaaten keine Zuständigkeiten mehr. Die Regierung ist übereinstimmend mit dem Staatsrat der Ansicht,[62] dass mit diesem Artikel lediglich bereits bestehende Bestimmungen und Rechtsprechung kodifiziert werden sollen. Wiederum gewährleistet Art. 92 Grondwet, dass die Übertragung von Hoheitsrechten nicht gegen die niederländische Verfassung verstößt.

– Art. I-14 VVE zählt die Zuständigkeiten auf, die sich die Europäische Union mit den Mitgliedstaaten teilt. Die Regierung vertritt auf der Grundlage der Stellungnahme des Staatsrats[63] die Auffassung,[64] dass dieser Artikel weder neue Zuständigkeiten schafft noch die gegenwärtige Aufteilung der Zuständigkeiten ändert. Es handele sich lediglich um eine Neuordnung der bestehenden Zuständigkeiten.

– Gemäß Art. III-364 VVE kann durch eine Verordnung dem Europäischen Gerichtshof die Zuständigkeit übertragen werden, über Rechtsstreitigkeiten bezüglich geistigen Eigentums zu entscheiden. Auf der Grundlage dieses Artikels und der entsprechenden Verordnung würden Rechtsstreitigkeiten bezüglich europäischer Patente von dem Europäischen Gerichtshof und nicht von niederländischen Gerichten entschieden werden. Dies würde auf die Einführung einer weiteren ausschließlichen Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs hinauslaufen, wodurch die Zuständigkeit der niederländischen Gerichte aufgehoben wäre. Diese Möglichkeit bestand bereits auf der Grundlage von Art. 229a EG-Vertrag, jedoch konnte demgemäß eine solche Entscheidung nur unter der Voraussetzung getroffen werden, dass die Mitgliedstaaten diese Bestimmung gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften annahmen. Im Falle der Niederlande würde demzufolge das normale Vertragsannahmeverfahren zur Anwendung kommen. Da diese Voraussetzung jedoch in Art. III-364 VVE entfallen ist, könnte ein Verstoß gegen Art. 112 Abs. 1 Grondwet vorliegen. Dieser Artikel lautet: „Der richterlichen Gewalt obliegt die Rechtsprechung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Bezug auf Schuldforderungen.“ Die amtliche Begründung zu Art. 112 Grondwet gibt keinen Aufschluss in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit von Art. III-364 VVE. In einigen Fällen (wie z.B. dem Lockerbie-Vertrag[65] und dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs[66]) war die Regierung im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters der Auffassung, dass dieser nicht notwendigerweise ein niederländischer Richter sein müsse, sofern wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werde.[67] Das Parlament hat diese Auffassung gebilligt. Daher liegt kein Widerspruch zu Verfassungsbestimmungen vor, wenn Gewähr dafür besteht, dass es einen Richter gibt, der in diesen Fällen wirksam Recht sprechen kann, und der Grundsatz der Gewaltenteilung eingehalten ist. Da der Europäische Gerichtshof in der Lage sein müsste, wirksamen Rechtsschutz in Streitigkeiten über geistiges Eigentum zu gewährleisten, scheint hier kein Verfassungsverstoß vorzuliegen. Die Tatsache, dass bei der Einführung von Art. 92 in die niederländische Verfassung keine besonderen Bestimmungen in Bezug auf Art. 112 Grondwet aufgenommen wurden, scheint diese Annahme zu bestätigen. Daher ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber stillschweigend auch die in Art. III-364 VVE angelegten Situationen in Betracht gezogen hat. Daher können sogar Hoheitsrechte auf dem Gebiet der Rechtsprechung auf den Europäischen Gerichtshof übertragen werden, ohne dass dadurch ein Widerspruch zur niederländischen Verfassung hervorgerufen wird.

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