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3. Die Annahme von gegen die Verfassung verstoßenden Verträgen

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Für den Fall, dass sich aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft/Union möglicherweise Widersprüche zur niederländischen Verfassung ergeben, ist in Art. 91 Abs. 3 Grondwet die Möglichkeit vorgesehen, von den Bestimmungen der Verfassung abzuweichen. Alle verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu den auswärtigen Beziehungen, einschließlich Art. 91 Grondwet, wurden während der Verfassungsrevision im Jahr 1953 umfassend verändert und erneuert. Die Verfassungsänderungen basierten auf den Berichten zweier Kommissionen,[68] der Staatskommission zur Verfassungsreform (Ausschuss van Schaik) und der Kommission zur Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament im Bereich auswärtiger Angelegenheiten (Ausschuss Eysinga). Beide Berichte kamen zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich weder die Regierung noch das Parlament befugt ist, Verträge anzunehmen, die von den Bestimmungen der Verfassung abweichen.[69] Während der Vorbereitungen zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft[70] hat dieser Standpunkt jedoch Probleme hervorgerufen, da dieser Vertrag möglicherweise von Verfassungsbestimmungen abwich bzw. eine solche Abweichung erforderlich machte. Die Regierung ersuchte den Staatsausschuss um Stellungnahme zu dieser Frage. Der Staatsausschuss kam zu dem Ergebnis, dass die Regierung sowie die Mitglieder der Länderkammer durch den Treueschwur auf die Verfassung an deren Bestimmungen gebunden sind. Dies schließe aber im Allgemeinen nicht aus, dass der Gesetzgeber das Königreich der Niederlande an Verträge binden kann, welche von Verfassungsbestimmungen abweichen bzw. solche Abweichungen erforderlich machen.[71] Auf der Grundlage dieser Stellungnahme schlug die Regierung die Aufnahme einer Bestimmung in die Verfassung vor, nach welcher solche Verträge nur mit derselben qualifizierten Mehrheit angenommen werden können, die auch in der zweiten Lesung von Gesetzen zur Verfassungsänderung erforderlich ist.[72] Da ein von den Bestimmungen der Verfassung abweichender Vertrag im Ergebnis eine Verfassungsänderung darstellt, bedarf es zur Annahme dieses Vertrages richtigerweise ebenfalls einer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments.[73] Im Ergebnis führte dies zur Einführung von Art. 63 in die niederländische Verfassung im Jahr 1953. Infolge der Verfassungsrevision im Jahr 1983 wurde hieraus der derzeitige Art. 91 Abs. 3 Grondwet: „Enthält ein Vertrag Bestimmungen, die von der Verfassung abweichen bzw. eine solche Abweichung erforderlich machen, können die Kammern ihre Zustimmung durch Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen erteilen.“ Ein in der Praxis näherliegender Grund zur Einführung von Art. 91 Abs. 3 in die niederländische Verfassung ist die Tatsache, dass Verfassungsänderungen in den Niederlanden viel Zeit in Anspruch nehmen.[74] Art. 91 Abs. 3 Grondwet sieht im Gegensatz zur Verfassungsänderung ein kurzes und praxisgerechtes Verfahren vor, da ein Zuwarten bis zu den nächsten Wahlen nicht immer möglich oder ratsam ist.[75]

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Demzufolge erfordert das Inkrafttreten eines von den Bestimmungen der Verfassung abweichenden Vertrages auf der Grundlage von Art. 91 Abs. 3 Grondwet keine vorhergehende Verfassungsänderung, sofern das Zustimmungsgesetz zum Vertrag mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird.[76] Die Frage, ob ein Vertrag von den Bestimmungen der Verfassung abweicht, wird mit einfacher Mehrheit entschieden. Auch wenn dies ungewöhnlich erscheinen mag, so gibt es hierfür doch einen sehr praktischen Grund. Dieser liegt in der Tatsache, dass Art. 6 des Gesetzes über die Zustimmung zu und Bekanntmachung von internationalen Verträgen eine Zustimmung durch Gesetz für Verträge erfordert, die gegen Bestimmungen der Verfassung verstoßen. In diesem Zustimmungsgesetz muss festgestellt werden, dass der Vertrag gegen Verfassungsbestimmungen verstößt und somit Art. 91 Abs. 3 Grondwet berücksichtigt werden muss. Es ist die Aufgabe der Regierung, in dem Zustimmungsgesetz des Parlaments auf die Abweichung von Art. 91 Abs. 3 Grondwet in einer Klausel hinzuweisen. Sollte die Regierung einen Hinweis auf Art. 91 Abs. 3 Grondwet unterlassen, während die Zweite Kammer aber der Meinung ist, dass der Vertrag von Bestimmungen der Verfassung abweicht, so wird die Zweite Kammer das Gesetz im Änderungsverfahren um die Abweichungsklausel ergänzen. Sollte die Regierung dagegen die Abweichungsklausel in das Gesetz aufgenommen haben, während die Zweite Kammer jedoch der Meinung ist, dass der Vertrag mit der Verfassung im Einklang steht, so wird die Zweite Kammer die Abweichungsklausel im Änderungsverfahren wieder aus dem Gesetz nehmen. Da die Annahme oder Ablehnung der Abweichungsklausel nur eine Veränderung des Zustimmungsgesetzes, nicht jedoch die Zustimmung zu dem Vertrag selbst bewirkt, wird über die Änderungen mit einfacher Mehrheit abgestimmt. Daher entscheidet die Zweite Kammer des Parlaments mit einfacher Mehrheit darüber, ob ein Vertrag gegen die Verfassung verstößt und die Zustimmung aus diesem Grunde mit Zweidrittelmehrheit erfolgen muss.[77]

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Art. 91 Abs. 3 Grondwet findet nur Anwendung, wenn ein Vertrag von Bestimmungen der Verfassung abweicht.[78] Was aber ist mit dem Begriff „Abweichung“ gemeint? Weder aus der Verfassung, deren Entstehungsgeschichte noch aus irgendeinem anderen Gesetz oder aus den Stellungnahmen von Parlament und Regierung ergeben sich klare Kriterien zur Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag Regelungen enthält, die von den Bestimmungen der Verfassung abweichen bzw. eine solche Abweichung erforderlich machen. Das ist auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen.[79] Die einzige aus der Entstehungsgeschichte der Verfassung ableitbare Einschränkung liegt in der Auffassung des Verfassunggebers, der zufolge Art. 91 Abs. 3 Grondwet nur bei Abweichungen von konkreten und bestimmten Verfassungsbestimmungen angewendet werden soll.

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Wann aber enthält ein Vertrag Regelungen, die von den Bestimmungen der Verfassung abweichen bzw. eine solche Abweichung erforderlich machen? Um diese Frage zu beantworten, ist eine Unterscheidung notwendig zwischen Verträgen, die gegen ein außerhalb des Geltungsbereichs der Verfassung liegendes Grundprinzip verstoßen einerseits, und andererseits solchen, die von dem Inhalt der Verfassung selbst abweichen. Der Geltungsbereich der Verfassung ist durch das (geschriebene und ungeschriebene) Völkerrecht begrenzt. Wenn ein Vertrag den Geltungsbereich der Verfassung bezüglich eines Gegenstandes begrenzt, in dem die Verfassung selbst Rechtsgeltung reklamiert, dann kann die Zustimmung zu dem Vertrag nur gemäß Art. 91 Abs. 3 Grondwet erfolgen. Ist jedoch ein Gegenstand betroffen, welcher nicht durch die Verfassung geregelt ist, kann die Zustimmung zu dem Vertrag auch ohne die besonderen Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 3 Grondwet erteilt werden. Eine derartige Situation liegt oft vor, da die Verfassung über ihren eigenen Geltungsbereich so gut wie keine Aussagen macht. Demnach könnte die Regierung einen Vertrag mit Deutschland über die Abtretung eines Teils der Niederlande abschließen, ohne dass Art. 91 Abs. 3 Grondwet zur Anwendung kommen würde, da dieser Gegenstand nicht von der Verfassung geregelt ist.[80] Die rechtliche Anerkennung der niederländischen Landesgrenzen und damit deren Festlegung erfolgt durch das Völkerrecht und nicht durch die niederländische Verfassung. Das heißt nicht, dass die Frage nach dem Geltungsbereich der Verfassung keinerlei Bedeutung hätte. Sie muss aber wegen ihrer Unbestimmtheit an konkreten Bestimmungen[81] festgemacht werden, bevor sie im Verhältnis zu Art. 91 Abs. 3 Grondwet herangezogen werden kann.[82]

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Andererseits gibt es Verträge, die von dem Inhalt der Verfassung selbst abweichen. Bei der Festlegung, ob ein solcher Fall vorliegt, sollte die Frage, ob das Königreich an einen Vertrag gebunden werden kann, dessen Inhalt von Verfassungsbestimmungen abweicht, von der Frage nach der konkreten Abweichung von einer Verfassungsbestimmung unterschieden werden.[83]

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In vielen Fällen weichen die Verträge nur scheinbar von dem Inhalt der Verfassung ab. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass viele Verfassungsbestimmungen nur die niederländische Gesetzgebung betreffen.[84] Wenn die Verfassung zum Beispiel die Regelung eines bestimmten Gegenstandes an den formellen Gesetzgeber delegiert, bedeutet das lediglich, dass die autonomen Gesetzgebungsorgane der niedrigeren Ebene keine Befugnisse in diesem Bereich haben. Dies hat aber keine Auswirkungen auf die Frage, ob dieser Gegenstand auch durch Vertrag geregelt werden kann.[85] Daher kann ein Vertrag grundsätzlich nicht von den die innerstaatliche Gesetzgebung betreffenden Bestimmungen der Verfassung abweichen. Diesen Standpunkt nahm der Hoge Raad bereits in seinem Urteil vom 25. Mai 1906 ein, in dem er ausführte, dass derartige Verfassungsbestimmungen nur in Bezug auf die innerstaatliche Gesetzgebung anwendbar sind und für das Völkerrecht keinerlei Bedeutung haben.[86] Seit diesem Urteil ist unbestritten, dass Verträge von Verfassungsbestimmungen immer dann nicht abweichen, wenn sie einen von der Verfassung an den niederländischen Gesetzgeber delegierten Gegenstand betreffen.[87] In der Tat war der Ausgangspunkt der Verfassungsänderung des Jahres 1953 nicht, die Handlungsmöglichkeiten und Interessen des Königreichs auf internationaler Ebene einzuschränken. Da dies indes der Fall wäre, wenn dem Abschluss vieler völkerrechtlicher Verträge eine Verfassungsänderung vorausgehen müsste, entschied sich der verfassungsändernde Gesetzgeber dafür, der Stellung der Niederlande auf internationaler Ebene Vorrang einzuräumen, indem er ein relativ einfaches Verfahren vorsah, das die Ratifikation von völkerrechtlichen Verträgen, die von der Verfassung abweichen, gestattete. Dies beschränkt die Anzahl der Gegenstände, die nur nach einer Verfassungsänderung völkervertragsrechtlich geregelt werden können.[88] Ein mögliches Beispiel hierfür wären die Grundrechte. In dem parlamentarischen Zustimmungsverfahren zu den Verfassungsänderungen im Jahr 1953 vertrat die Regierung die Auffassung, dass die Grundrechte beachtet werden müssten und dass die Zustimmung zu von diesen Rechten abweichenden Verträgen ausschließlich gemäß Art. 91 Abs. 3 Grondwet erfolgen könne.[89] Der Staatsrat[90] sowie die Regierung[91] sind der Auffassung, dass einige dieser Rechte von so grundlegender Bedeutung sind, dass die Zustimmung zu Verträgen, die diese Rechte verletzen, niemals, nicht einmal auf Grundlage von Art. 91 Abs. 3 Grondwet, erfolgen kann.[92] Im Ergebnis weicht also ein Vertrag nur dann von Bestimmungen der Verfassung ab bzw. macht eine solche Abweichung erforderlich, wenn er gegen Bestimmungen der Verfassung verstößt, die den Geltungsbereich der Verfassung eingrenzen oder für die Völkerrechtsordnung von Bedeutung sind, sowie wenn Grundrechtsschutz gewährleistende Bestimmungen verletzt sind. Zudem muss bei der Beurteilung des Inhalts einer Verfassungsbestimmung sowie deren möglicher Verletzung auf Sinn und Zweck der jeweiligen Norm abgestellt werden.[93]

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Damit ist jedoch noch kein Kriterium zur Beurteilung möglicher Verfassungsverstöße gegeben.[94] Liegt möglicherweise ein Verfassungsverstoß vor, so beschließt das Parlament entweder (mit einfacher Mehrheit), dass der Vertrag nicht von den Bestimmungen der Verfassung abweicht, oder es stimmt diesem mit einer Zweidrittelmehrheit zu. Dieses Verfahren wird in der Praxis nur sehr selten angewandt.[95] Ungeachtet dessen kann jedoch nur mit Hilfe dieses Verfahrens festgestellt werden, ob Verträge auf der Grundlage von Art. 120 Grondwet verfassungsgemäß sind, der folgendermaßen lautet: „Der Richter beurteilt nicht die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verträgen.“ Demzufolge ändert sich nach der Annahme eines Vertrages nichts, wenn sich nach der Vertragsannahme herausstellen sollte, dass der Vertrag gegen die Verfassung verstößt und dieser nicht mit Zweidrittelmehrheit angenommen wurde. Nach allgemeiner Ansicht ist der Beschluss des Parlaments unwiderruflich.[96] Dies gilt jedoch nicht für den Fall, dass sich nach einer ohne Anwendung von Art. 91 Abs. 3 Grondwet erfolgten Zustimmung herausstellt, dass der Vertrag von Bestimmungen der Verfassung abweicht bzw. eine solche Abweichung erforderlich macht. Nach der herrschenden Meinung muss in diesem Fall die Zustimmung zu dem Vertrag nachgeholt werden, und zwar unter Anwendung von Art. 91 Abs. 3 Grondwet.[97]

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Was aber geschieht, wenn sich die drei am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe (Regierung, Erste und Zweite Kammer des Parlaments) bezüglich der Frage nicht einig sind, ob möglicherweise von Bestimmungen der Verfassung abgewichen wird? Schließlich besteht die Gefahr, dass diese zu gegensätzlichen und daher nicht zu vereinbarenden Ergebnissen kommen. Was würde beispielsweise geschehen, wenn die Zweite Kammer einem Vertrag mit einfacher Mehrheit zustimmt, da sie keinen Verfassungsverstoß feststellen konnte, die Erste Kammer demgegenüber feststellt, dass ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegt? Nach Auffassung des Staatsrats enthält die Verfassung diesbezüglich klare Regelungen. Folgende Szenarien hält er für denkbar:[98] In dem ersten Szenario nimmt die Regierung eine Position ein, die sich von der Auffassung beider Parlamentskammern unterscheidet. In diesem Fall muss sich die Regierung nach dem Urteil des Parlaments richten oder von der Ratifikation des Vertrages absehen. Das zweite Szenario liegt vor, wenn die Regierung und die Zweite Kammer der Auffassung sind, dass ein Vertrag von Verfassungsbestimmungen abweicht, die Erste Kammer aber zu einer anderen Schlussfolgerung kommt und die Zustimmung zu dem Vertrag mit einer einfachen Mehrheit erteilt. In diesem Fall muss die Regierung die Ratifikation des Vertrages verweigern, es sei denn, sie stimmt der Auffassung der Ersten Kammer nachträglich zu. Das dritte Szenario tritt ein, wenn die Regierung und die Erste Kammer übereinstimmend der Auffassung sind, dass der Vertrag gegen die Verfassung verstößt, die Zweite Kammer aber anderer Meinung ist und das Zustimmungsgesetz nach Änderung der Abweichungsklausel mit einfacher Mehrheit verabschiedet. Nach der Auffassung des Staatsrats und in Übereinstimmung mit der hierzu herrschenden Meinung in der Literatur[99] sollte die Erste Kammer sich in diesem Fall entweder gar nicht mit dem Gesetz befassen, es ablehnen oder dem Vertrag trotz allem mit einfacher Mehrheit zustimmen, da sie nicht die Befugnis zur Änderung von Gesetzen hat. Im vierten Szenario beschließt die Regierung, dass kein Verfassungsverstoß vorliegt, während die beiden Kammern die gegenteilige Auffassung vertreten. In diesem Fall können beide Parlamentskammern das Gesetz mit einer qualifizierten Mehrheit verabschieden, nachdem die Zweite Kammer die Abweichungsklausel entsprechend geändert hat.[100]

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In einem wissenschaftlichen Gutachten zu Verträgen, die von Verfassungsbestimmungen abweichen, und zur Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen stimmen Besselink und andere mit einigen der Prämissen der Szenarien nicht überein.[101] Sie betonen vielmehr die unabhängige Stellung der drei Gesetzgebungsorgane und heben hervor, dass jedes der drei Organe eine eigene verfassungsrechtliche Rolle habe. Demzufolge können beide Kammern des Parlaments sich ihr eigenes Urteil bilden und sich unabhängig voneinander für das jeweils anzuwendende Verfahren entscheiden. Die Regierung wird das Ergebnis dieses Verfahrens hinnehmen müssen, da nur das Parlament verfassungsrechtlich dazu ermächtigt ist, das zur Annahme eines Vertrages erforderliche Zustimmungsgesetz zu erlassen. Die parlamentarische Zustimmung liegt natürlich nur dann vor, wenn beide Kammern des Parlaments ihre Zustimmung zu dem in Frage stehenden Gesetz gegeben haben.

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Des Weiteren wurde vorgeschlagen, den Anwendungsbereich von Art. 91 Abs. 3 Grondwet zu erweitern, so dass auch Verstöße gegen den Geist der Verfassung und der sie tragenden ungeschriebenen Grundsätze mit einbezogen sind.[102] Dadurch würde jedoch das Verfahren gemäß Art. 91 Abs. 3 Grondwet mit seinen erhöhten Anforderungen eher die Regel als die Ausnahme darstellen.[103] Dies kann nach Meinung des Staatsrats jedoch nicht die Absicht des Verfassunggebers gewesen sein.[104] Zudem sei durch einen derart erweiterten Anwendungsbereich die Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet, da die Voraussetzungen für eine gerichtliche Überprüfung zu unbestimmt seien.[105]

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In letzter Zeit wurde auch die Aufhebung von Art. 91 Abs. 3 Grondwet vorgeschlagen, da dieser zu kompliziert, zu selten angewandt und lediglich zum politischen Geschacher geeignet sei.[106] Man könnte sich in der Tat vorstellen, dass das Parlament durch Zustimmung mit einfacher Mehrheit abschließend feststellt, dass kein Verfassungsverstoß vorliegt und somit keine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Einige Abgeordnete der Ersten Kammer haben auf die groteske Situation hingewiesen, die durch die Auslegung des Art. 91 Abs. 3 Grondwet entsteht, nach welcher dieser nur bei Abweichungen von bestimmten Verfassungsbestimmungen anwendbar ist. Während Art. 91 Abs. 3 Grondwet immer dann angewendet werden müsse, wenn ein Vertrag gegen verhältnismäßig unwichtige, zweitrangige Bestimmungen verstoße, könnten dagegen Verträge, die gegen den Geist der Verfassung oder der sie tragenden ungeschriebenen Grundsätze verstoßen bzw. die nationale Souveränität verletzen, ohne Schwierigkeiten angenommen werden.[107]

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