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2. Das Verhältnis der Europäischen Menschenrechtskonvention zum niederländischen Verfassungsrecht

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Im Gegensatz zur Debatte über die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf die niederländische Rechtsordnung hat die Europäische Menschenrechtskonvention nicht die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 93 und 94 Grondwet aufgeworfen. Sowohl die EMRK als auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte finden nach der herrschenden Ansicht auf der Grundlage dieser Verfassungsbestimmungen Eingang in die niederländische Rechtsordnung. Aufgrund des Wortlauts von Art. 93 Grondwet, nach dem „Beschlüsse völkerrechtlicher Organisationen“ – neben Verträgen – Verbindlichkeit nach ihrer Veröffentlichung erlangen, vertreten einige Autoren die Ansicht, dass aufgrund von Art. 93 Grondwet auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in die niederländische Rechtsordnung übertragen werden könne.[123] Andere Autoren weisen darauf hin, dass diese Ansicht in Bezug auf Entscheidungen des Menschenrechtsgerichtshofs, die nicht an die Niederlande gerichtet sind, problematisch sei. Weil diese Entscheidungen für die Niederlande formell nicht rechtsverbindlich seien, könne die niederländische Verfassung diese auch nicht auf der Grundlage von Art. 93 Grondwet mit einer solchen Bindungswirkung versehen. Vertretbar ist zudem, dass diese Urteile nicht in den Niederlanden veröffentlicht werden und somit die Voraussetzungen des Art. 93 Grondwet nicht erfüllt sind.[124]

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Die Lösung des Problems liegt darin anzuerkennen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Bestimmungen der Konvention auslegt und diese somit einen wesentlichen Bestandteil der Konvention bildet. Demnach gilt die Straßburger Rechtsprechung auf der Grundlage von Art. 93 in der niederländischen Rechtsordnung.[125]

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Dies gilt gemäß Art. 93 Grondwet jedoch nur für Bestimmungen, die „ihrem Inhalt nach allgemeinverbindlich sein können“. Im Jahre 1953 war für die Regierung nicht absehbar, ob alle Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unmittelbar wirksam sein würden. Im Hinblick auf die von den Gerichten in der Praxis zu beachtenden Auswirkungen legte insbesondere der Justizminister Wert auf die Feststellung, dass die Mitgliedstaaten aufgrund von den mit der Konvention eingegangenen Verpflichtungen sicherstellen müssen, dass ihre Gesetze mit den Bestimmungen der Konvention übereinstimmen. Dennoch erklärte schließlich die Regierung, dass die unmittelbare Wirksamkeit von Bestimmungen von deren Wortlaut abhänge.[126] Auch der Staatsrat problematisierte die Tatsache, dass die nationalen Gerichte die Frage entscheiden müssen, ob etwas nach dem Wortlaut der Konvention „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist“. Diese Entscheidung falle in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers und der Regierung und würde daher die Zuständigkeitsgrenzen verwischen.

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Der Staatsrat befürchtete, dass der Vorrang der Europäischen Menschenrechtskonvention allgemein zur Rechtsunsicherheit beitragen könnte. Tatsächlich werden gesetzliche Vorschriften auf der Grundlage von Art. 94 Grondwet „nicht angewandt, wenn die Anwendung mit allgemeinverbindlichen Bestimmungen von Verträgen und Beschlüssen völkerrechtlicher Organisationen nicht vereinbar ist.“ Bezüglich der EMRK stellte sich die Frage, ob die niederländischen Gerichte diese Bestimmung heranziehen dürfen, um gesetzliche Vorschriften sogar dann außer Acht zu lassen, wenn diese mit Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang gebracht werden können. Während einige Autoren die Ansicht vertreten, dass Art. 94 Grondwet lediglich eine enge Auslegung der Konvention gestattet (wodurch das niederländische Recht nicht zur Anwendung kommt), bevorzugen andere diesbezüglich einen allgemeinen Vorrang der EMRK. Mit anderen Worten: Immer wenn das niederländische Recht dem Anschein nach im Widerspruch zur Konvention steht, sollte dieser Konflikt zu Gunsten des jeweiligen Klägers entschieden werden.[127]

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Abgesehen von diesen speziellen Fragen zu Art. 93 und 94 Grondwet kann zusammenfassend festgestellt werden, dass diese beiden Bestimmungen zumindest anwendbar sind und dass die Geltung der EMRK aus diesem Grunde in der niederländischen Verfassung nicht besonders geregelt ist. Wie jeder Vertrag unterliegt auch die Konvention den allgemeinen Regelungen zur Anwendung des Völkerrechts in der Rechtsordnung der Niederlande. Mit diesem Argument gelang es der Regierung im Jahre 1953 letzten Endes, das Parlament davon zu überzeugen, die Konvention zum Vorteil der Niederlande zu ratifizieren. Sowohl die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Niederlande zur Förderung der internationalen Rechtsordnung als auch die Annahme, dass sich die Konvention in den Niederlanden höchstwahrscheinlich kaum auswirken wird, ermöglichte eine nach Ansicht sowohl der Regierung als auch des Parlaments verfassungsgemäße Ratifikation der EMRK.

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