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Freitag, 17. Januar

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Schweißtreibende Stille Zeit. Bat zunächst Gott um ein Zeichen, dass heute Abend alles gut gehen würde. Erinnerte mich augenblicklich an die Stelle, wo es heißt: » … ein böses und ehebrecherisches Geschlecht sucht ein Zeichen.« Musste sodann an Johannes den Täufer denken, der im Gefängnis die Zuversicht verloren hatte und Jesus um ein Zeichen bat und fühlte mich wieder in guter Gesellschaft; augenblicklich fiel mir jedoch der ungläubige Thomas ein, und ich hatte wieder Schuldgefühle; dann kam mir Gideons Vlies in den Sinn und ich fühlte mich wieder legitimiert …

Es wäre vielleicht ewig so weitergegangen, aber Anne rief, dass es Zeit ist, zur Arbeit zu gehen.

Gerald hatte für mich ein kleines Silberkreuz dagelassen, das ich tragen sollte, und einen Zettel, auf dem stand, dass Evangelisieren ein Anagramm von Viel Gas rein? Nee! ist.

Abends zu nervös, um vor dem Feldzug noch zu essen. Suchte eine Weile nach einer Ausgabe der Heiligen Schrift, die auf das Auge Uneingeweihter wie »Die Gewehre von Navarone« wirkt. Fand schließlich ein unaufdringliches Exemplar.

Leonard erschien um sieben mit einer gigantischen, messingbeschlagenen Familienbibel unterm Arm. Er sagte, seine Mutter wollte, dass er die nimmt, weil schon ihr seliger Großvater sie dabeigehabt hätte, als er 1906 auf der Straße predigte. Thynn hatte einen grotesken altväterlichen schwarzen Anzug an, der aussah, als hätte er ursprünglich einem Totengräber gehört. Sagte, das sei sein bestes Stück.

Bezogen Posten vor der Hamburger-Braterei. Leonard wirkte wie ein gemeingefährlicher Geistesgestörter mit religiösen Wahnvorstellungen, der in Begleitung seines Wärters Ausgang hat. Fühlte mich absolut miserabel und hoffnungslos. Immer, wenn ich jemanden ansprach, der die Imbissstube betrat oder rauskam, echote Leonard jedes meiner Worte.

Ich: »Nabend!«

Kunde: »Nabend!«

Leonard: »Nabend!«

Ich: »Ganz schön zugig, was?«

Kunde: (lachend) »Harn se recht!«

Leonard: »Ganz schön zugig, was?«

Kunde: »Wie bitte?«

Leonard: »Ganz schön zugig, was?«

Kunde: (unsicher) »Äääh … ja!« (hastiger Abgang)

oder

Ich: »Entschuldigen Sie mich!«

Kunde: »Ja, was …?«

Leonard: (am Ende der Nerven) »Entschuldigen Sie mich!«

Kunde: »Wie bitte?«

Leonard: »Ääh … entschuldigen Sie uns beide!«

Kunde: (blickt auf Thynns lächerlichen Aufzug samt Bibel)

»Ja, natürlich, ich entschuldige Sie.« (hastiger Abgang)

Nicht gerade der dynamischste geistliche Dialog aller Zeiten! Am Ende hatten wir beide Hunger und gingen in den Laden, um uns ein paar Pommes zu leisten. Gerieten unabsichtlich mit einem Mann namens Ted ins Gespräch, der sich entschlossen hatte, hier in der Wärme einen Hamburger zu verdrücken, bevor er nach Hause ging. Nachdem wir eine Weile geredet hatten, hatte Leonard plötzlich die Eingebung, dass das ja jetzt »ES« sein könnte und begann hinter Teds Rücken, stumme, aber eindeutige Mundbewegungen zu mir hin zu machen: »Komm schon, bekehr ihn!« Fühlte mich dadurch komplett blockiert. Brachte es immerhin fertig, Ted stotternd zu fragen, ob er jemals gedacht hat, christliche Werte sollten in unsrer Gesellschaft stärker zur Geltung kommen. Hatten danach eine ganz gute Diskussion, die – wer hätte das gedacht! – damit endete, dass Ted sagte, er hätte nichts dagegen, am nächsten Sonntag mit uns zur Kirche zu kommen!!

Als sich draußen vor dem Laden unsere Wege trennten, sagte Ted: »Übrigens von wegen Werte in der Gesellschaft und so, drum komm ich ja jetzt immer am Freitag und ess hier mein Abendbrot. Da ist so ‘ne Bande von Halbstarken, die machen freitagabends mit ihrer Bumsmusik immer so ‘nen ekligen Krach, und das dauert so zwei Stunden. Ist direkt neben mir, in der Unity Hall. Also, das ist mal wirklich was, was verboten gehört! Na ja, nichts für ungut, bis Sonntag früh dann also! Nabend allerseits!«

Später, als Leonard (unter Absingung von Let It Be! auf den Text: »Wir haben einen, haben einen … «) nach Hause gegangen war, versicherte ich mich, dass Gerald nicht in der Nähe war, und erzählte Anne, was Ted über den »ekligen Krach« gesagt hatte.

»Was passiert Sonntag«, sagte ich, »wenn Ted merkt, dass die Halbstarkenbande, die ihn jeden Freitagabend aus dem Haus treibt, in unserer Kirche spielt? Und dass einer der Bandenführer mein Sohn ist?!«

Anne sagte: »Ich weiß nicht, was passiert, aber ich bin sicher, dass alles gut wird. Denk an Lunchington. Der würde sich wegen so was keine grauen Haare wachsen lassen.«

Ha! Lunchington! Ich wage zu behaupten, der hätte die ganzen Fischburger zum Leben erweckt und jedem von ihnen ein Traktat in die Flosse gedrückt.

Sagte am Abend nur ein kurzes Gebet: »Gott, bitte bring Ted zu dir. Amen.«

Tagebuch eines frommen Chaoten

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