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Prolog

Mai, 1947

Liebste Hanna,

es ist viel passiert seit meinem letzten Brief. Ich bin in Amerika angekommen und Tante Viktoria und Onkel Emeram haben mich herzlich aufgenommen. In New York habe ich ein neues Zuhause gefunden und mich bereits gut eingelebt. Auch dir würde New York gefallen! Es ist so, wie wir es uns vorgestellt haben: riesig und voller Leben. Du könntest hier Medizin studieren. So wie du es immer wolltest.

Ich muss gestehen, dass ich ein wenig nervös war, denn immerhin eilte mir ein gewisser Ruf voraus; ich bin unverheiratet und habe ein Baby. Du weißt ja, was die Leute in unserer Gemeinde von solchen Mädchen hielten. Doch Onkel und Tante zeigten Verständnis. Mein „Verlobter“ war schließlich in den Kriegswirren durch die Hand der Nazis umgekommen; solch ein Schicksalsschlag sollte gewiss niemanden ereilen. Hier habe ich ein gottgefälliges Zuhause gefunden und Tante sagt, durch harte Arbeit und ein anständiges Leben würde ich Vergebung für meine Sünden finden. Ich werde also eine wunderbare Chance erhalten, mich „reinzuwaschen“. Mein Geheimnis ist somit sicher.

Apropos Geheimnis, Salome gedeiht prächtig. Obwohl wir eine sehr schwere Zeit hinter uns haben, verläuft ihre Entwicklung normal. Sie hat blondes Haar und ein bezauberndes Puppengesicht. Tante hat sie unter ihre Fittiche genommen, damit ich wieder auf die Kunstschule kann. Sie ist unglaublich gut mit Kindern. Kaum zu glauben, dass sie selber nie Kinder hatte. Um so mehr sehe ich Salome als ein Geschenk Gottes. Ich muss mich ihrer ganz sicher nicht schämen! Ich bereue nichts. Auch bereue ich nicht, dass ich Salomes Geheimnis um ihre Herkunft für mich behalte.

Hanna, es gibt einen Grund, weshalb ich dir ausgerechnet jetzt schreibe. Es ist etwas Wunderbares passiert. Ich habe mich verlobt und werde im Sommer heiraten! Ist das denn zu glauben?

Du wirst nie erraten, wer mein Verlobter ist. Es ist Jared Aronsohn, der Sohn des Anwalts, der Vaters Vermögen in Amerika verwaltet. Unglaublich! Er ist drei Jahre älter als ich und Jurastudent. Er wird Anwalt, genau wie sein Vater. Wir sind uns 1945 begegnet und es ist mir ein Rätsel, weshalb er sich in mich verliebt hat. Ich habe ein Baby und bin immer noch viel zu dürr. Jared sagt, er liebt Kinder über alles und noch mehr liebt er magere Frauen. Offenbar gibt es Kräfte auf der Erde, die wir nie verstehen werden.

Nachdem sich unsere Verlobung herumgesprochen hat, sehen mich die Leute nun ganz anders. Sie sind noch höflicher und zuvorkommender zu mir.

Meine zukünftigen Schwiegereltern sind sehr wohlhabend und angesehen. Sie sind noch vermögender, als wir es waren! Und genau das bringt ein paar Probleme mit sich. Meine zukünftige Schwiegermutter Mona ist eine sehr gottesfürchtige und traditionsgebundene Frau. Offenbar gibt die Identität von Salomes Vater Anlass zu allerhand Spekulationen. Ich habe sie schon flüstern hören, ich sei eine Hure! Befleckt wäre ich und ihres Sohnes nicht würdig! Sie sagte auch, sie habe ihren Sohn nicht zu einem gottesfürchtigen, achtbaren und tugendhaften Menschen herangezogen, damit er eine dahergelaufene, deutsche Hure heiratet.

Das beunruhigt mich. So viel Zorn ist nicht gut für uns. Gewiss wird sie mich bald besser kennenlernen. Vielleicht wird sie mich sogar mögen? Ich bin keine Hure. Wir beide wissen das. Und Jared weiß es auch. Ich habe ihm mein Geheimnis anvertraut. Er war schockiert, dennoch ist er in Bezug auf unsere Zukunft zuversichtlich.

Nun gut, ich werde diesen Brief jetzt beenden. Die Sonne scheint so schön, deshalb will ich mit Salome in den Park gehen. Wir haben nämlich einen wunderbaren Park direkt vor der Tür – den Central Park. Er ist riesig! So einen Park hast du ganz sicher noch nie gesehen!

Du würdest es hier genauso lieben wie ich!

Herzlichst

Deine Schwester Elsa

Elsas Stern. Ein Holocaust-Drama

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