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Der König

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Das Meer war spiegelglatt. Es war vollkommen ruhig. Er aber nicht. Er war nie ruhig. Er war stets rastlos. Die jahrelange Trauer hatte Viniestra Tusterus, genannt Vitus, innerlich verzehrt. Nicht seine Kraft! Er war mächtiger denn je. Seine Seele aber war fast verbraucht. Und der kleine Rest davon hielt sich fest versteinert tief in seinem Innersten verborgen.

Das stete, beinahe schon liebliche Plätschern und Rauschen der See war ihm heute eindeutig zu wenig. Er brauchte mehr. Ihm fehlte ihr Stürmen, Grollen und Tosen, damit es seine finsteren Gedanken vertrieb und ihm die Sinne reinigte. Das Meer sollte ihm Vergessen schenken. Meist war es so rastlos wie er und auch genauso unberechenbar. In dieser Nacht allerdings nicht. Doch war er einfach zu tief erschöpft, um etwas daran zu ändern.

»Ich bin schon viel zu lange hier«, überlegte er. »So lang, ich weiß gar nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist. Waren es Wochen oder Monate? Ich sollte später darüber nachdenken. Erst muss ich mich jedoch vergewissern, ob alles in Ordnung ist. Ich traue ihnen nicht. Sie sind seit geraumer Zeit irgendwie so eigenartig still und zurückhaltend. Das ist sehr verdächtig. Ich kenne diese Brut, da stimmt etwas nicht. Nun denn, wir werden sehen.«

Es war eine sternenklare Vollmondnacht, in der Vitus an einem breiten Strand auf das offene Meer hinausblickte, dabei inständig hoffte, dass es ihm mit seiner Brise die dunklen Gefühle fortblies. Doch sosehr er sich auch darum bemühte, heute hatte er keinen Erfolg damit. Es war einfach viel zu ruhig.

Als das wunderschöne Antlitz seiner geliebten Veronika langsam in ihm auftauchte, sah er sich nicht dazu in der Lage, es wieder zu verbannen. Dieses feine und liebliche Gesicht mit den vollen weichen Lippen und den leuchtend dunkelblauen Augen. Alles umrahmt von dichten braunen Locken, in denen immer so ein mahagonifarbenes Licht spielte. Der Gedanke an sie zerriss ihm schier das Herz. Er hatte sie geliebt, so sehr geliebt. Und sie hatte ihn verlassen. Die Erinnerungen stiegen unaufhaltsam in ihm hoch und griffen nach dem Rest seiner verborgenen Seele. Klein und zart war ihre Gestalt. Elfengleich, so sagten die Menschen.

»Elfengleich«, flüsterte er schwach lächelnd und schüttelte den Kopf. »Ja, ein Mensch hätte sie wohl so beschrieben.«

Nur war sein Elfenvolk in Wirklichkeit ganz und gar nicht klein und zart. Elfen waren in der Regel groß und stark, zwar meist auch sehr schön und anmutig, aber ganz gewiss nicht klein und zart. Die Mehrzahl von ihnen jedenfalls. Doch Veronika war ja auch keine Elfe gewesen, sondern ein Mensch.

Vitus wurde zornig, weil ihn seine Gedanken zu ihr getragen hatten, er aber nicht an sie denken wollte. Er durfte es nicht, denn diese Gedanken verbrannten sonst auch noch den Rest seiner Seele. Er straffte die breiten Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Die Arme vor der muskulösen Brust verschränkt wartete er auf Erlösung. Er kniff die Augen zusammen, als könnte er damit seine schwelende Sehnsucht ausblenden.

Der Schmerz machte ihm schwer zu schaffen, auch wenn er noch so verzweifelt versuchte, sich und seine Gefühle zu kontrollieren. Er schnaufte einmal kräftig durch, schob seine Hände in die Taschen der dunklen Hose, nur um sie sofort wieder herauszuziehen. Vor lauter Unrast vergrub er stattdessen mit scharrenden Bewegungen seine Füße in den Sand. Wie immer trug er keine Schuhe, denn die hasste er. Fast alle Elfen, jedenfalls die männlichen, konnten dem einengenden Schuhwerk nichts abgewinnen.


… Vitus wirkte ausgesprochen verwegen mit seiner Statur, aber auch mit dem Bartschatten, der sich allmählich zu einem Dreitagebart auswuchs. Das schulterlange rabenschwarze Haar hatte er mit einer dünnen Lederschnur zurückgebunden.

Sein recht breites, aber durchaus attraktives Gesicht mit der ausgeprägten großen Nase, den meergrünen Augen und dem etwas schmalen, festen und sanft geschwungenen Mund war ansonsten scharf geschnitten. Das straffe, energische Kinn wurde von einem Grübchen in der Mitte geziert. Und wenn er lachte, erschienen auch auf den Wangen Grübchen. Aber er hatte schon seit langer Zeit nicht mehr gelacht. Über seinem schwarzen Hemd glänzte das große goldene Amulett seiner Ahnen im Mondlicht.

Insgesamt strahlte Vitus eine ungeheure Aura von Macht und Autorität aus. Die besaß er ja auch, denn schließlich war er ein König. Ein Elfenkönig. …


Seine Gedanken schweiften weiter in die Vergangenheit:

Schon sehr früh, mit gerade mal neunzehn Jahren, hatte er die Führung des Reiches übernehmen müssen, weil seine Eltern von den Nuurtma, den dunklen Mächten aus alter Zeit, getötet worden waren. Seitdem trug er das Zeichen seines königlichen Standes um den Hals, seit nunmehr knapp neunzehn Jahren.

Erst wenige Monate vor diesem schrecklichen Ereignis war er der süßen Veronika begegnet und hatte sich in sie verliebt. Nach seinem Sieg über die Nuurtma war es sein einziger und innigster Wunsch gewesen, mit ihr und seiner Welt in Frieden zusammenzuleben. Sie sollte seine Frau werden. Doch das königliche Protokoll verbot die Heirat mit einer »unwürdigen« Menschenfrau.

Nachdem Veronika direkt nach der Geburt der Zwillinge gestorben war und er sie daraufhin in der Menschenwelt zu Grabe getragen hatte, war er in sein Elfenreich zurückgekehrt und hatte dieses unsägliche Protokoll vernichtet. Er hatte sich wie ein Tyrann eigenmächtig über alle Regeln hinweggesetzt. Nicht, dass er überhaupt jemals wieder an eine Heirat auch nur hatte denken wollen. Aber dieses Protokoll hatte all die furchtbaren Geschehnisse für ihn noch schlimmer und schier unerträglich gemacht.

Nun hielt er es nicht mehr aus. Die Erinnerungen peinigten ihn zu sehr. Er schoss Blitze in die Nacht hinaus. Mit all seiner Macht rief er den Wind und das Wasser und damit das Tosen der See. Eine heftige Böe fegte über sein Gesicht hinweg und somit seine trüben Gedanken fort.

»Gut.« Er atmete befreit auf.

Sonnenwarm und Regensanft - Band 1

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