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Dienstagsbesprechungen in der Avenue Foch
ОглавлениеUnklare Befehlsverhältnisse, die Partikularisierung von Zuständigkeiten und die große Zahl derer, die in der einen oder anderen Form in Entscheidungsprozesse eingebunden waren oder bei der Anordnung und Umsetzung einzelner Schritte auf dem Weg zur „Endlösung“ mitwirkten, bildeten kein Hindernis für eine effiziente antijüdische Politik. Sie waren vielmehr die Voraussetzung für „Kompromisse“, die die Verfolgung und Deportation der Juden unter den gegebenen Umständen in Frankreich erst durchführbar machten. Die Frage ist, wo solche Kompromisse ausgehandelt wurden. Zweifellos zählten die regelmäßigen Konsultationen des deutschen Besatzungspersonals auf höchster Ebene – untereinander und mit Vertretern der Vichy-Regierung – zu den wichtigsten Instrumenten der Konsensbildung, und ebenso unstrittig dürfte sein, daß es Knochen mehrfach gelang, sich bei Divergenzen gegenüber dem Reichssicherheitshauptamt durchzusetzen. Das läßt sich unschwer den von Serge Klarsfeld publizierten Schlüsseldokumenten zur „Endlösung“ in Frankreich entnehmen. Daneben wurde eine Reihe von Besprechungsgremien im besetzten Paris geschaffen, die als informelle pressure group im Vorfeld von Entscheidungen und als Orte des Erfahrungsaustauschs fungierten oder der Instruktion nachgeordneter Dienststellen dienten. Ihre Bedeutung für die Implementierung des Verfolgungsprogramms wurde bislang in der Forschung kaum berücksichtigt. Ich beschränke mich – wie schon zuvor – auf die deutsche Seite und auf die Phase 1941 / 42. Im dritten Kapitel gehe ich erneut auf eine dieser Koordinationsrunden ein.
Kaum war der erste „Generalkommissar für Judenfragen“, Xavier Vallat, Ende März 1941 ernannt worden, äußerten deutsche Stellen – zuvorderst Dannecker und Zeitschel – ihre Unzufriedenheit über dessen mangelnde Durchsetzungsbereitschaft. Daraus entstand im April ein erster, von Zeitschel festgehaltener Plan, künftige Verhandlungen mit Vallat in einem Gremium stattfinden zu lassen, dem außer Zeitschel selbst der Leiter der Gruppe „Entjudung“ innerhalb der Abteilung Wirtschaft, Kurt Blanke, der sich damit ebenfalls Einfluß auf den Generalkommissar sicherte,145 sowie ein weiterer, von Best abzustellender „Sachbearbeiter für Judenfragen“ aus der Abteilung Verwaltung des Militärbefehlshabers angehören sollten. Dieses Gremium, so Zeitschel, würde „gewissermaßen die Dachorganisation des Zentraljudenamtes“ bilden.146 Der Vorschlag wurde über Knochen an Best weitergeleitet,147 doch die geplante Verbindungsstelle zum Generalkommissariat kam in dieser Form nicht zustande, womöglich weil die „Geschäftsführung“ und damit die Aufsicht über eine französische Behörde nach Danneckers Wunsch „in der Hand des Judenreferenten des SD“ liegen sollte.148 Knapp zwei Monate später, am 10. Juni 1941, lud Dannecker Zeitschel, Blanke und den Ministerialrat Carl Storz, der die Verwaltungsabteilung des Militärbefehlshabers vertrat, zu einer „Besprechung verschiedener Fragen betreffend die Behandlung der Juden“ in die Dienststelle der Pariser Sipo-SD in der Avenue Foch ein, ohne allerdings Vallat hinzuzuziehen. Auf den französischen Judenkommissar sollte, so kam man überein, „im Sinne der bisherigen Bestrebungen des Sicherheitsbeauftragten“ (d.h. Knochens und Danneckers) auf anderem Wege eingewirkt werden – vor allem, um Danneckers prioritäres Anliegen zu jener Zeit, die Errichtung einer jüdischen Zwangsvereinigung, voranzubringen. Das wichtigste Ergebnis dieser Sitzung war jedoch, daß die Teilnehmer beschlossen, sich von nun an „bis auf weiteres“ regelmäßig jeden Dienstag vormittags um 11 Uhr zu treffen.149 Dannecker hatte die Dienstagsbesprechungen auf den Weg gebracht, einen „beratenden Ausschuß“ aus Vertretern aller Besatzungsorgane – Botschaft, Militärbefehlshaber und Sipo-SD –, der gewährleisten sollte, wie der Leiter des Judenreferats zusammenfaßte, „daß nunmehr jedes Gegen- und Nebeneinanderarbeiten in der jüdischen Frage im besetzten Gebiet unmöglich gemacht ist“.150
Das war natürlich nur eine Absichtserklärung, die der Praxis nicht immer standhielt, aber die Bedeutung dieser Clearingstelle kann kaum überschätzt werden. Sie war das Instrument, mit dem Dannecker eine weitestgehende Koordinierung der antijüdischen Politik in Frankreich erreichte. Nicht zuletzt gelang es, die Militärverwaltung von ihrem Kurs, vorrangig auf französische Maßnahmen gegen Juden zu setzen, definitiv abzubringen. Ein Blick auf den bald vergrößerten Teilnehmerkreis und auf die Traktandenliste der folgenden Wochen und Monate bestätigt dies. Da die Militärverwaltung – außer im Bereich der „Arisierung“ – keinen offiziellen „Judensachbearbeiter“ in ihrem Stellenplan führte,151 ergaben sich gleich mehrere Zuständigkeiten. Für die Gruppe Innere Verwaltung des Militärbefehlshabers kam – neben dem Gruppenleiter Storz bzw. dessen Nachfolger Hans Gelbhaar – Assessor Günther Bruns zu den Treffen hinzu, für die Gruppe Polizei ab Anfang 1942 Assessor Walther Nährich, vertretungsweise Verwaltungsrat Werner Jähnig, und auch ein Angehöriger der Polizeiabteilung des Kommandanten von Groß-Paris, Kriegsverwaltungsassessor Richard Kunze, wurde zu Rate gezogen. Außerdem fand sich ein Vertreter des „Einsatzstabs Rosenberg“ in der Uniform des Deutschen Roten Kreuzes ein, der auf die Ausplünderung von Kunstschätzen und Wohnungen jüdischer Eigentümer spezialisierte DRK-Feldführer Kurt von Behr. Die meisten der hier versammelten Funktionäre stammten aus der mittleren Hierarchie des Besatzungsapparats wie Blanke und Storz, manche der jüngeren Beamten – eine Gruppe von 30jährigen – nahmen eher subalterne Positionen ein, doch sie verfügten auch ohne die Entscheidungskompetenz ihrer Vorgesetzten über eine beträchtliche informelle Machtfülle, die aus den gemeinsamen Absprachen über die Ressortgrenzen hinaus wie aus der praktischen Zuständigkeit für Maßnahmen resultierte, welche der jüdischen Bevölkerung das Leben erschwerten und unmöglich machten.
Die Dienstagsbesprechungen in der Avenue Foch waren – soweit die Protokolle darüber Auskunft geben – der Ort, an dem alle Schritte auf dem Weg zu einer Zwangsvereinigung der in Frankreich lebenden Juden abgestimmt wurden. Die Besprechungsteilnehmer bestätigten zunächst die Zulassung des „jüdischen Koordinationsausschusses“ (Comité de coordination des œuvres israélites de bienfaisance) als Verein – das war der von Dannecker seit Januar 1941 forcierte Zusammenschluß jüdischer Wohlfahrtsorganisationen in Paris.152 Schon bald erschien jedoch eine weitergehende Form der Zwangsvereinigung um so nötiger, als die von der Militärverwaltung angeordneten Maßnahmen, nämlich „die Ausschaltung der Juden aus einer großen Reihe von Berufen und die Internierung von mehreren tausend Juden“, soziale Folgekosten erzeugten, die man auf die Gesamtheit der jüdischen Bevölkerung abzuwälzen gedachte.153
So nahm die Planung eines nach dem Vorbild der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ zu schaffenden, den französischen Verhältnissen angepaßten jüdischen Dachverbands (mit Zwangsmitgliedschaft, Beitragspflicht und Vermögensübertragung aus den aufzulösenden jüdischen Vereinen und Fürsorgeeinrichtungen) in der zweiten Jahreshälfte 1941 konkrete Gestalt an. Die üblichen Divergenzen zwischen der Militärverwaltung und dem Judenreferat in der Frage, ob das Vorhaben besser im Wege der französischen Gesetzgebung oder durch eine Verordnung des Militärbefehlshabers durchzusetzen sei, lösten sich dadurch auf, daß der Generalkommissar Vallat, dem die Organisation unterstellt werden sollte und tatsächlich wurde, nach anfänglichem Zögern selbst einen Gesetzentwurf zur Bildung der Union générale des Israélites de France (UGIF) vorlegte, den alle Teilnehmer der Dienstagsbesprechung am 11. November 1941 billigten.154 Das entsprechende französische Gesetz datiert vom 29. November. Damit war der jüdischen Bevölkerung aufgezwungen worden, was der Historiker Raul Hilberg den „Judenrat Frankreichs“ genannt hat.155
Monatelang beschäftigte sich die Runde auch mit dem „Einbau eines deutschen Sachverständigen für Rassenfragen und Ahnenforschung in das französische Judenkommissariat“, um die von Vallats Behörde auf der Grundlage des zweiten Vichy-Judenstatuts vom 2. Juni 1941 gelieferten Zertifikate über die „Nichtzugehörigkeit zur jüdischen Rasse“ nachprüfen zu können.156 Dannecker und Bruns führten in dieser Angelegenheit direkte Gespräche mit Vallat. Besonders der Wirtschaftsjurist Blanke monierte, Vallat stelle „in zweifelhaften Fällen Bescheinigungen aus, in denen dem betreffenden Antragsteller bestätigt wird, daß er nicht Jude ist. [...] Dies habe [...] unerwünschte Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Arisierung, da es auf diesem Umweg jüdischen Elementen wieder gelingen kann, in die Wirtschaft zu kommen.“157
Im gleichen Kreis wurde am 9. Dezember 1941 – der Militärbefehlshaber Otto von Stülpnagel hatte soeben die Deportation von 1.000 Juden als „Sühnemaßnahme“ für Attentate vorgeschlagen – ein „erstaunliches Entgegenkommen“ der anwesenden Vertreter der Militärverwaltung „in der Verschärfung der Judenaktionen“ konstatiert. Die Teilnehmer beschlossen, über die geplanten Repressalien hinaus ein nächtliches Ausgehverbot, den Kennzeichnungszwang und weitere Schritte zur „Zurückdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben“ vorzubereiten,158 die dann bis zum Frühsommer 1942 in Verordnungen des Militärbefehlshabers umgesetzt wurden.
Auf der letzten „Dienstag-Juden-Sitzung beim S.D.“ (Zeitschel) im Januar 1942 wurde unter anderem die von Hagen „aus militärischen Abwehrgründen sowie zur Weitertreibung der antijüdischen Maßnahmen“ geforderte Internierung von Juden im Bereich der Sipo-SD-Außendienststelle Bordeaux diskutiert. Hagen berief sich dabei auf den Erlaß Heydrichs vom 30. Oktober 1940159 und auf den sogenannten „Küstenerlaß“ des Militärbefehlshabers vom 14. August 1941, aufgrund derer bereits Juden aus dem „Küstensperrgebiet“ in die Nachbardepartements ausgewiesen und dort teilweise von den französischen Behörden interniert worden waren. Mit Zustimmung des Kriegsverwaltungsassessors Nährich schlug Dannecker die Festnahme und Überführung dieser Juden in das Lager Drancy bei Paris vor.160 Nährich und Dannecker berieten zudem, ob dem Französischen Roten Kreuz Auskünfte über die in Compiègne inhaftierten Juden zu erteilen seien, was Dannecker entschieden ablehnte.161 Über die Existenz und Funktion dieser beiden – nach Razzien in Paris im August bzw. Dezember 1941 eingerichteten – Internierungslager konnte also auch in Kreisen der Militärs keinerlei Unklarheit herrschen, zumal das Lager Compiègne von der Wehrmacht verwaltet wurde und ein beachtlicher Schriftverkehr zwischen der Gruppe Polizei der Militärverwaltung und dem Lagerkommandanten geführt wurde.
Schließlich drängten bei diesem Termin Ende Januar sowohl die Vertreter des Militärbefehlshabers wie auch des Kommandanten von Groß-Paris darauf, „die Nachfolge von Vallat so schnell als möglich ins Auge zu fassen“.162 Nach Ansicht aller deutschen Stellen hatte sich Vallat, der in der Tat nicht dem radikalen Antisemitismus eines Dannecker nachkommen wollte und sich gegen Einmischungen in seine Behörde verwahrte, zum „Judenschutzkommissar“ entwickelt. Vor allem in der „Arisierungsfrage“, so hielt man bei einer der nächsten Besprechungen fest, sei ein „gewisser Stillstand“ eingetreten.163 Der Radikalisierung der deutschen antijüdischen Politik im Winter 1941 / 42 stand der bisherige Generalkommissar nur noch im Weg.164 Vallat wurde zur Persona non grata erklärt und bald darauf vom französischen Regierungschef aus dem Amt entfernt.
Während der Dienstagsbesprechung vom 10. März 1942 – nachdem das Reichssicherheitshauptamt einen kurzfristigen Termin für den ersten Transport von Juden aus Frankreich gesetzt hatte, wie Dannecker von der Berliner Tagung der Judenreferenten am 4. März berichtete – wurde zwischen Dannecker, Nährich und Kunze vereinbart, am 12. März „gemeinsam nach dem Lager Compiègne zu fahren, um den Kreis der zur Deportierung Gelangenden endgültig festzulegen“. Einige Tage später sollten die „zur Auffüllung des Transportes benötigten Juden“ aus dem Lager Drancy ausgewählt werden.165 Da Heydrich zudem in Aussicht gestellt hatte, weitere 5.000 Juden aus Frankreich deportieren zu lassen, kam man auf der gleichen Sitzung überein, „daß diese 5.000 Juden zunächst einmal aus Paris evakuiert werden, da in Paris die Judenfrage am dringlichsten ist [...] und wir weiterhin dem neuen Judenkommissar [Darquier de Pellepoix; A.M.] erst Gelegenheit geben wollten, sich einige Monate einzuarbeiten, ehe er an so einschneidende Probleme, wie Deportierung der Juden aus dem unbesetzten Gebiet herangeht“.166 In der Woche darauf gaben die Vertreter des Militärbefehlshabers in der Sitzung bekannt, daß in Frankreich ein Höherer SS- und Polizeiführer eingesetzt werden sollte, und Zeitschel notierte, die neue Regelung werde sich „besonders für die Endlösung der Judenfrage [...] sehr günstig auswirken“.167
Das alles legt die Vermutung nahe, daß sich aufgrund der in den Dienstagsbesprechungen ausgetauschten Informationen zumindest ein grobes Bild der in Berlin seit Anfang 1942 gefällten Entscheidungen zur „Endlösung“ zusammensetzen ließ. Jedenfalls waren allen beim Judenreferenten versammelten Funktionären des deutschen Besatzungsapparats nicht nur die Bestimmungen für den ersten – unter dem Vorwand von „Sühnemaßnahmen“ und angeblich zum Zweck des Arbeitseinsatzes zusammengestellten – Transport nach Auschwitz bekannt, zumal zwei Beamte der Militärverwaltung vermutlich an Selektionen in den beiden Internierungslagern Drancy und Compiègne teilnahmen. Sondern die Teilnehmer wurden außerdem zu einem frühen Zeitpunkt über weitergehende Deportationspläne unterrichtet, und zwar sowohl über die von Heydrich zugesagten fünf Transporte, die tatsächlich in den Monaten Juni und Juli 1942 aus dem besetzten Gebiet abfuhren, als auch über vorgesehene Deportationen aus der französischen Südzone, die erst in der zweiten Jahreshälfte zustande kamen.
Knochen, der nach eigenem Bekunden nie selbst an den Besprechungen teilgenommen hatte, gab in Nürnberg auf die Frage nach deren Zweck an, sie hätten zum einen informatorischen Charakter für die beteiligten deutschen Dienststellen gehabt, zum anderen sei dort die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden beim Abtransport der Juden festgelegt worden.168 Im Kreuzverhör mit dem französischen Ankläger Monneray lieferte er weitere Einzelheiten:
Monneray: Was wurde in diesen Dienstag-Besprechungen entschieden?
Knochen: Dort wurde entschieden, wie man die Organisation zur Erfassung aller Juden ...
Monneray: ... und zur Deportierung der Juden, nicht wahr? Das war nachher vorgesehen? oder abschieben?
Knochen: Jawohl, dazu waren ja auf dem Verwaltungs-Sektor ... dann kamen Wirtschaftsfragen, die von Bedeutung waren.
Monneray: Das heißt, die gesamte Judenfrage wurde in diesen Dienstag-Konferenzen besprochen?
Knochen: Jawohl.
Monneray: Wen vereinigten diese Konferenzen?
Knochen: Alle beteiligten Stellen.
Monneray: Welches waren die anderen interessierten Stellen?
Knochen: Die Botschaft, die Militärverwaltung und der Einsatzstab Rosenberg.
Monneray: Welche Personen vertraten diese verschiedenen Dienststellen? Wissen Sie das?
Knochen: Von der Dienststelle Rosenberg muß es Herr von Behr gewesen sein, von der Botschaft weiß ich nicht, ob das immer derselbe Herr war, Dr. Zeitschel, dann von der Militärverwaltung, einmal von der Verwaltungsabteilung, also Vertreter von Dr. Best, und ein Vertreter der Wirtschaftsabteilung, von Dr. Michel.
Monneray: Waren es immer dieselben?
Knochen: Ja, es waren immer dieselben. Diese Herren bearbeiteten also diese Judenfragen.169
Als Blanke, Bruns, Kunze und Nährich Jahrzehnte später als Zeugen von westdeutschen Ermittlungsbehörden vernommen und auch zu ihrer Teilnahme an den Dienstagsbesprechungen und den daraus gewonnenen Kenntnissen befragt wurden, ergab sich ein anderes Bild. Der schon erwähnte ehemalige Kriegsverwaltungsbeamte Günther Bruns, Sachbearbeiter in der Gruppe Innere Verwaltung des Militärbefehlshabers, konnte auch hierzu keine sachdienlichen Angaben machen und blieb dabei, sich an keine Besprechung zu erinnern, an der „ein gewisser Dannecker teilgenommen haben soll“. Auch die Überwachung des französischen Judenkommissars habe nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört. Wenn Dannecker in einem Vermerk festgehalten habe, daß er, Bruns, eine Besprechung mit Vallat anberaumen solle, dann müsse er „das als unwirklich in Abrede stellen“. Solange er in Paris anwesend gewesen sei, habe er „von irgendwelchen Zwangsmaßnahmen gegen Juden, wie z.B. Festnahmen, nichts gemerkt“ und auch „keine Lager gekannt, in denen Juden gesammelt und inhaftiert worden“ seien: „Ich möchte wohl behaupten,“ gab Bruns am Ende der Vernehmung zu Protokoll, „daß ich während meiner gesamten Dienstzeit in Frankreich in keiner Weise mit dem Judenproblem in Beziehung mit Deportationen und der Endlösung im Sinne der Tötung von Juden in Berührung gekommen bin. Weder dienstlicherseits noch außerdienstlich, also privat, habe ich davon etwas erfahren.“170 Desgleichen hatte Dr. Richard Kunze, der einst die Dienststelle des Kommandanten von Groß-Paris vertrat, seinen Aussagen zufolge „niemals an einer sog. Dienstagsbesprechung teilgenommen“, und er war auch nicht an dem mit Dannecker vereinbarten „Besuch des Lagers Compiègne“ beteiligt gewesen. Allerdings versuchte er, sich den Kenntnisstand der damaligen Besprechungsteilnehmer begreiflich zu machen: „Wenn Dannecker mit dem Wissen aus der Referentenbesprechung am 4. 3. 1942 [im RSHA; A.M.] in Berlin in diese Dienstagsbesprechung vom 10. 3. 1942 gekommen sein sollte, halte ich es für unmöglich, daß Dannecker sein Wissen an die übrigen Teilnehmer weitergegeben hat und diese zur Geheimhaltung gegenüber deren Vorgesetzten verpflichten konnte.“171 Anders ausgedrückt: Kunze wollte zwar bei keiner Besprechung anwesend gewesen sein, meinte aber sagen zu können, daß Dannecker die Deportationspläne des Reichssicherheitshauptamts in Paris nicht offengelegt hätte. Dr. Walter Nährich, der Vertreter der Gruppe Polizei bei den Dienstagsbesprechungen, entsann sich wohl, „daß Dannecker uns Militärverwaltungsbeamten vorwarf oder vorhielt, wir seien frankophil, zu weich und judenfreundlich“. Zwischen Dannecker und ihm habe ein „sehr gespanntes Verhältnis“ bestanden. Aber er wies den begründeten Eindruck des Staatsanwalts, er „sei in der Militärverwaltung der zuständige Sachbearbeiter für Judenangelegenheiten gewesen“, energisch zurück.172
Lediglich der Rechtsanwalt und Notar Dr. Kurt Blanke, der einstige Vertreter der Wirtschaftsabteilung, war zu differenzierteren Angaben bereit. Einerseits nahm er für sich in Anspruch, Kontakte zur Dienststelle Knochens aufgenommen und diesem seinerseits die regelmäßigen Dienstagsbesprechungen vorgeschlagen zu haben, um „Übergriffen“ des SD auf „wirtschaftlichem Gebiet“ zuvorzukommen. Er machte auch keinen Hehl daraus, selbst an den Verordnungen des Militärbefehlshabers, die den Raub „jüdischer“ Vermögen in Frankreich einleiteten, mitgearbeitet und die kommissarischen Verwalter enteigneter Unternehmen beaufsichtigt zu haben.173 Die „Schwierigkeiten über eine Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zur jüdischen Rasse“, so führte er zu dem Thema aus, das ihn selbst bei den „Arisierungen“ immer wieder beschäftigt und die Einhaltung eines konsequenten, nicht auf Religionszugehörigkeit rekurrierenden „Rassebegriffs“ hatte fordern lassen,174 „begleiteten damals naturgemäß die wirtschaftlichen Maßnahmen“. Andererseits deutete Blanke an, aus Bemerkungen bei diesen Besprechungen stamme das meiste, was er „vom Hörensagen aus damaliger Zeit über Aktionen zur Verhaftung und zum Abtransport von Juden“ wisse. Über das Ziel der Transporte habe er dort zwar nicht das geringste erfahren, doch habe er aufgrund von Augenzeugenberichten über Massenerschießungen in Rußland vermutet, „daß die Juden aus Frankreich ein gleiches Schicksal erleiden könnten“.175 Das war kein Geständnis, was die eigene Verantwortung betraf, aber es ließ zumindest erkennen, welche Informationen den Angehörigen der Militärverwaltung zugänglich gewesen waren und in welchem Umfang sie die Aktivitäten des Pariser Judenreferats wissentlich mitgetragen hatten.
Zwischenzeitlich hatte Dannecker eine erste Bilanz der Dienstagsbesprechungen vorgelegt. Die von militärischer Seite erfolgten antijüdischen Maßnahmen, so schrieb er in einem längeren Tätigkeitsbericht vom Februar 1942, hätten sich „in einem verhältnismäßig engen Rahmen“ bewegt, während gleichzeitig „im Interesse der europäischen Endlösung“ Weiteres habe erreicht werden müssen. „Erfolge“ auf diesem Weg seien erst nach „Ausräumung zahlreicher durch die Dienststellen des Militärbefehlshabers erzeugten Schwierigkeiten (Zuständigkeiten!)“ zu verbuchen gewesen. Das wiederum habe eine „Gleichrichtung“ aller deutschen Stellen vorausgesetzt, zumal „bei den Dienststellen des Militärbefehlshabers nicht unbedingt als kompromißlose Judengegner anzusehende Beamte“ säßen. Unterdessen habe die Besprechung jedoch bewirkt, „daß (selbstverständlich mit ganz geringen Ausnahmen, die durch Außenseiter hervorgerufen werden) eine absolute Ausrichtung der Judenpolitik des besetzten Gebietes“ erfolge. Die „anerkannte Führung“ der Sipo-SD komme dadurch zum Ausdruck, daß die Besprechung im Judenreferat in der Avenue Foch stattfinde.176 Was immer an Übertreibungen in diesem Papier enthalten sein mochte, Tatsache ist, daß sich die Militärverwaltung bis zum Frühjahr 1942 in der Judenverfolgung gänzlich den Plänen des Reichssicherheitshauptamts und seiner Pariser Filiale untergeordnet hatte.
Nachdem Dannecker Mitte des Jahres abgelöst und durch seinen bisherigen Stellvertreter Röthke ersetzt worden war, fielen die Dienstagssitzungen eine zeitlang aus, aber nunmehr war es Zeitschel, auf dessen Anregung hin der Termin im September 1942 offenbar wieder aufgenommen wurde.177 Eine Überlieferung von Besprechungsprotokollen aus dieser Zeit existiert jedoch nicht, und die Treffen dürften auch an Bedeutung verloren haben.