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Vorwort

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I.

Es gibt kein anderes von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs begangenes Massenverbrechen, von dem sich die Täter und Helfer nachträglich so entschieden distanziert haben wie den Mord an den europäischen Juden. Nicht daß sie das Geschehen moralisch verurteilt und ihre individuelle Schuld anerkannt hätten. Sondern sie behaupteten durchweg, sie seien daran nicht beteiligt gewesen und hätten davon nichts gewußt.

Daß sich niemand zum Programm der „Endlösung der Judenfrage“ in seiner genozidalen Dimension bekannte, daß kaum jemand eine Kenntnis des mörderischen Zwecks der Deportationen nach dem Osten zugestand, wirft ein Licht auf den Charakter des Verbrechens selbst und erklärt vielleicht auch, wie es geschehen konnte. Die folgende Darstellung, die auf Dokumenten der Judenverfolgung in Frankreich und auf Nachkriegsvernehmungen deutscher Zeugen und Beschuldigter beruht, kommt zu dem Ergebnis, daß die Aussage zahlloser Mittäter, „von Auschwitz erst nach dem Krieg gehört“ zu haben, vor allem deswegen zur Selbstentlastung taugte, weil sie einen realen Kern in der Unvorstellbarkeit des Geschehens hatte.

II.

In einem berühmt gewordenen Interview mit dem Fernsehjournalisten Günter Gaus kam Hannah Arendt im Jahr 1964 fast beiläufig auf das Thema zu sprechen, das ins Zentrum ihres politisch-philosophischen Oeuvres führt. Gaus fragte nach dem Verhältnis der Emigrantin zur deutschen Sprache, an der sie, die noch 1941 aus Südfrankreich in die USA gelangen konnte, im Unterschied zu anderen im Exil festgehalten hatte, als Arendt antwortete:

Wissen Sie, das Entscheidende ist ja nicht das Jahr 1933 gewesen, jedenfalls nicht für mich. Das Entscheidende ist der Tag gewesen, an dem wir von Auschwitz erfuhren.

Gaus: Wann war das?

Das war 1943. Und erst haben wir es nicht geglaubt. Obwohl mein Mann und ich immer gesagt haben, wir trauen der Bande alles zu. Dies aber haben wir nicht geglaubt, auch weil es ja gegen alle militärischen Notwendigkeiten und Bedürfnisse war. [...] Und dann haben wir es ein halbes Jahr später doch geglaubt, weil es uns bewiesen wurde. Das ist der eigentliche Schock gewesen. [...] Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. Weil man die Vorstellung gehabt hat, alles andere hätte irgendwie noch einmal gutgemacht werden können, wie in der Politik ja alles irgendwie einmal wiedergutgemacht werden kann. Dies nicht. Dies hätte nie geschehen dürfen.1

Arendts erste Reaktion auf die Meldungen über Auschwitz – „und erst haben wir es nicht geglaubt“ – unterschied sich nicht von der der damaligen amerikanischen Öffentlichkeit und Administration. Selbst als sich die Informationen verdichteten, als untrügliche Beweise vorlagen, wurde die Nachricht kaum für wahr gehalten, und die alliierten Regierungen zögerten weiterhin, politische oder militärische Schlußfolgerungen aus der Tatsache zu ziehen, daß sich im Schatten des Zweiten Weltkriegs ein Genozid ereignete. Der Grund für das Zögern scheint einfach: Er liegt vorderhand in dem, was man die „selbstreferentielle Unglaubwürdigkeit“ der Nachricht genannt hat.2

Aber der Gedanke von Hannah Arendt reicht weiter. Dies zeigt ein Blick in ihre Nachkriegsveröffentlichungen bis zum Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe der „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ im Jahr 1951.Arendt sammelte, was an Dokumentenmaterial und Publikationen über die nationalsozialistischen Massenverbrechen in den Vereinigten Staaten zugänglich war. Sie wertete die Nürnberger Prozeßakten und Dokumente aus und exzerpierte die Berichte von überlebenden Häftlingen der Konzentrationslager.3 Je mehr Fakten und Beweise zusammenkamen, desto klarer scheint ihr geworden zu sein, daß sich mit dem Datum „Auschwitz“ das Verhältnis von Wirklichkeit und historischer Wahrheit radikal verändert hatte. Waren die tatsächlichen Ereignisse angesichts ihrer Ungeheuerlichkeit völlig unglaubwürdig, dann stand die Möglichkeit, Geschichte zu begreifen, prinzipiell in Frage. Was geschehen war, ließ sich nicht mehr in herkömmliche Begriffe fassen. Die in den Lagern begangenen Verbrechen waren, wie Arendt in Abwandlung eines Diktums des amerikanischen Hauptanklägers in Nürnberg, Robert H. Jackson, konstatieren sollte, „unprecedented“, unvorhergesehen und beispiellos.4

Gegen Ende des Jahres 1948 plante Arendt, die selbst zeitweilig von den französischen Behörden im Lager Gurs interniert worden war, ein Forschungsprojekt über nationalsozialistische und stalinistische Konzentrationslager.5 Sie war inzwischen, so geht es aus ihren Förderungsanträgen hervor, zu der Einsicht gelangt, daß die Konzentrations- und Vernichtungslager ein gänzlich neuartiges, in der Geschichte bislang „einmaliges“ Phänomen („unique in history“) darstellten und die zentrale Institution einer neuen Herrschaftsform bildeten, die wesentlich auf Terror beruht; und sie erkannte zudem, daß sich die Vernichtung der europäischen Juden nicht aus dem Antisemitismus allein erklären lasse.6 Im gleichen Jahr hatte sie bereits einen Aufsatz über „Konzentrationsläger“ veröffentlicht, der einen frühen Grundriß ihrer Theorie totaler Herrschaft enthält.7 Darin wurde nun erstmals auch das erkenntnistheoretische Problem schärfer gefaßt, welches sich aus dem eigentümlichen Charakter aller Häftlingsberichte für Arendt ergab: aus der „Kommunikationslosigkeit“ der Zeugnisse von Überlebenden,8 die berichteten, „was sich menschlicher Fassungskraft und menschlicher Erfahrung entzieht“, wie aus dem „Odium der Unglaubwürdigkeit“, das selbst der rückschauenden, reflektierenden Erinnerungsliteratur anhaftete.

Woher rührte diese Unglaubwürdigkeit? Was begründete die Zweifel an der Authentizität solcher Berichte?

Arendt bezog sich auf zwei Darstellungen, die die Schwelle des Zeugnisses überschritten hatten und ein Gesamtbild der Lager zu vermitteln suchten9: auf Eugen Kogons Buchenwald-Report „Der SS-Staat“10 und mehr noch auf ein 1947 unter dem Titel „Les Jours de notre mort“ erschienenes Buch des französischen Schriftstellers David Rousset, der ebenfalls als Häftling in Buchenwald gewesen war.11 Beide Bücher seien, schreibt Arendt, „unerläßlich zum Verständnis nicht nur der Konzentrationsläger, sondern des totalitären Regimes überhaupt“, sie würden aber „unbrauchbar und sogar gefährlich“, sobald sie versuchten, „positiv zu interpretieren“, oder indem sie verklärten, „was sich doch unter keinen Umständen je auf der Erde wiederholen darf“.12 Arendt verwirft damit von vornherein alle historisierenden und psychologisierenden Erklärungsversuche oder Sinndeutungen des Leidens, die Kogon und Rousset je auf ihre Weise vorgenommen hatten. Im Mittelpunkt ihrer eigenen Überlegungen steht vielmehr die Frage, wie sich die von beiden Autoren bezeugte „Irrealität“ und „Irrsinnswelt“ der Lager – die scheinbare „Sinnlosigkeit“13 des Terrors, die Arendt in seiner ökonomischen und repressionspolitischen Zwecklosigkeit angelegt sieht – gleichwohl verstehen lasse. Vor allem Rousset hatte – aus der Innensicht der Häftlinge – die Konzentrationslager-Gesellschaft als ein geschlossenes Universum beschrieben, isoliert von der Außenwelt, jenseits von Leben und Tod, in dem nicht nur alles erlaubt, sondern schlechthin „alles möglich ist“.14 1943 waren Nachrichten über die Gaskammern in Auschwitz nach Buchenwald gelangt, Rousset stellte dies in einem Dialog mit einem polnischen Rechtsanwalt eindrücklich dar, den Arendt wiedergibt:

Augen, die nicht gesehen haben, können nicht glauben. Sie selbst – haben Sie denn die Gerüchte von den Gaskammern ernst genommen, bevor Sie hier waren? - Nein, sagte ich.

Er zeigte eine triumphierende Miene.

- Nun also: so sind sie alle. Alle – in Paris, in London, in New York, und sogar in Birkenau, vor den Krematoriumsöfen. [...] Ich war selbst dort, in Birkenau, im Oktober ’42. Ich habe sie gesehen, die Ausgewählten [les sélectionnés], fünf Minuten bevor sie in den Krematoriumskeller hinabstiegen – noch immer ungläubig. [...] Ich habe gesehen, wie die SS-Leute Brot und Wurst verteilen ließen an Leute, die man versammelte, um sie zu vergasen, und deren Leichen eine halbe Stunde später auf die Fahrstühle gestapelt wurden, für die Öfen. Bis zur letzten Minute mußten die Opfer geprellt werden.15

Die Schlußfolgerungen, die Arendt an diesen Dialog knüpft, gehen weit darüber hinaus. Nicht allein die Täuschung der Opfer beschäftigt sie, sondern die Gewißheit der Täter, daß gerade die Ungeheuerlichkeit der begangenen Verbrechen eine Gewähr dafür bot, daß niemand sie für möglich hielt, solange der Krieg dauerte, und daß man denen, die später mit Lügen ihre Unschuld beteuerten, eher glaubte, „als den Opfern, deren Wahrheit den gesunden Menschenverstand beleidigt“.16 Es sei der „Bann dieser in der Sache selbst liegenden Unglaubwürdigkeit“, es sei die Schranke des common sense oder – wie es später in Arendts Hauptwerk „Elemente und Ursprünge“ heißt – „diese Stimme des Unglaubens, die in jedem von uns sitzt und uns mit den Argumenten des gesunden Menschenverstands schlecht zuredet“, die ein angemessenes Verstehen des Geschehens in den Konzentrationslagern verhinderten.17

Den im Gegenzug entwickelten Gedanken, daß zur Erkenntnis der Lagerrealität ein „Verweilen beim Grauen“ gehöre, kann ich hier nicht weiter ausleuchten.18 Für den Zweck dieses Vorworts genügt es festzuhalten, daß Arendt – in einer kritischen Auseinandersetzung mit frühen Erinnerungsreportagen und ausgehend von dem Eindruck der Unglaubwürdigkeit, der allen Augenzeugenberichten aus Konzentrationslagern eignete – als erste erkannt hat, welche Herausforderung die nationalsozialistischen Massenverbrechen an das menschliche Denkvermögen stellen. Diese Herausforderung bestand für sie nicht in der Neuartigkeit des „totalitären Phänomens“ allein, sondern letztlich darin, daß etwas geschehen war, „was nie hätte geschehen dürfen“, das die Maßstäbe für das moralische Urteil sprengte und dem gegenüber sowohl der gesunde Menschenverstand wie die bisherigen historischen, politischen und sozialwissenschaftlichen Kategorien versagten.19

III.

Während der Zeit der deutschen Besatzung, zwischen 1942 und 1944, wurden etwa 76.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungsstätten Osteuropas deportiert, die überwiegende Mehrheit nach Auschwitz; weitere 4.000 starben in den Internierungslagern auf französischem Boden, wurden ohne Gerichtsurteil hingerichtet oder ermordet. Die Gesamtzahl der Deportierten, die bei Kriegsende noch am Leben waren, betrug 2.560.20 Die meisten von ihnen kehrten ab Ende April 1945, nachdem sie Todesmärsche und neuerliche Lagerhaft überstanden hatten, nach Frankreich zurück, teils auf eigenen Wegen, teils in organisierter Form, gemeinsam mit denjenigen, die aus politischen Gründen in deutsche Konzentrationslager verschleppt worden waren und überlebt hatten.21 Im Pariser Hotel Lutétia, einst Sitz der deutschen Abwehr, wurde für sie eine erste Anlaufstelle eingerichtet, doch im Grunde war man auf die Rückkehrer gar nicht vorbereitet. Zahllose Menschen suchten nach Lebenszeichen ihrer deportierten Angehörigen.22 Die Überlebenden wußten zumeist keine Auskunft. Was sie selbst zu berichten hatten, wollten viele nicht hören, und es ließ sich auch kaum beschreiben.

Henry Bulawko, der dem jüdischen Widerstand in Paris angehört hatte und im Juli 1943 nach Auschwitz deportiert worden war, wo er im Außenkommando Jaworzno als Zwangsarbeiter eingesetzt wurde, kehrte über Odessa und Marseille Anfang Mai 1945 in die französische Hauptstadt zurück. Die Bahnreise von Marseille und seine Ankunft in Paris schildert er in seinen Lebenserinnerungen wie folgt:

Die Fahrt dauerte lange und ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, was ich erlebt hatte. Manchmal fragte ich mich, ob all das nicht vielleicht meiner Einbildung entsprang. Aber ich hatte genug bezahlt um zu wissen, daß es wahr war. [...] Auf der Gare de Lyon traf ich Juden, Frauen, Väter, Söhne, die von einem zum anderen liefen und Photographien ihrer Lieben herumzeigten. Ein rascher Blick: „Nein, ich habe ihren Mann (ihren Sohn) nicht gekannt“, und ich setzte meinen Weg fort. Wie sollte ich ihnen sagen, was Auschwitz gewesen war? Eines Tages würde ich darüber sprechen, aber im Moment war ich nur müde.23

Die meisten der Geretteten wollten zunächst durchaus über ihre Erfahrungen reden, auch dies bezeugt Bulawko, wie viele andere.24 Doch ebenso häufig finden sich Berichte, aus denen der Selbstzweifel spricht, ob die eigenen Erinnerungen überhaupt der Realität nachkamen, Zweifel auch, ob sich das Erlebte in Worte fassen und mitteilen ließ und ob man diesen Worten Glauben schenken würde. Der Resignation von Überlebenden, die ihr Zeugnis für vergeblich hielten, entsprach eine weitgehende Verständnislosigkeit in der gesellschaftlichen Umgebung und Öffentlichkeit, die schon bald nach der Befreiung der Lager mit Abwehr auf die Berichte ehemaliger Häftlinge reagierte.25

IV.

Um wieviel mehr stießen diese Berichte in Deutschland auf Ablehnung. Davon erzählt der italienische Schriftsteller Primo Levi in seinem Buch „Die Atempause“. Bei seiner Rückkehr aus Auschwitz, die einer Odyssee durch Europa glich, kam er im Oktober 1945 nach München, mit widersprüchlichen Empfindungen: jedem einzelnen Deutschen ungeheuerliche Dinge sagen zu müssen und von jedem Deutschen eine Antwort darauf zu verlangen, ob er von Auschwitz gewußt hatte. Doch Levi irrte durch die trümmerübersäten Straßen und durch eine anonyme Menge „versiegelter Gesichter“:

Mir war, als müsse jeder uns Fragen stellen, uns an den Gesichtern ablesen, wer wir waren, demütig unseren Bericht anhören. Aber niemand sah uns in die Augen, niemand nahm die Herausforderung an: sie waren taub, blind und stumm, eingeschlossen in ihre Ruinen wie in eine Festung gewollter Unwissenheit [...].26

Mehr als vierzig Jahre später reflektierte der Autor kritisch darüber – und hier finden wir Parallelen zu Hannah Arendts frühen Gedanken –, an welche Grenzen das Sprechen und das Erinnern der Überlebenden der Vernichtungslager stieß. Levis Antwort in seinem letzten Buch „Die Untergegangenen und die Geretteten“ ist vielschichtiger, als es beim ersten Lesen scheinen mag. Er beginnt mit dem bekannten Faktum, daß die Öffentlichkeit, als sich die ersten Berichte über die nationalsozialistischen Vernichtungslager ab 1942 zu verbreiten begannen, gerade wegen deren Ungeheuerlichkeit dazu neigte, sie nicht zu glauben. Und er fährt fort: „Es ist bezeichnend, daß diese Ungläubigkeit von den Schuldigen selbst lange vorausgesagt wurde.“27 Dies wiederum, daß die selbstreferentielle Unglaubwürdigkeit der Nachrichten über den Judenmord die Täter und die Ausführung der Tat begünstigte, bringt Levi in Zusammenhang mit den schlechten Träumen in Gefangenschaft, von denen überlebende Häftlinge berichten. Fast alle erinnern sich, so schreibt er, an denselben Traum: sie seien nach Hause zurückgekehrt, erzählten von den vergangenen Leiden und sähen, „daß ihnen nicht geglaubt, ja nicht einmal zugehört würde“. Die verallgemeinernde, zugleich verstörende Schlußfolgerung, auf die es Levi ankommt und die für sein ganzes Buch thematisch ist, lautet nun, „daß beiden Seiten, den Opfern wie den Unterdrückern, das unvorstellbare Ausmaß und die daraus folgende Unglaubhaftigkeit all dessen, was in den Lagern geschah, deutlich bewußt war“.28

Man würde diesen Satz mißverstehen, wenn man daraus entnähme, die Unglaublichkeit des Geschehens, für das Auschwitz zum universellen Symbol geworden ist, verbände Täter und Opfer, Nazis, Deutsche und Juden.29 Es handelt sich um einen diametralen Gegensatz, und zwar nicht nur deswegen, weil die Täter bei der Ausführung ihres Verbrechens damit rechnen konnten, daß es niemand für möglich halten würde, während die Juden ihren Verfolgern jederzeit unterstellt haben, daß deren Handeln verstehbar und berechenbar bliebe.30 Der eigentliche Gegensatz, der sich bei Kriegsende auftat, war der, daß auch die Täter auf den „gesunden Menschenverstand“ rekurrierten, dem das Geschehen unvorstellbar schien, um plausibel zu machen, daß sie von der „Endlösung“ nichts gewußt hatten; die Überlebenden dagegen zweifelten an ihren eigenen Erinnerungen. Den Unschuldsbeteuerungen der einen stand die Unmöglichkeit der anderen gegenüber, verständlich zu machen, was geschehen war.

V.

Daß die „Endlösung der Judenfrage“ in ihrer europäischen Reichweite, ihrer arbeitsteilig-bürokratischen Organisationsform und mehr noch in der systematischen Durchführung in Tötungsfabriken die menschliche Vorstellungskraft übersteigt, daß dieser Genozid insofern „singulär“ ist, als er sich dem entzieht, was Menschen mitteilen, verstehen und moralisch beurteilen können, erwies sich nach 1945 als größter Vorteil für die Täter und Handlanger selbst, die sich vor alliierten oder deutschen Instanzen zu verantworten hatten. Denn das Argument der Unglaublichkeit stand von Beginn an im Mittelpunkt von Rechtfertigungs- und Entlastungsstrategien, als könnten sich die Täter hinter jene Linie zurückziehen, die die zögerliche Reaktion der Alliierten, den Unglauben der Weltöffentlichkeit und vielleicht auch die ignorante Haltung unzähliger Deutscher während des Krieges zu erklären vermochte, die eine systematische Massenvernichtung nicht für möglich hatten halten wollen. In den Vernehmungsaussagen, die im folgenden herangezogen werden, läßt sich ein ständig wiederkehrendes Grundmuster der Rechtfertigung erkennen: Die meisten Tatbeteiligten, die nicht direkt in den Vernichtungsstätten eingesetzt gewesen waren, legten mit guten Gründen dar, es sei ihnen – wie allen anderen auch – niemals in den Sinn gekommen, daß die Juden sämtlich ermordet würden. Was es an Gerüchten darüber gegeben habe, hätten sie für gegnerische Propaganda angesehen oder sonstwie nicht geglaubt. Genau darauf, auf das Argument der Unglaublichkeit, baute die Behauptung auf, „nichts gewußt“ zu haben – eine Behauptung, welche diejenigen, die selbst auf die eine oder andere Weise an dem Verbrechen mitgewirkt hatten, mit der Masse der Deutschen verband. Die Lügen oder, wenn man so will, die Selbsttäuschungen der Täter knüpften sich daran, daß das Geschehen, zu dem sie beigetragen hatten, die Grenzen des menschlichen Verstands überschritt.

Zwischen den von niemandem mehr zu bestreitenden, seit den Nürnberger Prozessen durch eine Fülle von Beweismaterial dokumentierten Fakten der „Endlösung“ und der andauernden Schwierigkeit, die Fakten für wahr zu halten und zu verstehen, tat sich eine Lücke auf, von der in erster Linie die Täter profitierten. Es entstand jenes Terrain, auf dem sich der Zweifel an der Wahrheit, der in der ersten Nachkriegszeit in Deutschland umging, ebenso ausbreiten konnte wie die kollektive Amnesie während der westdeutschen Rekonstruktionsperiode und die erfolgreiche Selbstentlastung zahlloser am Judenmord Beteiligter. Noch die Aussagen aus den sechziger und siebziger Jahren, inzwischen vielfach überformte Erinnerungen an die Zeit der deutschen Besatzung und der Judenverfolgung in Frankreich, machen deutlich, wie sehr die als Zeugen oder Beschuldigte Vernommenen mit den Regeln des „gesunden Menschenverstands“ argumentierten, um die unfaßbare Wahrheit abzuweisen. Sie nutzten den Abstand zwischen dem Geschehen in Auschwitz und ihren eigenen Tatbeiträgen, der es leicht machte, scheinbar plausible Erklärungen für ihr Handeln anzubieten. Was einst Propagandalüge gewesen war oder der Tarnung des Mordprojekts gedient hatte, die Durchführung von Deportationen unter dem Vorwand von „Sühnemaßnahmen“ oder im Zeichen des „Arbeitseinsatzes“, faktische Umstände wie die Vielfalt der Zuständigkeiten im deutschen Besatzungsapparat, die arbeitsteilige Routine, mit der die Judenverfolgung vorangetrieben wurden, die Beteiligung der französischen Polizei an Festnahmeaktionen und die Entfernung zu den eigentlichen Vernichtungsstätten – all das diente nun dazu, sich selbst und der Justiz gegenüber zu begründen, daß an Auschwitz nicht zu denken gewesen war, als die Transporte mit Juden in den Osten fuhren.

VI.

Der Ausgangspunkt der vorliegenden Darstellung ist rasch benannt: Am Anfang stand die erklärungsbedürftige Tatsache, daß zwar von Seiten der westdeutschen Justiz seit den frühen sechziger Jahren gegen zahlreiche Verantwortliche für die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich ermittelt wurde, daß diese Ermittlungen sich aber kaum in Anklagen, Gerichtsprozessen und Urteilen niederschlugen. Von einer mehr als zwanzigjährigen Untersuchungstätigkeit verschiedenster Staatsanwaltschaften blieb außer Einstellungsverfügungen und einer Masse von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen so gut wie nichts übrig. Die wiederholte Durchsicht dieser Vernehmungsprotokolle lenkte meinen Blick weg von der Justizgeschichte,31 die sich in diesem Fall nicht von dem allgemeinen Befund einer mehr oder weniger systematischen Verweigerung der Strafverfolgung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik unterscheidet, hin zu der Frage, wie die Täter ihr Handeln rechtfertigten, worüber sie bei ihrer Vorladung sprachen und worüber nicht. Auch zeigte sich bald, daß die meisten Aussagen zur Klärung der historischen Daten und Fakten kaum etwas beitragen, was sich nicht auch aus zeitgenössischen Dokumenten erschließen läßt. Dagegen fallen die immergleichen Argumentationsfiguren, Ausreden und Versuche der Selbstentlastung um so mehr auf, als sie sich in eklatantem Widerspruch zu den dokumentierten Fakten befinden. Diese Entlastungsrhetorik, diese übereinstimmende Weigerung von Tatbeteiligten oder tatnahen Zeugen, irgendwelche relevanten Angaben zur Judenverfolgung in Frankreich zu machen, schienen mir nun ihrerseits wert, untersucht zu werden, und zwar unabhängig von den naheliegenden strafrechtlichen Motiven. Ich bin vielmehr von der Vermutung ausgegangen, daß die Schutzbehauptungen – von offensichtlichen Lügen abgesehen – ihren Ursprung in der organisatorischen Ausführung wie im Unmaß des begangenen Verbrechens haben könnten. Meine Arbeitshypothese lautete also, daß es sich bei den Vernehmungsaussagen um eine Quelle sui generis handelt, die die Konstruktion von kollektiven Erinnerungen widerspiegelt und die über das tatsächliche Geschehen insoweit Auskunft zu geben vermag, wie es gelingt, jene Verzerrung des Erinnerns an die NS-Zeit zu entschlüsseln, die für die deutsche Mentalitätsgeschichte nach 1945 ohnehin charakteristisch ist.

Ohne den Rückgang zu den Fakten, den historischen Ereignissen selbst, vermag eine solche Entschlüsselung natürlich nicht auszukommen. Insofern gleicht mein Vorgehen in mancher Hinsicht einem justitiellen Verfahren, in dessen Verlauf ein Vernehmungsbeamter die Zeugen oder Beschuldigten immer wieder mit Dokumenten und gesicherten Sachverhalten konfrontiert. Der französische Historiker Marc Bloch, von den Deutschen 1944 bei Lyon ermordet, hat die Aufgabe des Historikers treffend als die eines juge d’instruction, eines Untersuchungsrichters, beschrieben, „der ein Verbrechen zu rekonstruieren bemüht ist, bei dem er selbst nicht anwesend war“.32 Die Untersuchung, die ich vornehme, kann sich bereits auf protokollierte Aussagen von Tätern und Zeugen wie auf Ermittlungsergebnisse der Justiz stützen und unterzieht diese anhand des urkundlichen Beweismaterials nun, gewissermaßen in zweiter Instanz, einer erneuten Prüfung.

Daß der historische Teil dieses Buches das größte Gewicht aufweist, hat allerdings noch einen anderen Grund. Die hier vorgelegten Studien zur Deportation der Juden aus Frankreich können zwar nicht den Charakter einer Gesamtdarstellung beanspruchen, wollen aber zum Gelingen einer solchen beitragen. Denn es mangelt in Deutschland an einer einschlägigen Monographie, da die ältere, richtungsweisende Arbeit von Michael M. Marrus und Robert O. Paxton aus dem Jahr 1981 („Vichy et les Juifs“) unübersetzt blieb und die deutsche Ausgabe von Serge Klarsfelds „Vichy-Auschwitz“ (1983 - 85)33 hierzulande aufgrund von Eigenheiten des akademischen Betriebs und des Buchmarkts nicht als das Standardwerk aufgenommen wurde, als das die 2001 neu aufgelegte Originalausgabe in Frankreich seit langem unangefochten gilt. Statt dessen werden zumeist deutschsprachige Titel herangezogen, die im wesentlichen auf Klarsfelds Vorarbeiten aufbauen und die außerdem nur Einzelaspekte – wie etwa die Rolle der Militärverwaltung im Zeitraum 1941 / 42, die Person des ersten Pariser „Judenreferenten“ oder die Zusammenhänge zwischen Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung – behandeln.34 Daher habe ich hier den Versuch gemacht, einige wichtige Ereigniszusammenhänge näher zu beleuchten, die in der Summe einen Überblick über die Geschichte der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich bieten können.

Die Auswahl der historischen Felder, die ich im einzelnen untersuche, erklärt sich nicht zuletzt aus Forschungsdefiziten: Über die erste Phase der Verfolgung bis zum Beginn der Deportationen weiß man immer noch nicht genug, die Koordination zwischen der Militärverwaltung und dem Polizeiapparat der SS bedarf weiterer Klärung. Die Aufmerksamkeit der Historiographie war zudem bislang auf die großen Razzien in der französischen Hauptstadt gerichtet, weniger auf die Masse der Festnahmen in der Provinz. Wie die Deportationszüge aus Frankreich nach Auschwitz auf den Weg gebracht wurden, d.h. die „Technik“ der Deportation, ist nur unzureichend erforscht. Schließlich stellt die zunehmende Radikalisierung der Verfolgungsmaßnahmen, die in „wilden“ Erschießungen von Juden auf französischem Territorium endete, ein kaum bekanntes Kapitel dar.

Andere Themen sind in der vorliegenden Literatur hinlänglich behandelt und müssen nicht erneut aufgegriffen werden. So kann man sich etwa über die zentralen deutsch-französischen Verhandlungen vom Frühsommer 1942, mit denen die Massendeportationen in Gang gesetzt wurden, über die Pariser Razzien gegen staatenlose Juden oder über die Weigerung des Vichy-Regimes, den naturalisierten jüdischen Immigranten die französische Staatsangehörigkeit wieder abzuerkennen, nach wie vor am besten bei Serge Klarsfeld informieren. Auch das erschütternde Drama der Kindertransporte nach Auschwitz hat niemand genauer als Klarsfeld aufgeklärt.35 Mein Interesse richtet sich gleichfalls nicht auf die antijüdische Politik des Vichy-Regimes, auf die Kollaboration französischer Behörden bei der „Endlösung“ und auf die wirtschaftlichen Aspekte der sogenannten „Arisierung“.

Ich stelle also in annähernd chronologischer Reihenfolge die Einleitung von antijüdischen Maßnahmen in den Jahren 1940 - 42, die Vorgeschichte des ersten Transports nach Auschwitz vom März 1942, die Razzien und Verfolgungsmaßnahmen in der Provinz des besetzten Gebiets im Sommer 1942, die „Judenjagd“ an der Côte d’Azur im Herbst 1943 sowie die Massaker an Juden in der Schlußphase der Besatzung 1944 dar und beschreibe die Vorbereitung und Durchführung der Transporte in die Vernichtungslager. Da diesen Ereignissen und Zeitabschnitten jeweils bestimmte verantwortliche oder nachgeordnete Tätergruppen – Angehörige der Deutschen Botschaft Paris, der Militärverwaltung, der Sicherheitspolizei und des SD, das RSHA-Sonderkommando Brunner, Wachmannschaften und Transportbegleitpersonal – zuzuordnen sind, werden auch deren Nachkriegsaussagen, sofern sie sich auf die Ereignisse beziehen, in den entsprechenden historischen Kapiteln berücksichtigt.

Darüber hinaus schien mir eine übergreifende Analyse von Aussagestrategien nötig, unabhängig von ihrem primären sachlichen Aufschlußwert, der wie erwähnt gering ist. Dieser Analyse dient der zweite Teil des Buches. Darin wird untersucht, welche Kenntnisse über die systematische Massenvernichtung der Juden im Osten bei den deutschen Stellen in Paris tatsächlich verbreitet waren und welche Legenden und welches Bild von sich selbst diejenigen, die zum Genozid beigetragen hatten, während der Nachkriegszeit und noch Jahrzehnte später im Verhör aufbauten. Auch wenn fast niemand ein Wissen um die Vernichtung eingestand, wenn viele der Beschuldigten eine Beteiligung an der Judenverfolgung wahrheitswidrig bestritten und ein großer Teil der Zeugen behauptete, nicht einmal davon gewußt zu haben, beruhen die meisten Einlassungen nicht auf bloßen Lügen. Vielmehr gibt es einen spezifischen Zusammenhang zwischen den Entlastungsargumenten der Täter und der Art und Weise, wie die „Endlösung“ in Frankreich organisiert wurde, und in diesem Sinne besagen die Vernehmungsprotokolle auch etwas über das Geschehen selbst.

So soll meine Darstellung sowohl zur Klärung der Geschichte der „Endlösung der Judenfrage“ im deutschbesetzten Frankreich beitragen wie die Nachgeschichte des Genozids in der kollektiven Erinnerung der Bundesrepublik erhellen. Einige Befunde seien an dieser Stelle vorab zusammengefaßt, weil sie zugleich als Leitfaden durch das Buch dienen können:

Eine wesentliche Voraussetzung für das mangelnde Unrechtsbewußtsein der Täter wie für deren Behauptung, am Verbrechen nicht beteiligt gewesen zu sein, bildeten die besonderen besatzungspolitischen Gegebenheiten, unter denen die „Endlösung“ in Frankreich verlief. Dazu zählen in erster Linie die Aufteilung der Zuständigkeiten für die antijüdischen Maßnahmen zwischen Militär und SS und die weitgehende Delegation der eigentlichen Verfolgungspraxis an die französische Polizei. Hinzu kam die Auslagerung des Mordgeschehens aus Frankreich „nach dem Osten“. Nach dem Krieg beriefen sich die Täter auf die Unglaublichkeit dieses Geschehens, um die Fiktion aufrechtzuerhalten, sie selbst hätten von Auschwitz nichts gewußt und ihr eigenes Handeln stünde damit nicht in Zusammenhang.

Die Auswertung der zumeist in den sechziger und siebziger Jahren protokollierten Vernehmungsaussagen läßt ein Muster kollektiver Selbstentlastung und „Vergangenheitsbewältigung“ im Wechselspiel zwischen den Vernommenen und der westdeutschen Justiz erkennen. Da die meisten Beschuldigten in der Bundesrepublik niemals vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, da es kaum „Täter“ gab, die sich hätten verantworten müssen, verschwand das Geschehen selbst aus dem öffentlichen Gedächtnis. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich hatte jahrzehntelang keinen Platz in der deutschsprachigen Historiographie, und bis heute gibt es in Deutschland keine angemessene Form der Erinnerung an die 80.000 französischen und ausländischen Juden, Männer, Frauen und Kinder, die dem Genozid zum Opfer fielen.

VII.

Die Dokumente und Materialien, die diesem Buch zugrunde liegen, erfordern einige technische Hinweise. Der überwiegende Teil der deutschen Dokumente zur Judenverfolgung in Frankreich stammt aus dem Pariser Centre de Documentation Juive Contemporaine, ein geringerer Teil aus verschiedenen Standorten des Bundesarchivs und aus Sekundärsammlungen, die die Ludwigsburger Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen und die Staatsanwaltschaft Köln (Zentralstelle Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen in Konzentrationslagern) für Ermittlungszwecke angelegt haben. Serge Klarsfeld hatte seinerseits Ende der siebziger Jahre eine elfbändige Dokumentenauswahl aus dem Bestand des CDJC zusammengestellt (Recueil de documents des dossiers des autorités allemandes concernant la persécution de la population juive en France, 1940 - 1944), die ursprünglich ebenfalls zur Vorbereitung von Prozessen gegen die Hauptverantwortlichen der Judenverfolgung in Frankreich vor deutschen Gerichten gedacht war. Da diese Sammlung jedoch in der Bundesrepublik kaum öffentlich zugänglich ist, führe ich alle CDJC-Dokumente, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit ihren Originalsignaturen an.

Was die Vernehmungsprotokolle36 betrifft, so ergab sich die Schwierigkeit, daß diese Materialien großenteils bis heute nicht nach archivischen Gesichtspunkten erschlossen sind, was den Quellennachweis nicht eben leicht macht. Zwar sollte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, wo ich die Masse der Vernehmungen eingesehen habe, von ihrem Beginn an als Sammelstelle für sämtliche Akten aus westdeutschen NS-Verfahren dienen, doch kamen die zuständigen Staatsanwaltschaften ihrer Abgabepflicht in sehr unterschiedlicher Weise nach. Einzelne Komplexe sind in Ludwigsburg nur lückenhaft vorhanden, so daß auf die Provenienzen zurückgegriffen werden muß, die inzwischen in der Regel in regionalen Staatsarchiven lagern. Das gilt auch für den sogenannten Frankreich-Komplex, also die umfangreichen Bestände, die zunächst in Ludwigsburg, später bei der nordrhein-westfälischen Zentralstelle in Köln angelegt wurden und die die Vorgeschichte des 1979 / 80 geführten Prozesses gegen die ehemaligen Angehörigen der Sicherheitspolizei und des SD in Paris, Lischka, Hagen und Heinrichsohn, vor dem Landgericht Köln dokumentieren. Aus diesem Komplex zitiere ich vorrangig nach der Aktenregistratur der Zentralen Stelle, hilfsweise – wenn die Schriftstücke dort nicht auffindbar waren – aus dem Bestand des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf. Auf den Nachweis der Aktenzeichen einzelner Staatsanwaltschaften habe ich verzichtet.

Protokolle von Verhören durch alliierte Justizorgane, die ebenfalls herangezogen wurden, stammen teils aus dem Staatsarchiv Nürnberg, teils aus dem Ludwigsburger Bestand. Dort finden sich insbesondere Dubletten von Akten französischer Militärtribunale, die in Frankreich nach wie vor gesperrt sind.

Die Orthographie und Zeichensetzung der Vernehmungsniederschriften, die oft voller Flüchtigkeitsfehler sind, wurden stillschweigend korrigiert. In der Frage der Anonymisierung bin ich dem Grundsatz gefolgt, daß die Namen sämtlicher Funktionsträger deutscher Dienststellen in Frankreich, deren Rang und Aktivität dokumentarisch nachweisbar ist und die als Personen der Zeitgeschichte gelten können, vollständig genannt werden, und zwar auch im Falle ihrer Vernehmung. Hier zwischen Originaldokumenten und Aussageprotokollen zu unterscheiden und letztere zu anonymisieren, hätte dem Untersuchungszweck und der Anlage der gesamten Darstellung widersprochen. Gerade weil zahlreiche Dienstellen und Personen in die „Endlösung“ in Frankreich involviert waren, ist eine Identifizierung und Zuschreibung von persönlicher Verantwortung unumgänglich. Anonymisiert wurden daher lediglich die Namen solcher zumeist nachrangiger Zeugen und Beschuldigten, die in keinem zeitgenössischen Schriftstück oder Geschäftsverteilungsplan erscheinen und die mir daher nur durch ihre Vernehmungsaussagen bekannt geworden sind. Dies trifft vor allem auf viele der im letzten Kapitel ausgewerteten Aussagen zu, bei denen ich ohnehin von der Annahme eines kollektiven, also anonymen Sprechers ausgehe. Die Namen von verhafteten und deportierten Personen und Überlebenden der Vernichtungslager habe ich nicht anonymisiert, da ihre Zeugenberichte zumeist gedruckten Quellen entnommen sind.

Oldenburg, Dezember 2004

Täter im Verhör

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