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Analyse

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Dieser Trumpf prägt das weibliche Bild eines neuen Zeitalters: Die ausgeglichene, befriedigte Frau, die die Weltenharmonik in der Waage hält. Ihre Hände umfassen den Phallus des Mannes. Crowley notiert: Sie ist maskiert und ihr Gesichtsausdruck zeigt ihre geheime, innere Befriedigung über ihre Beherrschung jeglichen Elements des Ungleichgewichts im Universum. Dieser Zustand wird durch das magische Schwert symbolisiert, das sie in beiden Händen hält, und den Waagschalen oder Sphären, in denen sie das Universum abwägt.2

Doch was liegt hinter der Maske dieser Dame, von der Crowley so schwärmt? Ausgleichung, im ursprünglichen Sinn auch Gerechtigkeit genannt, lässt sich aus höherer Sicht nur schwer definieren. Im Grunde lässt sich auch nur der Standpunkt beurteilen, aus dem sich das, was wir sehen wollen, wahrnehmen lässt. Das bedeutet, dass wir immer nur unsere eigene Wahrnehmung beurteilen, die wir nach den Kriterien unseres anerzogenen (fixen) Weltbildes wahrnehmen können. Deshalb stellt Justitia von den Zehenspitzen über die Schultern den Umriss eines Diamanten dar, Ausdruck und Symbol des härtesten Materials. Sie zeigt, wie sie die mentalen Kräfte materialisiert bzw. die Gedanken in die Erde ableitet, indem sie einen Teil ihres Gewichtes auf das große Schwert mit dem Mondsichelknauf in ihren Händen verlagert.1 Von ihrer schlechteren Seite drückt sie allerdings, wie wir noch sehen werden, auch den Starrsinn einer vorurteilsbehafteten Pedantin aus: die gerechte Anima als »blinde« Göttin Justitia, die Argumente ablehnt und die Logik der Inquisition von ihrer dunkelsten Seite ohne seelisches Empfinden nachahmt.

Wenn wir davon ausgehen, dass diese Karte das menschliche Konstrukt oder Gerüst darstellt, nach dessen dualen Grundpfeilern wir im Laufe der Jahrtausende unsere gesellschaftliche Ordnung ausgerichtet haben, und damit die Voraussetzung dafür liefert, wie wir gelernt haben, zwischen richtig und falsch, gut und böse zu unterscheiden, dann können wir zumindest sagen, dass wir aus Sicht des achten Trumpfes unseren Standpunkt betrachten, aus dem wir Gerechtigkeit beurteilen. Natürlich liegt es nahe, dass aus Sicht des subjektiv Empfindenden »Gerechtigkeit« immer auf der Seite des Betrachtenden liegt und das Gegenteil folgerichtig auf der Seite der anderen. Das lässt sich in unserer dualen Welt wohl kaum vermeiden. Crowley sagt auch: Von ihrer Krone – die so empfindlich ist, dass die leiseste Gedankenbewegung sie in Bewegung versetzt – hängen die an den Ketten der Ursache befestigten Waagschalen herab, in denen sich Aleph, das Erste, und Omega, das Letzte, in vollkommenem Gleichgewicht befinden.3 Damit möchte er erläutern, dass das Zentrum des Gleichgewichts so empfindlich ist, dass die leiseste Gedankenbewegung es in Schwingung versetzt, denn in der Krone der Maat sitzt eine Straußenfeder. Jeder noch so unscheinbare Einfall kann das kollektive Weltgebäude erschüttern, jede neue Idee die objektive Vorstellung revolutionieren. Gleichzeitig können Strukturen sowohl Ursache wie auch Wirkung sein. Auf dem Bild treten sie gerade dadurch hervor, indem sie einen Rahmen stützen, an dem sie sich gleichzeitig festhalten. Der Angelpunkt, an dem die Waagschalen hängen, ist ein in die Krone eingearbeiteter Mechanismus, dessen Fundament sich auf dem Scheitel der Göttin befindet. Das bedeutet, dass der Ausgleich, den der Mensch mit seiner Umwelt anstrebt, in den Gedanken bzw. auf seiner Vorstellungsebene montiert ist, und nur die Verschiebung dieses »Montagepunktes« eine andere Ausrichtung oder Weltbild zulässt. Jede Bewegung des Gestänges wird die Waagschalen verschieben, die Perspektive verändern, die als fixe Grundlage auf der Bewusstseinsebene montiert ist. Damit würde sich der Brillant als Symbol der zementierten Form zerstören und auf der morphischen Ebene könnte beispielsweise – wie die Chaosforscher behaupten – der Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite der Hemisphäre zu einem Tornado führen. Da die Bewegung des Gestänges also sowohl vom Einfluss der Außenwelt wie auch von der Kraft unserer Vorstellung abhängt, kann man mit Fug und Recht behaupten, die Welt ist genau so, wie wir sie uns vorzustellen gelernt haben.

Man könnte aber auch sagen, dass eine übertriebene Haltung nach Ausgleich und Kontrolle gerade Ungleichgewicht heraufbeschwört, und dass der Mensch alles andere als eine frei handelnde Persönlichkeit ist, sondern nur immer im Verhältnis und in Anbindung an seine soziale oder religiös verinnerlichte Moral handeln kann. Zyniker würden es so formulieren: Die gesellschaftliche Bindung gibt das Gerüst vor, innerhalb deren engen Regeln sich der Mensch zwar frei entscheiden kann, was aber nichts mit Freiheit zu tun hat, sondern höchstens ein Bild von Freiheit generiert, oder, in einen Vergleich übertragen, die Freiheit der Zwangsamputierten zur freien Auswahl der Farbe ihres Holzbeins darstellt. Indem man gegen dieses Ungleichgewicht wiederum mit dem Streben nach Gleichgewicht vorgeht, bekämpft sich der Ausgleich selbst in der Motorik seiner eigenen Dynamik. Dahinter steckt ein tiefer Konflikt des menschlichen Strebens nach Ordnung, Unordnung zu verbannen, indem es das Leben in Schubladen von Recht und Unrecht einschließt. Das führt letztlich darauf hinaus, dass man die eigene Subjektivität über die Subjektivität der anderen stellt, weil man durch die Mechanismen der Individualität oder das aufoktroyierte Weltbild zu ungewohnten Gesichtspunkten stets eine negative Haltung einnimmt.

Die weibliche Gottheit ist Harlekin4, schließt Crowley seine Betrachtungen mit einem interessanten Vergleich ab, sie ist der Partner und die Erfüllung des Narren. Sie ist die als Manifestation bezeichnete letztendliche Illusion, der vielfarbige und ränkevolle Tanz des Lebens selbst (…) Alle Dinge sind Harmonie und Schönheit; alle Dinge sind Wahrheit; denn sie heben sich gegenseitig auf.2 Er will uns sagen: Die weibliche Gottheit ist eine Synonyme für das menschliche Bedürfnis, sich einen überschaubaren Rahmen zu schaffen, indem es das, was es fühlt und empfindet, in eine Struktur dualer Wahrnehmung einschachtelt, damit der menschliche Verstand es verarbeiten kann. Das Substrat dieser Verdichtung oder Kristallisierung wurde von der Gesellschaft zu einer verbindlichen Struktur erweitert und damit zur Grundlage gemacht, auf dem sich die soziale und kulturelle Entwicklung des Menschen überhaupt erst entwickeln konnte. Das zeigen nicht nur die Straußenfedern der Maat, der ägyptischen Göttin der Gerechtigkeit, die die Schultern unserer konzentrierten, die Welt aus ihrer eigenen Vorstellung heraus schöpfenden jungen Frau bedecken, sondern auch die rhombische oder rautenförmige Form, Symbol des kosmischen Gleichgewichts, das sich von außen nach innen und wieder von innen nach außen richtet. Es ist das große Zusammenspiel der Gegensätze, die sich im ruhenden Pol des Zentrums (Schwertspitze) »ausbalancieren«. Deshalb ist das, was wir als Ausgleichung bezeichnen, nach den Instinkten und Trieben vielleicht die wichtigste menschliche Kraft und Voraussetzung für die menschliche Entwicklung, die uns in der Evolution von der Spezies der instinktgebundenen Naturen wegentwickeln ließ. Der Advocatus Diaboli würde behaupten, »ausgleichende« Gerechtigkeit ist für den Menschen die Schaltstelle, an der sich das innere Empfinden mit dem äußeren Geschehen zu einem verbindlichen Gesellschaftssystem verknüpft und damit die Voraussetzungen schafft, die im Laufe der Jahrtausende die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ermöglichten. Diese sind aber gleichzeitig auch die Antipoden für die wilde, triebhafte und undomestizierte Instinktnatur und damit die Voraussetzung für die vom kollektiven oder moralischen Gewissen der Gesellschaft erpresste Form von Schuldgefühlen.

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