Читать книгу In Berlin wird noch geschossen e-book - Alana Maria Molnár - Страница 11
ОглавлениеStegreif-Inszenierung
Im Besucherraum der Hochschule für Gartenbau in Budapest werden Mutter und ich von Studenten und Personal neugierig beäugt. László wird ausgerufen. Wir haben Glück, sagt die Frau am Schalter, er ist im Hause. Hätte er Vorlesung, müßten wir eventuell lange warten.
Mutter setzt sich, mir aber fehlt die Ruhe dazu. Der Blick in den parkähnlichen Garten verschafft jetzt auch keine Entspannung. Dann höre ich Schritte; es ist László.
Seine Überraschung könnte nicht größer sein. Daß ihm die Begegnung äußerst peinlich ist, kann er nicht verbergen. Im nächsten Augenblick bemüht er sich schon um Haltung, aber es will ihm nicht so recht gelingen. Unter dem Sakko trägt er ein weißes Hemd und dazu eine Krawatte, die ich gut kenne. Das ist eine dieser heute so modischen gehäkelten Dinger aus seidigem Viskosegarn, das sich der Verarbeitung widersetzt, indem es ständig vom Haken rutscht. Ich habe zwei Stück für László gemacht, eine in Schwarz, die andere in Rot. Er trägt die rote.
Endlich hat er sich Griff. Den spöttischen Ausdruck in seinem Gesicht kenne ich nicht, den hat er mir früher nie gezeigt. »Was suchst du hier?«
»Dich natürlich. Was oder wen sonst.«
»Und was willst du von mir?«
»Eine Antwort. Und meine Briefe zurück.«
»Was willst du hören?«
»Den wahren Grund, warum alles vorbei ist.«
Schweigen. Er schaut an mir vorbei in den Garten.
»Ich bin weit gefahren, um es von dir persönlich zu hören.«
László schweigt sich weiterhin aus, nur seine leisen Atemzüge sind zu hören. Seine rechte Hand spielt mit dem Ende der roten Krawatte. Er merkt es nicht.
Auch das nicht, daß hinter ihm plötzlich ein dunkelhaariges Mädchen auftaucht. Das Mädchen legt mit einem Verschwörerblick zu mir den Zeigefinger auf die Lippen und schleicht sich lautlos hinter László. Dann legt sie beide Hände auf seine Schultern und flüstert: »Rate mal, wer das ist?«
László dreht sich mit einer blitzschnellen Bewegung um und stößt dabei das Mädchen fast um. Die Dunkelhaarige lacht und verwuschelt ihm die blonden Haare. Dazu muß sie sich allerdings auf die Zehenspitzen stellen, denn sie ist kaum größer als ich. Braune Haare und Augen hat sie auch.
»Wieso machst du mich mit deinen Verwandten nicht bekannt?«
»Mit wem soll ich dich bekanntmachen?"
"Entschuldigen Sie meinen Neffen, Fräulein, er ist heute ein bißchen durcheinander.« Mutter reicht dem Mädchen die Hand. »Ich bin die Tante Anna. Und das ist meine Tochter Júlia.«
László schnappt nach Luft, Mutter hat er bis eben noch gar nicht wahrgenommen.
Die Dunkelhaarige merkt von seiner Reaktion nichts. Sie tippt sich auf die Stirn. »Júlia. Ach ja, von dir hat László oft gesprochen. Jetzt weiß ich es! Du bist das Mädchen, dem jemand ein Jahr lang über dreihundert Briefe geschrieben hat, fast jeden Tag einen. Und dann war der plötzlich auf und davon. Du Ärmste!«
Bevor ich überhaupt etwas tun kann, umarmt mich die Dunkelhaarige stürmisch und redet mit einem Tempo auf mich ein, daß mir die Luft wegbleibt. Letzteres allerdings nicht nur wegen ihres Redeschwalls. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie László sich zentimeterweise der Tür nähert. Der Schuft, wie meine Mutter ihn neuerdings nennt, will sich aus dem Staub machen.
Mutter ist schneller, mit zwei Schritten ist sie bei ihm, hakt sich ein und schiebt ihn sanft aber mit Nachdruck in unsere Richtung.
Was passiert hier überhaupt? Die Situation kommt mir vor wie eine Szene aus einer schlechten Boulevardkomödie. Warum hat sich Mutter als seine Tante ausgegeben? Fragen kann ich sie jetzt wohl schlecht danach.
»Wie heißen denn Sie, meine Liebe?« fragt Mutter das dunkelhaarige Mädchen.
»Oh, Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Margit. Margit Virág.«
»Gibt es hier in de Nähe ein Café? Was haltet ihr von einer Tasse Kaffee und ein bißchen Gebäck?«
László befindet sich immer noch im Zustand der Sprachlosigkeit. Margit will mit. Die Cafeteria der Hochschule würde sie nicht zu empfehlen, sagt sie, aber ganz in der Nähe kennt sie ein nettes Café mit Konditorei.
Mutter hängt immer noch am Arm von László. Margit hakt sich bei mir ein und führt die kleine Gruppe an. Sie redet ohne Punkt und Komma. Ob sie immer so ist? Ich ertappe mich dabei, Mitleid mit László zu bekommen.
»Die Sache mit dem gemeinen Kerl mußt du mir genau erzählen. Sowas habe ich noch nie gehört. Ich hoffe nur, daß er seine Strafe kriegt.« Margit scheint ehrlich empört zu sein.
»Strafe? Was könntest du dir denn vorstellen?« Die Situation beginnt mich zu amüsieren. Zwischen die gerade so fröhlichen Gedanken schieben sich Bilder, die meine Hand zeigen, wie sie aus vollgeschriebenen Briefseiten Klöße formen und diese in die Flammen werfen. Das Papier wird im Feuer lebendig, dehnt und streckt sich, so daß ich einige Wörter wieder klar erkennen kann.
Margit merkt nichts davon, sie zieht mich energisch weiter. Auf dem Weg zur Konditorei zählt sie schon erste Möglichkeiten auf, wie der briefeschreibende Missetäter bestraft werden könnte. Ich freue mich darauf, all die von Margit vorgeschlagenen Dinge beim Espresso und Gebäck näher zu erörtern. Und László muß zuhören. Eine unerwartete Wendung, zugegeben, aber die gefällt mir besser als die womöglich dramatische Fortsetzung der Szene vorhin im Besucherraum, bevor Margit aufgetaucht ist.
Der Abschied von ihr und László fällt mir nicht schwer. Das redselige Mädchen will noch meine Adresse, sie sagt, sie möchte mir gerne schreiben, Frauen müssen schließlich zusammenhalten.
Mutter rettet mich, indem sie auf ihre Armbanduhr schaut und vom Stuhl springt. Wir dürften unseren Zug nicht verpassen, sagt sie, umarmt Margit hastig, klopft László tantenmäßig auf die Schultern und zieht mich hinter sich her.