Читать книгу In Berlin wird noch geschossen e-book - Alana Maria Molnár - Страница 12

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Schnipp schnapp, Haare ab

Der Zug steht schon auf dem Gleis, als wir nach der langen Fahrt durch die ganze Stadt am Ostbahnhof ankommen. Die Karten müssen wir im Zug nachlösen. Wir haben Glück und finden einen leeren Abteil, den uns niemand streitig macht, bis wir umsteigen müssen. Mutter fließen die Tränen beim Lachen, sie kann sich kaum beruhigen. Alle Szenen gehen wir noch einmal genüßlich durch, mit wechselnder Rollenverteilung. In mein Lachen mischt sich zwar eine Prise Trauer, aber das Komische der Situation löst bei jeder Wiederholung hemmungslose Heiterkeit aus.

Margit haben wir nicht aufgeklärt, wer wir sind, und László hat sich aus nachvollziehbarem Grund gehütet, es zu tun. Mutter und ich entwickelten eine unbändige Freude dabei, Margit immer neue Strafen für den Schuft erfinden zu lassen. Als ich fragte, seit wann sie denn über die unglückliche Geschichte mit den Briefen weiß, antwortete sie: seit kurzem. Das stimmte mich ein ganz kleines bißchen versöhnlich.

»Apropos, Briefe! Du hast vergessen, Deine Briefe zurückzuverlangen.« Mutter sieht mich fragend an.

»Mir sind die egal, Mama. Außerdem könnte ich ihm seine Briefe auch nicht zurückgeben. Die ruhen sanft unter den Himbeersträuchern im Garten.«

Mutter wird plötzlich ernst. »Hast du denn die Antwort bekommen, die du haben wolltest?«

»Ja. Mehrere. Und die, die ich gar nicht haben wollte, waren doch lustig. Oder?« Endlich kann ich heulen.

Mutter kuschelt sich in ihren Sitz und findet die Welt wieder in Ordnung. Gut, daß sie nicht versucht, mich zu trösten. Das wird die Zeit ohne mein Zutun erledigen, sagt sie, bevor sie die Augen schließt, um ein kleines Nickerchen zu halten. Schließlich war es ein anstrengender Tag.

»Wie siehst du aus, Kind?« In Großmutters Blick sehe ich blankes Entsetzen.

»Nichts Schlimmes. Ich habe nur meine Zöpfe abgeschnitten.«

»Entstellt hast du dich! So eine Schande!«

Großmutter tut sich schwer, sich mit meiner Verzweiflungstat, wie sie es nennt, abzufinden.

Mein Kopf fällt plötzlich nach vorn, das Gewicht des langen dicken Haars zieht ihn nicht mehr in den Nacken. Genau wie Mutter es vorausgesagt hat. Sie behält ihre Gedanken für sich, als sie das fransig abgesäbelte Ende der Haare sieht, wo heute Morgen noch die Zöpfe waren.

»Warte auf mich, ich bin gleich zurück.« Wie immer, wenn sie Geld braucht und keines hat, geht sie zu Großtante Klára.

Eine Stunde später sitzen wir im Bus nach Eger und zwei Stunden später trage ich stolz eine hochmoderne Frisur zur Schau, geschnitten von einem bekannten Friseur in der Hauptstraße.

Anschließend schleppt mich Mutter zu Herrn Kéry. Er arbeitet zwar nur noch wenig, weiß sie zu berichten, aber eine Bitte von ihr wird er schon nicht abschlagen. Es ist schließlich ein historischer Augenblick, wenn ein Mädchen von sechzehn Jahren die langen Haare abschneiden läßt. Sowas kann eine Menge verändern, das weiß sie aus eigener Erfahrung.

Für mich bedeutet das Abschneiden der Zöpfe den endgültigen Abschied von der Kindheit.

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